5. Die koranischen Materialien zur Gestalt des Propheten1
5.1 Die drei Phasen der koranischen Entwicklung und die Historisierung von muhammad
Da der Begriff MHMT (bisher) erst seit dem Jahr 40 H. (661) und die arabische Schreibung muhammad erst seit 60 H. (681) nachweisbar sind, wäre es erstaunlich, wenn der Begriff in den (wenigen?) koranischen Materialien, die bis zu diesen zeitlichen Zäsuren schon vorlagen, verwendet worden wäre. Und tatsächlich kommt muhammad nur an vier Stellen im Koran vor, obwohl in den Suren durchgängig der Prophet angesprochen wird.
Bis mindestens 135 H. (756 = Inschrift in Medina) ist muhammad, zumindest in der amtlichen Theologie, ein christologisches Prädikat (im Sprachgebrauch Chr. Luxenbergs „Mohammed I“). Schon vorher aber, in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, könnte eine Historisierung der Vorstellung eingeleitet worden sein („Mohammed II“).2
Diese Historisierung ist nur an wenigen und späteren („medinischen“) Stellen im Koran festzustellen. Zwar werden gemäß der späteren theologischen Geschichtsschreibung seit dem 9. Jahrhundert alle Stellen, in denen Gott einen Gesandten oder Propheten anspricht oder auch nur „du“ sagt, von Übersetzern (meist in Klammern zugefügt: Mohammed) und Kommentatoren auf den arabischen Propheten bezogen. Diese recht häufigen Passagen aber sind so knapp und meist ohne weitere Präzisierungen formuliert, dass sie sich, wie Münzen und Inschriften zeigen, bis in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts nicht auf einen Propheten Mohammed bezogen haben können. Immer aber ist ein „Du“ oder „Prophet“ angesprochen: Man kann, wegen der Gestaltung schon der ältesten, wohl weit im Osten von Mesopotamien entstandenen Suren, durchaus vermuten – falls diese Anreden nicht nur ein literarischer Topos oder ein typologisches „Du“ (für den Typos Prophet) sind -, dass es dort einen ersten (aramäischen) Verkünder, dessen Namen wir nicht wissen, gegeben hat. Daran konnte die spätere Konkretisierung des Propheten anknüpfen, ohne aber noch diesen möglicherweise historischen Anfang zu meinen.
An biblischen Gestalten nennt der Koran: Abraham (Ibrahim) 79 mal, Mose (Musa) 136 mal, Aaron (Harun) 20 mal, Jesus (Isa) 24 mal, Maria (Maryam) 34 mal, Adam (Adam) 25 mal, Noah (Nuh) 33 mal und Pharao (Fir’awn) 74 mal; ohne Namensnennung kommen Prophet (nabi) 43 mal, Gesandter/Apostel Allahs (rasul Allah), in verschiedenen Varianten, mehr als 300 mal vor.3 Muhammad heißt es an vier Stellen.
Da einige koranische Texte, auch in arabischer Sprache, schon vor dem Ende des 7. Jahrhunderts vorlagen, kann bei ihnen der angesprochene Prophet, der in Bezug auf Jesus bzw. auf Mose/Jesus redet, nur der schon angedeutete unbekannte Prediger aus den Anfängen der koranischen Bewegung oder ein „typologischer Prophet“ sein. Bei späteren Texten aus der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts könnten sie aber schon – das müsste im Einzelnen untersucht werden – auf einen arabischen Propheten, also eine als historisch vorgestellte Gestalt, bezogen sein, der aber noch, wie ein Apostel, in den Kontext des Christentums gehört; dies ist sicher dort der Fall, wo seine Aufgabe die Bekräftigung „der Schrift“ bzw. von Tora und Evangelium ist. So geht S. 62,2 davon aus, dass Gott „unter den Heiden einen Gesandten aus ihren eigenen Reihen hat auftreten lassen, der ihnen seine (d.h. Gottes) Verse verliest, sie (…) läutert und sie die Schrift und die Weisheit lehrt“ (vgl. z.B. auch S. 3,184; 7,10; 10,95; 28,52). In diesen Kontext gehören wohl auch die meisten Polemiken gegen die „Schriftbesitzer“, die Tora und Evangelium verfälscht haben. Mit Aussagen dieser Art kündigt sich noch nicht eine neue Religion an; es handelt sich vielmehr, leider, um eine gängige innerchristliche Debatten„kultur“, Leuten mit anderer Meinung, Glaubensgenossen sowie Juden, ein falsches Schriftverständnis vorzuwerfen.
Die an vielen Stellen anzutreffenden Bezüge auf den Koran, den Gott gelehrt hat (z.B. S. 55,2; 85,22; 59,21 usf.), in (ein wenig späteren?) Suren auch auf einen arabischsprachigen Koran (z.B. S. 41,44; 46,8-10 usw.), verweisen zwar auf eine neue Norm bzw. literarische Autorität. Wenn diese aber nicht der Tora und dem Evangelium gegenübergestellt wird, sondern diese bestätigen soll, ist der Koran als ein syrisches bzw. syrisch-arabisches Lektionar – so die Wortbedeutung – aufzufassen, mit dem „die Schrift“ in richtiger Weise ausgelegt und bekräftigt werden soll4, so dass sogar die Dschinn sagen: „Wir haben einen erstaunlichen Koran gehört, der auf den rechten Weg führt, und wir glauben nun an ihn und werden unserem Herrn niemand (als Teilhaber an seiner Göttlichkeit) beigesellen“ (S. 72,3). Oder sie sagen: „Ihr Leute! Wir haben eine Schrift gehört, die (…) nach Mose herabgesandt worden ist als Bestätigung dessen, was (an Offenbarungsschriften) vor ihr da war, und die zur Wahrheit und auf den rechten Weg führt“ (S. 46,31; vgl. 46,12). Der Gewährsmann dieses Koran sagt von sich: ich „bin nichts als ein deutlicher Warner“ (S. 46,9) oder „deutlicher Gesandter“ (S. 43,29), womit wohl seine arabische Sprache gemeint ist. Der christliche Warner wird nicht benannt; die zunehmend betonte arabische Sprache dieses Koran aber verweist auf einen arabischen „Warner“ bzw. Propheten und Gesandten. So macht der „arabische Koran“ (S. 43,3) einen „Warner aus ihren eigenen Reihen“ (S. 50,2) erforderlich – ein Zeichen für die Vorstellung von einem arabischen Propheten; auch er aber steht noch in der Linie der vorangegangenen Propheten. Es bleibt sogar noch, z.B. in Sure 33,7.8, die an anderer Stelle auch schon den nicht (mehr) christlichen Propheten Mohammed kennt, bei der bisherigen religiösen Ausrichtung (in der Übersetzung von Max Henning5, weil der biblische Sinn der Sätze von R. Paret verwässert wird6). „7. Und (gedenke), da wir mit den Propheten den Bund eingingen, mit dir und mit Noah und Abraham und Moses und Jesus, dem Sohn der Maria; und wir gingen mit ihnen einen festen Bund ein. 8. Auf daß er (Gott, Verf.) die Wahrhaftigen nach ihrer Wahrhaftigkeit befragte…“.
Sobald die mit dem Koran lebende Bewegung sich aber als eine neue Religion versteht, tritt der Koran ausdrücklich als Autorität neben die Schrift. Er steht sogar insofern über der Schrift, weil er ein „deutliches“ Buch ist. In S. 9,111 z.B. werden Tora, Evangelium und Koran nebeneinander geordnet (vgl. auch S. 15,1: „Dies sind die Verse (w. Zeichen) der Schrift und eines deutlichen Korans“). In S. 3,3 wird die Bedeutung des Koran, der die Schrift (Tora und Evangelium) zwar („nur“?) bestätigen soll, dennoch stark hervorgehoben (vgl. auch ebd., Verse 4-9; vgl. S. 4,136) und immer wieder sein Offenbarungscharakter betont (z.B. S. 16,102.103). Vor allem in einigen medinischen Suren erscheint der Koran als die wichtigste Offenbarungsschrift, obwohl der Bezug zu Tora und Evangelium bzw. zu der „Schrift“ erhalten bleibt.7
Jetzt können Juden und Christen den Anhängern der koranischen Lehre gegenübergestellt werden (S. 9,30.31): „30 Die Juden sagen: ‚Uzair (d.h. Esra) ist der Sohn Gottes.‘ Und die Christen sagen: ‚Christus ist der Sohn Gottes.‘ … Diese gottverfluchten Leute … 31 Sie haben sich ihre Gelehrten und Mönche sowie Christus, den Sohn der Maria, an Gottes Statt zu Herren genommen. Dabei ist ihnen (doch) nichts anderes befohlen worden, als einem einzigen Gott zu dienen, außer dem es keinen Gott gibt …“. Bezüglich einer Esra-Verehrung bei Juden stellen sich hier Fragen. Die Polemik gegen die Christen aber bleibt inhaltlich in der von Anfang an in den Inschriften am Felsendom und an den Heiligtümern in Damaskus und Medina sowie im koranischen Material vertretenen Argumentation. Diese war bisher eine binnenchristliche Sache – syro-arabisches Christentum versus hellenistisches und syrisch-hellenistisches Christentum -. Jetzt aber scheint in Sure 9 die binnenchristliche Basis verlassen, („die Juden“ und) „die Christen“ werden wie Vertreter anderer Glaubensrichtungen der eigenen gegenübergestellt. Eine grundsätzliche Trennung scheint angekündigt zu sein. Ähnlich wird in Sure 2, Vers 108, „euer Gesandter“ – als eigenständige Gestalt – Mose gegenübergestellt und in Vers 120 gesagt: „Die Juden und Christen werden nicht mit dir (dem Gesandten, Verf.) zufrieden sein, solange du nicht ihrem Bekenntnis folgst.“ Hier könnte, in Weiterführung des Sprachmodells, das Chr. Luxenberg vorgeschlagen hat, von „Mohammed III“ gesprochen werden; aber immer noch wird dieser Gesandte nicht benannt.
Zwar bleibt auch jetzt der Verweis darauf, dass die eigene Position, nur einen einzigen Gott zu verehren, schon dem (biblischen) Befehl an Juden und Christen entspricht, und immer wieder wird diese Lehre in den Kontext der Offenbarung von Anfang an gestellt.8 Aber die koranische Verkündigung erscheint als diejenige, die allein dieser Offenbarung in vollem Sinn entspricht.
Dieser neue Schritt wird jetzt theologisch-symbolisch in einen Rahmen gestellt, der mit Abraham beginnt9, also einer von Juden und Christen anerkannten Gestalt, die aber diesen Religionen voranging: „Abraham war weder Jude noch Christ“ (S. 3,67). Es handelt sich um ein Begründungsschema, das auch Paulus im Römerbrief (Kapitel 4) anwendet, weil Abraham die Verheißung „nicht durch das Gesetz (die Thora) zuteil geworden ist“ (Röm 4,13), so dass das junge Christentum auf eine Autorität, die älter ist als das Judentum (Gesetz), zurückgreifen kann. Die Nutzung dieses Rückgriffs lag aber nicht nur von der Parallele zu Paulus, sondern auch von der arabischen Tradition her nahe: die Araber wurden im Vorderen Orient, schon lange vor dem späteren Islam, als Ismaeliten (Nachfahren des Ismael, Sohn Abrahams mit Hagar) oder Hagarener/Hagariten (Söhne der Hagar, der ägyptischen Dienerin der Frau Abrahams, Sara) bezeichnet.10
Ähnlich wie bei Paulus zeigt die Anknüpfung an Abraham, dass die religiöse Bewegung sich von der Herkunftsreligion löst, bei Paulus das Christentum vom Judentum, in den späten Teilen des Koran des Islam vom Christentum. Die vierzehnte Sure trägt die Überschrift „Abraham“ (nach späterer Fehllesung Ibrahim11); die Anhänger der koranischen Bewegung vertreten die „Glaubensrichtung Abrahams“ (S. 2,130), im Gegensatz zu „Juden oder Christen“ (S. 2,135); Abraham begründete „das Haus“ als „Stätte der Einkehr für die Menschen und … Ort der Sicherheit“ (S. 2,125), nachkoranisch als Kaaba in Mekka gedeutet.
Mit dieser Verselbständigung der arabischen Bewegung zu einer Größe, die über Juden- und Christentum hinausreicht und sich auf den Koran als letztgültige Offenbarungsschrift stützt, gewinnt auch der „Gewährsmann“ dieser Schrift und Glaubensrichtung eine neue Qualität. Der arabische Prophet erscheint als die letzte Instanz in dem von Gott kommenden Offenbarungsgeschehen. Er wird, wie zuvor Mani, der Ähnliches für sich beanspruchte, „das Siegel der Propheten“ (S. 33,40) genannt.
Ein wenig vereinfacht lassen sich also am koranischen Material drei aufeinander folgende und an den Rändern sich überlappende Phasen unterscheiden: Eine älteste Stufe, in der ein syrisch-arabisches Christentum vertreten wird und der angesprochene namenlose Verkünder auf Jesus bzw. Mose (oder Jesus als Mose) verweist; in einer nächsten Phase bleibt das Material christlich, aber in einer Interpretation durch den arabischen Koran (soweit er vorliegt), so dass ein arabischer Prophet als dessen Gewährsmann erscheint – eine erste Etappe der Historisierung des muhammad-Prädikats; in der letzten Phase bleibt die Bewegung zwar innerhalb des biblischen heilsgeschichtlichen Konzepts, versteht aber den Koran als letztgültige Offenbarung, sich selbst als neue „Religion“12 und den arabischen Propheten als Promotor einer neuen Offenbarung und Begründer dieser Religion.
Die detaillierte Entfaltung und Ausschmückung der Biographie Mohammeds erfolgt erst nachkoranisch im 9. und 10. Jahrhundert. Jetzt wird soviel an biographischem Material, an Begebenheiten und Aussagen geboten, dass es die Möglichkeiten eines einzigen endlichen Lebens schon zu überschreiten scheint.
5.2 Die vier muhammad-Stellen im Koran
Die vier Stellen, an denen der Koran den Begriff muhammad erwähnt, sollen, von der aufgrund der Surenzählung vermuteten ältesten Passage an, kurz erörtert werden. Weil es keine kritische Koranedition gibt, muss von dem in der Kairoer Koranausgabe vorliegenden Text, hier in der Übersetzung Rudi Parets, ausgegangen werden.
(1) Zu Sure 48,29
Sure 48, „Der Erfolg“, bietet zwei Einheiten. Im ersten Teil, Vv. 1-28, geht es um kämpferische Auseinandersetzungen, den Unwillen der Beduinen zu kämpfen, um göttliche Bestimmung des Erfolgs, um Lohn und Strafe. Der im Kontext dieser Sure ungewöhnlich umfangreiche Vers 29 bildet den zweiten Teil. Er unterscheidet sich von den vorherigen Ausführungen allein schon formal durch seine Länge, aber auch seinen versöhnlicheren Inhalt, der nichts mit Kämpfen zu tun hat. Er scheint als fertige Einheit an dieser Stelle eingeschoben zu sein. Vielleicht gilt Ähnliches für den ebenfalls längeren Vers 25, der von der heiligen Kultstätte, von Opfertieren und der Behinderung von Opfertätigkeit handelt; dieser Vers könnte hier angefügt worden sein, weil im vorherigen Satz von Mekka die Rede ist.
Der erste Teil bietet, abgesehen von der Erwähnung Mekkas, keinerlei konkrete Angaben, von denen her die Ausführungen historisch situiert oder räumlich zugewiesen werden könnten, es sei denn, man befolgt die Vorgaben der theologischen Geschichtsschreibung des 9. Jahrhunderts. Immerhin aber findet sich in diesem Teil eine Besonderheit: Einmalig im ganzen Koran wird Mekka (Makka) bzw. der Talgrund von Mekka erwähnt.
Nun spielte die arabische Halbinsel historisch bis zur Abbasidenzeit keine Rolle und wird in keinem zeitgenössischen Dokument, das mit dieser Bewegung zu tun hat, erwähnt. Erst mit dem Bau des Heiligtums in Medina richtet sich der Blick auf den Süden des früheren Nabatäerreichs. In den Jahrzehnten danach scheint dieser Bereich weiter ausgedehnt worden zu sein. Jedenfalls war Mekka z.Zt. al-Haruns wohl eine Pilgerstätte und wurde in diesem Sinne ausgebaut.
Wenn die Erwähnung Mekkas dem ursprünglichen Textbestand zugehört, muss der gesamte erste Teil der Sure weit in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts datiert werden. Die historische Wissenschaft weiß aber darum, dass im Vorgang des Abschreibens auch heiliger Texte recht häufig Einfügungen vorgenommen wurden, die dem „Wissensstand“ des jeweiligen Schreibers entsprachen. Handelt es sich bei der Erwähnung von Mekka um eine solche spätere Zufügung oder gehörte sie zur Texttradition? Diese Frage kann gegenwärtig, wegen des Fehlens einer kritischen Koranedition, nicht beantwortet werden.
Der zweite Teil, Vers 29, wird eröffnet mit dem Satz: „Mohammed ist der Gesandte Gottes“ (so R. Paret). Wenn der Satz auf diese Weise übersetzt werden muss, läge hier ein Beispiel für eine – wenigstens in Bezug auf den Namen – vollzogene Historisierung vor. Dann könnte dieser Teil der Sure von der Sache her mit dem ersten Teil verbunden gewesen sein.
Der Satz könnte aber auch übertragen werden: „Gepriesen ist der Gesandte Gottes“; dann wäre muhammad noch ein Prädikat. Ein Prädikat für wen? Liest man die auf den ersten Satz folgenden Ausführungen, wird von denen, die mit dem Gesandten sind, ausgeführt: Sie werfen sich nieder „im Verlangen danach, daß Gott ihnen Gunst erweisen und Wohlgefallen (an ihnen) haben möge.“ Es steht ihnen auf der Stirn geschrieben, dass sie sich (im Gebet?) niederwerfen, wie sie schon in der Thora beschrieben wurden. „Und im Evangelium werden sie mit Getreide verglichen, dessen Triebe Gott (w. er) (aus dem Boden) hervorkommen und (immer) stärker werden läßt …“. Und es wird ihnen Vergebung und Lohn versprochen.
Diese Passagen klingen recht christlich, außer dem zweiten Satz: „Und diejenigen, die mit ihm (gläubig) sind, sind den Ungläubigen gegenüber heftig, unter sich aber mitfühlend“. Das ist zwar nicht gerade jesuanisch, aber in der Christentumsgeschichte keineswegs ungewöhnlich. Kurz: Versteht man den Vers 29 als eine ursprünglich separate Überlieferungseinheit, die erst sekundär dem ersten Teil angefügt wurde, kann oder muss muhammad als Prädikat des Gesandten Gottes aufgefasst werden; der folgende Kontext verweist auf Thora und Evangelium, also auf Jesus.
Wenn die Sure ursprünglich eine Einheit war und die Erwähnung Mekkas dazugehörte, ist hier erstmals der Name des Gesandten, Mohammed, erwähnt und dieser als Begründer einer neuen „Religion“ aufgefasst; dann handelte es sich insgesamt um einen sehr späten Text. Bilden erster und zweiter Teil eine Einheit und geht die Erwähnung Mekkas auf einen späteren Abschreiber zurück, müsste S. 48 als Beginn einer „Historisierung“ des Namens Mohammed gesehen werden, wobei eine Trennung vom Christentum aber noch nicht zu erkennen ist.
Leider kennt die bisherige Koranforschung keine gesicherte textkritische und kaum literarkritische und formgeschichtliche Untersuchungen. Hier ist überall Neuland zu betreten, es fehlen selbst die Anfänge einer wissenschaftlichen Diskussion. Bezieht man methodische Überlegungen ein, wie sie in der Literaturwissenschaft und, in besonderem Maße, in der Bibelexegese gebräuchlich sind, müsste man Vers 29 als selbständige – theologisch ältere – Einheit und muhammad als Prädikat begreifen.
(2) Zu Sure 47,2
Die Sure 47 trägt die Überschrift „Mohammed“. Sie bietet insgesamt eine nur locker zusammenhängende Sammlung von Einzelsprüchen recht kriegerischer (haut den Ungläubigen „auf den Nacken“, V. 4) und auch von Gott her recht unversöhnlicher Art (Gott wird den Ungläubigen „nicht vergeben“, V. 34), von eschatologischen Aussagen (Paradies, Hölle) und ethischen Weisungen (nicht geizig sein und „Spenden geben“, Vv. 37.38). Weil weder die Verse innerlich zusammengehören noch ihre Komposition ein Konzept erkennen lässt, können sie nicht – oder nur, recht hypothetisch, einzelne Verse – in ihrem „Sitz-im-Leben“ situiert werden.
Eröffnet wird die Sure durch die beiden ersten Verse: „1 Denen, die ungläubig sind und (ihre Mitmenschen) vom Weg Gottes abhalten, läßt Gott (w. er) ihre Werke fehlgehen (…). 2 Denen aber, die glauben und tun, was recht ist, und die an das glauben, was auf Mohammed (als Offenbarung) herabgesandt ist – es ist (ja) die Wahrheit (…) von ihrem Herrn -, denen tilgt er ihre schlechten Taten und bringt alles für sie in Ordnung.“ Auch noch der dritte Vers gehört zu dieser Einheit.
Mit dem Vers 4 aber beginnt ein gänzlich neues Thema: „Wenn ihr (…) mit den Ungläubigen zusammenkommt, dann haut ihnen (mit dem Schwert) auf den Nacken“. So können bzw. müssen die ersten beiden oder die ersten drei Verse für sich gelesen werden.
Von muhammad wird gesagt, dass Gott auf ihn Offenbarung (?) herabgesandt hat, die Wahrheit vom Herrn ist. Wer ist dieser muhammad? Nimmt man S. 19,30 zu Hilfe, spricht dort der Säugling Jesus: „Ich bin der Diener Gottes (richtiger: Knecht Gottes, Verf.). Er hat mir die Schrift gegeben und mich zu einem Propheten gemacht.“ Ähnliches wird im Koran immer wieder von Mose gesagt. Wegen dieser koranischen Parallelen müsste S. 47,2 übertragen werden: „die an das glauben, was auf den Gepriesenen (muhammad) (als Offenbarung oder Schrift) herabgesandt ist“.
Prinzipiell wäre die Übersetzung Mohammed, als Name, denkbar, wenn die Verse der zweiten Phase, einer beginnenden Historisierung eines arabischen Propheten, zuzurechnen wären. Aber diese Möglichkeit verbietet der letzte Teilsatz des Verses 2: die an das glauben, was auf muhammad herabgesandt ist, „denen tilgt er (Gott, Verf.) ihre schlechten Taten und bringt für sie alles in Ordnung“. Sündentilgung wegen des Glaubens ist eine soteriologische Vorstellung, die mit Jesus verknüpft ist, nicht mit einem arabischen Propheten: Die drei ersten Verse der Sure 47 sind offensichtlich christlich zu verstehen, und muhammad ist als christologisches Prädikat aufzufassen.
(3) Zu Sure 33,40
Die Sure 33, „Die Gruppen“, insgesamt zu charakterisieren, ist an dieser Stelle unmöglich. Es scheint zu genügen – weil eine Eindeutigkeit vorliegt -, auf die zusammenhängenden Verse 37-40 sowie auf die Verse 50-59 einzugehen.
Die Verse 37-40 erzählen, dass der Prophet zunächst auf die (ungenannte) Gattin seines Adoptivsohnes Said, die er offensichtlich begehrte, aus „Angst vor den Menschen“ (V. 37) verzichten wollte, Gott sie ihm aber, nach ihrer vollzogener Scheidung von Said, zur Frau gab. Vers 38 sagt, dass die Furcht des Propheten unbegründet war: „Auch bei denen, die früher dahingegangen sind, ist Gott so verfahren.“ Dann heißt es V. 40: „Mohammed ist nicht der Vater von (irgend)einem eurer Männer (…). Er ist vielmehr der Gesandte Gottes und das Siegel der Propheten.“
In diesem Zusammenhang ist Mohammed tatsächlich der Name des arabischen Propheten, und, wie diese Verse sowie die nachfolgenden Verse 50-59 zeigen, der umfassend historisierte arabische Prophet im Kontext neuer religiöser und ethischer Vorstellungen, die keinen Bezug mehr zu Jesus haben.
In den Versen 50-59 werden – ohne nochmalige Namensnennung – dem Propheten von Gott unterschiedliche Gruppen von Gattinnen „zur Ehe erlaubt“ (V. 50) – abgesehen noch von den Sklavinnen („was du besitzt“, V. 50). Grundsätzlich kann er zudem jede „gläubige Frau, wenn sie sich dem Propheten schenkt und er (seinerseits) sie heiraten will“, ehelichen. Ausdrücklich wird hervorgehoben, dass dieses „gilt in Sonderheit für dich im Gegensatz zu den (anderen) Gläubigen“ (V. 50). Zum Schluss heißt es: „Künftig sind dir keine (weiteren) Frauen (zur Ehe) erlaubt“, auch kein Tausch von Gattinnen gegen neue Frauen, „auch wenn ihre Schönheit dir gefallen sollte (…), ausgenommen was du (an Sklavinnen) besitzt“ (V. 52).
Beide Versgruppen können nur sehr spät entstanden sein, als zum einen Mohammed schon das „Siegel der Propheten“ war, zum anderen Regeln, die im Christentum – wenigstens der Norm nach – unstatthaft sind, in die neue „Religion“ eingedrungen waren und zum Dritten vor allem schon die Nähe zur Sira mit ihren Erzählungen auch über die Frauen Mohammeds zu erkennen ist. Zwar nennt oder kennt Sure 33 noch keine Namen und Biographien der betreffenden Frauen; im Fall der Heirat der Frau des Said aber sind die Angaben schon recht konkret. Aber es wird dort eine Art Summarium der Eheverhältnisse geboten, und in den Versen 53-59 Anweisungen gegeben für den Umgang mit den Frauen des Propheten, der wohl schon als gestorben vorausgesetzt wird. Dazu gehört wohl auch, dass in Vers 6 die Frauen Mohammeds als „Mütter“ der Gläubigen bezeichnet werden, was bei ihrer Jugend (wenigstens einiger unter ihnen) im zeitlichen Kontext mit Mohammeds angenommenem Leben wohl ein schwieriger Gedanke wäre.
Wie weit diese Erzählungen einem fiktiven Mohammed zugesprochen wurden oder auf ein „Wissen“ der Tradition um einen geschichtlichen arabischen Propheten zurückgehen, lässt sich nicht entscheiden. Im letzteren Fall müsste es im Lauf der Zeit tatsächlich einen arabischen Verkünder gegeben haben, von dem man solches wusste, dem dann, sekundär, der christologische Würdename muhammad zugeeignet wurde. Möglich wäre das. Ebenso aber ist möglich – oder sogar wahrscheinlich -, dass arabische Erzählungen von Ehen und Verhaltensweisen eines – sagen wir – Scheichs in Umlauf waren, zunächst unabhängig tradiert und später sekundär in die Mohammedtradition eingefügt wurden. Bisher gibt es in dieser Frage keine nachvollziehbaren historischen Argumente.
(4) Zu Sure 3,144
Die umfängliche Sure 3, „Die Sippe ‚Imrams“, bietet eine Fülle unterschiedlicher, sehr stark auch biblischer und auf Jesus bezogener Aussagen, die nur selten einen übergreifenden Zusammenhang erkennen lassen. Die Verse 144-148 können als Einheit betrachtet werden, die an den Vers 143, in dem vom Tod die Rede ist, wohl nach dem mnemotechnischen „Stichwortprinzip“ angehängt wurden.
Der hier entscheidende Vers 144 und der Anfang des Verses 14513 heißen: „Und Mohammed ist nur ein Gesandter. Vor ihm hat es schon (verschiedene andere) Gesandte gegeben. Werdet ihr denn (etwa) eine Kehrtwendung vollziehen, wenn er (eines friedlichen Todes) stirbt oder (im Kampf) getötet wird? Wer kehrt macht, wird (damit) Gott keinen Schaden zufügen. Aber Gott wird (es) denen vergelten, die (ihm) dankbar sind. 145 Keiner kann sterben, außer mit Gottes Erlaubnis und nach einer befristeten Vorbestimmung (w. Schrift) …“
Die kommentierenden Zufügungen in der Übersetzung Rudi Parets beziehen diese Aussagen auf Mohammed. Lässt man sie weg, ist von dem Gesandten die Rede, der stirbt und getötet wird, und dies (V. 145) nach Gottes Willen und gemäß der Schrift (immerhin bietet hier Paret noch die wörtliche Übersetzung in Klammern). Dies aber trifft zu auf Jesus (und andere Propheten, vgl. V. 14614).
Dass er sterben und getötet werden kann, obwohl er der Gesandte (S. 3,49), aber nur Diener (Knecht) Gottes ist (S. 3,51), wird in Vers 59 begründet: „Jesus ist (was seine Erschaffung angeht) vor Gott gleich wie Adam.“ Deswegen gibt es keinen Grund, wegen seines Todes „eine Kehrtwendung“ zu vollziehen (V. 144) und sich von ihm abzuwenden. So sei es auch schon „manchen Propheten“ ergangen, so dass „viele Tausende“ somit von „Unglück“ betroffen und doch nicht „schwach und nachgiebig“ wurden (V. 146). „Und sie sagten nichts anderes als: ‚Herr! Vergib unsere Schuld …“ (V. 147); letzteres ist ein Anklang an die Vergebungsbitte des Vaterunsers.
Hier handelt es sich um eine Argumentation zu dem gewaltsamen Tod Jesu, von dem in Vers 55 gesagt wird, dass Gott ihn „abberufen“ und (dann) zu sich erhoben hat; die Erhöhung folgt der Abberufung, dem Tod: die klassische juden- und syrischchristliche „Erhöhungschristologie“.
Es gehört schon Blindheit dazu, dies alles auf den arabischen Propheten Mohammed zu beziehen. Der einleitende Satz von Vers 144 muss also übersetzt werden: „Und der Gepriesene (muhammad) ist nur ein Gesandter“ (und kann getötet werden). Gemeint ist Jesus. Dies ergibt sich auch aus einem Vergleich mit Sure 5, 75, wo die Aussagen von Sure 3,144 beinahe verbal identisch auf Jesus bezogen sind: „Christus, der Sohn der Maria, ist nur ein Gesandter. Vor ihm hat es schon (andere) Gesandte gegeben.“
Resümee
Drei Erwähnungen von muhammad (S. 3,144; S. 47, 2; S. 48,29) sind mit großer Wahrscheinlichkeit, bei bleibenden Randunsicherheiten auf Grund der Kargheit der Texte, auf Jesus zu beziehen. Nur wenn sie von der Literatur des 9. Jahrhunderts her gelesen werden, können sie als Hinweise auf den arabischen Propheten aufgefasst werden. Nur einmal (S. 33,40) ist eindeutig der arabische Prophet gemeint, der als historische Gestalt angenommen, wenn auch nicht beschrieben wird; Mohammed ist an dieser Stelle sein Name.
Natürlich bleiben gewisse Fragen, die sich von der literarischen Eigenart koranischer Texte her ergeben, die sich nur unpräzise in ihren Aussageabsichten entschlüsseln lassen und für deren Interpretation bisher keine wissenschaftlichen und überprüfbaren Modelle bereitstehen. Aber der Koran scheint zu betätigen, was die zeitgenössischen Zeugnisse, Münzen und Inschriften, zwingend machen: die Historisierung des muhammad-Prädikats ist erst recht spät erfolgt.
5.3 Weiteres „biographisches“ Material zu einem arabischen Propheten im Koran
Nicht nur die muslimische Tradition, sondern auch die Islamwissenschaft suchen und finden im Koran Hinweise für eine Biographie Mohammeds. Als Beispiel für die Vorgehensweise soll Axel Theodor Khoury aus einem Artikel „Muhammad“ angeführt werden: „Der Koran bewertet die Heirat (Mohammeds, Verf.) mit Khadidja als einen göttlichen Gnadenerweis für Muhammad (93,7-8).“15
Sure 93,6-8 zu Folge war der angesprochene Prophet Waise, irrend und arm; Gott aber nahm ihn auf16, leitete ihn und machte ihn reich, Letzteres also durch die Heirat mit Khadidscha, von der der Koran ansonsten nichts weiß. Wohl aber lassen sich die Erzählungen aus dem 9. Jahrhundert auf die koranische Aussage beziehen, wenn alle anderen Möglichkeiten, reich zu werden, oder auch alle anderen Propheten, die ungenannt hinter der Anrede stehen könnten, beiseite gelassen werden.
Rudi Paret ist, wie viele Islamwissenschaftler, der Meinung, dass der Koran nur wenig hergibt, um ein Leben Mohammeds zu zeichnen.17 Bei allen Vorbehalten gegenüber der späteren Überlieferung aber referiert er doch, mit Einschränkungen, die dort gebotene Biographie. Ebenso hält W. Montgomery Watt den Versuch, „eine Lebensbeschreibung Mohammeds einzig und allein aus dem Koran zu rekonstruieren“, für ‚hoffnungslos‘18, so dass er für die Biographie auf die späteren Schilderungen zurückgreift.
Der legendarische Charakter der Hadithsammlungen des 9. Jahrhunderts wurde schon seit I. Goldziher zunehmend erkannt.19 Weil aber ohne diese späten Texte kaum etwas über Mohammed gesagt werden kann – „Ohne dieses Material ist der Koran als historische Quelle unbrauchbar“20 -, hält man sich doch an eben diese Schriften.
Diese Vorentscheidung erschwert eine unvoreingenommene Untersuchung der koranischen Aussagen. Blendet man das Wissen um die Sira aus, wird der Koran doch wieder als historische Quelle wertvoll. Nur: er lässt dann vielleicht andere Schlüsse zu.
Im Folgenden sollen einige Beispiele koranischer „biographischer“ Notizen vorgestellt werden.
(1) Zu Sure 93,6-8
In der schon genannten Sure 93, 6-8 sagt Gott vom Propheten, dass er Waise, (im Glauben) irrend und arm war. Diese Aussagen stehen im Kontext der kurzen Sure, die als eine ursprüngliche Einheit betrachtet werden kann. Nach einer Schwurformel (V. 1 und 2) heißt es: „3 Dein Herr hat dir nicht den Abschied gegeben und verabscheut (dich) nicht. 4 Und das Jenseits ist besser für dich als das Diesseits, 5 Dein Herr wird dir (dereinst so reichlich) geben, daß du zufrieden sein wirst.“ Dieses Versprechen wird dann begründet mit der Aussage, dass Gott schon bisher dreifach für ihn gesorgt hat. „6 (…) Hat er dich nicht als Waise gefunden und (dir) Aufnahme gewährt, 7 dich auf dem Irrweg gefunden und rechtgeleitet, 8 und dich bedürftig gefunden und reich gemacht?“ In den Versen 9-11 werden hieraus ethische Folgerungen gezogen: „9 Gegen die Waise sollst du deshalb nicht gewalttätig sein, 10 und den Bettler sollst du nicht anfahren. 11 Aber erzähle (deinen Landsleuten wieder und wieder) von der Gnade deines Herrn.“
In der Sure tritt Gott (außer Vv. 9-11) in der dritten Person auf, statt wie meist in der ersten Person. Dadurch erscheint sie wie eine (spätere) Reflexion über ein Prophetenleben. Offensichtlich hätte der Prophet Anlass gehabt, sich von Gott verlassen und gehasst zu fühlen, was mit dem Versprechen jenseitigen Lohns abgewehrt wird. Eine solche Situation der Vergeblichkeitserfahrung gibt es in vielen Prophetenviten, könnte auch auf Mohammed – vorausgesetzt, der Verfasser der Sure kannte ihn schon – zutreffen.
Die angeführten Wohltaten, die Gott ihm schon bisher erwiesen hat, beinhalten die Aussage, der Prophet sei irrend, arm und Waise gewesen; dadurch wird die Zahl möglicher Propheten eingeschränkt. Aus der biblischen Tradition kommt Mose in Frage, von dem der Koran soviel erzählt und der „irrend“ war (vgl. S. 26,20), bevor Gott sich ihm am brennenden Dornbusch zeigte (z.B. S. 28,29.30), der vom armen Hebräersohn zum (reichen) Pharaonensohn wurde und für dessen Zuhause Gott sorgte (vgl. z.B. S. 28, 7-13). Aber es könnte auch gemäß den Biographien des 9. Jahrhunderts, die sicherlich auf diese Sure rekurrieren und sie ausmalen, Mohammed gemeint sein.
Da aber die Sure recht alt ist, worauf auch die ethischen Folgerungen, vor allem die Verkündigung der Gnade Gottes (statt einer Gerichtsdrohung) hindeuten, und weil der Koran selbst keinerlei Anlass gibt, jemand anderen zu vermuten, ist hier der Bezug auf den arabischen Propheten unwahrscheinlich. Dann wäre, auch gemäß der häufigen Nennung des Mose im Koran, diese Sure eine Art biblischer Meditation zur Gestalt und zum Schicksal des Mose, dessen Leben im „Diesseits“ oft angefochten war, wofür ihm aber jenseitiges Glück verheißen wird (vgl. z.B. S. 28,37).
Wegen der Kargheit des Textes, der die mit ihm ursprünglich verbundenen Assoziationen nicht erkennen lässt, kann die Frage nach dem gemeinten Propheten aber nicht sicher entschieden werden. Hält man sich nur an den Koran, müsste Mose gemeint sein, weil der Koran nur von Mose Erzählungen bietet, die zu Sure 93 passen. Wegen des Alters der Sure kommt Mohammed nicht in Frage, denkbar wäre allenfalls ein arabischer Prophet, den wir nicht kennen. Aber auch dies wäre schwierig vorzustellen; vor allem hat es im Text keine Stütze.
(2) Zu Sure 43,29-31
Ähnliche Schwierigkeiten macht das Verständnis von Sure 43,29-31. Hier ist von der Sendung eines „deutlichen Gesandten“ (V. 30), auf den der Koran herabgesandt wurde (V. 31), die Rede. Die Umstehenden sagen: „Warum ist (denn) dieser Koran nicht auf einen mächtigen Mann (…) von den beiden Städten (…) herabgesandt worden?“ (V. 31). Danach wäre der Gesandte kein Mann gewesen, der Macht besaß. Wenn der „deutliche“ Gesandte ein arabischer Gesandter und der Koran ein (arabisches) Lektionar (und nicht „die Schrift“) ist, dann ist hier der Gewährsmann hinter dem Koran als historische Gestalt – wenn auch ohne Namensnennung – aufgefasst und nicht Mose gemeint, von dem z.B. Sure 11,96 das Gleiche sagt. Welche zwei Städte angesprochen sind, lässt sich nicht entscheiden. Die von R. Paret in Klammern mitgelieferte Präzisierung Mekka und Ta’if ist durch nichts – außer durch viel spätere Traditionen – abgedeckt.
(3) Zu Sure 53,1-18 und 81,19-26
Vom Propheten werden im Koran drei „Visionen“ berichtet, in denen seine Lehre als von außen her garantiert erscheinen soll – obwohl die koranischen Texte ansonsten keineswegs visionär begründet sind oder Visionäres berichten.
(1) In Sure 53,1-12 sieht der Prophet „ganz oben am Horizont“ (V. 5), also am Rand der Erde zum Himmel, einen, „5 … der über große Kräfte verfügt, 6 und dem Festigkeit eigen ist“. „10 Und er gab seinem Diener (Knecht?) jene Offenbarung ein.“
(2) In derselben Sure 53,13-18 sah der Prophet ihn „beim Zisyphusbaum am äußersten Ende“ (V. 13) herabkommen.
(3) In Sure 81,19-26 sieht der Prophet wiederum einen „19 … vortrefflichen Gesandten, 20 der beim Herrn des Thrones über (große) Gewalt verfügt und Macht (…) hat“, „… deutlich am Horizont“ (V. 23).
Diese Visionen sind rein formal und bieten keine inhaltlichen Aussagen; in allen aber geht es darum, das, was der Verkünder sagt, in jemandem zu begründen, der (bei Gott) Macht hat. Visionen 1 und 2 machen keine weiteren Aussagen – hier könnte auch Gott selbst gemeint sein -, Vision 3 nennt diesen Jemand einen vortrefflichen Gesandten, wohl einen Engel, der bei Gott über Gewalt verfügt.
Im Unterschied zu den vom Übersetzer in Klammern zugefügten oder auch fälschlich in den Text übernommenen Begriffen (z.B. S. 81,25: „Der Koran [w. er])“ ist an keiner dieser Stellen vom Koran, sondern von Offenbarung die Rede. Auch zum Verkündiger ist nichts weiter ausgeführt, er wird aber zweimal als „euer Landsmann“ (S. 53,2 und S. 81,22) bezeichnet. Handelt es sich dabei um einen arabischen Verkünder, muss er Landsmann der arabischen Zuhörer sein; aber davon steht nichts da.
Vom Ort der Erscheinung wird zweimal gesagt: „am Horizont“ (S. 53,6 und S. 81,23), einmal „beim Zisyphusbaum am äußersten Ende“ (S. 53,13). Der Zisyphusbaum aber gehört zu den Kreuzdorngewächsen, ist also ein Dornbusch; dies würde auf Mose und den brennenden Dornbusch hindeuten, eine Erzählung, die auch sonst im Koran vorkommt (z.B. S. 28,29; 20,10; 27,7.8). Christoph Luxenberg hält den Begriff „Zisyphusbaum“ für eine falsche Übersetzung; richtig wäre die Übertragung „Vorhang“. In diesem Fall könnte der „Vorhang“ zwischen Himmel und Erde gemeint sein, also das Gleiche wie „ganz oben am Horizont“. Dann hätte der Vers keinen direkten Bezug zu Mose.
Der „Landsmann“ wird in Sure 53,10 Diener (Knecht) Gottes genannt, eine Bezeichnung, die in Sure 37,122 von Mose ausgesagt wird. Sollte Mose gemeint sein, wäre in seiner Rede die Bezeichnung „euer Landsmann“ an eine jüdische Zuhörerschaft gerichtet.
Liest man diese Texte ohne Rückinterpretation von den späteren Mohammedbiographien, sondern nur vom koranischen Material her, müsste Mose der gewesen sein, der für seine Verkündigung auf eine Autorisierung von außen rekurriert. Und immer wieder betont der Koran, dass auf Mose von Gott her Offenbarung oder „das Buch“ herabgekommen ist.
Auch die in diesem Kontext gemachte Aussage in Sure 81,22: „Euer Landsmann (…) ist nicht besessen“, findet sich im Koran als Vorwurf des Pharao an Mose (S. 26,26), könnte also auch in diesem Zusammenhang auf ihn zu beziehen sein.
Kurz: Für sich gelesen haben die drei Visionen wahrscheinlich mit Mose, nicht mit der Biographie Mohammeds zu tun, die z.Zt. der Entstehung dieser Texte noch nicht bekannt war.
Dies gilt, wie gesagt, auch für den Vorwurf der Besessenheit, der nichts Biographisches – also Epilepsie o.ä. – beinhaltet, sondern ein üblicher Vorwurf an Propheten wie Mose (S. 26,26) oder auch Johannes den Täufer (Mt 11,18; Lk 7,33) und Jesus (Joh 7,20; 8,48.49.52) ist – ein Topos der Prophetenkritik.
(4) Zu Sure 10.16
Ein weiterer möglicher biographischer Hinweis ist nur noch in Sure 10,16 zu finden. Vorher ist vom Koran und seiner Verlesung die Rede. Dann sagt der Prophet: „Ich habe doch ein Leben (lang) unter euch verweilt, noch ehe er (d.h. der Koran) da war.“ An dieser Stelle wird die Existenz des Koran vorausgesetzt, so dass von seinem Gewährsmann gesagt wird, dass er nicht mehr ganz jung war, eine Historisierung des arabischen Propheten. Zugleich aber wird der Eindruck erweckt, der Koran, also das Buch, sei schon zu seiner Zeit fertig gewesen. Hier handelt es sich also wohl um eine posthume Zuweisung des Korans an ihn, der sein Verkünder war; so dachte man sich wohl bald das Zustandekommen des Koran, das im 9. Jahrhundert aber erst in die Zeit Osmans verlegt wird.
Die koranischen Texte bieten also im Grunde keine, jedenfalls keine unzweifelhaften biographischen Hinweise auf Mohammed. Auch die Anspielungen auf Kämpfe o.ä. sind „ortlos“ und entsprechen eher vergleichbaren Ausführungen in den damals verbreiteten syrischen Apokalypsen mit ihren endzeitlichen Schlachten. Erst die Biographien des 9. Jahrhunderts haben dann aus kleinsten Anspielungen veritable Erzählungen konstruiert.
Jüngeren Schichten des Koran aber lässt sich immerhin entnehmen, dass als Gewährsmann hinter den koranischen Texten ein arabischer Prophet angenommen wurde. Dies wird an mehreren weiteren Stellen im Koran ausgeführt (z.B. S. 46,12; 26,195-199). Fraglich aber ist, was hier mit „arabisch“ gemeint ist.21 Gleichgültig aber, wie das „Arabische“ oder die „deutliche“ Sprache aufgefasst werden müssen, so wird doch ein eigener Prophet angenommen, der nicht mehr mit biblischen Gestalten identisch ist. Diese „Historisierung“ wird aber, mit Gewissheit, nur einmal, in Sure 39,40 mit dem Namen Mohammed verbunden.
5.4 Konkrete Bezüge zur arabischen Halbinsel im Koran?
Die Texte des Koran lassen sich nicht leicht mit den in den späteren Biographien genannten Orten in Verbindung bringen. Mohammed soll in Mekka geboren und in Mekka und Medina, dann wieder in Mekka öffentlich gewirkt haben; der Koran lässt dies aber an keiner Stelle erkennen. Mohammed soll im Jahre 622 von Mekka nach Medina umgezogen sein (Hidschra); der Koran erwähnt dies nicht, noch nicht einmal indirekt. Welche geographischen Bezüge verrät der Koran?
(1) Mekka (Makka)
Einmal wird im Koran der „Talgrund von Mekka“ (S. 48,24) erwähnt. Wenn dieser Begriff schon in der frühen handschriftlichen Überlieferung koranischer Texte gestanden haben sollte, eine oder gar die Stadt meint und nicht von einem Abschreiber eingefügt wurde, muss es sich um einen recht späten Text, in zeitlicher Nähe zu Harun al-Raschid, handeln.22 Allerdings wird zu Mekka nichts Weiteres ausgeführt oder in einen Bezug zum Propheten gebracht.
Offen bleiben muss, ob an dieser Stelle das Mekka auf der Arabischen Halbinsel, die ansonsten keine nennenswerte Rolle im Koran spielt, gemeint ist. In einer aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts stammenden Ergänzung (continuatio Byzantia Arabica, sie erzählt bis zum Jahre 754) zur Geschichte der Gothen, Vandalen und Sueben des Isidor wird zum Jahr 741 erzählt, dass Habdemale gegen Habdella zu Felde zieht. Letzteren habe auch schon sein Vater vielfach bekämpft, zuletzt „apud Maccam, Abrahae, ut ipsi putant, domum, quae inter Ur Chaldaeorum et Carras Mesopotamiae urbem in heremo adiacet“ („bei Mekka, Abrahams Haus, wie sie [die Araber] glauben, das zwischen Ur in Chaldäa und Carras, einer Stadt Mesopotamiens, in der Einöde [Steppe, Wüste] liegt“).23
Dieses Addidamentum zur Chronik des Isidor (gest. 636) stützt sich auf unbekannte außerspanische Quellen und bietet vielleicht die älteste Nennung eines mit Abraham verknüpften Mekka, das allerdings nicht auf der Arabischen Halbinsel, sondern in „Mesopotamien“ liegt. Wichtig hierbei ist, dass die Stadt Carras eine lateinische Umschrift von griechisch Carrhae ist, dieses wiederum die griechische Schreibweise für Harran. Das „Haus Abrahams“ liegt demzufolge zwischen Ur und Harran, also in Samarra.24
Diese Platzierung ist sowohl im Hinblick auf die biblischen Abrahamerzählungen wie auch auf die Ursprungsregion des ältesten koranischen Materials durchaus plausibel. Wenn eine solche Zuordnung denkbar ist, könnte die Erwähnung von Mekka im Koran schon in einer früheren Phase erfolgt sein, hat dann aber nichts mit dem Mekka auf der Arabischen Halbinsel zu tun.
(2) Medina
Medina (Al-Madina, der Wortbedeutung nach die „Stadt“ [des Propheten]) kommt nach vielen Interpreten zuerst in Sure 63,8 vor. Allerdings nimmt an dieser Stelle selbst R. Paret noch nicht den späteren Namen, sondern die Bedeutung „Stadt“ an, die er in Klammern mit Medina gleichsetzt: „Wenn wir (…) in die Stadt (d.h. nach Medina) zurückkommen …“.
Zwei weitere Erwähnungen finden sich in späten Surenversen: Sure 9,101 und 9,120; diese Stellen übersetzt R. Paret wohl sachgerecht mit Medina. Immerhin gehört Medina seit rund der Mitte des 8. Jahrhunderts, also viel früher als Mekka, zu dem Territorium, das von koranischer Tradition geprägt wird.
Auffällig ist, dass an allen drei Stellen – weniger an der ersten unbestimmten – mit Medina negative Assoziationen verbunden werden. In Sure 9,102 und 120 wird von den dortigen Beduinen oder „Wüstenarabern“ nichts Gutes gesagt – ein Kontrast zu den in der Traditionsliteratur behaupteten Idealverhältnissen. Offensichtlich stieß das Programm des Heiligtums von Medina25 nicht sofort auf Gegenliebe bei den „Beduinen (…) in eurer Umgebung“ (S. 9,101) oder den „Bewohnern von Medina und den Beduinen“ (S. 9,120).
(3) Bakka
In Sure 3,96.97 wird gesagt: „96 Das erste (Gottes)haus, das den Menschen aufgestellt worden ist, ist dasjenige in Bakka (d.h. Mekka) … 97 … (Es ist) der (heilige) Platz Abrahams“. Wegen des Abrahambezugs interpretiert R. Paret, wie seit Tabari üblich, Bakka als Mekka, obwohl eine solche Lautverschiebung – M zu B – im Arabischen ungebräuchlich ist. Man muss also davon ausgehen, dass Bakka nicht Mekka ist. Aber es ist auch ansonsten keine Stadt dieses Namens bekannt, wenn man nicht spekulieren und Bakka z.B. als Hinweis auf Ba’labakk (Baalbek) im Libanon (mit einem schon vorislamischen Allahtempel?) verstehen will.
Was bedeutet also dieses rätselhafte Wort? Christoph Luxenberg rekurriert auf eine zugrunde liegende syro-aramäische Verbalwurzel und übersetzt S. 3,96: „Das erste Heiligtum, das für die Menschen errichtet wurde, ist dasjenige, das er umzäunt (umgrenzt) hat als heiligen (wörtlich: gesegneten) (Bezirk) und (als) rechte Leitung für die Menschen.“ Luxenberg fährt fort: „Bestätigt wird diese Lesung durch den folgenden Vers 97, in dem es heißt, daß sich in diesem (Bezirk) der Aufenthaltsort (…) Abrahams befinde: … und wer ihn betritt, genießt Schutz.“26 Der Kontext stützt die Übersetzung Luxenbergs. So ist davon auszugehen, dass Bakka nicht einen Ort, auch nicht Mekka, meint, sondern (irgend)einen umfriedeten heiligen Bezirk.
(4) Kaaba
Weitere konkrete Hinweise auf Orte könnte die zweimalige Erwähnung der Ka’aba in einem zusammenhängenden Textstück geben (S. 5,95.97). Ansonsten werden im Koran vergleichbare Heiligtümer nicht genannt, sondern nur umschrieben: Das „Haus“, die „Stätte der Einkehr für die Menschen“ und „Platz Abrahams“ als „Gebetsstätte“ (S. 2,125); „das als(ehrwürdige) Haus“ (S. 22,29); „geheiligtes Haus“ (S. 14,37); „heilige Kultstätte“ (S. 48,27). Meist wird im Kontext dieser Erwähnungen von rituellen Pflichten oder Praktiken berichtet. Aber leider fehlt eine Lokalisierung dieses Hauses; das gilt auch für die begriffliche Präzisierung ka’aba in Sure 5,95 und 97, von der nicht gesagt wird, wo sie liegt.
Daraus ergibt sich die Frage, ob mit den angesprochenen Kultstätten oder auch mit der Bezeichnung Kaaba immer die Kaaba in Mekka gemeint ist oder ob der „Platz Abrahams“ in Mekka zu suchen ist. Immerhin gab es im Vorderen Orient noch weitere Ka’abas, die nach damaligen Bräuchen im Kult auch umwandert wurden, und der Koran lässt in dieser Hinsicht keinerlei Verbindung zu Mekka erahnen. In einer syrischen (christlichen) Chronik, zwischen 670 und 680 (?) im Südirak verfasst, heißt es, dass niemand weiß, wo das „Haus Abrahams“ zu finden sei.27
Die These, der „Platz Abrahams“ finde sich in Mekka auf der Arabischen Halbinsel, ist zwar historisch abenteuerlich. Da sich aber die Araber als Kinder Ismaels sahen, wäre eine solche theologische Konstruktion denkbar. Nur: Der Koran selbst gibt keine Hinweise, sondern nur das Schrifttum des 9. Jahrhunderts. Wenn die o.g. spanische Chronik als Ausgangspunkt genommen und Mekka in Mesopotamien vermutet wird, ergäben sich keine Spannungen zur biblischen Geographie, und das „Haus Abrahams“ wäre in Mesopotamien oder genauer im Samarra zu denken.
(5) Die Gebetsrichtung (Qibla)
Der Koran kennt Sprüche, in denen die Gebetsrichtung für unwichtig erklärt wird angesichts richtigen Verhaltens (S. 2,177; 2,148; vielleicht auch 7,29) oder der Allgegenwart Gottes (S. 2,15). In anderen aber wird die Wichtigkeit der eigenen Gebetsrichtung betont (S. 2,145; 2,142.143).
An drei Stellen in Sure 2 (2,144.149.150) wird der Prophet aufgefordert, (beim Gebet) sein Gesicht „in Richtung der heiligen Kultstätte“ zu richten; R. Paret fügt hinter „Kultstätte“ immer in Klammern hinzu: „in Mekka“. Diese Gebetsrichtung ist eine Änderung der bisherigen Richtung (S. 2,142).
Sure 2, in der sich (noch unspezifisch S. 7,29) alle Aussagen zur Qibla finden, bietet eine unverbundene Zusammenstellung meist recht später Aussagen. Nur dann könnte sie, die ja auch von der Unwichtigkeit der Gebetsrichtung spricht, mit der „heiligen Kultstätte“ immer Mekka meinen, wenn diese Sprüche in einer zeitlichen Nähe zu Harun, der Mekka zu einer Pilgerstätte ausbaute, zu platzieren wären. Diese Interpretation ist möglich; warum nicht einfach das schlichte „in Mekka“ im Koran zu finden ist, könnte dann so erklärt werden, dass es damals für jeden Hörer/Leser klar war, dass sich „die heilige Kultstätte“ dort befindet.
Allerdings sind die Aussagen nur schwer miteinander in Einklang zu bringen: Sure 2,142.143 spricht von einer Gebetsrichtung, „die du (bisher) eingehalten hast“ und „die sie (die Anhänger des Gesandten, Verf.) (bisher) eingehalten hatten“, die jetzt geändert wird. Aber auch die bisherige Gebetsrichtung war ja schon so eingerichtet, „um in Erfahrung zu bringen, wer dem Gesandten folgt, und wer eine Kehrtwendung vollzieht (und abtrünnig wird).“ Dies erweckt den Eindruck, als sei schon diese frühere Gebetsrichtung spezifisch für die Koranbewegung, im Unterschied zu den (anderen) Christen, gewesen. Demnach handelt es sich (jetzt) schon um die zweite Festlegung einer Gebetsrichtung, die sich ebenso wie die frühere von der christlichen unterscheidet. Warum gibt es dann eine neuerliche Weisung (S. 2,144): „Darum wollen wir dich (jetzt) in eine Gebetsrichtung weisen, mit der du gern einverstanden sein wirst“, nämlich zur heiligen Kultstätte? Wenn sich schon die erste Gebetsrichtung von der der Toren, wohl der (anderen) Christen unterschied, hätte sie doch genügt; wieso dann noch einmal eine neue Richtung?
Diese Aussagen machen nur dann einen Sinn, wenn davon ausgegangen wird, dass im 7. und 8. Jahrhundert alle christlichen Kirchen mit dem Altar nach Osten gerichtet waren (belegt z.B. für diesen Raum bei der Geburtskirche in Bethlehem, bei der Hagia Sofia in Konstantinopel und bei Kirchen Nordsyriens28). Wenigstens in den Kirchen haben dann Christen in Richtung Osten gebetet. Eine erste spezifische Gebetsrichtung der koranischen Bewegung könnte dann, in der Zeit ‚Abd al-Maliks, Jerusalem gewesen, gegen Ende des 8. Jahrhunderts Mekka geworden sein.
Dies wäre denkbar, bleibt jedoch im Ungewissen, weil die koranischen Verse so unbestimmt sind. Wenn es so zu verstehen ist, könnte in den jüngsten Teilen des Koran Mekka zum spirituellen Zentrum geworden sein.
(6) Die Straflegenden
Der Koran bietet eine Reihe biblischer und nichtbiblischer („aus dem altarabischen Sagenschatz“29) Erzählungen, die nach einem festen Schema gestaltet sind: Gott sendet einen Propheten in eine Stadt, zu einem Stamm oder Volk. Die Leute lehnen ihn ab und glauben nicht, so dass Gott sie vernichtet; gelegentlich wird angefügt, dass der Prophet und einige, die an ihn glaubten, gerettet werden. Diese Geschichten werden im Koran in Erinnerung gerufen, d.h. sie werden so erzählt, als seien sie den Zuhörern bekannt. Wahrscheinlich waren sie schon, bevor sie in die koranischen Texte aufgenommen wurden, zu einer Sammlung zusammengestellt.
In diesen Straflegenden werden, anders als sonstwo im Koran, Namen der Gesandten sowie der Stämme und Städte, in denen sie wirkten, genannt. Die aus der biblischen Tradition sind uns bekannt, die aus dem „altarabischen Sagenschatz“ nicht immer. Eine Überprüfung dieser Angaben aber hat gezeigt, dass einigen Erzählungen durchaus reale Informationen zugrunde liegen30; nicht selten erklären sie Katastrophen, die schon Jahrhunderte vor dem Koran tatsächlich passiert sind und dann mittels des genannten theologischen Schemas gedeutet wurden.
Die verifizierbaren nicht biblischen Angaben verweisen auf das Gebiet der Midianiter/Nabatäer im Nordwesten Arabiens. Diese Geschichten scheinen irgendwann Aufnahme in den Koran gefunden zu haben. Dies kann erst dann geschehen sein, als sich – eine Vorstufe – zunächst eine „arabische“ Herrschaft unter Mu’awiya etablierte und sich dann in der Folgezeit, unter ‚Abd al-Malik, die koranische Bewegung, auch im westsyrischen Raum etablierte.
Diese in den Koran integrierten „vorislamischen“ Erzählungen kennen also regionale und lokale Bezüge, die aber nichts über die geographische Platzierung der koranischen Verkündigungen aussagen.
5.5 Resümee
Die wenigen Hinweise im Koran auf Städte, Regionen und Landschaften bieten keine genügende Grundlage, seine Verkündigungen mit dem Raum der arabischen Halbinsel zu verbinden. Die Texte selbst sind in seltsamer Weise geographisch unbestimmt; sie könnten überall im syrisch-arabischen Raum, der den gesamten Vorderen Orient umfasst, entstanden sein.
Nähere Auskünfte können vielleicht gewonnen werden durch sprachgeschichtliche Untersuchungen, z.B. zum bestimmenden Einfluss syrischer und persischer Sprache und Vorstellungen auf den Koran, sowie durch datierbare und lokalisierbare Münzen, die die Anfänge und weitere Ausbreitung koranischer Motive dokumentieren.
Eine Historisierung des Prädikats muhammad ist also in jüngeren Teilen des Koran unter der Vorstellung eines arabischen oder deutlichen Gesandten, der mittlerweile als Verkünder hinter der arabischen koranischen Verkündigung steht, zu erkennen – noch ohne Trennung vom Christentum (wohl aber: von den anderen Christen). Eine Historisierung zu einem arabischen Propheten mit Namen Mohammed findet sich – mit Gewissheit – nur an einer Stelle (S. 33,40), die auch schon andersartige, also nicht mehr christliche Ehevorstellungen verrät. Aber auch an Stellen ohne Namensnennung gewinnt der arabische Prophet gegen Ende der koranischen Überlieferung eine neue Eigenständigkeit gegenüber Juden und Christen, und der Koran wird Thora und Evangelium neben- oder übergeordnet.
Diese Historisierung lässt allerdings im Koran keine geographische Verortung im Raum der arabischen Halbinsel erkennen.
Nach Abschluss des Manuskripts konnte ich im Internet einen Beitrag von Patricia Crone über Mohammed lesen.31 Sie referiert die Schwierigkeiten, das Leben Mohammeds auf der Arabischen Halbinsel („the middle [of Arabia] was terra incognita“) oder in dem damals unbekannten Mekka zu platzieren: „In sum, we have no context for the prophet and his message“; sie schlägt vor, allerdings weniger begründet, „the Dead See region“ für all die Geschehnisse vor.32
Immerhin werden hier einmal kritische Gedanken geäußert – eine Ausnahme in der Islamwissenschaft -, wenn P. Crone auch noch, (fälschlich) wegen seiner Bezeugung in christlichen Quellen33, an der historischen Gestalt Mohammeds festhält.34
Literatur
– Aphrahat, Unterweisungen. Erster und Zweiter Teilband. Aus dem Syrischen übersetzt und eingeleitet von Peter Bruns (Fontes Christiani, Bd. 5/1 und 5/2) Freiburg, Basel, Wien u.a. 1991
– Crone, Patricia, What do we actually know about Mohammed?. Mit Datum vom 31.08.06 unter www.openDemocracy.net.
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– Diodor von Tarsus, Fragmente bei Leontius, Contra Nestorium et Eutychen 3 (griechisch: MPG 86, 1, 1865, 1388 A)
– Diodor von Tarsus, Fragmente 11, 13, 15, 18, 29 (Syrisch und deutsch: Rudolf Abramowski, Der theologische Nachlass des Diodor von Tarsus, in: ZNW 42, 1949, 31, 33, 37, 47)
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– Popp, Volker, Von Ugarit nach Samarra. Eine archäologische Reise auf den Spuren Ernst Herzfelds (in diesem Sammelband)
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1 Die im Folgenden angeführten Zitate aus dem Koran geben die Übersetzung Rudi Parets wieder: Der Koran. Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart 92004.
2 Vgl. Chr. Luxenberg, Neudeutung der arabischen Inschrift im Felsendom zu Jerusalem, a.a.O.
3 Y.D. Nevo und J. Koren, Crossroads to Islam, a.a.O. 265.
4 Vgl. hierzu Christoph Luxenberg, Die syro-aramäische Lesart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache, Berlin 22004, 81-86.
5 Der Koran. Aus dem Arabischen übertragen von Max Henning, Stuttgart 1973.
6 R. Paret übersetzt „Verpflichtung“ statt „Bund“, so dass der biblische Kontext nicht zu erkennen ist.
7 Vgl. S. 2,89: „Und als (nun) von Gott eine Schrift (d.h. der Koran) zu ihm kam, die das bestätigte, was ihnen (an Offenbarung bereits) vorlag …, als nun das, was sie (der Sache nach bereits) kannten, (in einer neuen Offenbarung) zu ihnen kam, da glaubten sie nicht daran.“ Laut R. Paret sind die Juden angesprochen; aber vorher, in V. 87, ist von Mose und Jesus die Rede, so dass der Unglaube von beiden, Juden und Christen, ausgesagt ist.
8 Vgl. z.B. S. 2,136: „Wir glauben an Gott und (an das), was (als Offenbarung) zu uns, und was zu Abraham, Ismael, Jakob und den Stämmen (Israels) herabgesandt worden ist, und was Mose und Jesus und die Propheten von ihrem Herrn erhalten haben, ohne dass wir bei einem von ihnen (den anderen gegenüber) einen Unterschied machen …“.
9 Vgl. Gen 12-25. V. Popp ordnet den Rückgriff auf Abraham schon in die frühe Zeit dieser Bewegung ein. Dies trifft für viele Aspekte zu; so wird z.B. schon in Sure 87, 18.19 von „18 den früheren (w. ersten Blättern (der Offenbarungsschrift), 19 den Blättern von Abraham und Mose“ gesprochen. Der systematische heilsgeschichtliche Rückbezug scheint allerdings erst nach der Ausbildung des Islam und somit in späteren Suren gegeben zu sein.
10 Vgl. u. Verf., Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur „unter islamischer Herrschaft“ ?, 2.3.
11 Vgl. hierzu Gerd-Rüdiger Puin, Über die Bedeutung der ältesten Koranfragmente aus Sanaa (Jemen) für die Orthographiegeschichte des Korans, in: Hans-Caspar Graf von Bothmer, Karl-Heinz Ohlig, Gerd-Rüdiger Puin, Neue Wege der Koranforschung, magazin forschung (Universität des Saarlandes)1, 1999, 39.40 (ganz: 37-40.46).
12 Es muss betont werden, dass der Begriff „Religion“ erst in der europäischen Neuzeit geschaffen wurde und hier nur zur religionswissenschaftlichen Kategorisierung, nicht als Übersetzung koranischer Begriffe genutzt wird.
13 In der Übersetzung von Max Henning, a.a.O. 80, als Verse 138.139 gezählt.
14 In Vers 145 heißt es, mehr allgemein: „Keiner kann sterben, außer …“. Bei „Keiner“ müsste wohl ergänzt werden: wie Jesus (V. 144) oder weitere Gesandten oder Propheten, deren Tod im folgenden Vers 146 erwähnt wird.
15 Axel Theodor Khoury, Muhammad, in: Ders., Ludwig Hagemann, Peter Heine, Islam-Lexikon. Geschichte – Ideen – Gestalten, Bd. 3, Freiburg, Basel, Wien 1991, 544.
16 Max Henning erläutert in seiner Koranübersetzung (Der Koran. Aus dem Arabischen übertragen von Max Henning, a.a.O. 585) die „Aufnahme“ durch Gott in einer Anmerkung (A. 22): „Muhammad ward von seinem Großvater zärtlich erzogen.“
17 Vgl. Rudi Paret, Mohammed und der Koran. Geschichte und Verkündigung des arabischen Propheten, Stuttgart, Berlin, Köln, Main 1957, 32-35.
18 W. Montgomery Watt, B. Ursprung und Werdendes Islam, in: Ders., Alford T. Welch, Der Islam. I Mohammed und die Frühzeit – Islamisches Recht – Religiöses Leben (übers. aus dem Englischen von Sylvia Höfer, Die Religionen der Menschheit, hrsg. von Christel Matthias Schröder, Bd. 25,1), Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1980, 48.
19 Vgl. hierzu W.M. Watt, ebd. 49.50.
20 So W.M. Watt, ebd. 50.
21 Vgl. hierzu o. V. Popp, Von Ugarit nach Samarra.
22 Vgl. o. 5.2 (1).
23 Add.(itamenta) IV.V: Continuatio Byzantina Arabica a. DCCXLI, zu: Isidori iunioris episcopi Hispalensis historia Gothorum Wandalorum Sueborum ad a. DCXXIV, in: Monumenta Germaniae historica, tomus XI: Chronicorum minorum saec. IV, V, VI, VII, Vol. II: Chronica minora, edidit Theodorus Mommsen, Berlin 1844 (Add. IV und V ganz: 323-369). Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Johannes Thomas, Professor für Romanistik am der Universität Paderborn.
24 Für diese Umschriften stütze ich mich auf Angaben von Volker Popp.
25 Vgl. hierzu o. 3.3.
26 Chr. Luxenberg, Die syro-aramäische Lesart des Koran, a.a.O. 336.337, A. 352 (Zitat: 337).
27 Vgl. o. vom Verf., Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur „unter islamischer Herrschaft“? 2.3, Text 11.
28 Vgl. hierzu F. Zoepel, Ostung. II. Im Christentum, in: LThK2 1992, 1294.
29 Rudi Paret, Der Koran als Geschichtsquelle, in: Der Islam 37, 1961, 35.
30 Vgl. hierzu Gerd-Rüdiger Puin, Leuke Kome / Layka, die Arser / Ashab al-Rass und andere vorislamische Namen im Koran, in: K.-H. Ohlig, G.-R. Puin (Hrsg.), Die dunklen Anfänge, a.a.O. 317-340.
31Patricia Crone, What do we actually know about Mohammed?. Mit Datum vom 31.08.06 unter www.openDemocracy.net.
32 P. Crone, ebd. 4.
33Vgl. hierzu o. Verf., Hinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur „unter islamischer Herrschaft“?
34 P. Crone, a.a.O. 1.2.