Ohlig: Das syrische und arabische Christentum und der Koran

Karl-Heinz Ohlig

 

Das syrische und arabische Christentum und der Koran

 

1. Das Christentum in „Syrien“ bis zum Ende des 8. Jahrhunderts

Der Großraum Syrien – ein kultureller, kein politischer Begriff – reicht von der palästinischen Mittel­meer­küste bis über den Tigris hinaus, vom Persischen Golf bis nach Nordmesopotamien. Die Mehrheit der Bevölkerung war ethnisch semitisch und von aramäischer Sprache und Kultur geprägt. Eineinhalb Jahrtausende lang, in der Zeit der Babylonier und Assyrer, bildeten sich semitische politische Reiche, danach stand Ostsyrien unter persischer, griechischer, parthi­scher und sassanidischer, Westsyrien unter römischer (und byzantinischer) Herrschaft.

1.1 Der politische, kulturelle und religiöse Großraum Syrien

1.1.1 Die politische Geschichte – ein knapper Abriss

Nach einem kurzen Zwischenspiel im späten 3. Jahrtausend v.Chr. (Akkad-Zeit) wurde das bisher sumerische Mesopotamien – stark vereinfacht – von den semitischen Großreichen der Babylonier, Assyrer und seit dem späten 7. Jahrhundert v.Chr. wiederum den Babyloniern be­herrscht. Längere Zeit blieben einige ebenfalls semitische Kleinstaaten an der Ostküste des Mit­telmeers noch halbwegs autonom, wurden aber spätestens im 6. Jahrhundert ebenfalls in das Neubaby­lonische Reich integriert.

Wahrscheinlich seit rund 1.000 v.Chr. bildete sich allmählich die aramäische Sprache aus, später die lingua franca dieses Raumes, die im 6. Jahr­hundert auch die hebräische Sprache zurückdrängte; Jesu Muttersprache war Aramäisch. Diese aramäische oder später „syrische“ Sprache war trotz aller politisch-kultu­rellen Über­lagerungen und teilweisen Verdrängungen bis ins 8. Jahrhundert n.Chr. und die schon vor­her beginnende Arabisierung Volks-, Geschäfts-, Kultur- und christlich-liturgische Sprache.

Im 8. Jahrhundert v.Chr. folgten die indoeuropäischen Perser den mit ihnen verwandten Me­dern, die nördlich des Babylonischen Reiches ein riesiges Territorium von der heutigen Ost­türkei bis in die Nähe des Indus beherrschten. Die Perser, die sich am Persischen Golf ansiedelten, waren längere Zeit Vasallen der Mederkönige, bis sie unter Kyros II. (gest. 529 v.Chr.) seit der Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. selbst ein Großreich gründeten, zu dem das bisherige Mederreich, das Babylonische Reich, Kleinasien (Lydien), später auch Thrakien und Ägypten gehörten. Ein weiteres Vordringen nach Europa wurde durch die Skythen und den Widerstand der Griechen verhindert.

Seitdem waren und blieben die persische Sprache und Kultur ein wichtiger Faktor in dem hier thematischen Raum, obwohl seit der Mitte des 5. Jahrhunderts v.Chr. selbst amtliche Doku­mente in aramäischer Sprache und Schrift abgefasst wurden. Darüber hinaus wurde der seit rund 600 v.Chr. entstandene Zoroastrismus (Zarathustra, gest. 553 v.Chr.?) eine bis in islami­sche Zeiten wirkmächtige Religion, die aber von den Perserkönigen nicht missionarisch be­trieben wurde; sie ließen die regionalen Religionen und Priesterschaften bestehen, Kyros II. z.B. empfahl sich den Babylonieren und ihren Priestern als Diener des dortigen Stadtgottes Marduk, und auch im Alten Testament wird er als messianische Gestalt gewürdigt.

Das mächtige Perserreich und das Industal wurden im späten 4. Jahrhundert (ab 334) v.Chr. in wenigen Jahren von dem makedonischen König Alexander (gest. 323) erobert und damit die hellenistische Kultur, griechische Sprache und Bildung in diesem Raum verbreitet. Der helle­nistische Einfluss etablierte sich in der Zeit der Diadochenreiche noch stärker. Das größte von ihnen, das Seleukidische Reich, umfasste den gesamten vorderasiatischen Raum von der kleinasiatischen Westküste (ohne Zentralanatolien) bis zum Golf von Oman; zunächst aber gehörte Palästina zum ägyptischen Ptolemäerreich, fiel aber, wie auch für kurze Zeit (bis zum Eingreifen der Römer 192 v.Chr.) Armenien, unter Antiochos III. (223-187) an die Seleu­kiden. Wegen ihrer rigiden Hellenisierungspolitik kam es in Israel um die Mitte des 2. Jahrhunderts v.Chr. zum Makkabäeraufstand.

Schon nach dem Tod Alexanders wanderten die Parner, Nomaden aus den Steppengebieten am Kaspischen Meer, nach Süden und gründeten dort das Partherreich, das zunächst ein Va­sallenstaat der Seleukiden war. 238 v.Chr. erklärte der Partherkönig Arkases I. (um 297 bis um 211 v.Chr.) die Unabhängigkeit von den Seleukiden; ein halbes Jahrhundert später konn­ten die Parther Persien und Mesopotamien erobern, womit das Seleukidenreich sein Ende fand. Ab 66 v.Chr. dehnten die Parther ihre Herrschaft nach Nordmesopotamien aus; am Euphrat, im Westen, grenzte ihr Reich an das Einflussgebiet des Römischen Imperiums. In der Folgezeit versuchten beide Seiten, ihre Machtbereiche auszudehnen; trotz einzelner militäri­scher Erfolge und vorübergehender Gebietsgewinne blieb aber meist der Euphrat die Grenze.

Von Anfang an wurden die Verwaltungseinrichtungen des Seleukidenreichs beibehalten, Griechisch blieb Amtssprache, und so konnten sich hellenistische Traditionen noch längere Zeit etablieren. Im 1. Jahrhundert v.Chr. aber wurde die Macht des Zentralstaats geschwächt, das Partherreich wandelte sich zu einem Feudalstaat mit regionalen Fürstentümern; seit dieser Zeit wurde der Hellenismus zurückgedrängt, und persische Einflüsse traten in den Vorder­grund.

Einer der Feudalstaaten, Persien, erklärte sich unter Ardaschir I. (220-240), dem Begründer der Sassanidendynastie, für unabhängig und konnte die von den Kämpfen mit dem Römi­schen Reich geschwächte parthische Dynastie stürzen. Von jetzt an gehörte Ostsyrien zum Sassanidenreich. Dieses betrieb eine aggressive Politik auch nach Westen, gegen das Römi­sche Reich, die alten Einfluss­bereiche aber blieben weithin erhalten. Erst unter Chosrau I. (531-579), der vorübergehend Antiochien besetzen konnte und die Christen aus dem Jemen vertrieb, und Chosrau II. (591-628), der zunächst Palästina und Ägypten eroberte, trieben die Konflikte mit dem Byzantini­schen Reich ihrem Höhepunkt zu. Unter Kaiser Heraklios von Byzanz wurden die Sassaniden im Jahr 622 vernichtend geschlagen.

Das Sassanidenreich war ein stark zentralistischer Staat mit kastenmäßig gegliederter Gesell­schaftsordnung; in dem – trotz hellenistischer Traditionen – persisch geprägten Reich war der Zoroastrismus Staatsreligion, der im 3. Jahrhundert n.Chr. entstandene Manichäismus (Mani, gest. 274 oder 277 n.Chr.) wurde als Häresie unterdrückt.

Kaiser Heraklios strukturierte im Jahr 622 das Byzantinische Reich auf eine neue Weise; Westsyrien und Palästina gehörten von jetzt an nicht mehr zum Reichsgebiet, sondern wur­den mehr oder weniger konföderierten und tributpflichtigen Araberfürsten überlassen. Nach seiner Niederlage gegen Byzanz brach das Sassanidenreich im Verlauf weniger Jahre, nach einem Bürgerkrieg, zusam­men; auch hier traten arabisch dominierte Reiche die Nachfolge an. Unter den Omai­ya­den und ab 750 unter den Abbasiden bildeten sich große Reiche unter arabischer Führung.

Die Bildung arabischer Scheichtümer und Reiche wurde in der islamischen Literatur des 9. Jahrhunderts mit einer Expansion des Islam in Zusammenhang gebracht. Die historischen Quellen aus dieser Zeit – Münzen und Inschriften – zeigen aber, dass diese Reiche noch lange Zeit christlich geprägt waren.1 Dieser Befund ergibt sich auch aus der Analyse der damaligen syrisch-christlichen Literatur.2

1.1.2 Kulturelle Prägungen in Syrien und Persien

„Syrien“ ist kein homogener ethnischer und kultureller Raum. Vor allem der Helle­nismus hat in vielen Städten auch Ostsyriens seit den Eroberungen Alexanders und in der Se­leukidenzeit, aber auch noch in der Zeit des Partherreichs, tiefe Spuren hinterlassen; in Ostsyrien kom­men starke Einflüsse der persischen Kultur hinzu. West­syrien gehörte schon in vorchristlicher Zeit, dann in der römischen Kaiserzeit und bis zur Zeit des Kaisers Heraklios zum Römischen Reich.

Trotz der hellenistischen und persischen Einflüsse, die über lange Zeiten auch politisch ge­fördert oder durchgesetzt wurden, prägte die syro-aramäische Tradition, Denkweise und Sprache die Grundströmung dieses Raumes. Die syrische Sprache und Schrift blieben leben­dig und wirkmächtig und wurden noch Jahrhunderte nach der Zeitenwende von eingewanderten Arabern in den von ihnen beherrschten Regionen als Kultur-, Geschäfts-, Liturgie- und Schriftsprache genutzt. Weite Teile der Bevölkerung hielten am Aramäischen als Umgangssprache fest; in Nabatäa, Palmyra und Mesopotamien wurden verschiedene Dialekte des Syrischen („ostsyrisch“) gesprochen, im Westen Dialekte, die als „westsyrisch“ bezeichnet werden. Syrisch war die Sprache des sich in Ostsyrien etablierenden Christentums, seiner Liturgie und seines theologischen Schrifttums. Die Missionierung erfolgte über Antiochien und Edessa nach Mesopotamien. „Die Bedeutung Edessas für das syrische Christentum zeigt sich letztlich auch darin, dass der aramäische Dialekt der Stadt, das Syrische, als Bibel- und Liturgie­sprache für diesen Zweig des Christentums maßgebend wurde.“3 Selbst in Westsyrien, dessen Kirchen und Theologie sich der griechischen Sprache bedienten, scheint die mentalitäts­mäßige und sprachliche Verbundenheit – auch in der römischen Provinz Syria blieb die ara­mäische Sprache im Alltag lebendig – mit dem ostsyrischen Christentum noch lange Zeit be­stimmend gewesen zu sein; die theologischen Schriften westsyrischer („antiochenischer“) Theologen wurden meist, in aramäischer Version, auch in Ostsyrien gelesen.

Von daher erklärt sich, dass das syrische Christentum hauptsächlich von aramäischer Sprache und Denkweise geprägt ist, sich daneben aber auch größere Richtungen finden, in denen eine hellenistische Theologie vorherrschend ist, sowie Strömungen mit persisch-dualistischen Motiven.

1.2 Das Christentum in Syrien

In Syrien konnte das Christentum schon früh Fuß fassen. Ein beträchtlicher Teil der neutesta­mentlichen Schriften ist in dem gräzisierten, bilingualen westsyrischen Umfeld ent­standen; entsprechend der Zugehörigkeit zum Römischen Reich wurden sie in griechischer Sprache abgefasst. In Antiochien, einer um 300 v.Chr. von Seleukos I. begründeten helleni­sti­schen Stadt, dem späteren kulturellen Zentrum Westsyriens, wurden die Anhänger Jesu erst­mals als Christen bezeichnet.

Schon bald, im zweiten Jahrhundert, scheint sich das Christentum über Edessa auch weiter im mesopotamischen Raum, vielleicht schon bis östlich des Tigris4, verbreitet zu haben. Wahr­scheinlich haben bei der Missionierung aus Palästina nach Osten vertriebene, ausge­wanderte oder als Kaufleute tätige palästinische Judenchristen, die im Westen um 150 n.Chr. wegen ihrer Christologie – Jesus ist „bloßer Mensch“ (psilòs ánthropos) – häretisierten Ebioniten, eine Rolle gespielt. Jeden­falls aber scheint die im mesopotamischen Raum verlaufende christ­liche Mission ihren Aus­gangspunkt in den aramäisch sprechenden Synagogengemeinden des Partherreichs genommen zu haben.5 Von daher wie auch von der kulturellen Verwandtschaft jüdischer und aramäischer Mentalität und Sprache her ergibt sich wohl die stark jüdisch-alttesta­mentliche Prägung auch noch des späteren ost­syrischen Christentums – eine Prägung, die den palästinischen Anfängen des Christentums näher steht als das hellenistische Christentum, in dem Motive und Gedanken einer gänzlich fremden Kultur aufgegriffen und heimisch wurden. Hierbei spielt wohl auch eine Rolle, dass schon früh – eine genaue Datierung kann bisher nicht gegeben werden -, in einem allmäh­lichen Vorgang eine syrische Übersetzung zunächst des Alten Testamentes, die Peschitta, vor­lag, während die Evangelien bis ins 5. Jahrhundert in der syrischen Fassung des Diatessarons, einer von Tatian (2. Hälfte 2. Jh.) zusammengestellten Evangelienharmonie, gelesen wurden. Schon früh, in der zweiten Hälfte des 3. Jahr­hunderts, haben sich bischöfliche Strukturen entwickelt.6

Noch auf einem anderen Weg kamen Christen ins Parther- und vor allem ins nachfolgende Sassanidenreich: Die immer neu aufbrechenden kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem Römischen Reich hatten nach – meist kurzfristigen – Geländegewinnen der Perser Depor­ta­tionen von Teilen der Bevölkerung, auch von Christen, zur Folge, die dann in Ostsyrien eige­ne Gemeinden bildeten. „Diese deportierten Christen, sofern es griechisch-sprachige Ge­meinden waren, scheinen sich bis zum 5. Jahrhundert nicht in die lokale christliche Bevöl­kerung integriert zu haben, da von getrennten Kirchen und von zwei Hierarchien, mit grie­chischer bzw. syrisch-aramäischer Liturgiesprache, berichtet wird.“7

Schon früh erreichte die christlich-syrische Mission auch arabische Stämme, zunächst im Norden der Halbinsel, aber – vor allem – auch arabische Reiche und Stämme in Palästina und Meso­po­ta­mien, besonders im Euphrattal. Henri Charles vermutet für deren Missionierung das 4., ganz sicher das 5. Jahrhundert.8 Von der Eigenart der koranischen Materialien her aber sind, wie noch zu zeigen sein wird, frühere Zeiträume – 3. und 4. Jahrhundert – anzunehmen.9

Über die theologische Prägung der syrischen Christengemeinden wird noch später zu spre­chen sein. Wichtig ist hier zunächst, dass es rund dreihundert Jahre lang neben dem syrischen ein hellenistisches Christentum gab, wie auch in dem ganzen Raum noch längere Zeit helle­nistische Einflüsse erkennbar sind. Von hierher wie auch von persischen Einflüssen her erklärt sich, dass gerade in der frühen Zeit im syrischen Raum gnostische Richtungen beheimatet sind: Der Markionitismus ist vom Ende des 2. Jahrhunderts an in Syrien und der Osrhoene verbreitet.10 Auch die „Oden Salomos“ und das gnostische Thomasevangelium sind im 2. Jahrhundert in Syrien entstanden, ebenso das Per­lenlied in den apokryphen Thomasakten, wahrscheinlich auch das Philippusevangelium. Auch die beiden „Bücher des Jeu“, in denen Seth eine herausragende Rolle spielt, wie über­haupt die sethianische Gnosis und die mit ihr verwandte Barbelo-Gnostik (im „Apokry­phon des Jo­han­nes“ überliefert) sind diesem Raum zuzuordnen. Ganz sicher gilt dies auch für die in Südirak und -iran entstandenen Mandäer (von manda, Gnosis) und ihre Literatur; die Man­däer benutzten zunächst die Selbstbezeichnung Nazoräer und werden im Koran Sabier ge­nannt. Der Manichäismus ist im 3. Jahrhundert in Persien entstanden und breitete sich im Osten bis nach Zentralasien und im Westen bis nach Nordafrika und Italien aus.

Die Gnosis ist ein Phänomen des synkretistischen Hellenismus, in dem sich die für Helle­nisten soteriologisch bedeutsame „Erkenntnis“ der Seins­gründe mit einem mehr oder weniger radika­len, in diesem Fall wohl aus der persischen Tradition gespeisten ethischen und kosmo­goni­schen Dualismus verbindet.11 Die Negativwertung des Materiell-Leiblichen war oft – so z.B. im Markionitismus – verbunden mit einem christologischen Doketismus: der göttliche Logos hat nur einen Scheinleib angenommen und diesen vor der Kreuzigung wieder ver­lassen. Dieser Dualismus zeigt in den gnostischen Richtungen Ostsyriens stark antijüdi­sche Züge. Darin wird deutlich, dass sie in einem Umfeld entstanden sind, in dem der alttesta­ment­liche Schöpfungsglaube, also der Glaube an einen guten Schöpfer und eine gute Schöp­fung, ver­breitet war, wogegen sich die Gnosis richten musste. Dieser Kontext kann von jüdi­schen Gemeinden geprägt ge­wesen sein; da es sich aber meist um christliche Gnosis handelt, ist ebenso an­zunehmen, dass syrisches Christentum, in dem ja die Rezeption des Alten Testa­ments sehr ausgeprägt war, die Polemik hervorgerufen hat.

Verbunden mit gnostischen Rich­tungen oder auch unabhängig davon waren radikale asketische – und z.T. antijüdische – Kon­zepte ver­breitet. Schon im 2. Jahrhundert gab es wohl in Edessa und Umgebung enkratitische Strömun­gen, denen auch Tatian der Syrer nahestand, der darüber hinaus eine schroffe Ab­grenzung von der griechischen Kultur, die er für „lüstern“ hielt, vertrat; auch Bar Daisan (Bardesanus, gest. 222), der 150 – antimarkionitische – Lieder oder Psalmen schuf, ist hier einzuordnen, ebenso später die Gemeinde des Diakon Audi (um 325 in Edessa) sowie die Messalianer und Styliten im 5. Jahrhundert.

Diese erstaunlich bunte Landschaft gnostischer und asketischer Richtungen darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass sich auch „orthodoxere“ Formen des syrischen und griechi­schen Christentums weiter etablieren konnten und wohl auch bestimmend waren. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts sind „orthodoxe“ Gruppierungen unter der Führung eines Palat bekannt, und gegen die mög­licherweise gnostischen Frühzeiten richtete sich im 3. Jahrhundert die Abgarlegende des Addai (Doctrina Addai), die den Apostel Thomas als Begründer des Christentums in Edessa und Syrien behauptete (349 wurden seine angeblichen Gebeine nach Edessa gebracht, 394 feierlich beigesetzt12). Im Verlauf des 3. und 4. Jahrhunderts setzte sich allmählich ein gemäßig­teres, nicht mehr dua­listisches oder radikal-asketisches Christentum durch und breitete sich weiter sowohl in Mesopotamien wie in Persien aus.

Zunächst gab es im Sassanidenreich keine offiziellen Christen­ver­folgungen, allerdings lokal begrenzte Konflikte, meist seitens zoroastrischer Priester. Als im Römischen Reich unter Kai­ser Decius im Jahre 250 systematische Christenverfolgungen be­gannen, konnten nicht weni­ge, vor allem westsyrische Christen, nach Persien fliehen, wo­durch die griechischsprachigen Gemeinden verstärkt wurden. Erst seit dem Toleranzedikt von Mailand 313 und erst recht nach der Erhebung des Chri­stentums zur Staatsreligion im Jahr 380/381 wuchs im Sassani­denreich der Verdacht, die eigenen Christen seien unzuverlässig, weil sie Verbindung zum Römischen Reich unterhalten könn­ten; dieser Verdacht wurde verstärkt durch den Anspruch der Römi­schen Kaiser, auch über die eigenen Grenzen hinaus für alle Christen Sorge tragen zu müssen. Im Gefolge kam es zu ersten staatlichen, d.h. vom König veranlassten Christen­verfolgungen, die auch zu Martyrien führten. Gegen Ende des 4. Jahrhunderts verbesserte sich die Lage des Christentums wieder.

Auch in den Zeiten der Verfolgung konnte sich das Christentum weiter etablierten. Es ent­stand eine eigene Hierarchie, ungefähr 80 Bistümer wurden zu Kirchenprovinzen zusammen­geführt, die von Metropolitan­bischöfen geleitet wurden.13 Hierbei wuchs die Bedeutung der Reichshauptstadt Seleukia-Ktesiphon am Tigris – vergleichbar der Entwicklung Konstantino­pels zu einem Patriarchat -, deren Bischof bald die Leitung der Kirche im Sassanidenreich unter dem Titel Katholikos übernehmen konnte.

Im Jahr 410 wurde vom sassanidischen Großkönig Yazdgird I. – ähnlich wie im Westen durch den römischen Kaiser – eine Synode in der Hauptstadt einberufen, die nach den Verfolgungen die Kirchen­strukturen neu organisieren sollte. Es wurde beschlossen, Doppelhierarchien aramäischer und griechisch-sprachiger Gemeinden abzuschaffen; fortan gibt es nur eine syrisch-christliche Hierarchie. Die Beschlüsse von Nizäa wurden diskutiert und angenommen, wahrscheinlich auch eine Voraussetzung für die Integration der „Griechen“. Dem Hauptstadt­bischof wurde „die Letztinstanz bei der Weihe von Bischöfen“ zugesprochen, wodurch er – mit Zu­stimmung des Großkönigs – „Oberhaupt der ostsyrischen Kirche“ wurde.14 Noch vor Ablauf des 5. Jahrhunderts erhielt er den Titel Katholikos, die syrische Kirche wurde auto­kephal – die institutionelle Formalisierung eines schon vorher gegebenen Zustands.

Die Rezeption des Konzils von Nizäa – auf späteren Synoden auch weiterer „griechischer“ Synoden, aber ohne theologische Bedeutung in Ostsyrien – verlief schleppend. Um 400 verbreitete sich die syrische Liturgie von Nisibis im ganzen ostsyrischen Raum, und auch die beginnende Architektur von Kirchen und Heiligtümern ist vom Westen unabhängig.15 Zur Christianisierung von arabischen Stämmen „lässt die Quellenlage … keine eindeutigen Aus­sagen zu, zumal die arabischen und türkischen Stämme nomadisch oder zumindest semi-no­madisch waren.“ Dokumentiert ist aber seit 410 ein arabischer Bischof in Hira.16 Im 5. Jahr­hundert konnte das Christentum auch in der zoroastischen Oberschicht Fuß fassen, was aller­dings auch gelegentlich zu Schwierigkeiten führte. Ende dieses Jahrhunderts wurden – in An­lehnung an die zoroastrische Pflicht zur Ehe? – der Einfluss des Mönchtums zurückgedrängt und der Zölibat abgeschafft; sogar Oberhäupter der ostsyrischen Kirche, der Katholikos Babai und sein Nachfolger Silas (frühes 6. Jahrhundert) waren verheiratet.17 Gleichzeitig aber wur­den Amtsstrukturen nach dem Modell der byzantinischen Kirche übernommen und deren Apostolizität behauptet, was zwar eine Vertiefung der Autokephalie, nicht aber eine Trennung von der griechischen Kirche bedeutete. Um 600 konnte das Mönchtum wieder im Osten Fuß fassen und im Verlauf des folgenden Jahrhunderts wieder voll inte­griert werden.

Die Verurteilung des Nestorius auf dem Konzil von Ephesus 431 hat die ostsyrische Kirche nicht mitgetragen.18 Nach der späteren Feststellung des Katholikos Timotheus I. (780-823) be­deu­tete dies: „Im Osten blieb der Glaube, wie er war.“19 Die im Westen erzwungene Auswanderung nestorianischer Theologen und Christen verstärkte nestorianische Einflüsse im ostsyrischen Raum.20

In der Folgezeit kam es auch zu einer Ausbreitung monophysitischer Theologie im ostsyri­schen Raum. So wandte sich Rabbula, 412-435 Bischof von Edessa, der in Ephesus im Jahr 431 an der („nestorianischen“) Jo­hannes­synode teilgenommen hatte, später der Cyrill-Partei zu und bekämpfte den Nesto­rianis­mus. Damit aber geriet er in Gegnerschaft zu der theologischen Schule von Edessa, deren Leiter Ibas ihn 435 als Bischof ablöste. Dieser übersetzte Werke des Diodor von Tarsus, des Theodor von Mop­suestia und Nestorius ins Syrische. 486 verabschiedete eine Synode in Se­leukia-Ktesiphon ein diphysitisches Symbol, das auf der Lehre des Theodor von Mopsuestia basiert.21 Auch alle weiteren syrischen Synoden im 6. Jahrhundert beziehen sich auf die Theologie des Theodor, während Nestorius keine solche Rolle spielte.22

Die Schule von Edessa, zugleich einzige Ausbildungsstätte des persischen Klerus, wurde 489 vom (monophysitischen) oströmischen Kaiser geschlossen. Lehrer und Studenten wanderten nach Persien aus und verstärkten dort deren „nestorianischen“ Charakter. Später wurde in die­sem Raum auch Chalkedon, abgesehen von seiner Verurteilung des Nestorius, anerkannt, aber nur oberflächlich rezipiert; die Syrer konnten mit den begrifflichen Definitionen nicht viel anfangen. Noch eine Synode unter dem Katholikos Mar Gregorius im Jahr 605 bekräftigte den „nestorianischen“ Charakter der Kirche im Sassanidischen Reich.23

Nach der Schließung der Schule von Edessa siedelten sich viele Lehrer und Schüler in Nisibis an, das bis ins 7. Jahrhundert hinein eine führende Rolle in der theologischen Ausbildung spielte. Auch hier spielten die Schriften des Diodor von Tarsus, des Theodor von Mopsuestia und, seltener, auch des Nestorius eine zentrale Rolle.

Mittlerweile hatte sich aber auch der Monophysitismus, vor allem in Westsyrien, weiter aus­breiten können. Dem Monophysit Severus gelang es, unter für ihn günstigen Bedingungen der byzan­tinischen Politik im Jahr 512 Patriarch von Antiochien zu werden. Aber schon 519 musste er sich, unter der Regierung des Kaisers Justin I., nach Ägypten zurückziehen, wo er 538 starb.

Mit Unterstützung der dem Monophysitismus zugeneigten Kaiserin Theodora wurde vom exi­lierten Patriarchen von Alexandrien Theodosius (gest. 566) im Jahr 542 Theodor „von Arabien“ zum Bischof geweiht, dem Bostra als Metropolitansitz zugewiesen wurde. Jakob Baradäus (gest. 578) wurde im Jahr 544 zum „Araberbischof“ geweiht und etablierte auf Visitationsreisen im ostsyrischen Raum den Monophysitismus. Nach ihm nennen sich diese Monophysiten später Jakobiten.

So war, vor allem, aber nicht nur im westsyrischen Raum, ein monophysitisches Christentum entstanden; es kam zu zahlreichen Konflikten zwischen Jakobiten und der syrischen Kirche unter ihrem Katholikos. Dabei repräsentierte letzterer „the majority of Christians in the Sas­sanide empire“.24 So war z.B. Babai der Große (gest. nach 628), der während einer Sedis­vakanz auf dem Stuhl des Katholikos zwischen 608/609 und 628 die Kirche im Sassaniden­reich lenkte, strenger Diphysit und orientierte sich an Theodor von Mopsuestia. Auch die Schule von Seleukia-Ktesiphon, über die aber nur Weniges bekannt ist, war „nestorianisch“ geprägt.

Wegen der syrischen Mentalität, die der jüdischen verwandt ist, und wohl auch wegen der Verwendung der gleichen Sprache, des Aramäischen, kam es um 700 zu einer Annäherung von Juden und Christen. Damals verboten Synoden ihren Christen die Teilnahme an jüdischen Festen. „Solche ständig wiederholten Gesetze wiesen darauf hin, dass sie nicht eingehalten wurden.“25 Umgekehrt konvertierten damals viele Juden zum (syrischen) Christentum.26 Dagegen kennt die syrische Amtskirche und Liturgie (bis heute) einen scharfen Antijudaismus.

Nach dem Sieg des Kaisers Heraklios im Jahr 622 über die Sassaniden konnte sich in der Folgezeit, in der Endphase des Sassanidenreichs und unter der Herrschaft arabischer Führer, die syrische Kirche entfalten, missionierte bis nach China, und es kam zu zahlreichen Kloster­gründungen: „numerous new monasteries were founded, and many writings and anthologies … were produced“.27

Seit der 2. Hälfte des 7. und im 8. Jahrhundert kam es zu einem Aufblühen des ostsyrischen akademischen Lebens. Theologische Werke und Aristoteleskommentare wurden verfasst – so z.B. vom Katholikos Henanisko I. (gest. 700) – und griechische Schriften ins Syrische und Arabische übersetzt. Vor allem seit der Mitte des 8. Jahrhunderts wurde die wissenschaftliche und literarische Tätigkeit in verschiedenen kulturellen Zentren Ostsyriens bedeutsam: „The secu­lar scientific and literary work of the »Nestorians« flourished during the first phase of the Abbasid period“; Werke aus Medizin und Philosophie der antiken griechischen Literatur wurden ins Syrische und Arabische übersetzt.28

2. Strukturen und Modelle der syrischen Theologie und Mentalität29

2.1 Die vornizenische Theologie

Aus der vornizenischen Zeit sind – von gnostischen Fragmenten abgesehen – nur wenige lite­rarische Zeugnisse überliefert, an denen die Konturen einer spezifischen syrischen Theologie zu erkennen sind. Wahrscheinlich ist das kulturelle Mit- und Ineinander von „Griechen“, Juden, Orientalen der Grund dafür, dass es wohl eine Zeitlang dauern musste, bis sich je spe­zifische christliche Gemeinden mit erkennbarer Theologie gebildet hatten und aus ihnen Män­ner hervorgegangen waren, die diese verschriftlichten. So hat die syrische Theologie in vor­nizenischer Zeit keine bruchlose Tradition von literarischen Zeugnissen hervorgebracht, aber immerhin so viele – wenn auch oft nur noch fragmentarisch überliefert -, dass sich die wichtigsten Strukturen schon erkennen lassen. Grundsätzlich findet sich im syrischen, also semitischen Raum ein Denken, das sich, vergleichbar dem jüdischen Verstehen, vor allem an der Geschichte orientierte und nicht – wie in der hellenistischen Tradition – am Sein bzw. der Natur von Gott, Mensch und Kosmos. Gott handelt in der Geschichte durch die Propheten und durch Jesus. Heil findet der Mensch in der Nachfolge Jesu, in der Bewährung, und nicht – wie im griechischen Christentum – in der „Vergöttlichung“ durch den Gottmenschen Jesus Christus.

Der älteste literarische Zeuge ist Ignatius von Antiochien (gest. zwischen 109 und 117); da­nach haben im 2. Jahrhundert Spuren hinterlassen manche der übrigen sogn. Apostolischen Väter sowie Tatian der Syrer und Theophilus von Antiochien (beide 2. Hälfte des 2. Jahrhunderts), Paulus von Samosata (2. Hälfte des 3. Jahrhunderts), Arius (gest. um 336) und Eustathius von Antiochien (gest. zwischen 337 und 370), der seine theologi­schen Be­mühungen vor Nizäa begann, aber erst später deutlicher erarbeitet hat.

Der früheste Repräsentant ist Ignatius von Antiochien, der selbst (auch?) griechischsprachig war und in Ansätzen Elemente der späteren hellenistischen („alexandrinischen“) Christologie erkennen lässt; falls seine Briefe echt sind, hebt er in seinen Antithesen eine zweite „göttliche“ Seinweise Jesu hervor. Dennoch lassen sich bei ihm auch Motive des syrischen Denkens erkennen. Sein eigenes soteriologisches Ziel ist ein umfassendes Menschsein30, das in einem konkreten Menschen­leben erreicht wird: „Die Gläubigen müssen, um zur Einheit mit dem Herrn und mit Gott zu kommen, den Weg ihres Herrn gehen, d.h. einen Erdenweg in einem Menschenleben.“31 Hierbei kann der Christ versagen oder sich bewähren. Trotz seiner (oder späterer Redaktoren) Übernahmen aus helle­nistischem christologischem Vokabular ist Jesus für ihn vor allem der neue Mensch, der Gott „bis in den Tod gehorcht“.32

Die wohl in Syrien entstandene Didache bezeichnet Jesus als „Knecht Gottes“33; das in seiner Herkunft ungeklärte Martyrium des Polykarp nennt Gott den „Vater dieses geliebten und gelobten Knechtes Jesus Christus“.34 Beide sehen also Gott monarchianisch, Jesus als Knecht Gottes; dies verweist auch für das Martyrium des Polykarp auf einen syrischen Kontext.

Tatian der Syrer war im nordmesopotamisch-syrischen Raum geboren und wurde in Rom Christ und Schüler Justins. Nach dessen Tod trennte er sich von der römischen Gemeinde und wirkte in seiner Heimat; dort vertrat er, der in seiner Rede an die Hellenen (um 165) heftige Kritik am Hellenismus geübt hatte, enkratitische Auffassungen bis hin zu der Forderung, Wein selbst in der Eucharistiefeier durch Wasser zu ersetzen („Aquarier“). Von seinen Schrif­ten sind nur noch die Rede an die Hellenen und Fragmente seiner Evangelienharmonie Diatessaron (hèn dià tessáron) erhalten;35 letzteres, ursprünglich wohl in syrischer Sprache abgefasst, wurde lange Zeit in der syrischen Kirche, oft mit kanonischem Rang, verwendet und erst von Rabbula von Edessa (gest. 435) als häretisch verboten. Aber erst im 6. Jahrhundert wurde es von der Peschitta gänzlich verdrängt.

Als Schüler Justins spricht Tatian vom göttlichen Logos, der zugleich die Hypostase (der Ur­grund) des Alls ist.36 Er trat allerdings „im Anfang“ (Gen 1,1) durch einen Willensakt Gottes aus ihm hervor und ist sein „erstgeborenes Werk“.37 In Jesus ist „Gott in Menschengestalt erschie­nen“38, womit aber keine Inkarnationsvorstellung hellenistischer Art verbunden ist, und der Mensch zur Nachahmung des Logos geboren.39 Neben diesen hellenistischen Übernahmen aber vertritt Tatian syrische Motive, vor allem die Freiheit und die Heilsbedeu­tung geschichtlichen Handelns – die menschliche Seele ist nicht natural unsterblich, sondern nur im Fall richtig praktizierter Gotteserkenntnis40 – und einen entschiedenen Monotheismus. Vieles aber bleibt bei Tatian undeutlich bzw. nicht in eine Konsequenz gebracht, vielleicht eine Folge der kargen Quellenlage.

Von Theophilus, der 169 Bischof von Antiochien wurde, ist nur eine Schrift (Ad Autolycum, nach 180) erhalten; danach stammte er aus Mesopotamien. Wie sein Zeitgenosse Tatian grenzt er sich gegen die griechische Kultur und Philosophie ab. Sein Buch ist teilweise recht „verworren“.41 Er übernimmt ebenfalls die Logoslehre Justins; der Logos trat im Anfang aus Gott hervor und bewirkte, auch Geist, Wort, Weisheit, Kraft und Sohn Gottes genannt, die innere Konstitution des Kosmos; aber er ist der Erstgeborene „jeglicher Kreatur“42, also geschöpf­lich.

Dennoch gebraucht er als erster für Gott das Wort Trias43. Aber sein grundlegender Monar­chianismus wird dadurch nicht aufgehoben; die Trias ist heilsgeschichtlich bzw. dynamisch zu verstehen. Eigentümlicherweise kommt in seiner Schrift Jesus nicht vor, wird aber doch verdeckt als der zitiert, der uns durch sein Evangelium zum rechten Leben und zum Heil führt.44 „Schrift“ ist nur das später so genannte Alte Testament.

Erkennbar ist aber, dass er ein stark geschichtliches Denken vertritt; es geht um das richtige Handeln, „durch die Beobachtung des göttlichen Gebots“ können wir sogar selbst entscheiden, ob unsere Seele sterblich oder unsterblich ist.45

Er erläutert, dass „die Männer Gottes, als Gefäße des Heiligen Geistes und als Propheten“ von Gott „inspiriert und unterrichtet“ wurden, so dass sie „Gottes Werkzeuge“ wurden.46 Über Jesus Christus sagt er nichts, aber man kann vermuten, dass er in diese Linie – überbietend? – eingeordnet werden muss.

Bis ins 3. Jahrhundert hinein lassen sich die Konturen einer syrischen Theologie nur undeut­lich erkennen. Zu stark war die Prägung wenigstens des theologischen Vokabulars durch grie­chisch-christliche Einflüsse, vor allem durch Justin, vielleicht auch durch die Logoslehre des jüdischen Theologen und Zeitgenossen Jesu, Philon von Alexandrien, zu stark wohl auch die Koexistenz syrischer und griechischer Christengemeinden im syrischen Raum. Dennoch lassen sich die wichtigsten Motive der späteren syrischen Theologie erkennen: eine Verteidigung des Monar­chianismus – trotz variierter Logoslehre – und eine starke Betonung des Willens Gottes, der soteriologischen Bedeutung der Geschichte und des geschichtlichen Handelns, so dass sogar hellenistische philosophische Essentials wie die naturale Unsterblichkeit der Seele ge­schichtlichen Entscheidungen untergeordnet werden. Es brauchte wohl Zeit, bis das syrische Denken klarere Konturen gewinnen konnte. Dies scheint in der zweiten Hälfte des 3. Jahr­hunderts geschehen zu sein.

Der wichtigste Repräsentant syrischer Theologie vor Nizäa ist Paul von Samosata am Eu­phrat, der im Jahre 258 Bischof von Antiochien wurde (gest. nach 272). Er wurde auf zwei Synoden (264 und 268) in Antiochien wegen seiner Christologie verurteilt, die deswegen nur noch in Zitaten seiner Gegner zugänglich ist; diese Verurteilung auf westsyrischem Boden zeigt, dass dort der Einfluss auch des griechischen Christentums groß war.

Paul wehrt sich gegen eine physische Interpretation des neutestamentlichen Sohn-Gottes-Prä­dikats für Jesus, weil hierdurch ein Bitheismus gelehrt werde; es geht ihm um die Einzigkeit Gottes.47 Den Logos (oder: die Weisheit) betrachtet er als Instrument (Organon) des einen und selben Gottes. Bei ihm begegnet uns eindeutig der sog. (syrische) dynamische Monarchianismus (Gott wirkt durch seine dynameis [Kräfte], den Logos, evtl. auch den Geist oder weitere Potenzen, nach außen).48 Der Logos wohnte in Jesus wie in einem Tempel; seine Verbindung mit Jesus war von ähnlicher Art wie bei den Pro­pheten, aber tiefer und radikaler. Konsequent lehnt er eine Präexistenz­christologie, die Herab­kunft des Sohnes Gottes vom Himmel, ab49 und betont, dass Maria nicht den Logos geboren habe. „Dagegen gebar sie einen Menschen, der uns gleich war.“50 Der Logos aber ist „größer als Christus“.51

Wieso aber ist Jesus der Christus? Hier werden schon die Strukturen der antiochenischen Be­währungschristologie greifbar: „Christus ist nämlich (erst) durch die Weisheit groß gewor­den“52, oder: er ist uns gleich, „aber besser in jeder Beziehung“ wegen der „Gnade, die auf ihm (ruhte)“.53 Die Weisheit ruhte auf ihm wie auf einem Propheten, „mehr noch auf Mose“ und „in vielen Herzen“, „mehr aber in Christus wie in einem Tempel“.54

Dadurch aber gab es eine enge Verbindung (synhápheia) zwischen Logos bzw. Weisheit und Jesus; diese Verbindung entsteht „gemäß Gehorsam (Lernen) und Teilhabe, nicht gemäß dem Wesen“.55

Bei Paul von Samosata werden schon die Grundlagen der syrischen Theologie erkennbar: Er lehrte, „dass ‚der Sohn‘ nur den Menschen Jesus bezeichne, in dem die Weisheit Gottes Wohnung genommen habe; dass ferner ‚der Geist‘ nichts anderes sei als die Gnade, die Gott … gewährte.“56 Gott ist ein (undifferenziert) Einziger und entfaltet sich durch seine Kraft, sein Organon, den Logos, nach außen. Jesus ist (nur) Mensch, aber besser als alle anderen Menschen, auch die Propheten und sogar Mose, und er ist deswegen eng mit dem Logos, einer Kraft Gottes, verbunden. Sein Christussein beruht in seiner „Bewährung“.

Das schließt auch ein, dass das soteriologische Ziel des Menschen bzw. Christen die Bewäh­rung ist, die in der Nachfolge Jesu realisiert werden soll. Eine Erlösung im Sinne helleni­stisch-christlicher Vergöttlichung durch die Vermittlung des Gottmenschen Jesus Christus oder im Sinne der lateinischen Theologie durch das Opfer Jesu Christi am Kreuz kommt nicht in den Blick.

Als nächster Theologe, der die Motive einer syrischen Theologie erkennen lässt, ist Arius zu nennen. Er wurde um 256 oder 260 geboren, wo, bleibt unklar; wahrscheinlich ist ein syri­sches Umfeld anzunehmen, nicht das gelegentlich vermutete Libyen. Ob er in Antiochien Schüler des Priesters Lukian war, über dessen Leben und Konzept ebenfalls nichts Sicheres bekannt ist, muss offen bleiben. Er war aber später im alexandrinischen Umfeld als Presbyter tätig und stand in Opposition zu Alexander und Athanasius von Alexandrien.

Da er in Nizäa verurteilt wurde, sind seine Schriften nur noch fragmentarisch und oft in Zita­ten bei seinem Gegner Athanasius zu greifen. T. Böhm beurteilt nur drei Dokumente als histo­risch gesichert (ein Glaubensbekenntnis, einen Brief an Eusebius von Nikomedien und einen Brief an Konstantin); für die Thaleia, die auszugsweise von Athanasius (Orationes contra Arianos)57 überliefert wird, vermutet er Überarbeitungen.58 Dennoch ist anzunehmen, dass Athanasius die Meinung des Arius zutreffend wiedergibt: Weil der Logos zwar vor den Äonen, aber dennoch „im Anfang“ entstanden ist, ist er Geschöpf, vornehmstes Geschöpf und Demiurg. Er kann, gewissermaßen in Anführungszeichen, göttlich genannt werden, ist aber nicht Gott. Gott ist entsprechend syrischer Theologie monarchianisch gedacht; Arius kennt keinerlei Form eines (innergöttlichen) Subordinatianismus.59 Wieso aber ist der geschöpfliche Logos, der später in Jesus inkarnierte – daran hält Arius in seiner alexandrinischen Umgebung fest -, schon „im Anfang“ so herrlich geschaffen worden? Hier bietet er eine seltsame Kon­struktion an: Weil Gott in seinem Vorherwissen sah, dass sich der Logos in Jesus später be­währen werde, hat er ihm zuvor schon diese Herrlichkeit gegeben – eine Begründung der hellenistischen Logoslehre durch syrische Bewährungschristologie.60

2.2 Die westsyrische Theologie nach Nizäa61

Das Konzil von Nizäa verurteilte die arianische These vom zeitlichen Anfang und von der Kreatürlichkeit des Sohnes Gottes und lehrte, zunächst mit biblischen Begriffen, sein volles, wenn auch (vom Vater) herkünftiges Gottsein (Gott aus Gott, Licht aus Licht …), und fügt dann den Begriff homo-úsios, „gleichen Wesens“, hinzu.

Von da an wurde es für die westsyrischen Theologen schwierig, weil in der Kirche des Kai­sers nicht mehr gesagt werden konnte, Sohn Gottes sei Jesus aufgrund seiner Bewährung; er war es immer schon, wesenhaft, vor aller Zeit (auch nicht mehr: seit dem „Anfang“).

Dennoch aber wollten die westsyrischen Theologen ihre Art des Christentums nicht aufgeben, mussten jetzt aber Wege finden, diese unter Berücksichtigung der nizenischen Beschlüsse zu formulieren. Im Gefolge dieser Denkbemühungen entstand jetzt eine spezifische westsyrische Theologie, nach dem kulturellen Zentrum dieses Raums auch als antiochenische Theologie bezeichnet.

Sowohl für die Gottesfrage wie die syrische Christologie wurde es wichtig, den Sohn Gottes bzw. Logos möglichst mit Gott selbst zu identifizieren; so konnte auf der einen Seite Gott weiterhin tendenziell monarchianisch gedacht werden, auf der anderen Seite standen sich dann (nicht der Logos, sondern) Gott-Logos und der Mensch Jesus gegenüber. Für Jesus Christus vertraten sie eine streng diphysitische Konzeption: zwischen Gott-Logos und dem Menschen Jesus muss natural unterschieden werden: Gott bleibt Gott, Mensch bleibt Mensch; es gibt keine Vermischung.

Die Bewährungstheologie behielten sie bei. Diese aber konnte sich nicht mehr, wie in vor­nizenischer Zeit, auf den Sohn-Gottes-Titel auswirken (Jesus ist „Sohn“ aufgrund seiner Be­währung, also von Gott adoptiert [Adoptianismus]); jetzt gab es schon, vor aller Bewährung Jesu, den Gott-Logos. So bliebt nur übrig, dass die (Erwählung und) Bewährung Jesu die Folge hatte, dass dieser ganz eng mit dem Gott-Logos verbunden wurde (die Bewährung wirkte sich nicht mehr aus auf das christo­logische Prädikat [„Sohn Gottes“], sondern auf die Kopula „ist“ im christologischen Bekennt­nis [Jesus „ist“ Sohn Gottes]).

Die Einheit (die Prädizierbarkeit: „ist“) von Gott-Logos und Mensch Jesus wird also als eine, wenn man so will, existentielle Einheit oder besser als Zusammenhaften zweier Subjekte gesehen. Sie besteht von Seiten Gottes in der Erwählung Jesu und der Gnade, von Seiten Jesu im Gehorsam bis zum Tod (nicht: durch seinen Tod), in der ethischen Bewährung.

Zunächst war es schwierig, eine neue Sprachregelung zu finden. Der aus Antiochien stam­mende Diodor von Tarsus (gest. vor 394) betont – wie auch schon Eustathius von Antiochien (gest. vor 337 oder 340?) – das volle und unbeschädigte Menschsein Jesu und lehnt eine Ver­mischung ab.62 Er hält fest am syrischen „Sohn aus Gnade“ und fügt ihm den nizenischen „Sohn von Natur aus“63 hinzu; er sagt, dass „der Logos Mensch genannt wird, weil er im Menschensohn wohnte“.64

Dieses Sprechen von einem zweifachen Sohn-Sein war allerdings kompliziert und unbiblisch; es wurde in der Folgezeit beiseite gelassen, obwohl es in verdeckter Form gelegentlich im Christustitel aufgegriffen wurde: Jesus wurde Christus aufgrund seiner Bewährung und ist deswegen eng verbunden mit dem Gott-Logos. Meist aber wurde auf diese Doppelungen ver­zich­tet und die syrische Bewährungstheologie auf andere Weise formuliert.

Der bedeutendste westsyrische Theologe, Theodor von Mopsuestia (um 350-428), dessen Schriften aufgrund seiner posthumen Häretisierung durch das 5. Konzil von Konstantinopel 553 im Drei-Kapitel-Streit nur noch frag­mentarisch, z.T. in syrischer Sprache, überliefert sind, hat die syrische Bewährungstheologie tiefgründig dargelegt. „Und er (der Mensch Jesus) bemühte sich nach größter Möglichkeit um vollkommenste Tugend … Sie zeigte er also auch uns exemplarisch auf, ein Weg, der für uns deswegen verpflichtend ist.“ Jesus wuchs „an Gnade …, indem er sich, der Einsicht und Er­kenntnis folgend, um Tugend bemühte … Und er (der Logos) trieb ihn an zur größtmöglichen Vollkommenheit und bewirkte ein Übermaß an Mühe sowohl der Seele wie des Leibes; und auf diese Weise bereitete er ihm eine übergroße und mühelose Vollendung der Tugend.“65 Wegen seiner Bewährung und des Wohlgefallens Gottes wohnte der Gott-Logos in ihm.66

Jesus ist deswegen für Theodor (nur) Mensch. „Mensch ist Jesus … Der Mensch Jesus ist ähnlich allen Menschen, in nichts von dem (ihm) gleichwesentlichen Menschen sich unter­scheidend als in der Gnade.“ Oder: „Der Mensch (Jesus) ist den Menschen gleichwesentlich, Gott aber ist Gott gleichwesentlich“, und: „… der Sohn der Maria soll nicht für Gott, das Wort, erachtet werden“.67

Die Einheit zwischen den beiden Naturen – er gebraucht dafür den Begriff prósopon (Gesicht, Außen­ansicht) – stellt sich Theodor vor analog zur Einheit von Mann und Frau in einem Fleisch (Mt 19,6). „Wie es nämlich im ersteren Fall (der Einheit von Mann und Frau) der Zahl zwei nicht schadet, von einem Fleisch zu reden …, so schadet auch hier (in der Einheit göttlicher und menschlicher Natur) nicht die Einheit im Prosopon dem Unterschied der Naturen.“68

Deutlicher lässt sich syrische Christologie nicht in Sprache bringen. Von daher versteht sich, dass sein (vermutlicher) Schüler Nestorius (nach 381-451) in Konflikte geraten musste, als er 428 Patriarch von Konstantinopel wurde und mit einer latent monophysitischen Frömmigkeit und der Verehrung der Maria als theotókos (Gottesmutter) konfrontiert war. Er kämpft gegen die Auffassung von Maria als theotókos; sie habe nur den Menschen Jesus geboren (sie ist anthropotókos) oder allenfalls (den späteren) Christus (christotókos). Er unterscheidet scharf zwischen dem Menschen Jesus und dem Gott-Logos und sieht die Einheit beider gegeben in einem relationalen Verhältnis des Gott-Logos zum Menschen.69

Mit der Verurteilung des Nestorius und dem baldigen Vordringen des Monophysitismus wird der Beitrag der antiochenischen Theologie im Kaiserreich zurückgedrängt. Zwar konnte im Glaubensbekenntnis von Chalkedon im Jahre 451 wenigstens die (antiochenische) diphysiti­sche Aussage beibehalten werden. Das antiochenische Modell einer Einheit aufgrund von Be­währung wird nicht aufgegriffen (außer im Begriff von einem Prósopon), aber es wird auch jede (alexandrinische) seinshafte Einheitsvorstellung abgelehnt.70

Es dauerte lange Zeit, bis Chalkedon in der byzantinischen Kirche rezipiert wurde, und dabei war meist noch eine „cyrillische“ Interpretation maßgebend, in der – gemäß der Theo­logie des Patriarchen Cyrill von Alexandrien – die Einheit des Gottmenschen sehr stark und latent seinshaft aufgefasst wurde.

2.3 Die ostsyrische Theologie71

2.3.1 Zeugnisse bis zum Beginn des 5. Jahrhunderts

Die ostsyrische Kirche besaß zwar in ihrer Mitte kleinere griechischsprachige Gemeinden, und informiertere Theologen wussten vielleicht ein wenig von den im Westen verlaufenden Dis­kussionen. Aber sie standen nicht, wie die westsyrischen Theologen, in unmittelbarer Kon­frontation mit einer mehrheitlich hellenistischen Theologie. Sie mussten ihre eigene Theologie nicht verteidigen und auf die andersartigen Aussagen eingehen.

So darf man annehmen, dass vor Nizäa, und das heißt in Ostsyrien im Allgemeinen: vor der Synode von 410, keine Notwendigkeit be­stand, sich mit einer binitarischen oder trinitarischen Gottesvor­stel­lung und einer Zwei-Naturen-Christologie so­wie einer darauf basierenden Inkarnations­sote­riologie (der Mensch ist erlöst aufgrund der In­karnation des Logos) zu beschäftigen; man konnte zunächst ungebrochen auf syrische Weise Christ sein. Die bei Paul von Samosata er­kennbaren Aussagen – abgesehen von ihrer erzwungenen antithetischen Komponente – dürf­ten für viele syrische Gemeinden be­stimmend gewesen sein: Ein eindeutiger Monarchianis­mus und eine Bewährungstheologie sowie die darauf beruhende Bewährungschristologie; Jesu Würde und Heilsbedeutung gründet in seinem Gehorsam, deswegen ist er (adoptianisch) der Sohn. Diese Theologie wurde oft weithin mit Rückgriff auf das Alte Testament und auf eine bilder­reiche, poetische Weise formuliert, die sich „der terminologischen Fixierung und Definition“ entzog;72 systematische Reflexion entsprach nicht der syrischen Mentalität.

Ein syrischer Theologe, Aphrahat (gest. nach 345), über dessen Leben wenig bekannt ist, weiß anscheinend nichts von Nizäa und thematisiert vor allem alttestamentliche Motive. Der Geist Gottes ruhte auf den Propheten und auf Jesus Christus; auch die Christen bekommen in der Taufe diesen Geist und sollen ihm gemäß leben.73

Peter Bruns geht in einer gründlichen Studie auf die Theologie Aphrahats ein.74 Er weist auf den Bilderreichtum der syrischen Sprache hin, die mittels des „reichen Erbes orientalischer Lyrik … die Gestalt Christi intuitiv“ zu erfassen sucht.75 Aphrahat geht in seiner 17. Darle­gung76 auf die These ein, dass der Messias Sohn Gottes sei, und weist die jüdische Kritik an der Gottessohnschaft zurück. Er führt eine Fülle von Namen für Christus an – allein schon diese Vielfalt der Bezeichnungen lässt einzelne Begriffe in ihrer genauen Bedeutung zurücktreten – und erklärt zur angesprochenen Gottessohnbenennung: „Denn der ehrwürdige Name der Gottheit wurde auch gerechten Menschen beigelegt und denen, die seiner würdig waren. Die Menschen, an denen Gott sein Wohlgefallen hatte, nannte er ‚meine Söhne‘ und ‚meine Freunde‘.“ Er erwähnt Mose, der für den Pharao (Ex 7.1.2) und für Aaron (Ex 4,16) zum Gott bestellt war, sowie Israel, das Sohn ist (Ex 4,22.23; Hos 11,1.2; Jes 1,2; Dtn 14,1), und fährt fort: „Von Salomo hat er gesagt: ‚Er wird mir Sohn sein, und ich werde ihm Vater sein‘ (2 Sam 7,14; 1 Chr 22,10). Auch wir nennen Christus Sohn Gottes, durch den wir Gott erkannt haben, wie er (Gott) Israel ‚meinen erstgeborenen Sohn‘ genannt hat und wie er von Salomo gesagt hat: ‚Er wird mir Sohn sein‘. Wir haben ihn (Jesus) Gott genannt, wie er auch Mose mit seinem eige­nen Namen bezeichnet hat.“77

Hier wird syrisches Denken ganz klar formuliert: Der Gottessohntitel ist ein Würdename – einer unter vielen -, kein Seinsbegriff wie in Nizäa, sondern heilsgeschichtlich verstanden. Gott verleiht ihn aufgrund seines Wohlgefallens: „Denn der Name der Gottheit ist zu großer Ehre in der Welt gegeben, und Gott legte ihn dem bei, an dem er seinen Gefallen hat.“78 D.W. Winkler bezieht sich positiv auf P. Bruns79 und fasst zusammen: „Das Wort Gottes ist als jene Seite Gottes gemeint, die der Welt zugewandt ist; als Gottes offenbarende Anrede, verkörpert durch Christus. Der Sohn Gottes ist jener, durch den Gott erkennbar wird.“80 Die Inkarnation wird nach dem „Bekleidungsschema“ gedacht81, das aber offensichtlich nicht nur für Jesus gilt, sondern auch für andere Große der Heilsgeschichte.82

Die besondere Bedeutung Jesu in seinem Logos- bzw. Sohn-Gottes-Sein ist für Aphrahat be­gründet in seiner besonderen Selbsterniedrigung und Demut: „Obgleich er (Jesus) reich war, machte er sich arm. Obgleich er erhaben war, erniedrigte er seine Größe … obgleich er der Lebendigmacher aller Toten war, übergab er sich selbst dem Tod am Kreuz. All diese Demut hat uns unser Lebendigmacher an sich selbst bewiesen.“83

Bei Aphrahat zeigt sich syrischer dynamischer Monarchianismus und entsprechend eine Be­währungschristologie. Dem gemäß erreichen auch wir unser Heil durch Bewährung: „Also demütigen auch wir uns, meine Lieben … Nichts anderes wird von uns verlangt, als daß wir unsere Tempel schmücken. Sobald sich die Zeit erfüllt und er (sc. der Geist Christi) zu seinem Vater geht, wird er uns rühmen, weil wir ihn geehrt haben.“84

Neben Aphrahat ist Ephräm der Syrer (um 306-373) von großer Bedeutung, weil er die kommende Entwicklung vorzeichnet, indem er in sein syrisches Christentum Begriffe der hellenistisch-christlichen Lehre aufnimmt. Der in der syrischen Kirche hochverehrte Lehrer und Schriftsteller hat ein beacht­liches, in syrischer Sprache verfasstes Werk (exege­tische, dogmatische und poetische Werke) hinterlassen. Ephräms Werke, vor allem seine Lieder, hatten eine große Bedeutung in der späteren syri­schen Kirche.

„Er ist der eleganteste und größte unter allen syrischen Autoren, der es verstand, seine theologischen Einsichten in poetische Sprache zu fassen.“85 Geboren und aufgewachsen in Nisibis, wechselte er später nach Edessa, das damals zum Römischen Reich gehörte. Dort ge­hörte Nizäa, eine bini- bzw. trinitarische Terminologie und die Auseinandersetzung mit dem Arianismus zu seinen Kontexten. Deswegen finden sich in seinen Schriften und Liedern Anspielungen auf die Inkarnation, den göttlichen Logos und die Binität, ohne dass diese Vorstellungen begrifflich reflektiert würden. Insofern muss er – termino­logisch – zum (mit griechischen Augen betrachtet) „orthodoxen“ nachnizenischen Christen­tum gerechnet werden. Aller­dings bleiben seine „trinitarische und christologische Begriff­lich­keit … unklar und ver­schwommen“, seine Trinitätslehre hält die Balance zwischen sabellia­nischem Modalismus und subordinatianischem Tritheismus“, so dass er „in der Folgezeit von Monophysiten und Nestorianern gleichermaßen aufgegriffen“ wurde.86

Der Gerechtigkeit halber muss aber bedacht werden, dass eine begriffliche Versöhnung syrischer und nizenischer Gotteslehre und Christologie aus systematischen Gründen unmög­lich ist – oder sie führt zu Konzepten wie bei Arius -; später hat die hellenistische Konzeption die syrische überlagert oder sogar – wenn auch in „antiochenischer“ Gestalt – verdrängt. Ephräm konnte also, wollte er beiden gerecht werden, nur begrifflich „unklar“ bleiben. Dies gelang ihm mittels seiner definitorischen Unbestimmtheit und seiner poetischen Ausdrucksweise. Aber nicht nur diese systematische Problematik ist zu bedenken, sondern auch die Eigenart des syrischen bilderreichen Denkens. Für Jesus Christus z.B. verwendet Ephräm eine Fülle von Titeln und Bilder. Es geht dem Syrer nicht um definitorische Klarheit, sondern um die durch Bilder vermittelte Anbetung Gottes. „Bei Aphrahat und Ephräm, den beiden frühen syrischen Klassikern, … kommt diese Bilder-Theologie zur vollen Entfaltung. Sie zeigen uns, wie ein semitisches Christentum hätte sein können, wenn es nicht die historisch-theologischen Umstände an die Seite gedrängt hätten.“87

2.3.2 Die Rezeption antiochenischer Theologie seit dem 5. Jahrhundert

Durch die Rezeption von Nizäa in der Synode 410 wurde die Tendenz verstärkt, vom Logos, der Gott ist, und von der Inkarnation zu sprechen. So finden sich seit dem 5. Jahrhundert im syrischen Raum einige Kirchen, die der Trias ge­weiht waren. Dabei bleibt allerdings unklar, ob der Begriff Trias, wie z.B. bei Theophilus von Antiochien, mit monarchianischem Gehalt zu verstehen ist; ebenso könnte eine Inschrift einer Kirche in Dar Kita aus dem Jahr 418, „Ein Gott und sein Christus und der Heilige Geist“88 oder auch Zitate des matthäischen Taufbefehls durchaus im Sinne eines dynamischen Monarchianismus zu lesen sein.

Es hat sich eingebürgert, die Kirche im Sassanidenreich, nach dem Konzil von Ephesus, als „nestorianisch“ zu bezeichnen.89 Sicherlich hat sie sich schwer getan, die Verurteilung des Nestorius zu akzeptieren; diese wurde aber später, nach der gelegentlichen Anerkennung von Chalkedon, doch angenommen. Jedenfalls ist deutlich, dass seine Motive durchaus für richtig gehalten wurden; seine Schriften wurden auch gelesen.

Aber bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Werke des Diodor von Tarsus und vor allem des Theodor von Mopsuestia viel wichtiger waren. Besser würde man die jetzt beginnende Theologie im syrischen Raum „antiochenisch“ nennen.90 Wie Diodor und Theodor (und Nestorius) ging es ihnen auch nach der Rezeption von Nizäa um den monarchianischen Gott und eine diphysi­tische Christologie, in der die Bewährung Jesu eine große Rolle spielte. Wenn der Logos auch – mit Bezug auf Nizäa: notwendig – „Gott von Natur“ genannt wurde91, so bleibt das Asso­ziationsgefüge unklar. Das Desinteresse syrischer Theologie an spekulativen Reflexionen sowie die fehlende Auseinandersetzung mit einem scharf argumentierenden Gegner – mit der alexandrinischen Theologie – ließen die spe­zifischen Begriffe im Bildhaft-Unscharfen.

Bestimmend aber bleibt eine starke Benutzung des Alten Testaments und seiner Topoi und die Einreihung Jesu in die Tradition der Propheten, deren Geistbegna­dung er wegen seiner Bewährung überbietet. Die umfassende Übersetzungsarbeit auch philo­sophi­scher und medizinischer griechischer antiker Literatur scheint die Grundlinien der syri­schen Theologie nicht tangiert zu haben.

      1. Die spätere Entwicklung. Ein Ausblick

Die Grundstrukturen des bisherigen Gottdenkens und der geschichtlichen Auffassung von Soteriologie und Christologie bleiben auch in der Folgezeit in der syrischen Theologie be­stimmend. Allerdings wird die Gradlinigkeit dieses Konzepts bald – wie schon bei Ephräm – verundeutlicht durch die Rezeption von Nizäa und somit bini-, später trinitarischer Topoi und einer Christologie, die mit seinshaften Begriffen formuliert wurde.

Diese Rezeption erfolgte zunächst, wie bei Ephräm, mit den Mitteln syrischer poetischer Tradition und Bild­sprache, durch die den Widersprüchen ihre scharfen Konturen genommen und somit die Theologie verunklart wurde.

Schon die syrische Übertragung des Symbols von Nizäa auf der Synode von 410 stellt einen Inkulturationsvorgang dar, bei dem die hellenistischen Raster (homoúsios, Inkarnation) in das andersartige syrisch-bildhafte Verständnis übertragen wurden. Die Verurteilung des Nestorius in Ephesus führte in der Folge dazu, dass sich antiochenische Theologie auch im Osten ver­breitete, wobei Theodor von Mopsuestia der wichtigste Bezugspunkt wurde.

Dennoch aber ließen sich die Syrer anscheinend zunächst nicht auf den Argumentationsduktus dieser Antiochener ein, sondern blieben, wie z.B. der Dichterpoet, Begründer und Leiter der Schule von Nisibis, Narsai (gest. um 502), in der Tradition Ephräms, griffen aber auch einige Motive der Theologie des Theodor auf. Die Synoden des 5. und 6. Jahrhunderts gehen auf die westlichen Streitigkeiten nicht ein, vertreten aber eine diphysitische Christologie auf der Basis der Schriften Theodors. „Die Lehre des Nestorius … hat für die offizielle (syrische) Kirche keine Bedeutung gehabt.“92 Formell wird auch der Glaube an die Trinität erwähnt.

Durch die Verurteilung des Theodor von Mopsuestia im Drei-Kapitel-Streit wird „dieser anti­ochenische Theologe nunmehr für die ostsyrische Kirche normativ. Am Ende des 6. Jahr­hun­derts ist der Name Theodors zum Synonym für die ostsyrische Orthodoxie geworden.“93

Im frühen 7. Jahrhundert zeigt sich im ursprünglich umfangreichen, aber nur noch partiell überlieferten Werk Babai’s des Großen (gest. 628), dass jetzt die westsyrische Theologie und Christologie gänzlich prägend geworden sind. Die Trinitätslehre und eine diphysitische Zwei-Naturen-Christologie sind rezipiert. Dennoch aber ist interessant, dass die Einheit Got­tes trotz der ebenso betonten Dreiheit stark hervorgehoben wird: Wie Augustinus94 nimmt Babai für Gott „nur einen göttlichen Willen, eine göttliche Substanz, eine göttliche Natur“ an.95 Vor allem mit dem einen Willen – Sitz auch des Handelns – ist Gott tendenziell sub­jekt­haft und monarchianisch gedacht; anders aber als Augustinus sieht Babai die Inkar­nation nicht als Handeln Gottes, sondern speziell des Logos – eine Unbedachtheit?

Allerdings ist zu beachten, dass trotz aller Rezeption des Diodor von Tarsus und besonders des Theodor von Mopsuestia deren wichtigstes Motiv, mittels eines intersubjektiven Ein­heits­modells sowohl die Differenz von Gott-Logos und Mensch Jesus wie auch deren (existen­tielle) Verbindung herauszustellen, nicht mehr erfasst und auch nicht diskutiert wird. Die tenden­zielle Identifizierung von Gott und Logos tritt zurück gegenüber einer – gemessen an Theodor – unzulässigen Eigenständigkeit des Logos, und die Begründung der christologischen Einheit in der (Erwählung und) Bewährung Jesu wird kaum noch, jedenfalls nicht deutlich oder mit Leidenschaft vertreten.

So ist fortan die syrische Theologie im Grunde von „byzantinischen“ trinitarischen und christologischen Vorstellungen geprägt, wenn diese auch „uncyrillisch“, nach „antiochenischem“ Muster interpretiert wurden. Modell für diese Theo­logie wurde das Werk Ba­bais. So werden die ursprünglichen monarchianischen und bewäh­rungschristologischen Moti­vationen verdeckt durch die Übernahme des fremden Vokabulars; lediglich in der Betonung der Einheit Gottes, trotz trinitarischer Struktur, und der säuberlichen Trennung von Gottheit und Menschsein in Jesus Christus sind noch die Minimalstandards der eigenen ostsyrischen und der antiochenischen Tradition bewahrt. Die syrische Theologie ist seit rund 600, zumindest terminologisch, hellenisiert worden.

3. Die Einflüsse eines syrisch-arabischen Christentums auf den Koran96

3.1 Die syrisch-christliche Prägung des Koran

Für historisch-kritisches Verstehen ist die These nicht nachvollziehbar, die im Koran festzu­stellenden theologischen Anliegen und Motive, die ja durchaus in seinem christlichen Umfeld schon eine lange Tradition haben, seien gewissermaßen neu „erfunden“ worden. Sie sind vielmehr übernommen und in die Korantexte eingegangen, in seine Verkündi­gun­gen, die sich auch ganz bewusst an die „Schrift“, Altes und Neues Testament, anschließen, diese bekräftigen und ihre richtige Interpretation – gegen andere „Leute der Schrift“ – durchset­zen wollen. In weiten Teilen scheint der Koran so etwas wie ein neues, arabisch-christliches Deuteronomium sein zu wollen; wie Mose – der meistgenannte Gewährsmann im Koran – schärft der Verkündiger den Zuhörern die richtige Lehre und die richtigen Verhaltensweisen ein.

Seine Zuhörer/Leser scheinen die Schrift zu kennen; an vielen Stellen verweist der Koran darauf, dass ihnen ihre Aussagen vertraut sind. Er richtet sich an Kenner der biblischen Traditionen, deren „Fehlleitung“ er verhindern oder rückgängig machen will.

Die unterschiedlichen christlichen Richtungen, die es im ostsyrischen Raum gab und die sich, oft schon lange, bekämpften, haben Spuren im Koran hinterlassen. So spiegelt sich in der Ablehnung einer Trinität aus Gott, Jesus und Maria (S. 5,116.117) wohl die Polemik der syrischen Theologie gegen jakobitisch-monophysitische Vorstellungen. Enkratitische Traditionen könnten sich ausgewirkt haben in der koranischen Ablehnung von Weingenuss (S. 5,91; 2,219; gegenteilig: S. 16,67), in rigiden Fastenvorschriften, in den Restriktionen für die Frauen oder auch im radikalen Strafrecht, die Gegnerschaft zu den Juden wird ein Erbe des christlichen Antijudaismus sein usf. Wie weit die Ablehnung des Kreu­zes­todes Jesu, die Behauptung des Scheincharakters der Kreuzigung und einer Entrückung Jesu (S. 3,55; 4,156-159) – trotz seines an anderer Stelle ebenfalls angedeuteten Todes (S. 5,117) oder sogar von Tod und Auferstehung (S. 19, 33) – allein auf gno­stisch-doketische Thesen97 oder zusätzlich noch auf arabische Vorstellungen vom Schutz, den der Auftraggeber (Gott) seinem Beauftragten gewähren muss (vgl. die Straflegenden), oder auf den Beginn der Ausbildung von Ent­rückungsvorstellungen (vgl. S. 3,52-54) – wie in der Schia – zurückgehen, so dass Jesus ent­rückt und jetzt seine Stellvertreter (Mohammed / Ali) seine Rolle übernehmen, müsste dis­ku­tiert werden.

Eine Erlö­sung durch das Kreuz kommt jedenfalls im Koran nicht vor. Ist das eine, eben deshalb, islamische Besonderheit – ein Un­terschied zum Christentum -, wie es vielfach und immer wieder verstanden wurde und wird?98 Ist damit, wie es ja S. 4,156-159, nahe zu legen scheint, das Kreuz als Inbegriff christlicher Erlösung bestritten und somit der Koran ein nicht­christliches, eben islamisches Buch?

Doch muss bedacht werden, dass es im Christentum von Anfang an unterschiedliche sote­riologische Modelle gab: für das hellenistische Christentum z.B. steht die Menschwerdung Gottes im Vordergrund, durch die wir – so der antike Tauschgedanke – selbst vergöttlicht werden99; die Inkarnation ist das zentrale Datum der Erlösung, das Kreuz zeigt allenfalls anschaulich, wie tiefreichend die Menschwerdung Gottes war. Im lateinischen Westen dagegen, und in den europäischen Christentümern bis heute, steht der erlösende Kreuzestod Jesu im Vordergrund, durch den unsere Schuld getilgt wird und wir erlöst bzw. gerechtfertigt werden.100

Anders in der syrischen Bewährungstheologie. Durchaus verwandt mit judenchristlichem Denken steht hier die Nachfolge und die Ethik im Vordergrund.101 Jesus ist der Christus, weil das Wort oder der Geist Gottes mehr auf ihm ruhten als auf Propheten oder Mose, so dass er sich bewährte bis zum Tod am Kreuz (nicht: durch den Tod). Von allen Christen ist gefordert, es ebenso zu tun. Mit anderen Worten: Es ist eine Verkürzung des christlichen Erlösungs­ge­dan­kens, wenn er auf die lateinisch-abendländischen Raster verengt wird. Auch das syrische Christentum war in vollem Umfang Christentum, wenn auch mit anderen soteriologischen Schwerpunkten, und dies gilt somit auch für das koranische Konzept.

Mittlerweile vertreten viele Autoren die Meinung, dass die meisten theologischen Aus­sagen des Koran – zur Gottesvorstellung, zur Christologie und Eschatologie – aus syrisch-christlichen Traditionen kommen. Jesus wurde, wie in der syrischen Theologie, in seiner geschichtlichen Rolle, die er im Auftrag Gottes übernommen hat, wahrgenommen. Schon länger wurde z.B. beobachtet, dass wenigstens die mekkanischen Teile des Koran Grundgedanken äußern, die einer (syrisch-) christlichen Mis­sionspredigt entsprechen: „Diese Grundgedanken erinnern auffallend an das Schema einer alt­christlichen Missionspredigt, wie es sich in der Areopagrede des Paulus im 17. Kapitel der Apostelgeschichte findet. Darum hat Tor Andrae die ansprechende Hypothese aufgestellt, daß Mohammed einmal eine christliche Missionspredigt gehört hat, und daß diese den entschei­denden Anstoß … gab.“102 Hier werden nicht nur einige theologische Aussagen, sondern das Konzept des Kern des Koran auf christliche Modelle zurückgeführt.

Von daher ist anzunehmen, dass auch die Rezeption des Alten Testaments bzw. alttestament­licher Apokryphen und Topoi über die Vermittlung des syrischen Christentums erfolgte, we­niger von jüdischen Gemeinden selbst. Die Aspekte, die einen judenchristlichen Einfluss vermuten lassen könnten, sind alle auch im syrischen Christentum mit seiner großen Nähe zum Alten Testament, seiner Vorliebe für die Gestalt des Mose oder die Propheten usf. zu finden.

Wegen der schroffen Ablehnung trinitarischer Vorstellungen und einer Gottessohnschaft Jesu wird vielfach die Meinung vertreten, die entsprechenden Passagen seien nestorianisch ge­prägt.103 Hierbei wird zum einen übersehen, dass sich zwar nach Ephesus 431 durchaus nesto­rianische Einflüsse im ostsyrischen Raum erkennen lassen, aber in den syrischen theologischen Ausbil­dungsstätten die Schriften des Diodor von Tarsus und vor allem des Theodor von Mopsuestia gelesen, akzeptiert und kommentiert wurden, so dass besser von einer antioche­nischen Theologie zu sprechen wäre. Zum anderen wird nicht beachtet, dass sich nach 600 auch diese Prägung abschwächte, insofern die zentralen trinitarischen und christologischen Termini der griechischen Konzilstradition übernommen und verwandt wurden – eine „Hellenisierung“ auch des ostsyrischen Christentums. Diese wurden zwar nicht, wie in der hellenistischen Theologie, weiter reflektiert und diskutiert, sondern nur tradiert; lediglich in der diphysitischen Interpretation lebte die alte antiochenische Motivation fort. Zum Dritten wird übersehen, dass die antiochenische Theologie eines Diodor, Theodor, auch des Nestorius, weder die Gottesprädikation für den Logos – homo-úsios – noch das Be­kenntnis, dass Jesus Christus Gottes Sohn oder Logos sei, bestreitet; im Gegenteil, sie schreiben meist vom „Gott-Logos“. Sie bestreiten „le­diglich“ eine seinshafte Einheit von Logos und Jesus und legen „nur“ ein anderes Einheits­modell vor: eine Verbindung beider aufgrund von Erwählung und Bewährung (insgesamt: die „Annahme“ Jesu durch Gott) – eine „existen­tielle“ Einheit. Im Koran dagegen wird, anders als in der antiochenischen Theologie, an den meisten Stellen eine binitarische, nur einmal eine trinitarische, Auffassung Gottes und, damit verbunden, das Gottessohnprädikat für Jesus scharf zurückgewiesen. Der Koran ist weder antiochenisch noch nestorianisch, wenn auch von syrischer Theologie geprägt.

3.2 Die vornizenisch-syrische Form der koranischen Theologie

Wie aber lassen sich die angeführten Besonderheiten erklären? Viele Passagen im Koran scheinen eine frühe Form der syrischen Theologie zu repräsentieren. Im Koran ist eine vornizenische syrische Theologie gegeben, die kämpferisch gegenüber der syrischen Theologie des 7. und 8. Jahrhunderts, die der zeitgenössischen „Leute der Schrift“, vertreten wird. Nizäa kommt im Koran nicht vor, allenfalls negativ in den Positionen der Fehlgeleiteten, also der syrischen Theologie des 7. und 8. Jahrhunderts.

Die vornizenische syrische Theologie wurde im Osten noch kurz vor der Mitte des 4. Jahrhun­derts von Aphrahat vertreten, in der ganzen ostsyrischen Kirche, außer in dem damals zu „Rom“ gehörenden Edessa (Ephräm der Syrer), bis zum Jahr 410, in den von den kirchlich-theologischen Zentren abgelegenen Regionen und in der einfachen Bevölkerung wohl noch – mindestens – Jahrzehnte länger.

In dieser „vornizenischen“ syrischen Theologie wurde in der Gottesfrage ein ent­schiedener Monarchianismus vertreten: (Der eine) Gott allein hat die Herrschaft, polemisch im Koran gegen die Entwicklung zur Zeit seiner Entstehung gerichtet: Gott hat keinerlei Teil­ha­ber an der Macht. Dieser vom Macht- oder Herrschaftsgedanken bestimmte unitarische Mono­theismus schließt auch die mittlerweile, (spätestens) im 7. und 8. Jahrhundert auch in Ostsyrien verbreitete Vorstellung einer (physischen) Gottessohnschaft aus.

Die frühe syrische Theologie musste sich, noch vor der im hellenisier­ten Christentum eingetretenen Entwicklung, mit der Paul von Samosata im damals wohl recht hellenisierten Antiochien und die westsyrischen Theologen nach Nizäa konfrontiert wurden, mit „lediglich“ neutestamentlichen Begriffen auseinandersetzen: Jesus ist Sohn Gottes, er ist der inkar­nierte Logos.

„Sohn Gottes“ und „Logos“ wurden im syrischen Christentum vor Nizäa als „Kräfte“ des einen Gottes verstanden – der sog. dynamische Monarchianis­mus; der Logos, die Weisheit, der Geist usf. – die Syrer reihen viele solcher Benennungen hintereinander – heben die Einzigkeit Gottes nicht auf, sie sind er selbst in seinem Handeln und Wirken, keine separaten „Hypostasen“. Insofern finden sich im Koran auch keine aria­nischen Anklänge – anders als Günter Lüling u.a. meinen -, weil der Arianismus den Logos zwar zeitlich und kreatürlich, aber doch als eine eigene „Hypostase“ und den Demiurgen sieht. Die im Koran repräsentierte Theologie ist auch vorarianisch bzw. vom Arianismus nicht be­troffen.

Es gibt einige koranische Stellen, aus denen direkt auf einen dynamischen Monarchia­nis­mus geschlossen werden kann. Ein unvermittelter, d.h. nicht zum Kontext passender Satz in S. 17,85 sagt: „Der Geist ist Logos von meinem Herrn. Aber ihr habt nur wenig Wissen erhalten.“ Ganz im Sinne der vornizenischen syrischen Theologie wird der Geist als Logos erklärt, aber als Logos „von meinem Herrn“ – wie eine Dynamis des Herrn. Genauer ist S. 16,2: „Er läßt die Engel mit dem Geist von seinem Logos herabkommen, auf wen von seinen Dienern er will“; sie sollen den Menschen verkünden, „daß es keinen Gott gibt außer mir“. Hier werden Logos und Geist sowie Engel, die nach der frühjüdischen und ins Christentum übernommene Engellehre104 – Klemens von Alexandrien (gest. vor 215) setzt noch Logos und Engel in eins105 und Origenes (gest. um 250) deutet die beiden Kerubim, also Engel, auf der Bundeslade als Logos und Geist106 – die Handlungen Gottes nach außen repräsentieren, in ihrer Funktion geschildert: die genannten Kräfte Gottes kommen herab zu den Menschen, sie haben die Aufgabe, im Auftrag Gottes zu den Menschen zu sprechen. Wiederum vornizenische syrische Theologie spiegelt S. 40,15: „Er läßt den Geist von seinem Logos kommen, auf wen von seinen Dienern er will.“ Logos und Geist waren die wichtigsten Kräfte, die Gottes Handeln an den Menschen benennen. So heißt es S. 10,3, dass Gott sich nach dem Sechstagewerk auf seinen Thron setzt, „um den Logos zu dirigieren.“ Der Logos scheint – wie in der frühen christlichen Theologie – der wichtigere Begriff zu sein, der Geist ein wenig nachgeordnet, und, wie in der frühen Zeit üblich, werden auch die Engel genannt. In vergleichbarer Weise sagt S. 19,17: „Und wir sandten unseren Geist zu ihr“ (Maria). Logos, Geist und Engel sind „Kräfte“ des einen und selben Gottes.

Diese – und andere – Stellen zeigen, dass sich der vornizenische dynamische Monarchianismus im Koran niedergeschlagen hat und von seinen Redaktoren vertreten wird. Von dieser Basis her kritisiert der Koran spätere Auffassungen, die eine Binität oder Trinität vertreten.

Mit diesem Konzept ist notwendig, so schon in der frühen syrischen Christologie und auch im Koran, eine Absage an eine „physische“ Gottessohnschaft Jesu verbunden. Jesus ist – anders als in dem für den Koran zeitgenössischen syrischen Christentum – nur Mensch. Zwar heißt es S. 3,45: „(Damals) als die Engel sagten: ‚Maria! Gott verkündet dir ein Wort (Logos, Verf.) von sich, dessen Name Jesus Christus, der Sohn der Maria ist.'“ S. 4,171 nennt Jesus Wort Gottes und „Geist von ihm“. Hier aber wird nur – im Sinne der syrischen Christologie – auf die besondere Erwählung und Sendung Jesu hingewiesen (Gottes Logos und Geist ruhten auf ihm), die sich schon in der jung­fräulichen Geburt zeigt und von Jesus in der Evangeliumsverkündigung wahrgenommen wird. Viele Stellen im Koran bekämpfen heftig den Glauben an eine Gottessohnschaft Jesu. Jesus ist (nur) Gesandter Gottes (z.B. S. 5,75).

Darüber hinaus spiegelt sich im Koran auch eine besondere Form ganz früher syrischer Christologie, das Bekenntnis zu Jesus als „Knecht Gottes“, so in S. 72,19, von Rudi Paret fälschlich auf Mohammed bezogen, und S. 19,30 als Selbstaussage des Jesusknaben: „Ich bin der Knecht Gottes“. In diese Linie könnte auch die koranische Ablehnung einer „Annahme“ (oder Adoption) Jesu als „Sohn Gottes“ (vgl. S. 2,116; 10,68; 18,4; 19,88-91; 21,26; 23,91; 72,3)107 einzuordnen sein. In der vornizenischen syrischen Christologie war der Begriff „Sohn Gottes!“ – vgl. hierzu z.B. die Interpretationen Aphrahats – noch nicht so ausschließlich wie später, auch in der syrischen Theologie, ein Hoheitstitel Jesu, so dass es keinen Grund gab, das spätere antiochenische Einheitsmodell einer „Annahme“ (nur Jesus als Sohn) aufzugreifen. Entsprechend dem vornizenischen Status war es noch nicht erforderlich – wie in der späteren westsyrischen Christologie – ein bewäh­rungstheologisches Einheitsmodell zu reflektieren.

Eine Bewährungschristologie kommt insofern zur Sprache, als die Bedeutung Jesu in der Ver­kündigung und dem Vollzug des Willens Gottes liegt; er sagt (S. 3,51): „Gott ist mein und euer Herr. Dienet ihm! Das ist ein gerader Weg.“ Auch wir alle kommen zum Heil aufgrund unserer Bewährung, einer Erfüllung unserer Pflichten (Koran, passim; vgl. S. 3,57): „Denen aber, die glauben und tun, was recht ist, wird er (d.h. Gott) ihren vollen Lohn geben.“

Weitere Aspekte deuten auf eine frühsyrische Prägung hin: Die große Bedeutung des Alten Testaments ist auch im Koran offensichtlich. Manchmal könnte man vermuten, der Verkündi­ger – im Koran meist von Gott mit „du“ angesprochen – sei typologisch Mose (der auch Wai­se, ehemals „auf dem Irrweg“ und bedürftig war, S. 93,6-8); der Begriff Mohammed wird nur vier Mal im Koran, in medinischen Suren, erwähnt, wohl ein Würdename („der Vielgepriesene“), dessen personelle Zuordnung im Koran schwierig ist (Jesus, Mose, der arabische Prophet?). Der Koran, oder, wie H. Busse schreibt, Mohammed „weiß offenbar nichts von der Vierzahl der Evangelien“.108 In Ostsyrien war bis ins 6. Jahrhundert hinein noch das Diatessaron in Gebrauch. Ist der Vorwurf, die Christen hätten die Schrift verfälscht, gegen die Verdrängung des Diatessarons durch die vier Evangelien (in der Peschitta) gerichtet?

3.3 Die Arabisierung eines vornizenischen syrischen Christentums

Dass die vornizenische ostsyrische Theologie im Koran noch im 7. und 8. Jahrhundert zu fin­den ist, zeigt, dass Araber das Christentum schon in früher Zeit angenommen hatten. Offen­sichtlich haben die ursprünglich nomadischen oder halbnomadischen Stämme diese Basis auch später nicht mehr verlassen. Wie der Koran zur Gewissheit macht, haben sie die weitere, nachnizenische Entwicklung des syrischen Christen­tums, das diesem durch die Kontakte zur byzantinischen Theologie – trotz aller Autokephalie – aufgezwungen war, nicht mitgemacht109, obwohl sie bis zur sprachlichen Arabisierung im frü­hen 8. Jahrhundert in ihren Gottesdiensten die syrische Sprache benutzten. Sie blieben bei die­sen Ursprüngen, bei dem Christentum ihrer Anfänge, und haben dessen Anliegen, nachdem sie selbst – nach dem Sieg des Heraklius über die Sassaniden im Jahr 622 – politisch selbständig wurden und zunehmend größere Reiche bilden konnten, beibehalten und kämpferisch gegen die „fehlgeleiteten“ Juden und Christen vertreten; nur ihre eigene Schriftauslegung beruht auf Offenbarung. Von daher ist es plausi­bel, dass der byzantinisch denkende Theologe Johannes Damascenus (gest. 735)110 die „Ismaeliten“, also die sich auf Suren des Prophe­ten Mohammed beziehenden Araber, als christliche Häretiker bezeichnet.111

Die Christianisierung von Arabern im syrischen oder arabischen Raum ist wohl kaum – wie etwa im urbanen Milieu des frühen Christentums – eine Bekehrung Einzelner oder auch vieler Individuen gewesen. Entsprechend der sozialen Struktur haben sich wohl Stammesführer mit ihren Stämmen zu diesem Schritt entschlossen – vergleichbar der Germanenmission. Dabei ist es religionssoziologisch unausweichlich, dass unter der Decke eines für den ganzen Stamm verbindlichen, zunächst also oberflächlichen Christentums auch viele alte arabische, „heid­nische“ Traditionen weiterlebten. Hierfür finden sich viele Beispiele im Koran: der Glaube an Dschinne, Zauberei (vgl. S. 113 und 114), Götter und Göttinnen (z.B. S. 53,19.20), ererbte ge­sellschaftliche Normen (z.B. über das Verhältnis Mann/Frau oder rechtliche Regelungen [z.B. das ius talionis]), Er­zählungen aus der Heimat wie z.B. in einem Teil der Straflegenden oder von einem be­merkenswerten weiblichen Kamel112 oder auch Erinnerungen an wichtige Orte wie Mekka oder Jathrib.

Auch scheinen die ursprünglich nomadischen und halbnomadischen Stämme ein Christentum ohne nennenswerten Klerus – dies würde auf einen sehr frühen Zeitpunkt der Christianisierung hindeuten -, das Christentum also als „Laienreligion“ praktiziert zu haben; lediglich das Mönchtum hat Spuren im Koran hinterlassen. Von diesem Umstand her kann die grundsätzlich „volkstümliche“ Kommemoration und Bearbeitung biblischer und apokrypher Stoffe im Koran verstehbar werden; „Fachleute“ waren hier nicht am Werk.113 Wenn die Araber Gottesdienste besuchten, dann wohl bei ethnisch syrischen Priestern. Von diesen Zusammenhängen her erklärt sich vielleicht auch die Abflachung der syrischen Bewährungstheologie zu einer Lohn-Leistungs-Ethik, wie dies auch im Volksglauben christlicher Kirchen bis heute festgestellt werden kann.

Die wichtigste Beobachtung am Koran aber kann die besondere Eigentümlichkeit der Rezep­tion des syrischen Christentums deutlich machen: Offensichtlich brachten diese Stämme ein sehr starkes Denken in rechtlichen Strukturen (Herrschaft und Gehorsam, Legitimation von Autorität) oder vertraglichen Regelungen mit ins Christentum ein. Hierdurch wurde die be­achtliche inhaltlich-humane und oft grundstürzende Reflexion der biblischen wie der syrisch-theologischen Traditionen auf formale und strukturelle Ordnungsschemata zurückgenommen. Das Verhältnis zu Allah wird als Din aufgefasst, als Vertrag114, in Übereinstimmung mit der Schrift (Islam). Das so aufgefasste Konzept wird im 7. und 8. Jahrhundert, wie der Koran zeigt, als die Rechtleitung den anderen Varianten von Judentum und Christentum polemisch entgegengesetzt. Insofern ist das (nicht-monophysitische) arabische Christentum, für das der (späte) Koran faktisch die einzige Quelle darstellt, zwar grundlegend von Rastern und Aussagen des vornizenischen syrischen Christentums geprägt, verrät aber doch eine ganz eigene, eben arabische, auf Struk­turen und Rechtliches ausgerichtete Gestalt. Diese wird dann als Stammes-, bald Reichs­ideologie der immer weiter ausgreifenden arabischen Herrschaft zugrundegelegt.

3.4 Spätere Zufügungen

In den Koran scheinen auch später Passagen eingeflossen zu sein, die ganz deutlich nicht mehr einem frühsyrisch-arabischen Christentum entsprechen, sondern schon Ansätze einer neuen, anderen Religion – des Islam – spiegeln. Texte dieser Art sind nicht sehr zahlreich, aber dennoch vorhanden – und wirkgeschichtlich von großer Bedeutung. Es wäre denkbar, dass sie dem Ende des 8. oder dem frühen 9. Jahrhundert, der Zeit al-Mamuns oder kurz vorher, zugerechnet werden müssen.

Eine empirische Antwort auf diese Frage ist schwierig, weil die älteste erhaltene und datierbare Ganzschrift aus dem späteren 9. Jahrhundert stammt und die früheren – meist fragmentarischen Versionen – nicht zureichend publiziert und erst recht nicht textkritisch untersucht sind (Hat man sie überhaupt als Fragmente anzusehen?). Deswegen bleiben hier Fragen offen, die erst in Zukunft beantwortet werden können. So gibt es z.Zt. nur den Rekurs auf geistes-, kultur- und religionsgeschichtliche Überlegungen. Diese aber machen die Annahme zwingend, dass spätere Zufügungen vorgenommen wurden.

1 Vgl. den Beitrag von Volker Popp in diesem Sammelband.

2 Eine detaillierte Untersuchung der damaligen Literatur würde den Rahmen dieser Studie sprengen. Es soll nur darauf hingewiesen werden, dass das syrische Christentum gerade im 8. Jahrhundert unter arabischer Herrschaft eine Blüte erlebte; viele Klöster und Kirchen wurden gebaut, die Mission griff nach China aus. Viel Schrifttum ist erhalten: Chroniken, Heiligenviten, Klosterlegenden, theologische Schriften. Auffallend ist, dass in dieser Literatur der Islam nicht vorkommt, außer bei Johannes Damascenus, der von der christlichen Häresie der Ismaeliten spricht und einige Suren kennt. Bedacht werden muss, dass die Erwähnung von Sarazenen nicht schon von selbst auf den Islam hindeutet. Ist es denkbar, dass die christliche Bevölkerung einer islamischen Herrschaft unterworfen war, ohne dass sich dies irgendwo literarisch niederschlägt? Auch eine kürzlich erschienene Dissertation von Simone Rosenkranz (Die jüdisch-christliche Auseinandersetzung unter islamischer Herrschaft. 7.-10. Jahrhundert [Judaica et Christiana, Bd. 21], Bern, Berlin, Bruxelles u.a., 2004) führt keine Quelle vor dem Beginn des 9. Jahrhunderts an, in der in der jüdisch-christlichen Auseinandersetzung der Islam erwähnt wird; danach ändert sich das Bild.

3 Dietmar W. Winkler, Ostsyrisches Christentum. Untersuchungen zur Christologie, Ekklesiologie und zu den ökumenischen Beziehungen der Assyrischen Kirche des Ostens (Studien zur Orientalischen Kirchengeschichte, Bd. 26), Münster 2003, 19.

4 Vgl. W. Stewart McCullough, A Short History of Syriac Christianity to the Rise of Islam (Map of the Sassanian Empire reprinted from the Cambridge Ancient History, Vol. XII), Chico (USA) 1982, 34.

5 Vgl. Dietmar W. Winkler, The age of the Sassanians: until 651, in: Wilhelm Baum/D.W. Winkler, The Church of the East. An concise history, London, New York 2000, 8.9.

6 Vgl. hierzu D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 9.

7 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 19.

8 Henri Charles S.J., Le Christianisme des Arabes nomades sur le Limes et dans le Désert syro-mésopotamien aux Alentoures de d’Hégire, Paris 1936, 55-61.

9 Die Christianisierung arabischer Stämme ist noch nicht zureichend erforscht. Es schält sich aber immer deutlicher die Erkenntnis heraus, dass schon in „vorislamischer“ Zeit viele arabische Stämme in Arabien selbst und mehr noch in Mesopotamien bis hin im Westen nach Palmyra christianisiert waren; trotz ihrer arabischen Umgangssprache feierten sie die syrische Liturgie. Vgl. z.B. J. Spencer Trimingham, Christianity Among the Arabs in Pre-Islamic Times, New York 1979.

10 Vgl. W. St. McCullough, a.a.O. 26.

11 Vgl. hierzu vom Verf., Religion in der Geschichte der Menschheit. Die Entwicklung des religiösen Bewusst­seins, Darmstadt 2002, 216-224 (dort weitere Literatur); Ulrike Stölting, Die Gnosis. Herausforderung des Christentums, in: Imprimatur 38, 2005, 11-14, 61-64.

12 Vgl. hierzu A.F.J. Klijn, Edessa, die Stadt des Apostels Thomas. Das älteste Christentum in Syrien, Neukirchen-Vluyn 1965, 10.

13 Vgl. Wolfgang Hage, Syriac Christianity in the East (Moran ‚Ethno‘ Series, 1), Baker Hill, Kottayam 1988, 7.

14 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 26.

15 Howard Crosby Butler, Early Churches in Syria. Fourth to seventh centuries (Princeton monographs in art and archaeology), Princeton 1929, 3.

16 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 35.

17 D.W. Winkler, ebd.

18 W. Hage, Syriac Christianity, a.a.O. 8.

19 W. Hage, ebd. 11.

20 Seely J. Beggiani, Early Syriac Theology. With Special Reference to the Maronite Tradition, Lanham, New York, London 1983, S. Xiii.

21 D.W. Winkler, The age of the Sassanians, a.a.O. 29.

22 D.W. Winkler, The age of the Sassanians, a.a.O. 30: „The teachings of Nestorius seem to have not significance for the official Church.“

23 W. St. McCullough, A Short History of Syriac Christianity, a.a.O. 151.

24 D.W. Winkler, The age of the Sassanians, a.a.O. 39.

25 S. Rosenkranz, Die jüdisch-christlichen Auseinandersetzung unter islamischer Herrschaft, a.a.O. 47.

26 Vgl. S. Rosenkranz, ebd. 48.

27 Wilhelm Baum, in: W. Baum/D.W. Winkler, The Church of the East, a.a.O. 44.

28 W. Baum, ebd. 65.

29 Vgl. hierzu ausführlicher vom Verf., Fundamentalchristologie. Im Spannungsfeld von Christentum und Kultur, München 1986, vor allem: 198-229; die im Folgenden in deutscher Sprache zitierten Texte stammen aus: Christologie I. Von den Anfängen bis zur Spätantike (Texte zur Theologie. Dogmatik 4,1; zitiert: TzT 4,1), bearbeitet von K.-H. Ohlig, Graz, Wien, Köln 1989; dort sind die Originalbelege angegeben.

30 Vgl. Röm 6,2.

31 Piet Smulders, Dogmengeschichte und lehramtliche Entfaltung der Christologie, in: Mysterium Salutis, hrsg. von J. Feiner und M. Löhrer, III, 1: Das Christusereignis, Einsiedeln, Zürich, Köln 1970, 402 (ganz: 389-476).

32 P. Smulders, ebd. 403.

33 Didache 10,2 (ed. Andreas Lindemann, Henning Paulsen, Die Apostolischen Väter: griechisch-deutsche Parallelausgabe, Tübingen 1992, 15).

34 Martyrium des Polykarp 14,1 (ed. Lindemann/Paulsen, ebd. 275).

35 Nach A.F.J. Klijn, Edessa, die Stadt des Apostels Thomas, a.a.O. 96, war das Diatessaron für das syrische Christentum sehr wichtig, weil „die Worte Jesu in Syrien vor Tatian nur mündlich überliefert wurden.“

36 Rede an die Hellenen 5,1 (deutsch: TzT 4,1, Nr. 59).

37 Ebd. (deutsch: ebd.).

38 Ebd. 21,1 (deutsch: ebd.).

39 Ebd. 5,6.

40 Ebd. 13.

41 P. Dilhofer, Theophilus von Antiochien, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, hrsg. von S. Döpp und W. Geerlings, Freiburg, Basel, Wien 1998, 603 (ganz: 602-608).

42 Ad Autolycum II, 22 (deutsch: TzT 4,1, Nr. 60).

43 Ebd. II, 15.

44 Z.B. ebd. III, 14.

45 Ebd. II, 27.

46 Ebd. II, 9 (deutsch: ThT 4,1, Nr. 60).

47 Er behauptet, „zwei Götter würden verkündet, wenn der Sohn Gottes als Gott gepredigt werde“ (aus dem Hymenäusbrief 3, deutsch: TzT 4,1, Nr. 97).

48 Offensichtlich hätte für den Syrer die Vorstellung des handelnden Gottes zugereicht. Aber er musste sich auch mit (hellenistischen) Rastern aus dem Neuen Testament auseinandersetzen (Präexistenzchristologie im Philipperhymnus, Logoslehre im Johannes-Prolog und Schöpfungsmittlerschaft in Deuteropaulinen).

49 Fragmente aus dem Synodalbrief um 268 (die Frage der Echtheit ist nicht endgültig geklärt) 3b (deutsch: TzT 4,1, Nr. 88).

50 Ebd. 5 (deutsch: ebd.).

51 Ebd. 4 (deutsch: ebd.).

52 Ebd. 4 (deutsch: ebd.).

53 Ebd. 5 (deutsch: ebd.).

54 Ebd. (deutsch: ebd.).

55 Ebd. 13 (deutsch: ebd.).

56 Karl Baus, Von der Urgemeinde zur frühchristlichen Großkirche (Handbuch der Kirchengeschichte, hrsg. von Hubert Jedin, Bd. 1), Freiburg, Basel, Wien 31965, 293.294.

57 PG 26, 1887, 11-526.

58 T. Böhm, Arius, in: Lexikon der altchristlichen Literatur, a.a.O. 52 (= ganz). Als sachlichen Hauptgrund gibt er an, dass der Logos in den echten Dokumenten zwar ein „vollendetes Geschöpf“, aber „vor den Äonen gewor­den“ ist, gemäß der Thaleia aber „in der Zeit entstanden“ sei. Dies überzeugt allerdings nicht; er ist, ent­spre­chend der Logoslehre seit den Apologeten, „im Anfang“ geworden – zwar „vor den Äonen“, aber dennoch zeit­lich – und hat dann die Schöpfung bewirkt.

59 Origenes von Alexandrien (gest. 253/254) hatte, wie später Arius, an dieser seit dem 2. Jh. überlieferten Vorstellung von einem zeitlichen Anfang des Logos ebenfalls Anstoß genommen – wenn der Logos zeitlich ist, kann er nicht göttlich sein. Weil er aber wirklich Gott sein musste, verlegte er, anders als Arius, die Zeugung des Sohnes bzw. den Hervorgang des Logos in die Ewigkeit Gottes und formulierte erstmals die sog. immanente Trinitätslehre. Innerhalb Gottes haben Vater, Sohn und Geist eine unterschiedliche Seinsfülle – ein (innergöttlicher) Subordinatianismus; vgl. hierzu vom Verf., Ein Gott in drei Personen? Vom Vater Jesu zum »Mysterium« der Trinität, Mainz, Luzern 11999, 22000, 60-62.

60 Athanasius zitiert aus der Thaleia des Arius: „Denn deshalb, sagt er (Arius), hat auch Gott, da er voraussah, daß es (das Wort) gut sein werde, zum voraus ihm diese Herrlichkeit gegeben, die es als Mensch hernach auch durch seine Tugend erlangte, so daß es Gott wegen seiner Werke, die er vorhersah, schon in solchem Zustand entstanden sein ließ“ (TzT 4,1, Nr. 91).

61 Vgl. zum Folgenden differenzierter: Verf., Fundamentalchristologie, a.a.O. 210-229.

62 In syrischen Fragmenten (deutsch vgl. TzT 4,1, Nr. 108-110).

63 Ebd.,(deutsch: vgl. ebd. 111).

64 Ebd. (deutsch: vgl. ebd. 112).

65 Griech. Fragment aus De incarnatione (deutsch: TzT 4,1, Nr. 11).

66 Ebd. (deutsch: ebd.).

67 Ebd. (deutsch: ebd. Nr. 118).

68 Fragment aus De incarnatione (deutsch: ebd. Nr. 120).

69 Vgl. hierzu Textbelege in TzT 4,1, Nr. 124-127.

70 Vgl. hierzu vom Verf., Fundamentalchristologie, a.a.O. 270-291.

71 Vgl. hierzu vor allem D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O.

72 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 44.

73 Vgl. hierzu S.J. Beggiani, Early Syriac Theology, a.a.O. 16.17.

74 Peter Bruns, Das Christusbild Aphrahats des Persischen Weisen (Hereditas 4), Bonn 1990.

75 P. Bruns, Das Christusbild Aphrahats, ebd. 66.

76 Aphrahatis Sapientis Persae Demonstrationes Nr. 17. Deutsch in: Aphrahat, Unterweisungen, aus dem Syri­schen übersetzt und eingeleitet von Peter Bruns (Fontes Christiani Bd. 5,1 [Unterw. 1-10] und 5,2 [11-23]), Frei­burg, Basel, Wien u.a. 1991.

77 Aphrahat, Darlegung 17, Nr. 3.4 (deutsch: Fontes Christiani 5,2, 419.420).

78 Aphrahat, ebd. Nr. 5 (deutsch: ebd. 420).

79 P. Bruns, Das Christusbild des Aphrahat, a.a.O. 139.

80 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 47.

81 D.W. Winkler, ebd.

82 Dieses Bekleidungsschema spielt auch in der westsyrischen Christologie eine Rolle; vgl. hierzu vom Verf., Fundamentalchristologie, a.a.O. 217-219 (von mir damals fälschlich als hellenistische Vorstellung gedeutet).

83 Aphrahat, Darlegungen 6, Nr. 9.10 (deutsch: Fontes Christiani 5,1, 197.198).

84 Aphrahat, ebd. Nr. 10 (deutsch: Fontes Christiani 5,1, 198.199).

85 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 49.

86 Peter Bruns, Ephraem der Syrer, in: Lexikon der antiken christlichen Literatur, a.a.O. 194 (ganz: 191-194).

87 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 55.

88 H.C. Butler, Early Churches in Syria, a.a.O. 51.

89 Friedrich Heiler, Die Ostkirchen (aus dem Nachlass hrsg.), München, Basel 1971, 303, stellt die Ausführungen über die ostsyrische Kirche unter die Überschrift: „Die Ostsyrische (nestorianische) Kirche.“

90 So auch D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 42.43.80.

91 So z.B. vom syrischen Narsai (gest. 502), der aber dem Hl. Geist die Fähigkeit zur Gotteserkenntnis absprach, vgl. hierzu S.J. Beggiani, Early Syriac Christianity, a.a.O. 5.6.

92 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 69.

93 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, ebd. 77.

94 Vgl. hierzu vom Verf., Ein Gott in drei Personen?, a.a.O. 86-95.

95 D.W. Winkler, Ostsyrisches Christentum, a.a.O. 91.

96 Deutsche Koranzitate im Folgenden nach: Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1979.

97 Hierbei ist zu beachten, dass der Koran keinerlei doketische Konzeptionen oder Interessen besitzt. Die Aussage, dass Jesus nur scheinbar gekreuzigt worden ist, ist, wie auch sonst in der syrischen Theologie, nur bildhaft oder positivistisch zu sehen – eine Vorstellung der religiösen Tradition, die unreflektiert übernommen wird.

98 Selbst z.B. Joseph Henninger, Die Kirche des Ostens und die Geburt des Islam, in: Islam und Abendland. Be­geg­nung zweier Welten. Eine Vortragsfolge, hrsg. von Muhammad Asad und Hans Zbinden, Olten und Freiburg i.Br. 1960, 52 (ganz: 32-52) meint, dass wegen des Fehlens bzw. der Bestreitung der Erlöserschaft Jesu durch das Kreuz „von Anfang an eine unüberbrückbare Kluft zwischen Christentum und Islam“ bestand. Neuerlich z.B. in dem theologie- und islamgeschichtlich nicht sehr informierten Buch des verdienten Exegeten Joachim Gnilka, Bibel und Koran. Was sie verbindet, was sie trennt, Freiburg, Basel, Wien 42004, besonders 178-185.

99 Vgl. vom Verf., Fundamentalchristologie, a.a.O., Teil II, 135-302.

100 Vgl. vom Verf., ebd. Teil III, 343-512.

101 So auch schon im Matthäusevangelium, in dem die Heilsbedeutung des Kreuzes lediglich im Zitat des Abendmahlsberichtes vorkommt.

102 J. Henninger, a.a.O. 49.50.

103 Vgl. z.B. Claus Schedl, Muhammad und Jesus. Die christologisch relevanten Texte des Korans neu übersetzt und erklärt von Claus Schedl, Wien, Freiburg, Basel 1978, 562-566; G. Quispel, Makarius, das Thomasevange­lium und das Lied von der Perle. Supplement to Novum Testamentum 1967, 118, u.a.

104 Vgl. Verf., Ein Gott in drei Personen?, a.a.O. 24.25; 41.42.

105 Klemens von Alexandrien, Paidagogos (um 203) I 59, 1.

106 Origenes, Kommentar zum Römerbrief, zu Röm 3,25.

107 Vgl. hierzu Verf., Weltreligion Islam, a.a.O. 85.86.

108 Heribert Busse, Die theologischen Beziehungen des Islams zu Judentum und Christentum. Grundlagen des Dialogs im Koran und die gegenwärtige Diskussion (Grundzüge, Bd. 72, Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt 1988, 116; vgl. 116-140.

109 Das gilt nicht für die vor allem im westsyrischen Raum konzentrierten monophysitischen Ghassaniden. Deswegen ist die Theologie des Koran von ostsyrischen, vor allem südirakischen Arabern getragen.

110 Vgl. hierzu o. den Beitrag von Alfred-Louis de Prémare.

111 Johannes Damascenus spricht davon, dass die Ismaeliten einen Stein verehren (Über die Häresien, Liber de haeresibus opera polemica, in: Die Schriften des Johannes von Damaskus, Bd. IV, hrsg. von Bonifatius Kolter (PTS 22), Berlin, New York 1981, haer. 100 (ganz: 60-67), 64, Z. 87-94). Auf eine exakte Diskussion soll hier verzichtet werden. Nur soviel: Die gängige Interpretation, dass Johannes hier von der Verehrung des schwarzen Steins in der Kaaba spricht, ist wohl unzutreffend. Theodor Abû Qurra (gest. 820/825) war 795-812 Bischof von Harrân im Irak. In einem Traktat über die Bilderverehrung (nach 799) wirft er den Juden vor, „tote Gegenstände wie etwa den Stein auf dem Jerusalemer Tempelberg (even shetîya)“ zu verehren (S. Rosenkranz, Die jüdisch-christliche Auseinandersetzung unter islamischer Herrschaft, a.a.O. 75). Gibt es hier eine Verwechslung? Jeden­falls zeigen die Münzfunde aus dem 8. Jahrhundert, dass arabisch-christliche Herrscher ein Steinsymbol auf ihre Münzen prägen ließen; vgl. hierzu den Beitrag von Volker Popp.

112 Im Koran selbst erscheint dieses weibliche Kamel an verschiedenen Stellen, ohne näher erklärt zu werden. Johannes von Damaskus jedoch meinte, Erzählungen über dieses Kamel – er geht auf Details ein – seien in einer Sure (grafé) zu finden (haer. 100 [a.a.O. 64-66; grafé 65, Z. 114]). Diese arabischen Erzählungen von einem weiblichen Kamel und seinem – ebenfalls weiblichen – Jungen sind, ausführliche als bei Johannes Damascenus, nachzulesen bei A. Sprenger, Das Leben und die Lehre des Mohammad nach bisher grösstentheils unbenutzten Quellen, Erster Band, Berlin 21869, 518-525.

113 Vgl. hierzu Verf., Weltreligion Islam, a.a.O. 91.

114 Die Übersetzung von Din mit „Religion“ ist schon deshalb falsch, weil der zusammenfassende Begriff Reli­gion erst im Gefolge der europäischen Aufklärung und vor allem im 19. Jahrhundert entwickelt wurde. Richtiger muss darunter Vertrag, Vertragsverhältnis o.ä. verstanden werden.