Einige Bemerkungen aus der Sicht der Kunde vom Christlichen Orient
Piotr O. Scholz
1. Prolog
Schon vor Jahren, als ich eine Lehrtätigkeit an der Universität Bonn im Rahmen der Wissenschaft vom christlichen Orient ausübte (1985-1997), verfolgte ich intensiv die Situation des Christentums in der islamischen Welt, aber auch die Einstellung des Islam gegenüber der abendländischen Wissenschaft und Gesellschaft. Es waren im Rahmen der Orientalistik, die grundsätzlich alle orientalischen Sprachen und Religionen in Forschung und Lehre zu vertreten hat, immer stärker werdende Tendenzen zu beobachten, die eindeutig für eine Bevorzugung der Islamwissenschaften sprachen. Heute sind diese Tendenzen zur Realität geworden.
Die wissenschaftliche und die populäre Literatur bemühte sich, Schwerpunkte zu setzen, um einerseits beachtenswerte Thesen zu verdammen, so beispielhaft die von Samuel P. Huntington [1927-2008][1], andererseits die mehr als fragliche des eindeutig marxistisch orientierten Palestinensers und Literaturwissenschaftlers Edward W. Said [1935-2003][2] hochzuloben. Sie sind schließlich zum Gegenstand fast alltäglicher Auseinandersetzungen geworden, die man in der aktuellen Presse (falls das zeitlich aufgrund von deren Vielzahl noch möglich ist) dauerhaft verfolgen kann. Die sozial politische Dimension dieser Kontroverse wirkte sich auch auf die Wissenschaft aus und macht die Diskussion immer schwieriger, weil die Realitäten allzu oft von ideologisch-politischen Ansichten vernebelt werden.
Heute überstürzen sich Ereignisse und Publikationen, die uns alle herausfordern. Ob es sich dabei um neue „politisch korrekte“ Koranübersetzungen[3], oder um neue Sichtweisen[4] handelt. Immer steht man vor der Frage nach der Wertung und nach einer Symmetrie in den wissenschaftlichen Betrachtungen, die heute immer häufiger unter dem Druck der Aktualität stehen (deshalb auch die Notwendigkeit, einige der Presseberichte zu berücksichtigen)[5].
Deshalb könnte ein Blick zurück lehrreich sein, der deutlich machen kann, dass vieles, was schon lange erkennbar war, nun in der Versenkung verbleibt bzw. verdrängt und zurückgehalten wird. Das schlägt sich immer häufiger in einer subjektiven und problematischen Darstellungsweise der Sachverhalte nieder. Man musste dabei auch immer häufiger feststellen, dass man mit verwirrenden und sogar falschen Darstellungen konfrontiert worden ist. Am 21. April 1995 schrieb ich deshalb an die Herausgeber der FAZ (vgl. Anlage) also an ein angeblich unabhängiges Blatt – ohne jedoch allzu große Hoffnung auf eine Veröffentlichung zu haben, die dann auch nicht erfolgte. Diese Tatsache wirft ein Licht auf die Situation, in der Desinformation ihre Triumphe feiern kann. In der Universitätswirklichkeit ist es auch nicht viel besser geworden. Die Disziplinen, die den Islam und religiöse Auseinandersetzungen zum Gegenstand hatten, wie die Kunde vom christlichen Orient (= KCO) bzw. Religionswissenschaften (= Rw), werden heute, falls sie überhaupt noch vorhanden sind, nicht mehr in ihrem ursprünglich gedachten Rahmen wirken können.
Für die Festschrift für Peter Nagel, Nachfolger (seit 1993) von Caspar Detlef Gustav Müller (1927-2003) am Lehrstuhl für Wissenschaft vom christlichen Orient an der Universität Bonn, den er bis 2003 inne hatte, schrieb ich einen Beitrag[6], der sich auf die Situation einer Wissenschaft bezog, die im Verschwinden begriffen war. Dann wurde die traditionsreiche KCO aus dem Studienprogramm der Universität Bonn gestrichen, nachdem in dem gleichen Bundesland an der Universität Münster iWstf. eine neue Disziplin „Islamische Religionspädagogik“, vertreten von Prof. Muhammad Sven Kalisch entstanden war. Inzwischen ist Prof. Kalisch[7] wegen seiner Zweifel an der Historizität Mohammads[8] die Lehrerlaubnis für dieses Fach entzogen worden[9]. Gleichzeitig ist für die Ausbildung künftiger Lehrer der Islamkunde an deutschen Schulen „Islamische Theologie“[10] als Universitätsdisziplin ins Leben gerufen worden. Über diese aktuelle Problematik wird im Laufe dieser Ausführungen noch zu sprechen sein.
Während meiner Universitätstätigkeit wuchs diese Thematik zu einem Schwerpunkt in meiner wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Orient. Auf Einladung von Prof. Andrzej Zaborski (Krakau) versuchte ich bei der Sitzung der PAU (=Polnische Akademie der Wissenschaften) in Krakau am 19.04.2005 in dem Vortrag: „Islamistik und andere Orientwissenschaften – ein offener Diskurs“ die Antwort auf die Frage: Warum reichen Islam- und Politikwissenschaft(en) nicht aus, um die Gegenwartsprobleme des Nahen Osten zu klären. Zur Lage einer „vergessenen“ Wissenschaft, der „Kunde vom christlichen Orient“ zu geben [das gewünschte Resümee wurde bis dato aus mir unbekannten Gründen in den Akademie-Berichten noch nicht veröffentlicht].
Am 16.01.2009 sprach ich bei der III. Tübinger Tagung: „Christlicher Orient zwischen Judentum und Islam“ über Die gleichwertige Stellung der KCO gegenüber der Judaistik, Jiddistik und Islamwissenschaften. Am 29. Sept. 2009 behandelte ich die Probleme auch in meinem Beitrag: ‚Oriens christianus’ als Brücke zwischen Orient und Okzident bei der alljährlichen Tagung der Görres Gesellschaft in Salzburg[11]. Am 11. Nov. 2009 erläuterte ich sie in der Alexander-Böhlig Vorlesung: Kunde vom christlichen Orient im Gefüge der Orientalistik an der Martin Luther Universität zu Halle-Wittenberg.
Der hier nunmehr vorliegende Beitrag möchte in Form und Umfang versuchen, einige inzwischen neu aufgekommene Aspekte zu untersuchen. Diese drängen sich mittlerweile in erschreckender und atemberaubender Weise in die öffentliche Wahrnehmung, nicht nur im Zusammenhang mit der Debatte um die Thesen von Thilo Sarrazin, sondern sogar auch um den West-östlichen Divan von J.W. v. Goethe[12]. Des weiteren sind hier unbedingt Nachrichten zu erwähnen, die allzu gerne nur beiläufig und am Rande vermerkt werden: So entschloss man sich z.B. erst 9 Jahre (!) nach dem 11. September das islamische Kulturzentrum in Hamburg, aus dem die Attentäter kamen, zu schliessen[13]. Über die Christenmorde und -verfolgung in der islamischen Welt (Nigeria, Irak, Ägypten; vgl. Pressemitteilungen in den ersten Januartagen 2011) sprach man nur kurz, besonders nachdem die Arabische Liga dies als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der islamischen Länder verurteilt hat! (dpa Kairo 19.01./FAZ v.20.01. 2011).
Die vorgenommene Darstellung der Situation um die Erforschung des Orients kann in keiner Weise als abgeschlossen gelten. Es handelt sich vorläufig nur um einen weiteren Beitrag zu der andauernden und notwendigen Diskussion[14], dieses Mal von einem Vertreter der bedrohten KCO, die mit Bedacht in dem vorliegenden Sammelband der interdisziplinären Forschergruppe Inârah erscheint.
2. Die verschiedenen Disziplinen der Orientalistik
1973, auf dem letzten großen Orientalisten-Kongress in Paris, 100 Jahre nach seiner Gründung, kam es zur Zerstückelung der traditionsreichen Orientalistik, aus der man – um angeblich der gegenwärtigen Situation des Nahen Ostens gerechter zu werden – u.a. auch eine Islamwissenschaft[15] verselbstständigt hat.
Führende Vertreter, besonders in der deutschen Arabistik, setzen inzwischen Orientalistik mit Islamwissenschaft gleich, was zu neuen Benennungen von Universitätseinrichtungen, an denen Semitistik und Arabistik gelehrt wird, geführt hat. Andere Meinungen über Charakter, Umfang und Tradition der Orientalistik werden wie Relikte einer vergangenen überholten Zeit, verdrängt und nicht mehr für relevant gehalten[16]. Damit war, aus der Zeitperspektive gesehen, die so eingeleitete Umstrukturierung der Orientalistik zu einer Einbahnstraße geworden, in dem jede – angeblich von allen gewünschte – Pluralität der Geisteswissenschaften verloren gegangen ist. Die so beschworene Situation in der Erforschung des Orients hat die Orientalistik mittlerweile zum Schlusslicht des Humbodt’schen Wissenschaftsverständnisses[17] gemacht, nicht zuletzt befördert durch die Verschulung und Verkürzung durch die „Bologna-Reform“ und die politsch gewollte Aufwertung des Islam als Lehrgegenstand, der den bisherigen Universitätstheologien gleichgestellt sein soll.
Namen wie Friedrich Rückert (1788-1866), Theodor Nöldeke (1836-1930), Julius Wellhausen (1844-1918), Carl Brockelmann (1868-1956), Enno Littmann (1875-1958) u.v.a. werden, wenn überhaupt, so nur aufgrund ihrer Leistungen in der Arabistik, die immer noch unbestrittene Bedeutung für die Islamwissenschaft(en) hat bzw. haben muss, genannt[18]. Wenige scheinen sich zu erinnern, dass für hervorragende Orientalisten bis vor nicht allzu langer Zeit Arabisch nur eine von vielen orientalischen Sprachen war, die es zu beherrschen und zu lehren galt. Wer weiß unter den sog. Islamwissenschaftlern noch, dass Friedrich Rückert neben der sehr poetischen (so Julius Wellhausen, 1889) Quran-Übersetzung auch nicht minder gute der Veden, Upanischaden („Die Weisheit der Brahmanen) sowie eine kongeniale Nachdichtung des Versepos Gitagovinda lieferte[19].
Die Befürworter der Islamwissenschaft(en) geben offen zu, dass bei einem so umfangreich etablierten Fach – das nur interdisziplinär betrieben werden kann – auch Teildisziplinen berücksichtigt werden müssen, wie z.B. Iranistik[20] mit Kurdologie, Turkologie (in der man mittlerweile zwischen den Zentralasienstudien und Osmanistik unterscheidet)[21], Indologie (mit Schwerpunkt Urdu als Sprache der Muslime in Pakistan und Indien)[22], ostafrikanische Studien (die Sprachen Oromo [23]und Swahili[24]), die Sudanforschung (nicht nur auf die heutigen Staaten Sudan und Süd-Sudan beschränkt, sondern auch auf die Länder des bilād as-Sudān / „Land der Schwarzen“ angewandt)[25], unabhängig von den allgemeinen und methodischen Ansätzen einer Soziologie, Philosophie und Linguistik, um dem Anspruch einer europäisch legitimierten Wissenschaft über die islamische Welt gerecht zu werden. Auch einige der verwandten Geisteswissenschaften, wie z.B. die Judaistik[26] und Kunstgeschichte stehen im Dialog mit der Islamwissenschaft, besonders letztere gewann an Bedeutung, indem sie als „Islamische Kunstgeschichte und Archäologie an der Universität Bamberg“ repräsentiert ist[27]. Ihr Gegenstand ist zwar die Ikonizität in der islamischen Welt, die man jedoch mit der sog. islamischen Kunst gleichsetzt, ohne deutlich zu machen, dass es sich in keiner Weise nur um die Kunst für die Muslime und von den Muslimen handeln kann[28]. Paradoxerweise bleibt die KCO – die zweifelsohne auch interdisziplinär gesehen werden kann – außer Acht, weil man dann ständig einen „Trialog“ berücksichtigen müsste: auf der einen Seite die Muslime, auf der anderen die Christen, die in der Zeit der Eroberung noch in der Mehrheit waren, und schliesslich die Juden und weitere Minderheiten, die das Dreieck bildeten.
Inzwischen ist das Studium der islamischen Theologie, was man damals nicht einmal ahnte (das wäre für alle damaligen Orientalisten, ganz gleich welcher Provenienz, auch undenkbar gewesen) zur universitären Wirklichkeit geworden, obwohl sie eigentlich immer diskursiver Gegenstand der Religionswissenschaft gewesen war[29]. Ob mit Recht ein einseitig orientierter unkritischer „Studiengang“ einen Platz an den postaufklärerischen Universitäten einnehmen kann, läßt sich m.E. mit einem NEIN beantworten. Warum, das soll im Laufe der Ausführungen klar werden. Vorweg ist festzuhalten, dass die an den deutschen Universitäten existierende Theologie – sowohl evangelische als auch katholische – meilenweit von der von Muslimen praktizierten (Kalam), die keine Bid‘a (=Neuerung, in der sunna fast der Häresie gleich) akzeptiert, entfernt ist.[30]
Gudrun Krämer lieferte seinerzeit ein Porträt der Orientalistik und ignorierte dabei die Existenz der KCO völlig[31], anscheinend nach dem Vorbild des inzwischen oft kritisch gesehenen, berühmten Tübinger Islamkundlers Rudi Paret (1901-1983), der den Begründer der modernen KCO in Deutschland (seit 1921 in Bonn), Anton Baumstark (1872 1948), und gleichzeitig Lehrstuhlinhaber für „Islamkunde und arabische Sprache“ in Utrecht (1926), in seiner international verbreiteten Darstellung der Arabistik und Islamkunde in Deutschland (1968) außer Acht ließ[32].
Die heute propagierte Gestaltung der Islamwissenschaft erinnert sehr an die Grundstruktur der von Islamkundlern missachteten und kritisierten KCO. Sie wird damit die gleichen Probleme, wenn nicht sogar größere, haben als ihr verschwiegenes Vorbild. Sie wird nicht nur wegen ihres Umfangs beschwerlich, sondern auch weil damit die „Last“ der Sprachen und Kulturen getragen werden muss, die zur vorislamischen Periode – d.h. zu Zeit der im islamischen Sinne verdammungswürdigen ğahilīya (nach qur’ānischer Lehre die Periode der „Unwissenheit“ vor dem Auftreten Muḥammads) – gehören[33]. Diese Tatsache kann der islamischen Welt nicht genehm sein, wenn man bedenkt, wie viele Studenten aus der arabischen Welt inzwischen in Deutschland dieses Fach studiert haben und weiter studieren möchten – oft mit der Prämisse, dass sie glauben, besser zu wissen, was Islamwissenschaft zu vertreten oder abzulehnen hat. Inzwischen – wie bereits bemerkt – wird das Problem durch die Einrichtung der „islamischen Theologie“, die dazu noch von gläubigen, nicht von kritisch denkenden Muslimen unterrichtet wird, scheinbar gelöst:
„Denn die Gleichstellung der islamischen Theologie mit anderen Theologien an deutschen Universitäten ist für den Islam mit der Herausforderung verbunden, ähnlich den christlichen und anderen Theologien, seine Positionen zu theologischen und ethischen, aber auch zu gesellschaftlichen Aspekten darzustellen und diese der Be- und Hinterfragung durch andere auszusetzen.“[34]
Wie das aussehen wird mag das Beispiel von Muhammad Sven Kalisch, ehemals Professor für islamische Religionspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, gezeigt haben[35]. Als er Zweifel an der Historizität des Propheten Muḥammad äußerte, wurde im Jahre 2009 von Kollegen und v.a. Studierenden seine Absetzung gefordert. Mittlerweile unterrichtet er nicht mehr am „Centrum für religiöse Studien“ seine Professur wurde umbenannt in „Geistesgeschichte im Vorderen Orient in nachantiker Zeit“.
Man kann in diesem Zusammenhang fragen, ob es nicht ausreichend sein würde, eine außeruniversitäre Anstalt, nach dem Vorbild der Priesterseminare, kirchlich gebundener Hochschulen, wie die in Bethel, bzw. der Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg[36], zu gründen. Es liegen nämlich keine Beispiele islamisch betriebener Theologie im abendländischen Sinne vor, d.h. mit der vom Gesetzgeber eigentlich geforderten „kritischen Selbstreflexion“ und der in Europa fest verankerten Fundamentaltheologie, die eben am Anfang dieser Selbstreflexion steht. Oder glaubt man eine Einrichtung nach den Maßstäben einer al Azhar errichten zu können?[37]
Die traditionelle islamische Untrennbarkeit von Religion und Politik steht in der islamischen Welt nicht zur Debatte, was man hier darüber denkt, ist für einen Saudi oder einen anderen gläubigen Muslim unbedeutend. Im Sinne der islamischen Theologie sind „Gläubige“ nur die Muslime.
„Der Ruf nach Frieden, Versöhnung und Toleranz ist eine christliche Tugend; dies alles sind edle christliche Werte, die besagen, dass man seinen Nächsten lieben solle. Aber zu glauben, dass man den Islam als Religion akzeptieren oder gar integrieren könne, zeugt von einem erbärmlichen Mangel an Kenntnis. Der Islam predigt gewiss auch den Frieden, der jedoch nur den Muslimen, nicht aber den Ungläubigen gilt. Aus der Sicht des Islam sind alle Nicht-Muslime Ungläubige, auch die Christen.“[38]
Deshalb ist die Berührung der Islamwissenschaft mit der Politologie nicht zufällig, sondern theoretisch und theologisch im qurʾānischen Sinne begründet[39]. Das bestätigen sowohl die früheste Geschichte des Islam – in der Muḥammad als siegreicher „Gesandter Allahs“ nach Mekka zurückkehrte und dort seine religiöse, richterliche und politische Macht festigte (630), was keinem anderen Religionsstifter vor und nach ihm gelungen ist – als auch eine Vielzahl von gegenwärtig erscheinenden Publikationen, die man kaum eindeutig als entweder islamwissenschaftlich oder politologisch bezeichnen kann[40].
Politologen vermeiden eine historische Reflexion und erliegen als Folge der Verdrängung der Geschichte ihren Wunschvorstellungen. So bleibt Bassam Tibi, zwar honorig, aber fern jeder Realität wenn er behauptet:
„Diese Loyalität (es ist die der muslimischen Bürger in Europa gemeint, Anm. Verf.) setzt jedoch zuvor eine Reform des islamischen Konzepts von der Legitimität des Imam/Herschers voraus: Kulturelle Reformen würden es einem muslimischen Migranten ermöglichen, unter der Regierung eines nichtmuslimischen Imam zu leben.“[41]
Eine solche „Reform des islamischen Konzeptes“ ist weder zu erkennen noch zu erwarten, denn:
„Der Islam enthält Prinzipien zu Regelung der Beziehungen des Menschen zu Gott (‚ibādāt) und Prinzipien zu Regelung der Beziehungen der Menschen untereinander (mu’āmalāt). Daher glauben viele Muslime an den ganzheitlichen Charakter des Islam, dass der Islam nämlich eine Lebensführung darstellt (dunya wa din) und nicht einfach eine Religion.“[42]
Die KCO – die immer verpflichtet war, die historische Realität im Auge zu behalten – musste für Anhänger solcher Vorstellungen in ungewünschter Weise ernüchternd wirken. Sie zeigt nämlich, wie im Laufe der Geschichte Christen und Nicht-Muslime zur benachteiligten Klasse in der islamischen Gesellschaft geworden sind[43]. Für eine islamische Gesellschaft (=umma/ dār al islām) ist ein nicht-muslimischer Herrscher auf die Dauer untragbar[44] (hierzu sei auf alle Verfassungen der islamischen Staaten hingewiesen).
Bedauerlicherweise bedingte eine postmarxistische Politologie, die in den linksorientierten Kreisen der Islamwissenschaft sehr verbreitet ist, unrealistische Visionen, unterdrückt die Religionsfragen und andere Ansichten[45] und meidet eine real begründete Analyse von geschichtlich nachprüfbaren Sachverhalten.
Jegliche Revolutionen – von denen man immer zu träumen schien und glaubte, damit eine neue und bessere Welt zu schaffen – waren immer von kurzer Dauer, was uns die bisherige Geschichte eindrucksvoll gezeigt hat. Allen, die eine historische Sicht als Maßstab sozialer Entwicklungen ablehnen, sei gesagt, dass sich alle anderen Versuche auf die Dauer als nicht haltbar erwiesen haben. Es reicht auch nicht, legendenbildende „Weltgeschichte“ im Stil eines Eduardo Galeano[46] oder Tamim Ansary[47] zu zaubern.
Gudrun Krämer und Reinhard Schulze möchten sich – trotz der eindeutig politologisch und nicht ideologisch frei gearteten Thematik ihrer Arbeiten – als Orientalisten verstehen; wahrscheinlich nicht nur, weil sie Inhaber solcher Lehrstühle (in Berlin und Bern) waren bzw. noch sind, sondern weil ihnen die Unlösbarkeit des reinen politologischen Diskurses bewusst zu sein scheint.
Die Fragilität der Politologie in ihrer Eigenständigkeit, die sich anläßlich ihrer IPSA Kongresse (z.B. des XVII. Internationalen in Seoul 1997) gezeigt hat, lässt erkennen, dass sie nur im Kontext mit anderen Geistes- und Sozialwissenschaften, die ihr Rüstzeug und Hintergrundwissen liefern, bestehen kann[48]. Bezogen auf die Probleme des Nahen Ostens ist sie also auf die Orient-Wissenschaften angewiesen. In der Allgemeinheit meint man jedoch, dass es hierzu nur die Islamkunde gebe – die, wie bereits gezeigt worden ist, de facto in vielen Einzeldisziplinen vorhanden ist – weil den meisten der in Deutschland wirkenden Politologen die Existenz einer KCO kaum noch bekannt ist, und wenn doch, sie dann geflissentlich ignoriert wird. Dies ist umso erstaunlicher, als bei der Görres-Gesellschaft glücklicherweise immer noch eine ständige Sektion des Oriens christianus besteht und sich bis dato großer Aktivität erfreut[49].
Dass Islamwissenschaft alleine keine zufriedenstellende und objektive Analysen liefern kann, ergibt sich schon aus der Tatsache, dass der Orient seit dem 7. Jh. immer mehr islamisch wurde, ohne dass es aber gelungen wäre, die ursprüngliche und autochthone christliche Mehrheit total zu verdrängen bzw. zu vernichten. Wie die traurigen Fakten belegen, wird heute allerdings die Situation der Christen in der islamischen Welt immer dramatischer[50], ungeachtet der beschönigenden Aussagen von Muslimen und ihrer westlichen Freunde über die angebliche „Religion des Friedens“[51]. Man kann dabei nicht außer Acht lassen, dass das Christentum dem Islam in vielen Weltgegenden viel schneller gewichen ist als andere Religionen – man denke u.a. an den Hinduismus, den Buddhismus und den Konfuzianismus. Auch im heutigen Europa wird die Religion der Kinder in gemischten Ehen, bei denen ein Ehepartner islamisch ist, in der Regel der Islam. Diese bereitwillige Selbstaufgabe scheint also ein typisch europäisches Phänomen zu sein.
Bevor einige diesbezüglich klärende Einzelheiten angesprochen werden, reicht es hervorzuheben, dass für die raschen Eroberungszüge der Araber nicht nur politische Gründe – wie man das meist mit der Unzufriedenheit bezüglich der byzantinischen Herrschaft erklärt[52] – sondern auch die religiösen Überzeugungen und innerchristliche Toleranz sprachen[53]. Deshalb ist es nicht zufällig, dass in Ägypten die größte christliche Minderheit erhalten geblieben ist[54].
Die heute so oft gepriesene Aufgabe im Rahmen der Menschenrechte – die übrigens in ihrem Wortlaut von den islamischen Staaten nicht akzeptiert sind[55] – dem Minderheitenschutz zu huldigen und ihn zu respektieren, gehört zwar zum Prinzip des europäischen Handelns und der UNO-Charta. Das kann aber kaum darüber hinwegtäuschen, dass man im Orient gegenüber den christlichen Minderheiten kaum davon Gebrauch macht, und wenn doch, dann nur als verbale Beteuerungen der islamischen Staatsrepräsentanten an die Adresse der westlichen Öffentlichkeit[56]. Die in der Öffentlichkeit dominierende einseitige Sicht der gegenwärtigen, in Deutschland wirkenden Islamwissenschaftler ist – wie bereits hervorgehoben – politisch motiviert. Das ist einerseits auf die unselige Rezeption des Said’schen Orientalismus zurückzuführen, andererseits auf die Vernebelungstaktik einiger ideologisch operierender „Experten“ und sogar christlicher Theologen, die von einem Weltethos schwärmen[57] und dabei die Realität verdrängen. Utopistische Vorschläge verdecken die Wirklichkeit, sollen Tatsachen eliminieren und neue illusionistische Bilder vom Orient – der im Westen sowieso in seinem Wesen kaum bekannt ist – erzeugen.
Das ist die Konsequenz einer Entwicklung der letzten Jahrzehnte, in denen sich eine nie dagewesene Einseitigkeit der Islam- und Politikwissenschaften herauskristallisiert hat. Dafür gab und gibt es viele Ursachen – auf die noch einzugehen sein wird – und die u.a. zur völligen Missachtung der KCO, aber auch der Religionswissenschaft als Teil der Grundlagenforschung über den Orient geführt haben. Die benachteiligende Einstellung zu Christentum und Christen im Nahen Osten, besonders in islamischen Staaten – ja sogar ihre gewaltvolle Unterdrückung – wird sehr selten, falls überhaupt, erwähnt und wenn, dann nur bei außerordentlich tragischen Ereignissen, wie z.B. zuletzt in Bagdad und Alexandria[58]. Formulierungen wie „die verhassten Kopten“ (auch so in der FAZ) sind nicht selten. Auf diese Weise werden die immer betonten demokratischen Prinzipien westlicher Prägung, um die man angeblich in dieser Welt überall kämpft, nicht nur missachtet, sondern völlig negiert. Man vergleiche hierzu diverse Verfassungen der islamischen Länder, die sich „demokratisch“ – d.h. für sie nur im Sinne der Umma/ „islamischen Gemeinschaft“[59] – geben, um sich davon zu überzeugen, dass es mit der Toleranz in der islamischen Welt nicht so gut bestellt ist, wie das einige Autoren bzw. Journale gerne der westlichen Welt glauben machen möchten[60]. Um dem Paradigma gerecht zu werden, reicht es nicht nur, von pluralistisch gedachten „interkulturellen Interaktionen“ in einer sogenannten „multikulturellen Gesellschaft“ zu sprechen[61]. Es wäre die Bereitschaft aller daran beteiligten Gruppen und Machthaber – auch in Orient – notwendig, um einen auf gleicher Augenhöhe geführten Dialog zu Stande zu bringen. Das aber ist keineswegs der Fall. Die Unterschiede in der Auffassung von Moral, Gesellschaft, Andersdenkenden und -gläubigen[62] sind größer, als sich die Verfechter der Integration jemals vorgestellt haben, schon deshalb, weil sie lange Zeit vermieden haben Bedeutung und Kraft religiöser Überzeugungen anzuerkennen. Man sprach lieber von sozialen, ökonomischen, sogar rassischen Unterschieden – hier waren die ideologischen Prinzipien ausschlaggebend – nur um nicht die Religion erwähnen zu müssen und damit einer scheinbaren political correctness zu huldigen. Man beugte sich islamischen Kreisen und versuchte, lautgewordene kritische Stimmen zu diffamieren. Ein Paradebeispiel für den Umgang mit Islamkritikern lieferte seinerzeit der Fall Oriana Fallacci mit ihren zwar polemischen, aber mit Belegen untermauerten Publikationen[63].
Heute – wo z.B. einerseits im Iran Anhänger der Bahāʾī-Religion getötet, bestenfalls mit Gefängnisstrafen bis zu 20 Jahren belegt werden[64], man anderseits – angesichts der Argumente der unter sonderbaren Umständen verstorbenen Kirsten Heisig[65] – erkennt, dass die Positionen der Integrationsideologen nicht stimmig sind, was trotz aller Emotionalität die Diskussion um die Thesen von Thilo Sarrazin deutlich gemacht hat[66], breitet sich zugleich eine neue Welle unbegründeter Hoffnungen aus, die aber mehr einer Vogelstrauss-Politik des Kopf in den Sand Steckens ähnelt, als dem, was nötig wäre: die Fakten anzuerkennen und sich ihnen zu stellen.
Die fachliche Verengung und methodische Fragwürdigkeit der „Islamwissenschaften“ im Westen veranlasst zu fragen: wie wird sich ihre tatsächliche Begründung gegenüber der jetzt entstehenden islamischen Theologie darstellen, mit der die Islamwissenschaftler nicht unbedingt einverstanden sind[67]. Die gegenwärtige(n) Islamwissenschaft(en) an unseren Universitäten, die man anstelle der „klassischen“ Arabistik eingeführt hat, haben m.E. nicht einmal zu einem fairen Dialog mit der islamischen Welt geführt – in der man nur noch die vorkoranischen Schriftreligionen formal duldet und alle anderen verfolgt (vom Atheismus ganz zu schweigen). Auf islamischer Seite sieht man keinerlei Anlass, parallele Wissenschaftseinrichtungen, die die abendländisch-christliche Kultur dem angeblich so toleranten Islam näher bringen könnten, zu gründen. Von „christlicher Theologie“ oder „Europäische Geistesgeschichte“ als Fach an islamischen Hochschulen kann man nicht einmal träumen. Man lasse die amerikanischen Universitäten in Kairo und Beirut – wo noch immer Christen vorhanden sind – außer Acht, weil sie nicht als islamische Einrichtungen anzusehen sind und sich eines Sonderstatus erfreuen.
Auf der islami(sti)schen Seite dominiert die Auffassung, dass der Islam als „Siegel der Prophetie“[68] die wahre Vollendung der jüdischen und christlichen Offenbarungsreligion ist und deshalb auch keinen Dialog mit Christen und Juden benötigt. Es kann nur einen rechten Weg geben, die Bekehrung zum Islam. Ein Abfall vom Islam, bzw. eine Rückkehr zur Religion der Väter, oder gar ein Atheismus, kann nur mit dem Tod (und nicht nur theoretisch, wie man das beschwichtigend andeutet) geahndet werden[69]. Deshalb passt auch ein wissenschaftlicher Diskurs, der nach Quellen des und Einflüssen auf den Qurʾān fragt, nicht mehr in das Konzept, das seit Theodor Nöldeke verfolgt und religionswissenschaftlich begründet worden ist[70]. Man will in der Islamwissenschaft nicht mehr der Frage der Abhängigkeit, des Synkretismus und der Genese der qurʾānischen Texte nachgehen[71].
Beispielhaft für die totale Missachtung der Andersdenkenden unter den Islamwissenschaftlern ist deren Einstellung gegenüber der Untersuchung von Günter Lüling „Über den Urkoran“ (1974/1993)[72], aber auch gegenüber denen von Christoph Luxenberg[73], sowie die Zurückhaltung der Forschungsergebnisse über die in Sanaa gefundenen qurʾānischen Palimpseste[74]. Man kommt auch der Forderung der Muslime, von einem autonomen „offenbarten“ Text auszugehen, nach[75], so z.B. auch auf dem Symposium „Text und Qurʾān Qurʾān“ in Bonn (1993). Wie sehr man dabei den Interessen der islamischen Seite nachkam, bestätigt die Tatsache, dass in den erst drei Jahre später erschienenen Akten dieses Symposions (Leiden 1996) der Beitrag des inzwischen verstorbenen (2010) Nasr Abu Zaid (Levels of context and the problem of interpretation in contemporary religious discours) – des mit Anathema belegten ägyptischen Qurʾāngelehrten, der gezwungen war, im holländischen Exil zu leben – „umständehalber“ nicht rechtzeitig zum Druck eingereicht hat, wodurch seine Veröffentlichung verhindert worden ist[76].
Vor einigen Jahren schrieb der bereits erwähnte Bassam Tibi in der FAZ noch:
„Die Minimalanforderung an eine kulturpluralistische Plattform ist die unmißverständliche Akzeptanz säkularer Demokratie, individueller Menschenrechte für Männer und Frauen, säkularer Toleranz und des Pluralismus.“[77]
Inzwischen hat er Göttingen enttäuscht verlassen und wahrscheinlich erkannt, dass seine Hoffnung, solche Forderungen jemals erfüllt zu bekommen doch sehr optimistisch gewesen ist. Die Akzeptanz westlicher Individualrechte hat keine reale Grundlage in den islamischen Gesellschaften. Die Frage ist also berechtigt, ob eine solche Auffassung nicht deshalb utopisch ist, weil es für die Erfüllung dieser „Minimalforderung“ sowohl historisch begründete Einschränkungen gibt, als auch dass es außerhalb der abendländischen (und z.T. indischen) Welt kein Beispiel für Realisierungschancen einer solchen Forderung gibt und wohl auch nicht geben kann. Sie widerspricht dem qurʾānischen Geist absolut, ein „Euroislam“ kann im muslimischen Sinne nur die Islamisierung Europas bedeuten, alles andere kolportiert nur Desinformation und entspricht nicht den Tatsachen eines „politischen Islam“[78].
Zwar verfolgt die KCO die realen Gegebenheiten und konnte sich deshalb der Ansicht des damaligen Göttinger Politologen anschließen, dass
…es eine Fehleinschätzung der Europäer (ist) zu glauben, sie könnten sich durch Selbstverleugnung Respekt bei den anderen verschaffen – es ist genau umgekehrt, und es ist äußerst wichtig, dass Europäer dieses Problem verstehen.[79]
Diese Ansicht blieb aber ohne größeres Echo.
Im Sinne einer islamisch geprägten Mentalität wird Nachgeben nur als Schwäche und nicht als humanes Handlungsprinzip ausgelegt, wovor einige Islamwissenschaftler offenbar ihre Augen verschließen. Zugleich glauben sie die einzigen zu sein, die die orientalische (=islamische) Welt sachgemäß und den Gegebenheiten entsprechend interpretieren und verstehen können[80]. Das geht so weit, dass sie sich für die einzig legitimierten politischen Berater und Experten der deutschen Regierung für Orient-Fragen halten. Als solche sind sie auch tätig, oft zum Leidwesen der dort vergessenen Christen, so in der Türkei, in Syrien, im Irak und in Ägypten, um nur die uns am nächsten liegenden zu nennen[81].
Neben den Islamwissenschaftlern gibt es auch die politologisch orientierten Visionäre, unter denen besonders diejenigen immer wieder in den Medien erscheinen, die selber aus dem Orient stammen und Muslime sind. Natürlich wird jemand nicht durch die Tatsache disqualifiziert, dass er aus einem bestimmten Land stammt. In vielen Fällen war es aber so, dass die einzige wissenschaftliche Qualifikation von manchen Teilnehmern an öffentlichen Diskussionen, in denen es um Probleme mit der islamischen Welt im weitesten Sinne ging, die Herkunft aus einem islamischen Land war. Islamkritische Publikationen werden dagegen immer mehr aus Prinzip verteufelt bzw. es werden solche, die differenziert und wissenschaftlich sind, mit den rein polemischen oder gar beleidigenden in einen Topf geworfen, ohne dass Argumente und Fakten zur Kenntnis genommen werden[82]. Dabei war die Orient-Forschung in Deutschland eine der besten in der Welt und sehr auf objektive Urteile bedacht[83].
Die Einseitigkeit einiger Islamwissenschaftler wird u.a. durch die Tatsache bestätigt, dass man am Orient-Institut der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut inzwischen nur noch „Islamkundler“ aufnimmt, (der letzte Vertreter der KCO war dort vor über 20 Jahren tätig, spätere Bewerber dieser Disziplin wurden abgelehnt). Der gegenwärtige Leiter ist ein zum Islam konvertierter Islamwissenschaftler. Die Ansichten der Islamwissenschaftler werden in der öffentlichen Meinung durch Politologen verstärkt die – z.B. wegen ihrer islamischen Herkunft – meinen, besonders gut dafür prädestiniert zu sein, richtige Urteile und Analysen abzugeben. Dass auch andere schon lange existierende Disziplinen vorhanden sind, die für eine nicht einseitige Einschätzung herangezogen werden könnten und müssten, scheint in Vergessenheit zu geraten. Diejenigen, die sie noch kennen, üben sich leider überwiegend in Schweigen. Diese traurigen Tatsachen haben dazu geführt, dass sich die Lage der KCO an den deutschen Universitäten kaum mehr von der der Christen im Orient unterscheidet!
Das Christentum ist sowieso eine heikle Frage geworden, nicht nur im Orient, wo fast überall noch Christen leben – in Ägypten (ca. 9/10 Mill.), in Syro-Palästina (d.h. in den Staaten: Libanon, Syrien, Israel, Jordanien, ca. 2 Mill.), in Iraq (ca. 500/ 600.000), in Iran (ca. 200/ 300.000 ) in der Türkei (ca.100.000), in den Kaukasus-Staaten (ca. 5/ 6. Mill.), und in Indien (ca. 6 Mill.)[84] – sondern auch unter den sog. Islamwissenschaftlern, unter denen einige gerne den ewigen Wunsch der Muslime, die Welt zum „dar al-islam“ (=Machtbereich des Islam) zu machen, erfüllt sehen möchten, weil der „Islam die Demokratie erfunden hat“[85].
Historisch gesehen war die Leistung der Christen in der islamischen Welt, besonders in den ersten Jahrhunderten nach der Hiǧra, unermesslich und nicht wegzudenken, man trifft Christen in der Verwaltung, in der Wissenschaft, bei der Übersetzung der Texte der Antike ins Syrische und Arabische[86]. In zahlreichen Berufen, wie z.B. unter Ärzten, Baumeistern, Schreibern, die unter den nomadischen Arabern unbekannt waren, findet man Christen und Juden, die auch aus Vorteilsgründen zum Islam konvertierten[87]. Diese Tatsachen gehören zu der Erinnerungskultur der KCO[88] – die man gerne untergraben möchte, was auch z.Zt. erfolgreich praktiziert wird. Diese religionsbedingte kulturelle und mentale Entwicklung muss im Sinne von Joachim Wach (1898-1955)[89] immer bedacht werden, um Werturteile zu treffen und Grenzprobleme zu erkennen, die sich nicht ideologisch lösen können, weil sie nur aus der Verborgenheit religiöser Natur zu erklären sind[90].
Ob es noch einem Islamkundler bekannt ist, dass eine reiche christlich-arabische Literatur existiert, kann man manchmal bezweifeln, weil er sich nicht als Arabist versteht. Dass unter den sogenannten Islamwissenschaftlern keine Kenntnisse über die nicht-Muslime im Orient vorhanden sind, zeigen einige Publikationen, in denen u.a. sogar die völlig irrige Meinung vertreten wird, dass im Orient noch immer Manichäer wirkten (so bei R. Schulze)[91] – obwohl es sie seit dem Untergang des Uigurischen Staates im 13./14. Jh. in Zentralasien nicht mehr gibt[92] (wahrscheinlich werden sie von dem zwischen Bonn und Bern wirkenden Islamwissenschaftler mit den Mandäern, die im Nord-Iraq noch in kleinen Gemeinden leben, verwechselt[93]). Es gibt jedoch viel ernsthaftere Probleme als nur Wissenslücken, so u.a. die totale Verdrängung der Tatsache, dass die Entstehung politischer Parteien im Orient ohne aktives Zutun von Christen unvorstellbar gewesen wäre. Der arabische Nationalismus (Panarabismus) und Sozialismus war schon unter türkischer Vorherrschaft eine Idee arabischer Christen[94]. Durch sie sind alle großen politischen arabischen Bewegungen der Gegenwart (in Syrien, in Iraq, sogar in Ägypten und unter den Palästinenser) geprägt gewesen. Ohne die Ideen der führenden Köpfe der christlichen Araber wäre niemals eine Parteibildung (im europäischen Sinne) denkbar gewesen. Zu nennen wären hier: Gurgi Zaidan (1861-1914), der Kopte Wassef Boutros Ghali und William Makram Ebeid in Ägypten, der maronitische Libanese Halil Ganim (1846-1903) im Pariser Exil und seinen maronitischer Mitstreiter für „Groß-Syrien“, Boutros Boustani, weiter Antoun Saadé und Michel Aflak (Aflaq), neben anderen syrischen Christen. Michel Aflaq, der Theoretiker des arabischen Nationalismus gründete die einflußreiche Baath-Partei (1940), die, trotz mancher Wandlungen und Vereinigungen, bis heute noch vorhanden ist[95].
Es ist unbestritten, dass dieser Modernismus in der arabischen Welt nicht aus islamischen Quellen entstehen konnte, denn er ist der Grundidee des Islam fremd und abwegig. Die wahre umma kennt keine Parteien. Wenn, dann nur die eine, die Gottes, und so schreibt Anwar al Ğundī:
„Die aufsteigende Kultur des Islam als eine Kultur des Bekenntnisses zur Einheit Gottes (tauhīd) wird an der Seite der untergehenden Kultur des Westens als einer Kultur der Gottlosigkeit leben. Es ist kein Makel, dass die Kulturen sich gegenseitig zu überholen suchen, doch die Menschheit wird ein einzigartiges Beispiel erleben. Denn die islamischen Kulturen sind nicht feindselig, nicht aggressiv, nicht kolonialistisch, nicht herrschsüchtig, und sie werden die Gaben der Wissenschaft (‚ilm) und der Zivilisation der gesamten Menschheit zuteil werden lassen und nicht nur einer Rasse, einer Nation (umma) oder einer Klasse. […] Nein. Wir werfen die Wahrheit auf das, was erlogen ist. Dann macht sie ihm den Garaus, und auf einmal ist nichts mehr von ihm da.“[96]
Die sonderbare Rezeption des Orients und eine Kritik des westlichen „Orientalismus“ in den USA und Europa, stammt aus der Feder des arabischen Christen (Palästinensers) Edward Said, der in den USA als Literaturwissenschaftler an der Columbia University eine unverdiente Autorität auf dem Gebiet der Orientalistik erlangte, nicht weil er etwa auf diesem Gebiet wissenschaftlich führend gewesen wäre, sondern, weil er aus dem Orient stammte und marxistisch beeinflusst war. Er sah seine nicht ausreichende Fachkompetenz (u.a. geringfügige Kenntnisse der deutschen Orientalistik) als keinen Fehler an, und stellt u.a. fest:
„Meine Grundidee für ‚Orientalism’ war, die Kampfgebiete mit Hilfe der humanistischen Kritik zu öffnen, längere Sequenzen von Gedanken und Analysen einzuführen, um die kurzen Ausbrüche von polemischer, denkfeindlicher Raserei zu unterbinden […].“[97]
Wem aber liegt heute noch daran, auf die Vielfalt (auch religiöse) des Nahen Ostens hinzuweisen? Die Christen des Orients haben im Westen kaum eine Lobby, obwohl in letzter Zeit dieser Problematik etwas Aufmerksamkeit geschenkt wird[98]. Die hiesigen Gerichte entscheiden zuweilen sogar gegen Christen (die sich z.T. „Assyrer“ nennen und ihre Autochthonität hervorheben), die wegen nachgewiesener Verfolgung aus Glaubensgründen die Türkei verlassen mussten und die hier nur mit Mühe Asyl erhielten, z.B. Christen aus Tur Abdin[99]. Ein Blick in die aktuelle Presse lässt unschwer erkennen, dass, wenn vom Nahen Osten die Rede ist, dem Leser überwiegend nur Stimmen von Muslimen oder Juden präsentiert und daher nur solche wahrgenommen werden können. Wenn der Papst eine Reise in den Orient unternimmt, um dortige Christen zu besuchen, erfährt die Allgemeinheit ausnahmweise, dass es sie dort noch gibt. Ihre Existenz ist jedoch immer stärker gefährdet, weil man allen vorgaukeln möchte, der Orient sei islamisch, könne und dürfe nur islamisch sein. Kaum jemand erfährt, dass es nicht nur muslimische Palästinenser, sondern unter ihnen seit Jahrhunderten auch Christen gibt.
3. Die Kunde vom christlichen Orient
Anfang des letzten Jahrhunderts ist eine „Kunde vom christlichen Orient (KCO)“ zum Universitätsfach geworden. Sie ist unter dem Einfluss der konfessionell gebundenen Orientalistik entstanden, die mit dem grandiosen Werk des französischen Dominikaners Pater Michel le Quien (1661‑1773), Oriens Christianus (Paris 1740)[100] begann, das danach in Rom fortgesetzt wurde (Bibliotheca Orientalis Clementino‑Vaticana, 1719‑1728)[101] um für die Union mit Kirchen des Orients gewappnet zu sein. Mit dem bis heute noch existierenden Jahrbuch ORIENS CHRISTIANUS von Anton Baumstark (1872‑1948) mit Unterstützung des bekannten christlichen Archäologen Anton de Waal (1837‑1917) und dem Priesterkollegium des deutschen Campo Santo begründet, konnte sich ein Organ der neuen Disziplin etablieren (z.Zt herausgegeben von Hubert Kaufhold unter der Mitwirkung von Manfred Kropp)[102].
An deutschen Universitäten entzog sich die nicht immer anerkannte Disziplin jeder konfessionellen Bindung und ist bis heute noch als Fach im Rahmen der traditionellen philosophischen Fakultäten vertreten (z.T. findet man die KCO auch noch an theologischen Fakultäten, meist als Konfessionskunde oder orientalische Kirchengeschichte). Ihre Existenz ist jedoch – mit einer Ausnahme in Halle/S., wo seit 1995 weiterhin ein Lehrstuhl (C4) vorhanden ist, zu einem Dahinvegetieren, verurteilt[103]. Man kann inzwischen von einer Agonie dieser von Orientalisten und Universitäten ungeliebten und ohne jegliche Lobby kaum existenzfähigen Disziplin sprechen[104]. Diese Agonie des Faches scheint vielen Wünschen entsprochen zu haben. Sowohl einige der Islam‑, Orient‑ und Religionswissenschaftler, als auch manche Theologen, ganz zu schweigen von den Mächtigen des Mittleren Ostens waren damit zufrieden gestellt.
In diesem Zusammenhang ist die Frage berechtigt: wie sieht es mit dem Sitz im Leben dieser zwar immer noch vorhandenen, aber kaum noch erwähnten Universitätsdisziplin aus, die man langsam mit dem alten Argument der Existenz von Teildisziplinen[105] – die sich angeblich sowieso besser mit einigen Kultur‑ und Sprachräumen des christlichen Orients befassen könnten – zu eliminieren versucht hatte. Die Teildisziplinen, wie Koptologie, Nubiologie, Äthiopistik, Syrologie, Kaukasistik, z.T. Iranistik und sogar Byzantinistik[106], die besonders nach dem Pariser Orientalistenkongress (1973) nach Selbständigkeit strebten, werden heute nicht nur beseitigt oder im besten Fall anderen Fächern – meistens den sogenannten Kulturwissenschaften untergeordnet, was man als sehr bedenklich bezeichnen muss. Von nach amerikanischem Vorbild postulierten ‚integrativ studies’ kann nicht mehr die Rede sein, obwohl gerade der geförderte Ausbau der „Islamwissenschaften“ nichts anderes ist[107] als die Beanspruchung eines solchen Modells, das die KCO längst schon repräsentiert hatte, der man aber jetzt die Existenzberechtigung abspricht.
Die Einzeldisziplinen, die der KCO zugeordnet werden könnten, werden inzwischen außerhalb ihres Forschungsfeldes nicht mehr aus dem Blickinkel der national geprägten Christenheiten des Orients behandelt. Das ist auch verständlich, wenn man dabei sowohl die nichtchristlichen als auch die muslimischen Perioden berücksichtigt. Was Sprachen, Historie, Kultur‑, Religions- und Kunstgeschichte dieser Kulturräumen seit der „Achsenzeit“[108] betrifft, so gewinnen in der KCO erst unter dem Aspekt der gemeinsamen Religion die kulturhistorischen, sprachlichen, literarischen, ikonischen, kirchengeschichtlichen und ‑rechtlichen, mentalen und sozialen Tendenzen in bestehenden und neuauftretenden Situationen die klärenden Grundlagen, die zum Verständnis auch der Gegenwart führen können[109]. D.h. einer so gestalteten Kunde könnte z.B. nicht entgehen, wie sich die islamische Obrigkeit seinerzeit als Minderheit gegenüber der sich nur sehr langsam vermindernden Zahl der Christen verhalten hat und wie sich das plötzlich, nach der Erlangung der Mehrheit (eindeutig erst nach den Kreuzzügen seit dem 14. Jh.) verändert hat[110]. Auch die Relation zu anderen Minoritäten (Juden, Drusen, Parsen u.a.) gerade der Buchreligionen, bleibt von Interesse[111], ganz zu schweigen von immer noch nicht eindeutig beantworteten Fragen, u.a. nach dem kulturellen „Isolationismus“ einiger christlicher Reiche, mit dem hervorragenden Beispiel Äthiopiens, das sich im umgebenden „islamischen Meer“ als christliches Reich noch bis in die Gegenwart behaupten konnte[112].
Die Fragen und Phänomene lassen sich multiplizieren. In Folge der westlichen säkularen Einstellung wird es immer schwieriger zu verdeutlichen, dass europäische postaufklärerische Tendenzen nicht von allen Kulturen und Gesellschaften als Maßstab und als nachahmungswürdig angesehen werden. Diese mentalgeschichtliche Dimension, die der Spiritualität größeren Stellenwert einräumt als man das gewöhnlich wahrnimmt, muss bei allen Betrachtungen, besonders des Nahen Ostens, mitberücksichtigt werden und zwar unter der Beachtung der vorangegangenen Veränderungen und Ereignisse[113].
Man erinnert sich beinahe zwangsläufig an die Zeiten der Umajjaden und Abbasiden (die zwei ersten großen Kalifen Dynastien (661/41‑754/ 136‑1258)[114], in denen viele christlich‑orthodoxe Berater der Kalifen, so u.a. Johannes von Damaskus (650/675?‑750), die muslimischen Herrscher zum Kampf gegen andersdenkende Christen mißbrauchten[115]. „Teile und herrsche“, diese Formel bewährte sich auch auf dem siegreichen Weg der muslimischen Eroberer, die das Gebot der Islamisierung erfolgreich gegenüber den Christen durchsetzen konnten, die möglicherweise in der ersten Phase der islamischen Expansion noch nichts von dem ahnten, was kommen würde, weil die Muslime zu dieser Zeit selber noch ihren Islam formulieren und finden mussten[116].
In diesem Zusammenhang verdient die legendarische Aufwertung und besondere Behandlung der „Äthiopier“ in der Biographie des Propheten besondere Aufmerksamkeit, weil den Muslimen eine solche Haltung auferlegt wurde[117]. Der Sieg der Muslime ist, nach Meinung einiger, mit der pax islamica gekrönt worden, die an die Stelle der pax romana trat[118]. Damit setzte sich zunächst eine Hellenisierung der arabischen Kultur fort, die erst in Folge des immer stärker werdenden Einflusses der islamisierten Mongolen und Türken ihr Bild zu verändern begann[119]. Die Geschichte des Orients wurde zu einem erfahrbaren Beispiel einer Auseinandersetzung mit der autochthonen christlich (bzw. jüdisch) verbliebenen Bevölkerung in der islamischen Welt außerhalb der umma[120]. Ob man dabei von Pluralismus sprechen kann, überlasse ich den modernen Theoretikern. Sicher ich jedoch, dass diese Pluralität eine ungleiche war, nämlich die der Herren und die der ḏimmī[121]. Die einen nutzten die anderen aus, indem die Christen und auch die Juden als ḏimmī verpflichtet waren, für ihr Anderssein nicht geringe Beträge/Sondersteuern (ğizya und harağ) an den islam. Staat zu zahlen. Diese Schutzgeldzahlungen hinderten jedoch die Herrschenden nicht, den Beschützten, z.B. unter den ägyptischen Fatimiden (909‑1171)[122] und besonders unter dem Kalifen al‑Ḥakīm (996‑1021), nicht nur erniedrigende Kleidungsvorschriften aufzuerlegen, sondern auch ihre Kirchen und Synagogen zu zerstören[123]. Die unseligen Vorschriften der Nazizeit, während der man Juden dazu zwang, David‑Sterne an der Kleidung zu tragen, haben also auch im angeblich so toleranten Islam ihre Vorbilder.[124]
Das soll nicht bedeuten, dass es in der Zeit der Kreuzzüge (1197‑1293) nicht auch Handlungen gegeben hat, die nicht von christlicher Nächstenliebe zeugten und die die Brutalität der Kriege dieser Zeit offenlegten[125], was aber damals nicht einmal von islamischer Seite kritisiert worden ist und wohl als für damalige Verhältnisse „normal“ angesehen wurde.[126].
Man darf nicht dem Eindruck erliegen, es hätte mit den Muslimen immer nur eine friedliche Koexistenz gegeben, was heute sogar einige Kirchenfürsten des Orients behaupten (müssen). Die Fakten sprechen dagegen. Angesichts der Dezimierung der Christen im Orient und der steigenden Zahl orientalischer Kirchen im Exil (in Europa, USA, Kanada und Australien) kann man solch beschwichtigenden Äußerungen kaum glauben. Die Auswanderung orientalischer Christen aus ihrer Heimat infolge von Verfolgungen und Morden spricht kaum für eine angeblich generöse Toleranz und Menschlichkeit der islamischen Machthaber und der mit ihnen verbundenen Gruppierungen[127].
Im 7. Jh. war die Unzufriedenheit der orientalisch‑christlichen Gemeinschaften gegenüber den Byzantinern, die immer mehr an der Steuerschraube gedreht hatten – abgesehen von den dogmatischen Streitigkeiten – sehr gewachsen. Das konnte sich nur günstig für die arabischen Eroberer auswirken. Diese historische Tatsache wird gerne und häufig erwähnt, wobei dann die weitere Entwicklung nicht in gleicher Weise bekannt ist. Die sich langsam zu Gunsten der neuen Herren verändernde Situation förderte die mit Privilegien belohnten Übertritte zum Islam. Christ zu bleiben wurde eine Frage des Geldes. Die immer steigende Last der unterschiedlichen Steuern erreichte ein Niveau, das die dafür gescholtenen Byzantiner vor Neid hätte erblassen lassen, wenn sie geahnt hätten, wie viel sich noch aus dem Volke herauspressen ließ![128]
Die blitzartigen Eroberungszüge der Araber waren jedoch nicht überall so erfolgreich wie in Ägypten, Nordafrika, oder Syrien, wo man auf eine Verbesserung der wirtschaftlichen, aber auch der politischen Lage gehofft hatte. Viele christliche Enklaven blieben sich treu, Nubien bis in das 16. Jh.[129], Äthiopien bis in die Gegenwart, aber auch Armenien und Georgien ließen sich auf die Dauer nicht islamisieren[130]. Allerdings konnte die Selbständigkeit oft nur mit Hilfe von baqt erkauft werden[131].
Mit diesem nicht selbst erwirtschafteten Reichtum vermochten sich die muslimischen Herrscher nun alles das zu leisten, was ihnen bis dahin verwehrt geblieben war. Sie bezahlten sogar die Christen und Juden für ihre Übersetzertätigkeit, die u.a. zur Verbreitung der griechischen Philosophie unter den Muslimen führte[132]. Sie leisteten sich mit Hilfe der christlichen Handwerker nicht nur den Umbau der Kirchen zu Moscheen, so z.B. in Damaskus oder in Córdoba[133], sondern auch den Bau weiterer Moscheen, nach dem Vorbild des größten christlichen Baues in der byzantinischen Welt, der Hagia Sophia, durch den bedeutendsten – wahrscheinlich aus einer christlichen Familie stammenden – türkischen Baumeister Sinan (1490/91‑ 1578/88)[134]. Die Moscheen, die keine Gottes‑ sondern nur Gebetshäuser[135] sind, was leider in den westlichen Medien nur selten beachtet wird, wurden erst mit der Eroberung der christlichen Städte und Dörfer zu dem, was man heute darunter verstehen möchte. Die Veränderungen, visualisiert einerseits durch die Vereinnahmung der reichen christlich‑antiken Tradition[136], andererseits durch die ständig neuen Einflüsse der eroberten autochthonen Kulturen und Völker[137], haben das orientalische Erscheinungsbild der muslimischen Welt von der Islamisierung bis heute geprägt. Zugleich wird deutlich, dass man bemüht ist, die islamische Einheit zu manifestieren und alles andere als ğāhaliyya zu verdammen. Dank ihrer pragmatischen Haltung wurden die Araber sehr schnell zu Mittlern des alten Wissens, nicht aber zu seinem Schöpfer, wie das so gerne dargestellt wird[138].
Die entscheidende Zäsur in der islamischen Welt trat mit den Türken‑ und Mongolenstürmen ein[139], die das bisherige semitische Gefüge umwandelten, bis die Expansion schließlich den Zustand einer totalen Sättigung erreicht hatte und damit wirtschaftlich‑soziale Veränderungen verursachte. Der Strom des aus den Eroberungen immer neu gewonnen Geldes wurde dürftiger, die Hegemonie, besonders des osmanischen Reiches, verlor immer mehr an imperialer Ausdehnung. Die erfolglosen Kriege brachten nur noch Verluste. Ein neues Konzept lag noch nicht vor. Der europäische Einfluss – den man unter dem Stichwort Kolonialismus zu subsummieren suchte – stieg, wobei man sich jedoch nicht bewusst wurde, dass es schlussendlich nicht zu einer Veränderung der Qualitäten, sondern nur zum Austausch der expandierenden Machthaber gekommen war. An die Stelle der Osmanen als einer der größten Kolonial‑ und Sklavenmächte der Geschichte[140], traten im 19. Jh. die westlichen Staaten als Erben eines von Türken ausgebeuteten Imperiums.
Bei diesem Konglomerat von Problemen und Themen bleibt nicht aus, dass sich die – im Rahmen der in Deutschland noch praktizierten KCO – vereinzelt noch wirkenden Forscher nicht allen Schwerpunkten mit gleicher Intensität widmen können, wenn aber doch, dann immer nur im Kontext des Ganzen. Hier liegt die nicht zu unterschätzende Tragweite und Bedeutung dieses so vernachlässigten Faches, dem sich im benachbarten Frankreich glücklicherweise bessere Voraussetzungen als in Deutschland bieten.
Die Vorstellung vom Orient bzw. von dem, was man damit gegenwärtig verbindet, wird heute in der Allgemeinheit und im Sinne einiger Orientalisten fälschlicherweise nur noch mit dem Islam gleichgesetzt, bisweilen auch mit „Islamisten“ (eine Wortschöpfung, die man semantisch nicht eindeutig rezipieren kann[141]), mit dem Kampf um Selbstbestimmung der islamischen Völker usw.. Das passt sehr gut zu der islamischen Sicht, dass man keine Rücksichten auf andere Ethnien, andere Religionen etc. nehmen darf, weil es nur eine allumfaßende umma als universellste aller gesellschaftlichen Gebilde, gibt[142]. Ob dabei noch jemand an die dortigen Christen denkt, die nicht – wie das oft irrtümlich bemerkt wird – zu einer Kolonialerbschaft der Europäer gehören[143], sondern seit der ǧāhaliyya eigenständige Reiche (und Staaten) gebildet hatten, die später von Muslimen erobert worden sind, muß immer mehr bezweifelt werden. Mindestens seit die Palästinenser Jesus zu einem der ihren erklärt haben, sollte das bekannt sein.
Eine neuzeitliche Geschichte des Nahen Ostens zu schreiben, ohne dabei expressis verbis die dortigen Christen zu berücksichtigen – wie das bereits geschieht[144] ‑ hat mit Objektivität und wissenschaftlich‑historischer Sicht nichts mehr zu tun. Selbst dann nicht, wenn ein solcher Standpunkt heute ausreichen kann –, beinahe notwendige Voraussetzung geworden ist – um in der Islamwissenschaft/Orientalistik zu akademischen Würden zu gelangen.
Demgegenüber gehört historisch begründetes Hintergrundwissen zur Notwendigkeit in der KCO, die ihren Gegnern deshalb außerordentlich problematisch zu sein scheint; ihre Kompetenz hält man für zu umfangreich, ohne sich dabei bewusst zu werden, wie umfangreich die angestrebte Islamwissenschaft eigentlich sein müsste, um ihrem Ziel gerecht werden zu können.
Es ist unmöglich, und in diesem Rahmen auch nicht beabsichtigt, eine Geschichte des Christentums im Orient auch nur zu skizzieren; ein solches Vorhaben wurde im Rahmen eines „Handbuches der Orientalistik“ von Berthold Spuler (1911‑1990) bereits realisiert (1968). Dennoch muss man in diesem Zusammenhang noch auf einige relevante Sachverhalte hinweisen, die sich aus der Anwesenheit von Christen im Orient ergeben.
Ebenso wird gerne die Tatsache übersehen, dass die längste und nachhaltigste Kolonialzeit im Orient nicht mit den Europäern, die ihre Kolonialisierungspolitik im Orient und Afrika meist erst im 19. Jh., übrigens auf Kosten des Osmanischen Reiches, begannen, sondern mit den Türken zu verbinden ist.[145] Wenn man das nicht wahr haben will, folgt man, mindestens unbewußt, islamischer Sicht, in der ein islamischer Herrscher (der osmanische verstand sich als Kalif) nicht als Kolonialherr betrachtet wird. Die Folgen der Osmanischen Kolonialpolitik (diese Bezeichnung aus der Sicht der säkularisierten Politologie ist mehr als berechtigt), sind auf dem Balkan noch heute zu beobachten und erschütternd zu erleben[146]. Religionskulturelle Zäsuren versucht man mit Scheinargumenten zu übergehen, obwohl jedem klar sein muß, dass sie vorhanden sind; einerseits Kroaten und Slowenen mit ihrer Latinität und Katholizität, die Serben mit der Orthodoxie und ‚Kyrillität’ (als mentalprägende Merkmale), andererseits die muslimischen Bosniaken als Erben der türkischen Machthaber, die dort immerhin bis ins 19. Jh. Fuß gefasst hatten und dorthin noch bis in die Anfänge unseres Jahrhunderts Lehrer und Richter entsandten. S.P. Huntington – dessen Thesen intensiv und kritisch diskutiert werden – hat diesen Sachverhalt, den man vornehm zu umgehen sucht, mit Recht hervorgehoben[147].
Im Orient (zu dem man in der Literatur des vorausgegangenen Jahrhunderts auch den Balkan rechnete) sah die Situation nur scheinbar einfacher aus. Die Türken, die nur sehr langsam durch den Aufstieg Russlands im Orient ihre imperiale Einflußsphäre – die sie seit dem 12. Jahrhundert ständig durch weitreichende Kriege ausgebaut hatten – einzubüßen begannen (Frieden von Kütschük, 1774, mit Katharina II. d.Gr., *1729, 1762‑1796)[148], waren Herren über die Gebiete Zentralasiens bis in den indischen Raum im Osten und Marokko in Westen, im Norden kontrollierten sie große Teile des Kaukasus und des Balkans, sogar Teile der Habsburgischen Monarchie, im Süden Ägypten, den Sudan, Arabien und den Raum um das Rote Meer. In diesen durch Türken eroberten Kulturräumen lebten und leben viele Christen, die zu Minderheiten wurden. Ihre Zahl sinkt in Folge der ständigen Christenverfolgungen in der türkischen Republik wie in keinem anderen islamischen Staat, konstant[149]. Man spricht jedoch lieber von Kurden und dem Beitritt der Türkei in die EU als von Christen, die statistisch gesehen in der Türkei keine Rolle mehr spielen (die niedrigste Zahl im ganzen Nahen Osten).
Die Christen des Orients bilden keine ethnische Einheit, sie waren auch mit dort lebenden Griechen der postbyzantinischen Kirche zerstritten. Die unterschiedliche Ethnizität der Christen zeigt sich im nationalen Charakter der Kirchen Armeniens, Georgiens, Syriens (Libanon, Irak, Iran), Ägyptens, Nubiens und Äthiopien (die koptische Kirche) mit ihren verschiedenen Sprachen und Sitten[150]. Im gesamten türkischen Imperium hatten sie ihre eigenen Gemeinden (meist in den Städten). Von der islamischen Bevölkerung wurden sie als Siriani (=Christen, eig. „Syrer“) bezeichnet, ohne dass sie immer Syrer gewesen wären. Sie konnten relativ lange und unbehelligt existieren, weil sie als ḏimmī – d.h. nichtmuslimische Angehörige der Buchreligionen – so lange den Schutz der islamischen Herrscher genossen, wie sie dafür Schutzgelder/-steuer zahlten und zu den großen „Geldlieferanten“ des osmanischen Reiches gehörten, weil sie auch eine wirtschaftliche Macht behaupten konnten[151].
Erst mit der Revolte des in postkabbalistischen Schulen der Sabbatai Zwi (1626‑1676)‑Bewegung (türkisch die Dönmeh (Abtrünnigen)‑Sekte) in Thessaloniki erzogenen Mustafa Kamal (Ata Türk, 1880(?)‑1938)[152] ging das türkische Kalifat – von dem immer noch geträumt wird (siehe die Anhängerschaft Kaplans in Deutschland) – zu Ende (1924). Seine territorialen Ansprüche blieben jedoch erhalten, was die Türken‑Frage auf Zypern bis heute veranschaulicht. Diese politischen Wirren, die u.a. zur Befreiung des Balkans von türkischer Herrschaft geführt haben, hinterließen Spuren, die bis heute nicht zu übersehen sind. Die Souveränität, aber auch die Kraft, sich gegen die Türken aufzulehnen, kam aus der religiösen nichtmuslimischen Identität. Welche Folgen das in den Gebieten, die die Türkei behalten wollte, gehabt hat, zeigt die immer noch sonderbar behandelte Armenien-Frage, die der Gegenwart einen unbestrittenen Völkermord (1915) offenbarte, den man sogar in Kreisen der Orientalistik abzumildern versucht (B. Lewis), oder nur mit verneinender Beschränkung erwähnt (R. Schulze)[153]. Auch die jahrhundertelang betriebene unmenschliche Praxis der sogenannten „Knabenlese“ (Devşirme), bei der christliche Knaben ihren Familien entrissen, islamisiert und zu Janitscharen gemacht wurden, wird selten erwähnt. Hier darf man sich auch an die Verschleppung „arisch“ aussehender Kinder in besetzten Gebieten durch die Nazi-Organisation „Lebensborn“ erinnert fühlen. Jedenfalls dürfte auch diese Praxis die Islamisierung nicht unwesentlich beschleunigt haben und die angebliche „Toleranz“ des osmanischen „Millet“-Systems in einem anderen Lichte zeigen. Auch das harmlos klingende Wort „Völkeraustausch“ ist nichts als ein Euphemismus für ethnische Säuberungen. Stattdessen wird immer noch behauptet, es habe im Orient keine Zwangsislamisierungen[154] gegeben. Die Geschichtswissenschaft hat sich politischen Notwendigkeiten und Allianzen zu beugen und nicht nach der Wahrheit der Vergangenheit zu fragen.
Man kann beinahe sagen, dass die islamische Politik – im Islam gab es seit Muḥammad keine Trennung zwischen Religion, Recht und Politik – Triumphe feiern kann, weil sie erreicht hat, dass in den Medien der westlichen Hemisphäre von Christen des Orients immer seltener die Rede ist; und wenn, dann als Fremdkörper, die fälschlich mit dem angeblichen europäischen „Kolonialismus“ in Zusammenhang gebracht werden. Dass im 19. Jh. die orientalischen Christen noch Schutz bei ihren Glaubensbrüdern im Westen gesucht haben, ist ebensowenig zu leugnen wie die Tatsache, dass die politischen Machthaber Europas diese Schutzsuche missbraucht haben. Tatsache ist aber auch, dass die orientalischen Christen verfolgt und teilweise massakriert und ermordet worden sind. Nicht nur im Mittelalter und in der Neuzeit, sondern auch noch gegenwärtig.
Die Bewertung der Kolonialzeit erfolgt meist sehr pauschal. Man gewinnt bei der Lektüre von Zeitungen, von vielen Monographien und beim Ansehen von TV‑Berichten den Eindruck, dass das orientalischen Christentums wie ein Geschwür im Körper der islamischen Welt dargestellt wird, falls man überhaupt von orientalischen Christen etwas erfährt – übrigens seit 2010 immer häufiger – dann nur deshalb, weil es in den letzten Jahren immer häufiger zu brutalen und opferreichen Terroranschlägen gegen Christen und ihre Kirchen gekommen ist (Assiut, Alexandria, Bagdad u.a.), die nicht mehr einfach zu ignorieren sind. Die oft nur aus islamisch orientierten Kreisen stammenden Berichte, die man sogar als „Recherchen“ zu bezeichnen pflegt, entsprechen nicht der Verpflichtung zu korrekter Information. Deshalb sollte es im allgemeinen Interesse sein, alle Mittel und das Wissen über den Orient so zu nutzen, dass ein vollständiges und korrektes Bild entstehen kann. Ohne die KCO ist es nicht möglich, den Nahen Osten tiefgründig zu analysieren und ihn in einem sachgemäßen Licht darzustellen. Dazu gehört auch ganz wesentlich, die Genese und die Quellen des Islam aufzudecken, was übrigens zu den gemeinsamen Zielen der Forschergruppe Inârah und der KCO gehört.
4. Anhang
Zur Illustration der Einstellung der „unabhängigen“ Medien zur Islamproblematik in Deutschland wird die hier beigefügte (editorisch leicht bearbeitete) Anlage – die ohne Reaktion geblieben ist – veröffentlicht, um deutlich zu machen, dass es seit Jahrzehnten Bemühungen gibt, das Bild des Islam den Wünschen der Muslime anzupassen. Man kann das beinahe symbolisch zu verstehen, nicht nur die Stellung der Frau, sondern auch „Glaubenswahrheiten“ der Muslime sollen gegenüber den „Ungläubigen“ verschleiert werden; und die Massenmedien beugen sich der Forderung, bis es zu spät ist und ein Bild des „Zuckergussislam“ entstanden ist, das eine kritische Auseinandersetzung unmöglich macht, fast so wie das schon einmal in der Geschichte– aus der man nur ungern lernen möchte – der Fall war!
An die Herausgeber der F.A.Z
Hellerhofstr. 2‑4
60267 Frankfurt(Main)
FAX 069 ‑ 7591‑1743
Wiesbaden, den 21.04. 1995
Sehr geehrte Damen und Herren,
die Veröffentlichungen in Ihrer Zeitung zum Thema Islam und Muslime veranlassen mich erneut zu einer Stellungnahme, weil Ihr Organ dazu beiträgt, dass den nichtsachkundigen Lesern Tatsachen verharmlost, ja sogar verfälscht und irreführend wiedergegeben werden. Der Beitrag „Zwischen Koran und Grundgesetz“ des „freien Publizisten“ Herrn Schütt, (FAZ 19.04.95) ist u.a. ein Beispiel dafür.
Die sich ausbreitenden Neologismen wie „islamistische Extremisten und Fundamentalisten“ (die übrigens nicht nur bei Hr. Schütt zu finden sind) haben keine Entsprechung im Arabischen und entbehren jeder Logik als Bedeutungsträger. Trotz des Postulats der histoire nouvelle, nach der Mentalität zu fragen, schreiben viele nur aus dem laizistischen Blickwinkel, in dem die Trennung zwischen Religion, Gesellschaft und Staat – die als Folge der Aufklärung und Revolution française anzusehen ist – zu den selbstverständlich anerkannten Tatsachen zählt, die dem islamischen Orient jedoch absolut fremd ist. Diese Sicht macht blind und einseitig, deshalb ist auch die Benutzung von Begriffen wie „Fundamentalisten“, „Islamisten“ absurd. Für die Rechtgläubigkeit kennt sowohl die Theologie, als auch die Religionswissenschaft die Bezeichnung O r t h o d o x i e (=Rechtgläubigkeit); sie ist auch das Prinzip, das Fundament der qurʾānischen Religion. Muslime müssen deshalb dem Qurʾān als „göttlicher Offenbarung“ (so für alle Muslime, d.h. für die, die daran auch glauben müssen) in Ehrfurcht und Hingabe (=Islam) folgen. Tun sie das nicht, sind sie schlechte, der qurʾānischen Wahrheit sich entfremdende Muslime, die es sogar nicht verdienen, so genannt zu werden.
Alle Versuche, die Ansicht zu verbreiten, dass einzelne Meinungen aus dem angeblich muslimischen Lager für die Beurteilung des Sachverhaltes richtig seien, sind unzutreffend, weil sie nicht der Meinung der Umma und der durch sie anerkannten Schriftgelehrten, geschweige des Propheten Mohammad entsprechen.
Der „erste Akt“ des islamischen Glaubensbekenntnisses lautet: ašhaddu anna la ilāha ilā Llāh wa Muḥammad rasūl Allāh (= Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Gott gibt und dass Muḥammad der Gesandte Gottes ist).
[Um eine Diskussion über den Wortlaut der arabischen/ qurʾānischen Aussagen zu vermeiden, gebe ich die Grundsätze arabisch /in Umschrift/ wieder, mit der vertretbaren Übersetzung.]
Damit wird ersichtlich, dass die Wortbildung „Islamist“ sonderbar und Verwirrung stiftend ist.
Aus den qurʾānischen Grundsätzen, die noch erweitert werden könnten, ergeben sich Pflichten für jeden Muslimen, und zwar ohne wenn und aber! Zu ihnen gehört auch das Gebot der Verbreitung der einzigen und wahren Religion, dem Islam, um ein dār al‑ḥarb (=Kriegsgebiet) zu einem dār al‑islām bzw. dar as‑salām (= Islam‑ bzw. Friedensgebiet) umzuwandeln. Aus diesen prinzipiellen, man kann sogar sagen fundamentalen Erwägungen erscheint die Feststellung von Hr. Schütt:
„Bezogen auf die innenpolitische Situation der Bundesrepublik Deutschland erscheint jedoch die Behauptung, radikale Muslime gefährdeten den inneren Frieden und die verfassungsmäßige Ordnung, absurd“
– nicht nur blauäugig, sondern sogar unverantwortlich. Nicht nur weil nach seiner, bzw. des Verfassungsschutzes Berechnung „höchstens“ 1% der 2,2 Mill. in Deutschland lebenden Muslime (=d.h. immerhin eine Armee von 22.000 militanten Muslimen, sic!) extremistisch seien. Die Geschichte hat uns etwas anderes gelehrt – aber wer lernt heute noch aus der Geschichte – und jeder Tag bestätigt von Neuem, dass man viele Gefahren nicht nur unterschätzt, sondern, dass man auch mit Hilfe solcher Beiträge wie diesem die Aufmerksamkeit der Gesellschaft gegenüber dem Islam lähmt.
Man fragt sich weiter: was soll man von unkommentierten Formulierungen halten wie z.B.: „Gegenüber den Kriegsopfern haben manche Deutsche sogar eine geradezu muslimische Freigebigkeit an den Tag gelegt“; als ob es nicht gerade die christliche Ethik gewesen wäre und ist, die das fordert und die dazu geführt hat, dass z.B. das „Rote Kreuz“ entstand (oder meint der Autor, dass es zuerst zur Entstehung des „Roten Halbmondes“ gekommen sei?)
Die sich ständig wiederholenden Behauptungen über die angebliche islamische Toleranz (=Duldung) scheinen einer Ideologie zu dienen, die mit der islamischen Wirklichkeit nichts zu tun hat. Die islamische Herrschaft duldete ‑ laut den Geboten des Qurʾān ‑ bei einer nicht geringen Kopfsteuer (dhimma/ Schutzsteuer) die Gläubigen der anderen „Buchreligionen“. Diese gewisse „Religionsfreiheit“ (die es de facto nicht gibt) kann jedoch nicht als Gleichberechtigung ausgelegt werden. Um das zu verdeutlichen reicht zu bemerken, dass es für eine Konversion vom Islam zu anderen Religionen nach islamischen Gesetz nur die Todesstrafe geben kann (sic!).
Mit der „Verfassungstreue“ der Muslime gegenüber Deutschland ist es auch nicht so bestellt, wie das Hr. Schütt zu vermitteln sucht. Die muslimische Sicht ist im qurʾānischen Sinne eindeutig: nur die islamische Gesellschaft ist für die übrige Menschheit modellhaft (kuntum ḫayra ummatin uḫriǧat li n‑nās = ihr seid die beste Gemeinschaft, die je für die Menschheit hervorgebracht wurde, Sur. 3,110), d.h. nur die islamische Gesellschaft, die die Scharia, d.h. das qurʾānische Recht, respektiert und achtet hat Existenzberechtigung. In dieser Hinsicht sind nur Muslime die „Auserwählten“ (wa-kaḏālika ǧaʿalnākum ummatan wasaṭan / … wir haben euch zu einem Volk der Mitte gemacht, Sur. 2, 143), die der Welt alleine das Heil bringen können. Alle anderen Ansichten eines Muslims können nur zu einer Bestrafung der Muslime durch Gott führen. Damit erklären die Muslime auch ihre Gebietsverluste in früheren Jahrhunderten, u.a. der Iberischen Halbinsel und die Eroberung Jerusalems. Deshalb fordern sie auch eine Rückbesinnung auf den wahren Islam der ersten Jahrhunderte, der immer erfolgreich war. Von einer „Verfassung“ in islamischen Ländern zu sprechen ist sehr problematisch, weil sogar das Wort, das man heute dafür benutzt, dustūr (pers.), nur einen „Ratgeber“ bezeichnet und nur sehr schwer mit unserem Verständnis in Einklang zu bringen ist, denn Gesetze kann im Islam nur Gott erlassen (sic!). Die angebliche „Verfassungstreue“ (gegenüber Deutschland) der Muslime sieht so aus, dass sogar ein Freitagsgottesdienst in Deutschland nicht als solcher gelten kann, weil er eben – im islamischen Sinne – „im Kriegsgebiet“ (=dār al‑ḥarb) statt findet. Nicht der Staat schafft Gesetze, sondern die (göttlichen) Gesetze erzeugen den Staat und deshalb besteht die Pflicht eines solchen Staates in der Aufrechterhaltung dieser heiligen Gesetze. Die nichtmuslimischen Herrschaftsstrukturen und ihre „Verfassungen“ sind im Sinne des Islam illegitim. Deshalb kann Deutschland und seine nichtmuslimische Macht vom Islam nur temporär, als eine nicht abzuwendende Notwendigkeit (=ḍarūra), hingenommen werden. Man soll sich jedoch, als Muslime, darum bemühen, diese nichtmuslimischen Herrschaftsstrukturen mit Hilfe des siegreichen ǧihād (=der heilige Krieg, oder Kampf, den man auch als Missionskampf begreifen kann) durch die islamischen zu ersetzen. Daraus wird verständlich, warum man so bemüht ist, türkischen Mitbürgern zu einer zweiten, der Deutschen Staatsangehörigkeit zu verhelfen, weil sich auf diese Weise langsam die Macht und die Verwaltungsstrukturen in Deutschland islamisieren lassen würden und damit keine vom Islam hier vorgeschriebene Auswanderung notwendig wäre (so z.B. im Sinne des tunesischen Rechtsgelehrten des 12. Jhd, Al‑Mazārī).
Integration im islamischen Sinne gibt es nur als Anpassung an islamische Gesetze und die Umma.
Wie einseitig Hr. Schütt ist, bestätigt sein Hinweis auf „Angehörige religiöser Minderheiten“ in der islamischen Welt, die nur aus „Ahmadiyyas, Bahai und Alewiten“ bestehen sollen. Christen werden außer Acht gelassen, weil sie verfolgt, diskriminiert und vertrieben werden. Die Türkei hat hierzu seit dem tabuisierten Völkermord an Armeniern (weil sie Christen waren) unzählige Beispiele, die kein Ende nehmen, geliefert.
Das Zeugnis eines Konvertiten zum Islam, des Hr. Wilfried (Murat) Hofmann, Botschafter a.D., ist mehr als fraglich. Seine Bücher sind voll von unobjektiver Argumentation, die sich nicht scheut, mit aus dem Kontext gerissenen Zitaten zu arbeiten, z.B. in seinem Buch „Der Islam als Alternative“ (1992). Als Argument für islamische Toleranz wird hier nur ein Teil der Sure 18:29 zitiert (S.97): „Es ist die Wahrheit von euerem Herren. Darum lass den gläubig sein, der will, und den ungläubig sein, der will“, ohne die Fortsetzung mitzubeziehen, in der es heißt: „Für die Frevler haben wir ein Feuer bereit, das sie mit seinen Flammen vollständig einschließt. Wenn sie um Hilfe rufen, wird ihnen mit Wasser geholfen, das ist wie flüssiges Metall und das Gesicht brät – ein schlimmes Getränk und ein schlechter Ruheplatz.“ (Übersetzung nach R. Paret)
In einem hat Hr. Schütt recht, wenn er nämlich schreibt, die Türken als Muslime in Deutschland „empfinden keine Loyalität mehr gegenüber dem türkischen Staat, sondern nur noch gegenüber der Umma, der universellen Gemeinschaft aller Muslime.“ Damit ist aber gerade ihre Identifikation mit den Zielen des Islam und nicht mit denen des Deutschen Staates (der leider für die Muslime immer noch nicht islamisch geworden ist) selbstverständlich. Was das bedeutet, ergibt sich aus den islamischen Vorstellungen und Gesetzen, die leider auch in Ihren Spalten selten richtig wiedergegeben werden.
Weil z.B. eine Moschee nur ein Versammlungs‑ und Gebetsraum sein soll – im Gegensatz zum christlichen Verständnis eines Gotteshauses – ist es eigentlich auch nicht erforderlich, Minarette und Kuppeln zu errichten. Der türkische Moscheebau ist übrigens eindeutig aus dem byzantinischen Kirchenbau entstanden und nicht für die ganze islamische Welt bindend, wie das Hr. Schütt zu vermitteln sucht.
Zwar erkannte der der Einseitigkeit huldigende „freie Publizist“ selbst „die Trennung zwischen Religion und Gesellschaft sei zwar in der islamischen Welt unbekannt, aber in Deutschland könne sie den Muslimen das Einleben in die gesellschaftliche Realität erleichtern.“ Die „gesellschaftliche Realität“ für die Muslime ist aber die Umma, und das bedeutet leider einen Gegensatz zu den Tendenzen, die Hr. Schütt angeblich als gegeben zu konstatieren sucht.
Mein nochmaliger Versuch, mich in die Diskussion um den Islam einzumischen erscheint mir leider notwendig, wenn auch gleichzeitig wie ein Ruf in der Wüste, weil man den Eindruck gewinnen muss, dass man in Ihrer Redaktion an sachlichen und kompetenten Beiträgen zum Islam nicht interessiert ist. Man wird meine Stimme deshalb mit großer Wahrscheinlichkeit zurückhalten, weil sie in das Bild des Islam, das Sie seit Jahren zu prägen versuchen, nicht passt.
[1] The clash of civilizations, 1996/dt. Kampf der Kulturen, München 1996; unabhängig davon, dass der dt. Titel fälschlich – bewußt oder unbewußt? – als „Kampf“, statt „Zusammenprall“ wiedergegeben worden ist, versuchte man Huntingtons Thesen nicht nur abzulehnen, sondern sogar vehement zu bekämpfen, meist mit ideologisch bedingten Vorurteilen (z.B. Thomas Meyer, Identitäts‑Wahn. Die Politisierung des kulturellen Unterschieds, Berlin 1997) und nicht mit Tatsachen. Heute, 15 Jahre nach dem Erscheinen des Buches, sehen einige, dass nicht alles an den Thesen des amerikanischen Politologen Huntington so falsch war, u.a. weil der „Multikulturalismus“ – den man damals hochlobte – inzwischen diskreditiert, ad acta gelegt werden musste (dazu überzeugend Paul Scheffer, Die Eingewanderten. Toleranz in einer grenzenlosen Welt, München 2008, 295‑302).
[2] Orientalism, 1978/dt. in der dt. Übers. v. Liliane Weissberg Berlin 1981 und in der v. Hans Günter Holl Frankfurt/M. 2009 (darin zwei Zusätze, Nachwort von 1994, 377‑403 und Vorwort von 2003, 404‑420). Die berechtigte Kritik (auch von Ibn Warraq, s.u. A. 13) an Edward Said – der heute als „einer der wichtigsten Intellektuellen des vorigen Jahrhunderts“ apostrophiert wird (FAZ v. 19.01. 2011) – die von zahlreichen führenden Orientalisten geführt worden ist (Bernard Lewis, Max Rodinson, u.v.a, s. dazu meine Stellungnahme in: Zwischen abendländischer Imitation und morgenländischer Imagination, in Paul v. Naredi‑Rainer (Hg), Imitatio, Berlin 2001, 177‑217, 195f. mit weiteren Literaturangaben, A.107ff.), konnte ihn trotz seiner eklatanten Fehler und bewussten Fälschungen nicht umstimmen (Stefan Wild subsumiert dies unter dem Stichwort „Orientalismusstreit“ [RGG4 6/2003, 653], ohne sich dabei festzulegen). Man lobte ihn weiter, 2002 erhielt er zusammen mit Daniel Barenboim den angesehenen Prinz‑von‑Asturien‑Preis, was Letzteren dazu veranlasste, in der Edition von Elke Heidenreich die Musikkritiken von Said zu befürworten (Musik ohne Grenzen, München 2010), obwohl – wie Jürgen Kesting (in der Rez. in FAZ v.19.01. 2011) mit Recht schreibt – „Saids Urteile über Komponisten wie Interpreten, ob Pianisten oder Sänger, sind pauschal, etliche haarsträubend.“
[3] So sind die neuen Übertragungen von Ahmad Milad Karimi, Freiburg i. Br. 2009 oder die von Hartmut Bobzin, München 2010 in Vielem sehr problematisch, was der Vergleich mit dem Klassiker Rudi Parets (Koran mit einem Kommentarband, Stuttgart 1966/Tb 1979) deutlich machen kann. H. Bobzin kündigte demnächst einen Kommentar an. Siehe dazu auch Markus Groß, Karl-Heinz Ohlig, Wozu neue Koranübersetzungen? – Indiz einer wissenschaftlichen Malaise, in: Id. Die Entstehung einer Weltreligion I, Berlin 2010, 423-472.
[4] Beachtenswert bleibt die Darstellung von Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010, die den orientalischen Kontext zu verneinen sucht und sich einer Vorstellung beugt, die Tilman Nagel (Ewige Wahrheiten und historische Kontexte, in NZZ/ Beilage Kunst und Literatur, v. 22. 01. 2011) zu der Feststellung veranlasst: „Europa entsteht nicht im spätantiken Arabien, und ein Text ist nicht schon deshalb ‚europäisch’, weil er auf Judentum und Christentum Bezug nimmt.“ [Wenn Angelika Neuwirth meint]…. „der Koran sei ‚angesichts seines Selbsteintrags in den westlichen Textkanon’ – was heisst das eigentlich? – „gleichzeitig auch ein bedeutsames Vermächtnis der Spätantike an Europa“ [dann] hätten die Europäer somit eine ‚latente Verbindung’ zum Koran, deren sie sich bewusst werden müssten, wie Angelika Neuwirth verlangt. Nirgendwo in ihrer Studie gewinnen solche Forderungen auch nur den Schein der Plausibilität. Aber diese Aussagen passen geradezu wunderbar zu der Botschaft des deutschen Bundespräsidenten, dass der Islam zweifellos zu Deutschland gehöre.“
[5] Eine solche Forderung hat nur eine Chance, wenn keine gezielte Zurückhaltung bzw. Unterdrückung von Forschungen und Projekten stattfindet, die der objektiven Darstellung der orientalischen Verhältnisse dienen. Das ist leider nicht der Fall, was ich bereits gezeigt habe (s.u. A. 6). Damit ist eine notwendige Grundlage für einen Dialog auf Augenhöhe leider nicht gegeben (s.u. A. 12).
[6] Im Schatten der Islamwissenschaften: Untergang einer unbeliebt gewordenen Kunde vom christlichen Orient (Hallesche Beiträge zur Orientwissenschaft 35(2003) 215‑248).
[7] Mittlerweile hat Prof. Kalisch seinen Austritt aus dem Islam erklärt und den Vornamen Muhammad wieder abgelegt (dpa Basisdienst, 21. April 2010, aus: http://www.uni-muenster.de/Religion-und-Politik/aktuellesps/2010-iv.shtml).
[8] Karl‑Heinz Ohlig, Von muhammad Jesus zum Propheten der Araber. Die Historisierung eines christologischen Prädikats, in: Ders. (Hg), Der frühe Islam. Eine historisch‑kritische Rekonstruktion anhand zeitgenössischer Quellen, Berlin 2007, 327‑376; Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie, München 2008; s. auch einige Beiträge in Karl‑Heinz Ohlig u. Gerd‑R. Puin (Hg.), Die dunklen Anfänge, Berlin 2005).
[9] Zenith. Zeitschrift für den Orient 10 [2009]1, 26ff.
[10] Die Zeitungsnachricht (FAZ 24. 06. 2010) unterrichtete die Leserschaft, dass es entsprechende Einrichtungen u.a. in Frankfurt/M., Osnabrück und Tübingen geben soll. Am 8. 10. 2010 schrieb die bekannte Journalisten Eike Schmoll in dem gleichen Blatt (FAZ/Nr. 234), dass an der Tübinger Universität soll ein Zentrum für islamische Studien (d.h. Theologie) mit sieben Lehrstühlen (sic!) entstehen soll, zugleich erfuhr ich, dass die KCO, bisher dort noch mit einem Lehrstuhl vertreten, nicht mehr weiter besetzt wird, obwohl es dafür Interesse und Lehrkräfte gab [Es braucht nicht mehr bemerkt zu werden, dass auch diesmal meine Zuschrift an die Herausgeber nicht abgedruckt, jedoch mit einer sonderbaren Stellungnahme von Frau Dr. Schmoll quittiert worden ist].
[11] Die Zusammenfassung ist im Jahres‑ und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft 2009 (Bonn 2009, S. 147) erschienen.
[12] Seit dem unterschiedlich bewerteten Artikel von Thilo Sarrazin, „Ich hätte eine Staatskrise auslösen können“ (FAZ v. 24.12.2010), der die aktuell in der FAZ geführte sog. „Wulff‑Sarrazin‑Hübsch‑Kelek‑Link‑Frühwald‑Debatte“ zu Goethes „West‑östlichen Divan“ ausgelöst hat, offenbaren sich nicht nur tendenziöse, sondern auch einseitige Äußerungen, wie z.B. die von Thomas Lehr (FAZ v. 18.01.2011), die fern jeder Geschichtskenntnis falsche Meinungen, bzw. grobe Verkürzungen festigen sollen. Wenn man vom britischen und französischen Kolonialismus spricht, soll man nicht vergessen, dass zuerst die Araber waren, die durch ihre Expansion den heutigen Maghreb kolonialisiert und arabisiert haben. Wer denkt heute noch an die Berber oder Tuaregs, ganz zu schweigen von Persönlichkeiten wie der beachtenswerten Kahina – der Anführerin der Berber (um 697/ 8) – die im Kampf gegen die Araber (IE2 4/1997, 422f. v. M. Talbi) kurze Zeit sogar erfolgreich gewesen war. Die ganze Debatte zeigt, dass man über die Rezeption des Orients nicht allzu gut Bescheid weiß. Dass es z.B. neben Josef v. Hammer‑Purgstall auch noch einen anderen Berater Goethes gegeben hat, scheint bis jetzt niemand zu bemerken, obwohl darüber schon 1913 der bekannte Turkologe Franz Babinger (Ein orientalischer Berater Goethes: Heinrich Friedrich von Diez, Goethe‑Jb 34, 83‑100) geschrieben hatte. Auch dass in dieser Zeit auch Friedrich Rückert (1788‑1866) seine vortrefflichen Dichtungen und Übersetzungen orientalischer Poesie veröffentlichte, scheint völlig mittlerweile völlig vergessen zu sein (s.u. A. 19).
[13] Vgl. hierzu Zeitungsberichte in den bekanntesten Blättern des deuschsprachigen Raumes FAZ, Die Welt, SDZ, NZZ vom 9. und 10. August 2010
[14] Darüber schon z.B. Ibn Warraq, Defending the West – Zur Verteidigung des Abendlandes, Markus Groß/ Karl‑Heinz Ohlig (Hg.), Schlaglichter, INÂRAH 3/2008, 594‑617.
[15] Zwar existierte diese Bezeichnung im deutschsprachigen Raum (Richard Hartmann u. Helmuth Scheel (Hg.), Beiträge zur Arabistik, Semitistik und Islamwissenschaft, Leipzig 1944), aber selbst in diesem Sammelband wurde darüber expressis verbis nicht gesprochen. Am Rande darf bemerkt werden, dass man statt von Islamwissenschaften lange Zeit von „Islamistik“ gesprochen hat, was heute durch Einführung einer tautologischen Terminologie nicht mehr möglich ist, weil man sonst dazu übergehen müsste anzunehmen, dass Islamistik Islamisten ausbildet!
[16] So erlebte ich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts – während der Diskussion im Rahmen der Ringvorlesungen von Stefan Wild (damals Direktor des Orientalischen Seminars der Universität Bonn), in denen Orientalistik den Islamwissenschaften gleichgesetzt worden ist – dass man als Vertreter der Wissenschaft bzw. Kunde vom christlichen Orient (=KCO), der „letzte Mohikaner“ der Orientalistik ist. Im Klartext: dafür gibt es heute keinen Platz mehr.
Wie die Bevorzugung der Islamwissenschaft gegenüber anderen OrientDisziplinen vollzogen wurde, zeigte sich u.a. in der Tatsache, dass die Akten des 27. Deutschen Orientalistentages – Norm und Abweichung (in Bonn 1998) als 1. Bd. der Reihe: Kultur, Recht und Politik in muslimischen Gesellschaften, hg. v. Heinz Halm, Gudrun Krämer, Rudolph Peters, Gernot Rotter, Reinhard Schulze, Stefan Wild, erschienen sind (Würzburg 2001). Dort fanden sich zwar auch die 10 Beiträge der Sektion „Christlicher Orient“, aber im Gegensatz zu anderen nur als Resümees (S. 59‑87).
[17] Es kann nur erstaunen, dass der Kenner und Professor der systematischen Theologie (ev) Wolfgang Huber die Einrichtung der „islamischen Theologie“ an den deutschen Universitäten (FAZ v. 22.01.2011) befürwortet – man kann dabei fragen: ist das nur politisch oder auch wissenschaftstheologisch gewollt? – immerhin war das der Text einer „Willy Brandt Lecture“. Wenn man seinen weiteren Ausführungen und Feststellungen folgt, entdeckt man einen Widerspruch, wenn er einerseits hervorhebt: „Zugleich ist festzustellen, dass der Islam in seinen heute dominierenden Formen kein überzeugendes Konzept der Toleranz entwickelt hat.“, andererseits nicht ersehen will, dass diese – wie er mit Recht betont – „Integrationshemmnisse“ auch ein theologisches Problem darstellen und damit alle Gleichsetzungen zwischen „islamischer Theologie“ und anderen Theologien fraglich erscheinen lassen. Hierzu reicht der Hinweis auf die „Allgemeine Islamische Menschenrechtserklärung“, die der Islamrat für Europa 1981 in Paris veröffentlich hat. Man sollte darauf hinweisen, dass zentrale Begriffe anders verstanden werden als im normalen Sprachgebrauch. So beinhaltet die Religionsfreiheit in ihr nicht das Recht (wie in Art. 18 der Menschenrechtserklärung der UN), sich von der angestammten oder angenommenen Religion loszusagen oder die Glaubensüberzeugung zu wechseln. Es bleibt die Auffassung des islamischen Rechts, die Religionswechsel nur in Richtung auf den Islam zulässt. (vgl. Johannes Lähnemann, TRE 16 (1987) 356). Zudem wird in dieser Erklärung praktisch jedes anfangs erklärte Menschenrecht dadurch eingeschränkt oder besser aufgehoben, dass es nur „im Rahmen der Scharia“ gelten soll. Für das Verständnis des Sachverhaltes immer noch Gustav E. von Grunebaum, Der Islam und das Problem kultureller Beeinflussung (1956), in Ders., Studien zum Kulturbild und Selbstverständnis des Islam, Zürich 1969, 107‑124, 121.
[18] Immer noch beachtenswert Johann Fück, Die arabischen Studien in Europa, in Beiträge/A.15/, 85‑253; s. auch Hartmut Bobzin, RGG4 4(2001) 271ff.; Lit. in TRE 16 (1987) 335f.; s. auch William Montgomery Watt u. Alford T. Welch, Der Islam I, RdM 25/1, Stuttgart u.a. 1980, 17‑38; s. auch Enno Littmann, Ein Jahrhundert Orientalistik, Wiesbaden 1955.
[19] Friedrich Rückert, Koran (1888), NA hg. von Hartmut Bobzin, mit erklärenden Anmerkungen von Wolfdietrich Fischer, Würzburg 1995 (unvollständig); aber auch Die Weisheit der Brahmanen (1838), Leipzig 18707; Gītagovinda: Das indische Hohelied des bengalischen Dichters Jayadeva. Nach der metrischen Übersetzung Friedrich Rückerts neu hrsg. von Herman Kreyenborg, Leipzig 1920. Die gegenwärtig geführte Diskussion um den West‑östlichen Divan Goethes (s.o. A. 12) macht deutlich, wie wichtig der Dichter und Orientalist, dessen „Östliche Rosen“ (1819/publ. 1821) und Hāfiẓ‑Übersetzungen unbekannt geblieben sind, für die Diskussion um die Anwesenheit des Orients in der deutschen Kultur seit der Romantik (übrigens eine allgemeine europäische Tendenz) ist.
[20] Es handelt sich um eine Disziplin, die sowohl die vorislamische, als auch die islamische Zeit umfasst und dabei mit unterschiedlichen Quellen arbeiten muss. Sie ist an einigen Universitäten (hier nur die deutschen Universitäten Bamberg, FU Berlin, Göttingen, Marburg und Heidelberg) vertreten und betreibt neben Forschungen über Zarathustra und den Avesta auch solche über die Schia (Tilman Nagel, Staat und Glaubensgemeinschaft im Islam (BiMo), ZürichMünchen 1981, I., 131‑277; Heinz Halm, Der schiitische Islam. Von der Religion zur Revolution, München 1994). Die Literatur diesbezüglich ist sehr umfangreich, man kann nur auf einige Abhandlungen hinweisen, die in diesem Kontext immer noch bedeutsam sind: Xavier de Planhol, Kulturgeographische Grundlagen der islamischen Geschichte (BiMo), Zürich‑München 1975, 234‑247, 258ff.; Bernard Lewis, Der Islam von den Anfängen bis zur Eroberung von Konstantinopel (BiMo), Zürich‑München 1981, I., 121‑131 [ND bei Ed. Erdmann, 2005].
[21] Turkologie ist inzwischen eine sehr verbreitete Universitätsdisziplin (Bamberg, Berlin, Frankfurt/M., Gießen, Göttingen, Hamburg, München, Wien) und beschäftigt sich auch mit dem Islam, der auch in der Zentralasienkunde behandelt wird (Annemarie von Gabain, Einführung in die Zentralasienkunde, Darmstadt 1979, 55ff.) und auch die Mongolistik berührt (Bertold Spuler, Geschichte der Mongolen (BiMo), Zürich‑Stuttgart 1968). Die damit verbundenen religions‑ und kulturgeschichtlichen Aspekte werden heute gerne unter dem Stichwort „Seidenstraße“ subsumiert, hierzu Hans Wilhelm Haussig, Die Geschichte Zentralasiens und der Seidenstraße in islamischer Zeit, Darmstadt 1988; Aus der Position der KCO s. Jürgen Tubach, Die nestorianische Kirche in China, NUBICA & ÆTHIOPICA IV/V (1994‑1995) Warschau 1999, 61‑193 (mit einer umfangreichen Bibliographie, 104‑193).
[22] Indologie, vertreten u.a. in Hamburg, Heidelberg, Kiel, Tübingen und Würzburg bietet Urdu‑Kurse und damit islamische Literatur an (Annemarie Schimmel, Classical Urdu literature from the beginning to Iqbal (in: A history of Indian Literature 8,3, Wiesbaden 1975). So wie die Iranistik weist auch sie auf Probleme hin, die mit der durch den Islam verursachten Zensur zusammenhängen.
[23] Oromo (früher: Galla), eine Sprache des äthiopischen Raumes (in Deutschland an den Universitäten in Berlin (HU), Hamburg, Göttingen, Leipzig) wird von einer der größten und mehrheitlich muslimischen Bevölkerungsgruppen Äthiopiens verwendet (immer noch wichtig: John Spencer Trimingham, Islam in Ethiopia (1952), London 19763, 93ff., 187‑208). Übrigens ist bei einer Beschäftigung mit dem Islam in Äthiopien (s. dazu die etwas einseitigen Art. von Hussein Ahmed in Encyclopaedia Aethiopica III, Wiesbaden 2007, 198‑208) die Berücksichtigung des Christentums unabdingbar (Trimingham, ebd., 32‑146). Dabei ist zu bedauern, dass die Äthiopistik (Ernst Hammerschmidt, Äthiopistik an deutschen Universitäten, Wiesbaden 1968), von der KCO abgesehen, z.Zt. in Deutschland nicht ausreichend vertreten ist. Einige Versuche der OrbisÆthiopicus‑Gesellschaft e.V. (Frankfurt/M.) können hier keine Lücke füllen (s. Konferenzakten, die nicht regelmäßig erscheinen u.a. in der Bibliotheca nubica et æthiopica, hg. v. P.O. Scholz, den letzten Bd. 10/2007).
[24] Swahili (auch: Kiswahili, Suaheli) als die wichtigste Sprache Ost‑Afrikas mit ca. 40 Mio. Sprechern (in Deutschland vertreten an den Universitäten Berlin (HU), Bayreuth, Frankfurt/M., Hamburg, Köln, Leipzig, Mainz, Wien) hat inzwischen auch eine Literatur hervorgebracht (E.Z. Bertoncini, Outline of Swahili literature, Leiden 1989), die in der Islamwissenschaft Beachtung finden muss.
[25] Der Sudan, das mittlerweile aufgeteilte Land zwischen Schwarz‑ und Nordafrika (dazu schon mit Literaturangaben P.O. Scholz, Sudan, TRE 32(2001) 310‑322), liefert auch ein exzellentes Beispiel für die Notwendigkeit, die Geschichte des Christentum (besonders Nubiens, dazu entsprechende Art. in RGG4 und TRE von P.O. Scholz), das bis in die Zeit der Mahadiyya (1881‑98) noch vereinzelt lebendig war, bei der Betrachtung der Islamisierung und des Islam (John Spencer Trimingham, Islam in Sudan, London 1965) zu berücksichtigen. Dies erfolgte bisher auf dem Boden der Ethnographie (Harold Alfred MacMichael, A history of the Arabs in the Sudan, Cambridge 1922) und der KCO (P.S. Scholz, Art. Nubien, Nubische Kunst, ‑Literatur & Sprache /z.T. mit C. Detlef G. Müller/, KLCO 375‑388). Am Rande darf bemerkt werden, dass nach der Ankündigung über die baldige Entstehung der zwei Staaten in Sudan, kaum mehr über die religiösen Unterschiede und über die restriktive Islamisierungspolitik des Nordens gesprochen wird, obwohl das – neben der immer noch bestehenden Tradition der Sklaverei (s.u. A. 140) – einer der wichtigsten Gründe für die Trennung ist (dazu schon meine Ausführungen in: Die Konsequenzen der Islamisierung in Kordofan. Bemerkungen und Beobachtungen zum religiösen Wandel, Africana Marburg. 10(1977)1, 51‑66).
[26] In diesem Kontext könnte man von der Wissenschaft des Judentum sprechen (Gershom Scholem, Judaica 1, Frankfurt/M. 1977, 147‑164; Julius Carlebach (Hg), Wissenschaft des Judentums. Anfänge der Judaistik in Europa, Darmstadt 1992), weil damit die Diskussion um die wissenschaftliche Betrachtung einer Religion vertieft wird. Man erkennt auch hier die Spannweite, die niemand in Abrede stellt und die in der KCO zu den erklärten Zielen gehört.
[27] Z. Zt. unter der Leitung von Lorenz Korn (Geschichte der islamischen Kunst, München 2008 mit Lit. 136f.), der auch zu den Gründern der Ernst-Herzfeld‑Gesellschaft gehört, die seit 2005 Kolloquien durchführt, die sich der Genese, der Thematik und dem Charakter der „islamischen Kunst“ widmen (vgl. Beiträge zur Islamischen Kunst und Archäologie I, Wiesbaden 2008). In seinem synthetischen Versuch, die islamische Ikonizität zu erfassen meidet er fast absichtlich die Benennung der christlichen Quellen und Beteiligungen (18ff., 37ff.), die von vielen Kennern der Materie genannt werden (s. u. A. 28, 133).
[28] Es ist immer schwieriger, trotz den wichtigen Beiträgen von Oleg Grabar (1929-2011; deutsch: Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977 und in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Muqqarnas bei Brill, Leiden) zu erkennen, ob überhaupt noch unter den Forscher ein Interesse vorhanden ist, die nichtislamischen Quellen und die Künstler, die de facto die islamisch charakterisierte Ikonizität geschaffen haben (Jerusalem, Damaskus, Cordoba usw., s. Alfred Renz, Geschichte und Stätten des Islam von Spanien bis Indien, München 1977, 56‑77, 159‑172; auch A. 132), zu würdigen. Dazu äußerte ich mich in Ikonizität des christlichen Orient. Bemerkungen am Rande eines Buches von Mahmoud Zibawi, NUBICA & ÆTHIOPICA IV/V (1994‑1995) Warschau 1999, 301‑336 (s. auch OrChr 81(1997) 287‑93).
[29] Die Nachricht von Heike Schmoll (FAZ v. 08. 10. 2010/Nr. 234) über die Absicht der Tübinger Universität, dort sieben Lehrstühle für islamische Theologie – neben der bereits existierenden Islamwissenschaft – einzurichten, klingt sonderbar angesichts der Tatsache, dass man gleichzeitig die dortige KCO liquidierte. Aus der Position der Islamwissenschaft liegt eine Darstellung der Geschichte der islamischen Theologie (München 1994) aus der Feder von Tilman Nagel vor (dazu eine Bespr. von Christoph Heger in Ostkirchl. St. 47(1997)2/3, 209‑219).
[30] Josef van Ess lieferte zwar eine der umfangreichsten Darstellungen der frühmuslimischen Theologie (Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra, I‑IV, Berlin 1991‑1997) ist sich aber dessen bewusst, dass es sich mehr um „Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam“ (so auch der Untertitel) als um eine tatsächliche Theologie im abendländischen Sinne handelt. S. auch William Montgomery Watt u. Michael Marmura, Der Islam II. Politische Entwicklungen und theologische Konzepte, RdM 25/2, Stuttgart u.a. 1985 und Tilman Nagel, Theologie und Ideologie im modernen Islam, in Annemarie Schimmel (Hg.), Der Islam III., RdM 25/3 Stuttgart u.a. 1990, 1‑59.
[31] Forschung und Lehre Nr.8/1997. Gleichzeitig aber war G. Krämer in den 80er Jahren des letzten Jahrhundert an der UniBonn im Orientalischen Seminar tätig, an dem die KCO von C. Detlef G. Müller (1926-2003) repräsentiert wurde.
[32] Rudi Paret, Arabistik und Islamkunde an deutschen Universitäten, Wiesbaden 1966; dazu schon Hubert Kaufhold in seiner Einleitung (1‑48), Oriens christianus. Gesamtregister, Wiesbaden 1989, 9.
[33] Neuwirth, Koran /A. 4/, 205‑210
[34] Mouhanad Khorchide in FAZ 24.06. 2010
[35] S. o. A. 8; Beachtenswert sein Beitrag: Die Brüche in der Geschichte der Schia – Von der Fiktion zur historischen Realität, in Markus Groß u. Karl‑Heinz Ohlig (Hg.), Vom Koran zum Islam, Berlin 2009, 177‑249.
[36] Zwar ist die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg mit der Universität eng verbunden, besitzt aber große Autonomie und versteht sich als Fortsetzung der Berliner Lehranstalt (Herbert A. Strauss, Die letzten Jahre der Hochschule (Lehranstalt) für die Wissenschaft des Judentums, Berlin: 1936‑1942, in Carlebach, Wissenschaft /A. 26/, 36‑58. S. auch Hanna Liss, Rabbinerausbildung: ein Integratioslehrstück?, in FAZ v. 26. 01. 2011.
[37] Man kann sich gegenwärtig kaum vorstellen, wie eine Dissertation eines „islamischen Theologen“ auszusehen hat, wenn sie das Grundprinzip kritischer Wissenschaft hinter sich lässt? Mouhanad Khorchide (FAZ 24.06. 2010) meinte zwar: „die Etablierung Islamischer Studien an deutschen Universitäten ermöglichen einen systematischen interreligiösen sowie interdisziplinären nationalen, aber auch internationalen Austausch, von dem nicht nur die islamische Theologie, sondern auch die anderen beteiligten Theologien und Disziplinen profitieren können“, man darf aber fragen wie das auszusehen hat, wenn man die unerschütterlichen religiösen Überzeugungen der islamischen Rechtgläubigkeit, die auf dem Qurʾān fußen (Sur. 2,2) zum Ausgangspunkt macht, der nicht in Frage gestellt werden darf. Hier ist kein Platz für den Lessing’schen Nathan, oder doch?
[38] Das Verständnis der Gläubigen (al‑muʾminīn), die der Sure 23 den Namen gaben, gehört zu zentralen Aspekten der innerislamischen Position (Watt/ Marmura, Islam II. /A.29/, 125ff.), aus der auch die Einstellung gegenüber den Nicht‑Muslimen resultiert, die hier zitiert wurde (Nassim Ben Iman, „Ich war Muslim und wurde Christ“. Die Stimme eines Konvertiten, in Ursula Spuler‑Stegemann (Hg), Feidbild Christentum im Islam, Freiburg i. Br. 2004, 163‑172, 171.
[39] Die Untrennbarkeit der Politik mit der Glaubensgemeinschaft im Islam hebt schon Nagel hervor (Islam III./A. 29/, bes. 37‑59); s. auch Ernest Gellner, Die Besonderheit des muslimischen Staates, in Shmuel Eisenstadt (Hg), Kulturen der Achsenzeit II/3, (stw 930), Frankfurt/M. 1992, 189‑209; gegenwartsbezogen Nazih Ayubi, Politischer Islam (engl. Org. 1991), Freiburg iBr. 2002, 174ff.
[40] Beispielhaft sei auf Bassam Tibi (z.B. Krise des modernen Islam, 1981 u.a., auch seine zahlreichen Beiträge in der FAZ), Gudrun Krämer (Ägypten unter Mubarak, Identität und nationales Interesse, Baden‑Baden 1986; Gottes Staat als Republik: Reflexionen zeitgenössischer Muslime zum Islam, Baden‑Baden 1999; Geschichte des Islam, München 2007), Reinhard Schulze (Geschichte der islamischen Welt im 20. Jh., München 1994/ 2002) und nicht zuletzt Samuel P. Huntington (The clash of civilisations, dt. mit dem irreführenden Titel: Kampf der Kulturen, 1996) hingewiesen. Die damit verbundenen thematischen Überschneidungen der beiden Wissenschaften sind, verglichen mit anderen Geisteswissenschaften in Deutschland die einzigen, die z.Zt. noch expandieren können. Eine eindeutige Trennung zwischen der Politik und Religion ist in dem gegenwärtigen Spektrum der Erforschung des Islam nicht zu beobachten (z.B. Bernard Lewis, Der Atem Allahs. Die islamische Welt und der Westen ‑ Kampf der Kulturen?, Wien/München 1994, bes. 186‑240).
[41] FAZ v. 16.09. 1997 S. 12
[42] Ayubi, Politischer Islam /A. 39/, 79f.
[43] Johann Christoph Bürgel, Allmacht und Mächtigkeit. Religion und Welt im Islam, München 1991, 89; Bernard Lewis, Die Juden in der islamischen Welt, München 1987, 13‑66; grundlegend Wolfgang Kallfelz, Nichtmuslimische Untertanen im Islam, SOR 34, Wiesbaden 1995.
[44] Eine Sonderstellung nimmt der Libanon ein, dort ist die Position der arabischen Christen rechtlich geregelt, obwohl die Entwicklung der letzten Jahrzehnte auf eine negative Veränderung der religionspolitischen Proporz hinweist (Michael Kuderna, Libanon, in Udo Steinbach/Rüdiger Robert (Hgg), Der Nahe und Mittlere Osten. Bd. II/ Länderanalysen, Opladen 1988, 235‑249).
[45] So will z.B. Stefan Wild bestimmen, wer sich zum Islam äußern darf und wer nicht, so in seinem Brief an die Herausgeber der FAZ (v. 27.09. 2006), s.u.A. 79.
[46] Fast eine Weltgeschichte, Wuppertal 2010 (Bespr. in NZZ 10.07. 2010). Die Kolportage der sogenannten postkolonialen Weltsicht – die auch Edward Said glaubte, universitätsfähig gemacht zu haben (hierzu neben Orientalismus, auch in Kultur und Imperialismus, Frankfurt/M. 1994; bezeichnenderweise ohne Index) – wird heute zwar noch nicht ganz ernst genommen, aber wenn man manchen Argumenten von politisch orientierten Islamwissenschaftlern (Reinhard Schulze, Die arabische Welt in der jüngsten Gegenwart 1986‑2000, in Ulrich Haarmann/Heinz Halm (Hgg), Geschichte der arabischen Welt, München 20014, 605‑634) lauscht, dann wird man eines Besseren belehrt.
[47] Die unbekannte Mitte der Welt. Globalgeschichte aus islamischer Sicht (2009), Frankfurt/M. 2010
[48] Politologie – vertreten fast an allen Universitäten – wird inzwischen, neben den Kulturwissenschaften, zur einer omnipotenten Disziplin, die auch die diversen Aspekte des Islam zu behandeln sucht. s. z.B. die z.T. einseitige Sammlung islamischer Texte und Dokumente von Andreas Meier, Der politische Auftrag des Islam, Wuppertal 1994.
[49] Dies lässt sich an den alljährlichen Berichten des Sektionsleiters (z.Zt. Hr. Prof. Dr.Dr. Hubert Kaufhold) in: Jahres‑ und Tagungsbericht der Görres‑Gesellschaft, hg. durch die Geschäftsstelle der Gesellschaft (Adenauerallee 19, 53 111 Bonn) nachvollziehen.
[50] Die letzten Ereignisse im Jahre 2010/11 im Irak, Iran, Ägypten (Alexandrien), Nigeria und Türkei, über die mit unterschiedlicher Intensität in der Presse berichtet wird, zeugen davon (in diesem Kontext verdient ein Beitrag von Amir Hassan Cheheltan, Die Glaubensdiebe /FAZ v.20.01. 2011/ bes. Beachtung, weil über die Attraktivität des Christentum unter den Iranern die Rede ist, trotz der Verfolgungen). Es wird dabei, besonders in den Kommentaren, eine Zurückhaltung geübt, die anscheinend einer Relativierung der Bedeutung dieser Schandtaten dient. Das Problem wurde angesprochen von George Ehusani (Zum Beispiel Nigeria. Christenverfolgung und soziale Probleme) und Anonymus (Zum Beispiel Iran. Christliche Minderheiten in der Islamischen Republik) beide in Spuler‑Stegemann, Feindbild /A.38/, 129‑150.
[51] Genauer gesagt, um dem Arabischen nahe zu kommen sollte man besser vom Haus des Friedens (= dār as-salām) sprechen, das natürlich mit dem Haus des Islam (= dār al islām) gleichzusetzen ist und als Gegensatz zum Haus des Krieges (dār al ḥarb), bzw. des Unglaubens (dār al kufr) zu verstehen ist. Die schon im Frühislam entstandenen Ansätze des politischen Handelns und des Endziels lauten unverändert: Mit der Zeit muss die gesamte Menschheit den Islam annehmen oder die muslimische Herrschaft anerkennen. In der Zwischenzeit sind die Muslime verpflichtet, jenes Ziel zu erstreben. Die Bezeichnung für diese Verpflichtung ist ǧihād. (Bernard Lewis, Politik und Kriege, in: Das Vermächtnis des Islam I, BiMo, Zürich/München 1980, 215). Damit wird klar, wann der Friede im islamischen Sinne verwirklicht werden kann.
[52] So wird in den meisten gängigen Darstellungen die extrem rasche Expansion des Islam (Efraim Karsh, Islamic imperialism. A history, New Haven/London 2006, 21‑65) in der damaligen Welt mit der Spaltung des Christentums erklärt, obwohl man nicht vergessen darf, dass es gerade die Zeit war, in der die Byzantiner mit den Persern, die 619 Ägypten besetzten, Krieg führten und schlussendlich beide Parteien ausgeblutet waren, um einen angemessenen Widerstand gegenüber den Razzien der nomadischen Stämme aus dem Süden zu leisten. Der Orient war von Miaphysiten (=Nichtchalkedonenser) bewohnt, die sich der melkitischen Kirche von Byzanz nicht unterordnen wollten und tatsächlich die Araber als Befreier betrachteten (Albrecht Noth, Früher Islam, in Haarmann/Halm, Geschichte /A. 46/, 11‑100, bes. 64; C. Detlef G. Müller, Geschichte der orientalischen Nationalkirchen, Die Kirche in ihrer Geschichte 1/D2, Göttingen 1981, D 330; Ders., Grundzüge des christlich‑islamischen Ägypten, Darmstadt 1968, 174ff.; Jacques Waardenburg, Islamisch-christliche Beziehungen, Geschichtliche Streifzüge (EnSt 23), Würzburg Altenberge 1993, /A.*/, 84ff.), gleichzeitig aber gab es auch die Überzeugung, dass die „Befreier“ keine neue Religion bringen würden, zu der sie dann alle bekehren wollten. Übrigens war das auch die Periode der Entstehung und Konsolidierung des Islam als neue, vom Christentum getrennten, Religion, in der noch vieles offen war, auch die endgültige Version des Koran (so zB. zusammenfassend Watt/Welch, Islam II. /A. 18/, 179‑194; und bes. die Beiträge in INÂRAH‑Reihe).
[53] Man kann nicht leugnen, was bereits einige der Studien der INÂRAH‑Reihe gezeigt haben, dass viele der ursprünglichen Lehren des Islam dem Christentum sehr nah gestanden haben (s. z.B. Karl‑Heinz Ohlig, Das syrische und arabische Christentum und der Koran, in: Ders./Gerd‑R. Puin (Hgg), Die dunklen Anfänge, Berlin 2005/20071, 366‑404) und akzeptiert werden konnten. Die immer feindlichere Doktrin des Islam gegenüber den „Ungläubigen“, d.h. auch Christen (s.o. A. 37) entwickelt sich erst in den ersten Jahrhunderten der arabischen Expansion, eine fortschreitende „Islamisierung“ wurde v.a. auch durch die Einführung des Arabischen als offizielle Verkehrsprache ermöglicht.
[54] Die Kopten, die sich von dem Joch des grausamen melkitischen Patriarchen und zugleich Präfekten in Ägypten, Kyros, durch die Eroberung Alexandriens von ‘Amr b. al‑‘Āṣ am 17. Sept. 642 befreiten (Stepen J. Davis, The early Coptic papacy, Cairo 2004, 121‑128), um unter dem Patriarchen Benjamin I. (626‑665) eine neue Blüte (CDG Müller, Benjamin I., 38. Patriarch von Alexandrien, Le Muséon 69(1956) 313‑340) zu erleben, ahnten die Folgen nicht. Die spätere Entwicklung wird aber immer unerfreulicher (s.u.). Die Lit. zum Thema ist umfangreich, beispielhaft wird auf Albert Gerhards/ Heinzgerd Brakmann (Hg.), Die koptische Kirche, Stuttgart u.a. 1994, verwiesen.
[55] Paradoxerweise ist die UNO‑Menschenrechtscharta im ursprünglichen Wortlaut nicht unterschrieben worden. Die muslimische Version entspricht nicht dem offiziellen ( s.o. A. 16 und Meier, Der politische Auftrag /A. 48/, 516‑526) Text.
[56] Beispielhaft mag hier die türkische Informationspolitik sein, die im Falle von Christenmorden meist von verirrten Tätern spricht, obwohl inzwischen klar ist, dass dahinter eine islamische (=islamistische) christenfeindliche Haltung zu suchen ist (so auch die Presseberichte zu den Hintergründen der Christenmorde von Malatya, von Michael Martens, FAZ 13. 01. 2011). S. auch Gerhard Duncker, Zwischen Konstantinopel und Istanbul. Erfahrungen eines deutschen Pfarrers in der Türkei, in Spuler‑Stegemann, Feinbild /A. 38/, 75‑86.
[57] Hans Küng/ Josef van Ess, Christentum und Weltreligionen Islam (1984), München 1994; in diesem Geiste auch Karl‑Josef Kuschel, Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint, München 1994. Dazu s. Gerd Neuhaus, Kein Weltfrieden ohne christlichen Absolutheitsnspruch. Eine religionstheologische Auseinandersetzung mit Hans Küngs „Projekt Weltethos“, QD 175, Freiburg iBr. 1999.
[58] So zuletzt die Ermordung der Kopten in Alexandria in der Nacht zum 1.1. 2011
[59] Tilman Nagel, Die islamische Welt bis 1500, OGG 24, München 1998, 166ff.
[60] Wie inzwischen sogar nicht sehr kritisch eingestellte Vertreter der öffentlichen Meinung, z.B. der frühere Präses der EKD Wolfgang Huber, zugeben, ist Toleranz in der islamischen Welt nicht vorhanden (s.o. A. 17). Wie problematisch diese Thematik ist, zeigt die Äußerung von Scheffer (Toleranz /A. 1/, 465): Plädoyers für eine entschärfte Version des Korans sind ebenso unsinnig wie Plädoyers, die im Namen der Gesetze gegen Gotteslästerung den Koran vor Kritikern schützen wollen. Das Prinzip muss allen klar sein: Religionsfreiheit und Religionskritik sind unauflöslich miteinander verbunden.
[61] Inzwischen zeigt sich, dass die neuerschaffene Terminologie der Soziologen (Karl‑Heinz Hillmann, Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart 20075, 596f. mit Lit.; inzwischen auch in einschlägigen Lexika, LThK3, RGG4, und Integrationsexperten nicht von langer Dauer war (s. dazu berechtigte Kritik von Scheffer, Toleranz /A. 1/, 295ff.).
[62] Hier sind die neuesten Ausführungen von Andreas Goetze (Religion fällt nicht vom Himmel. Die ersten Jahrhunderte des Islam, Darmstadt 2011, 281‑291, bes. 284‑87), zu berücksichtigen. Ohne ein endgültiges Urteil zu wagen, muss bemerkt werden, dass es sich um eine Untersuchung handelt, die verschiedene Tendenzen in der Koran‑ und Islamforschung beachtet (übrigens auch solche des INÂRAH‑Kreises).
[63] Oriana Fallacci (1929‑2006) war eine bekannte, lange Zeit „progressive“ italienische Journalistin und begann im letzten Jahrzehnt ihres Lebens eine intensive schriftstellerische Tätigkeit, die sich mit der Kritik am Islam befasste, was ihr oft ablehnende Reaktionen einbrachte. Z.T. werden einige ihrer Schriften wegen der „Verspottung von Glaubensrichtungen“ strafrechtlich verfolgt (so in der Schweiz), einige wurden nicht mehr ins Deusche übersetzt. Allgemein zugänglich La rabbia e l’orgoglio (2001), dt. Die Wut und der Stolz, München 2002.
[64] So laut den Mitteilungen in der FAZ v. 11.08. und 25.11. 2010 (v. Wolfgang Günter Lerch), die deutlich machen, dass es mit der hochgelobten Religionsfreiheit in Iran schlecht bestellt ist. S. auch Denis MacEoin & Frank Whaling, RGG4 1(1998) 1061f.
[65] Kirsten Heisig, Das Ende der Geduld, Freiburg iBr. 2010
[66] Thilo Sarrazin, Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010 (dazu eine umfangreiche Auseinandersetzung in der Presse). Inzwischen soll es eine „entschärfte Neuauflage“ geben (so FAZ 15.11.2010).
[67] Zur Verwunderung einiger Kreise hat auch die „Deutsche Morgenländische Gesellschaft“ Bedenken gegenüber der Einrichtung eines „Zentrum für islamische Theologie“ an deutschen Universitäten geäußert (zahlreiche und aktuelle Presseberichte).
[68] Carsten Colpe, Das Siegel der Propheten. Historische Beziehungen zwischen Judentum, Judenchristentum, Heidentum und frühem Islam, ANTZ 3, Berlin 1989, bes. 227‑243.
[69] Todesstrafe für Konvertiten, Blasphemiegesetze in Pakistan, Tötungen in Iran, sind nur die alltäglichen Ereignisse, die genannt werden können im Zusammenhang mit „Abfall vom Islam“, s. al‑Nawawī, Kitāb al‑arba‘īn, Das Buch der vierzig Hadithe, Frankfurt/M. 2007, 112‑115; W. Heffening, Murtadd, EI2 7(1993) 635f.; es ist interessant festzustellen, dass in einigen Auswahltexten, wie bei Meier (Der politische Auftrag /A. 48/, im Index nur auf die Todesstrafe (für Mitgliedschaft in islamistischen Organisationen) hingewiesen wird, als ob die anderen nicht zum politischen Islam gehören würden. Hadithe möchte man anscheinend in diesen Kontext nicht erwähnen. S.o. A. 38.
[70] Wie sich inzwischen zeigt, wird die Koranforschung sehr unterschiedlich durchgeführt, einerseits das „Großunternehmen“ Encyclopaedia of Qurʾān (Leiden I‑VI, 2001‑2006), andererseits die unterschiedlichen Einzeluntersuchungen (u.a. des INÂRAH‑Kreises) bis schließlich zu nicht einheitlichen Ergebnissen (Goetze, Religion /A. 62/, 235‑281).
[71] Man spricht hier von den Tendenzen der „offiziellen“ Islamwissenschaft (Neuwirth, Koran als Text /A. 4/ und nicht von den anderen, die sowohl bei Theologen (z.B. Klaus Hock, Der Islam im Spiegel westlicher Theologie [Diss. Theol. UniHamburg 1985], Köln/Wien 1996), als auch bei einigen Repräsentanten der KCO stattfanden (Wolfgang Hage, KLCO 205‑8, leider unzureichend, aber mit reichen Literaturangaben).
[72] Günter Lüling, Über den Urkoran. Ansätze zur Rekonstruktion der vorislamisch‑christlichen Strophenlieder im Koran (DissUniErlangen 1970), Erlangen 1974/19932; inzwischen in einer erweiterten engl. Ausgabe: A challenge to Islam for reformation. The rediscovery and reliable reconstruction of a comprehensive pre‑Islamic Christian hymnal hidden in the Koran under earliest Islamic reinterpretations, New Delhi 2003 (dazu meine Rez. in OrChr 90 (2006) 299f.).
[73] Die syro‑aramäische Leseart des Koran. Ein Beitrag zur Entschlüsselung der Koransprache, Berlin 20042; inzwischen wird auch eine erweiterte englische Ausgabe vorbereitet (s. auch ein Interview mit Christoph Luxenberg in DIE WELT v. 29.09. 2004, die mit dem Neuerscheinen des Buches zustande kam).
[74] Hans‑Caspar Graf von Bothmer, Karl‑Heinz Ohlig und Gerd‑Rüdiger Puin, Neue Wege der Koranforschung, Magazin Forschung der Universität des Saarlandes 1/1999, 33‑46; inzwischen beispielhafte Einzeluntersuchungen von Elisabeth Puin, Ein früher Koranpalimpsest aus San‘ā’ (DAM 01‑27.1), in Groß/ Ohlig, Schlaglichter /A. 13/, 461‑493 und Teil II, in Markus Groß/ Karl‑Heinz Ohlig (Hgg), Vom Koran zum Islam, INÂRAH 4/ 2009, 523‑581.
[75] In diesem Sinne Angelika Neuwirth, Koran, RGG4 4 (2001) 1679f., die immer noch von ihren umstrittenen Thesen (Studien zur Komposition der mekkanischen Suren, Berlin 1981; inzwischen liegt eine zweite Auflage vor: 2007) ausgeht. Dazu die Rezension von Günter Lüling in ZRGG 36 (1984) 56‑67.
[76] Stefan Wild (Hg), Qur’an as text, Leiden 1993
[77] Vgl. FAZ v. 16.09. 1997
[78] Neben der Diskussion um die Einrichtung von Lehrstühlen für die sog. „europäischen Islam“ (einen solchen gibt sogar an der UnivWarschau in Polen), lassen sich einige schiitische Ansätze seitens S.A. Hosseini Ghaemmaghami, Europäischer Islam oder Islam in Europa?, Berlin/Tübingen 2010 konstatieren. Religionsgeschichtlich erhebt sich sowieso die Frage, ob man von einem nationalen bzw. kontinentalen Charakter einer „universellen“ Religion mit überzeugender Eindeutigkeit sprechen kann.
[79] Tibi, in FAZ, s.o. /A. 77/
[80] Stefan Wild stellte eine Liste der nach seiner Meinung kompetenten Kollegen zusammen: Stephan Conermann/Bonn, Werner Ende/ Freiburg, Gudrum Krämer/ Berlin, Thomas Philipp/Erlangen und Stefan Reichmuth/ Bochum (so in seiner Zuschrift an FAZ v.27. 09. 2006). Damit diffamiert er die anderen als inkompetent – „islamisch“ betrachtet sind das Handlungen eines Kalifen und nicht die eines Hochschullehrers.
[81] Beispielhaft wird auf Schulzes Beitrag (Die arabische Welt /A.45/) verwiesen, in dem bei der Schilderung der gegenwärtigen Situation der „arabischen Welt“ in den Jahren 1986‑2000 über die Christen kein Wort verloren wird! Es darf gefragt werden, ob den Autoren der bereits genannten „Geschichte der arabischen Welt“ bewusst ist, dass es auch arabische Christen gibt. Die Haltung der Islamwissenschaftler gegenüber den Christen entspricht damit der, die meist auch von Muslimen vertreten wird. Waardenburg drückte es folgendermaßen aus: „Im Fall der arabischen Christen wurde bei der Islamisierung unmittelbar Gewalt angewendet; in Arabien sollte es keine Christen (und Juden) geben, alle Araber sollten Muslime sein. Die ethnische Zugehörigkeit bestimmte alle Araber zum Islam. Trotz des Koranverses lā ikrāh fi ‚l-dīn (Sur. 2: 256) herrschte in diesem Fall religiösen Zwang. 780 wurden die Banū Tanūh (christliche Araber) mit Gewalt zum Islam bekehrt.“ (Jacques Waardenburg, Beziehungen, a.a.O., S. 52). Ein anderes Bild liefert das endlich auch ins Deutsche übertragene Buch von Bat Ye’or, Der Niedergang des orientalischen Christentums unter dem Islam, Gräfelfing 2002 (dazu meine Bespr. in OrChr 90(2006) 296ff.).
[82] Der Überblick über die gängige Fachliteratur aus den „Federn“ der Islamwissenschaftler (s.o. A. 45) offenbart eine unkritische Haltung gegenüber dem Islam und zugleich eine harte Kritik gegenüber Ansichten, die ein unerwünschtes Bild des Islam und seiner Geschichte liefern. So stellte z.B. Stefan Wild in seiner Zuschrift an die FAZ (v. 27.09. 2006) fest: Egon „Flaig nennt nur das hochtendenziöse, offen islamfeindliche Buch von Bat Yeor, das wissenschaftlich kaum zitierfähig ist“ und es zu bestimmen sucht, was wissenschaftlich haltbar ist und was nicht.
[83] Man kann aber auch noch unter den deutschen Orientalisten seriöse Forscher finden, deren Beiträge und Monographien einer guten Tradition huldigen, dazu gehören nicht nur einige Emeriti, sondern auch noch tätige Hochschullehrer, wie z.B. Manfred Kropp (Mainz), der Mitherausgeber des Oriens Christianus und Autor in der INÂRAH‑Reihe (erst vor kurzem auf eigene Veranlassung emeritiert), aber auch Ursula Spuler‑Stegemann (Marburg).
[84] Die Angaben folgen (Jean‑Pierre Valognes, Vie et mort des chrétiens d’Orient, Ed. Fayard 1994, 838), jedoch mit Vorbehalten, die sich aus vielerlei Gründen ergeben. So halten die islamischen Staaten die Zahlen ebenso geheim wie auch einige Kirchen, besonders die, die Konvertiten betreffen (s.o. A. 38).
[85] Gernot Rotter, „Der Islam hat die Demokratie erfunden“, in Ders. (Hg), Die Welten des Islam, Frankfurt/M. 1993, 173‑177.
[86] Hierzu reicht es, auf den zusammenfassenden Art. von Bertold Spuler, TRE 3(1978) 577‑587 (mit Angaben zu der älteren Lit.) hinzuweisen. Grundsätzlich muss aber festgehalten werden, dass die Bearbeitung der sehr umfangreichen arab.‑christl. Literatur sehr lückenhaft ist.
[87] Hierzu bereits zitierte Darstellungen von Bürgel, Allmacht /A. 43/, 88f. Lewis, Juden /A. 43/, 54‑65; Kallfelz, Untertanen /A.43/ 33ff.; die auch deutlich machen, dass Zwangsbekehrung keine Seltenheit war (dazu ausführlich auch Ye’or, Niedergang /A. 81/ s. im Index unter „Zwangsbekehrungen“).
[88] Von der allgemein bekannten These von Jan Assmann (Das kulturelle Gedächtnis, München 1992) ausgehend, muss man bemerken, dass die KCO immer nach der Erklärung der Genese der religiösen und kulturellen Phänomene trachtete und nicht – wie es im Islam der Fall ist – mit der Bezeichnung ǧāhaliyya (s.oA. 32; Goetze, Religion /A.62/, 38f.) alles Vergangene ablehnt und als der Erforschung unwürdig erachtet. Gerade die „Periode der Unwissenheit“ läßt sich als besonders wichtiger Gegenstand der KCO ansehen (John Spencer Trimingham, Christianity among the Arabs in pre‑Islamic times, London/New York 1979).
[89] Religionssoziologie (1949), Tübingen 1951, 16‑21; Gustav E. von Grunebaum, Analyse der islamischen Kultur und Kulturanthropologie, in Ders., (A.16), 145‑180; s. auch Shmuel Eisenstadt, Die Geschichtserfahrung des Islam, in Ders., Kulturen der Achsenzeit II/3 /A.108/, 153‑160.
[90] Nehemia Levtzion, Islamisierungsmuster: Die Begegnung des Islam mit „Achsenreligionen“, in Eisenstadt, Kulturen II/3 /A.107/, 226‑241; beachtenswert auch die Ausführungen von Bernard Lewis, Der Herrscher und die Beherschten, in Ders., Die politische Sprache des Islam, Berlin 1991, 77‑120.
[91] Schulze, Geschichte /A.40/, 38
[92] S. zB. Alexander Böhlig, Manichäismus, TRE 22 (1992) 25‑45, 39.
[93] S. zB. Kurt Rudolph, Mandäer/Mandäismus, TRE 22 (1992) 19‑25, 19.
[94] Diese Tatsache wird auch von Bassan Tibi erwähnt (Vom Gottesreich zum Nationalstaat. Islam und panarabischer Nationalismus, Frankfurt/M. 1987/1991). S. auch A. 95.
[95] Vgl. Albert Hourani, Die Geschichte der arabischen Völker, Frankfurt/M. 1992, 367‑380; Michael Eisele, Arabischer Nationalismus, in Mohssen Massarrat (Hg), Mittlerer und Naher Osten, Münster Wstf. 1996, 117‑119.
[96] Zit. nach Gernot Rotter (s.o.A. 85), 222.
[97] Said, Orientalismus (s. A. 2), 412
[98] So berichtet z.B. FAZ (am 28. 01. 2011, S. 6 u. 10), dass der Oberste Gerichtshof der Türkei Ländereien des christlichen Klosters Mor Gabriel in Südostanatolien dem türkischen Staat zugesprochen (hat). ‑ was im Sinne der EU‑Bestimmungen unakzeptabel erscheint.
[99] Helga Anschütz, Christentum und Islam: Die syrischen Christen in Tur ʿĀbdin, in Michael Fitzgerald, Adel Th. Khoury, Werner Wanzura (Hgg), Renaissance
des Islam, Graz u.a., 1980, 55‑96 (eine etwas blauäugige Schilderung, die übrigens charakteristisch für die Reihe Islam und westliche Welt ist). S. dokumentarisch sehr gut belegt Gabriele Yonan, Ein vergessener Holocaust. Die Vernichtung der christlichen Assyrer in der Türkei (pogrom 148/149), 1989, Verzeichnis der Dokumente, S. 410‑413.
[100] Es ist beachtenswert, dass das berühmte dreibändige Werk (Rp. Graz 1978) von nicht nur historischer Bedeutung kaum noch rezipiert wird (man vergleiche die deutschsprachigen modernen Fachlexika, um festzustellen, dass das Werk und dessen Autor nicht zu finden sind!). Es war mir möglich, darüber in der polnischen katholischen Enzyklopädie zu schreiben (Encyklopedia Katolicka, Bd. 14, Lublin 2010, 786f.).
[101] Josephus Simonius Assemanus, Bibliotheca clementino‑vaticana, vol. I‑III, Roma 1719‑1728 (Rp. Hildesheim 1975, 2000).
[102] Ein Gesamtregister für Oriens Christianus für die Bände 1(1901) bis 70 (1986) ist bereits von Kaufhold /A. 32/ zusammengestellt worden; dort auch die Geschichte dieser Zeitschrift, 25‑46
[103] Kaufhold /A. 31/ 2‑25
[104] Es ist bezeichnend, dass heute die (wenigen) Forschungsprojekte dieser Disziplin nicht einmal von eigenen Fachvertretern begutachtet werden können, weil Anträge aus diesem Bereich bei der DFG nur den „anerkannten“ Disziplinen vorgelegt werden können (wozu die KCO offenbar nicht mehr gehört. Damit ist klar, dass für die DFG nicht mehr alle wissenschaftlichen Disziplinen gleichwertig sind). So, wie im Orient die islamischen Verwaltungsorgane über die dortigen Christen entscheiden, so entscheiden die Islamwissenschaftler über das Schicksal wissenschaftlicher Vorhaben einer KCO. Deshalb erfolgt der Druckkostenzuschuß für „Oriens christianus“ durch die Mittel der DFG nur mit Hilfe eines Islamwissenschaftlers, der als Gutachter fungiert. Andernfalls würde das Organ wahrscheinlich ganz der Görres‑Gesellschaft – die die einzige ist, die noch eine Sektion für den christlichen Orient unterhält – untergeordnet werden, was man aus vielerlei Gründen zu vermeiden sucht. Wie inzwischen bekannt ist, wird ein Projekt unter der Leitung von Hubert Kaufhold an der Universität Eichstätt mit Hilfe der DFG realisiert.
[105] S. „Wissenschaft vom christlichen Orient“ von verschiedenen Autoren verfasst, KLexCO 501‑520 und den Art. v. CDG Müller, Zeitschriften, ebd. 525‑535.
[106] Die traditionsreiche Disziplin, die heute zwar noch über einige Lehrstühle – auch noch in Deutschland (München, Köln) verfügt – erfreut sich eines breiten Forschungsspektrums das z.T. auch die KCO tangiert (Franz Tinnefeld, Byzanz und der christliche Orient, KLexCO 110‑119) und die z.B. die Ikonizität des Christlichen Oients als ihr eigenes Gebiet beansprucht, so in Halle/S. (hierzu einige Art. in RBK).
[107] Nachdem man die islamische Theologie (sogar mit sieben Lehrstühlen) in Tübingen installieren möchte, erhebt sich die berechtigte Frage: wie sollen sich jetzt die Islamwissenschaften darstellen bzw. sollen sie sich der „islamischen Theologie“ unterordnen? Hierzu wird eine aktuelle Diskussion in den Medien geführt.
[108] Karl Jaspers (Vom Ursprung und Ziel der Geschichte, Frankfurt/M. 1955, 30ff.) prägte diese Bezeichnung, die in der Gegenwart große Beachtung findet, auch bzgl. des Islam (Michael Cook, Die Entstehung der islamischen Kultur, in Shmuel N. Eisenstadt (Hg), Kulturen der Achsenzeit I/2 (stw 653), Frankfurt/M. 1987, 348‑358; weitere z.T. zit. Beiträge in ebd. II/3 (stw 930) 1992, 153‑241).
[109] Piotr O. Scholz, Mentalitätsgeschichte des christl. Orient, KLexCO 351‑356
[110] Levtzion, (Islamisierungsmuster /A.89/ 230) stellt fest: In Syrien und Ägypten dauerte es Jahrhunderte, bis die Christen in einem langwierigen Abnützungskampf ihre Mehrheitsposition verloren und zur Minderheit wurden. Die Vorherrschaft des Islam führte zur materiellen wie moralischen Erschöpfung der Kirchen. Der Stolz der Araber auf ihre Volkszugehörigkeit, Lebensweise und Sprache fand Bestätigung durch ihren Sieg über Völker mit einer höheren Kultur. Sie wurden damit in ihrer Meinung bestätigt, dass ihr neuer Glaube, der Islam, allen anderen Religionen überlegen sei.
[111] Levtzion, Islamisierungsmuster, /A. 89/, 226ff; Lewis, Juden /A. 42/, 13‑66; Ye’or, Niedergang /A. 80/, 136‑153.
[112] Stuart C. Munro‑Hay, Ethiopia and Alexandria. The metropolitan episcopacy of Ethiopia [Bibiotheca nubica et æthiopica 5 und 9, Wiesbaden‑Warszawa], I(1997), II (2005).
[113] In den meisten Darstellungen vermeidet man, die mentalgeschichtlichen Unterschiede zwischen Christen und Muslimen im Orient zu bestimmen – hierzu hat Bürgel (Allmacht /A.43/ 360‑366) versucht manches deutlich zu machen. Denn nur aus dieser Kenntnis lässt sich sowohl das fordernde Selbstbewusstsein der Muslime (s.o. A. 109), hier in Europa (Karsh, Imperialism /A. 52/, 236‑238) bei gleichzeitiger Verschlossenheit der orientalischen Christen in den islamischen Staaten einerseits (Valognes, Vie /A.84/, 56‑104), andererseits die Integrationsfähigkeit dieser beiden Gruppen im Rahmen der westlichen Kulturen begreifen.
[114] Noth, Früher Islam /A. 46/ 11-150; Tilman Nagel, Das Kalifat der Abbasiden, ebd., 101-165; s. auch Karsh, Imperialism /A. 52/, 23-65.
[115] Bonifatius Kotter, Johannes von Damaskus, TRE 17(1988) 127‑132 (mit einer umfangreichen Bibliographie); für die hier zu behandelnde Problematik ist auf die Monographie von Daniel J. Sahas, John of Damascus on Islam, Leiden 1972 hinzuweisen.
[116] Immer noch beachtenswert Anton Schall, Islam I., TRE 16(1987) 315‑336, 318ff.; s. auch zahlreiche Beiträge und Untersuchungen in der INÂRAH‑ Reihe (s.o. A. 7 u.a.) und Goetze, Religion /A. 62/, 59‑100.
[117] Von Interesse ist die Meinung von Jansen (Mohammed /A.87/, 143f.) festzuhalten, dass es sich eigentlich nicht um Äthiopier im heutigen Sinne des Wortes handelt, sondern um Nubier, die damals auch schon Christen waren (dazu Scholz, Noch einmal zum frühen Auftreten der Christen in Nubien. Einige Randbemerkungen zum Bericht des Johannes von Ephesos, OrChr 94 (2010, im Druck).
[118] So schon Ernst Kornemann (Weltgeschichte des Mittelmeer‑Raumes von Philipp II. von Makedonien bis Muhammed, Bd. 2 von Augustus bis zum Sieg der Araber, München 1949, 467‑ 481) in dem er der Idee von Edward Gibbon (The history of the decline and fall of the Roman empire (vol VI/1788), London 1994, III, 233‑378) folgte. Immer noch beachtenswert Hans Heinrich Schaeder, Der Orient und das griechische Erbe (1928), ND: Ders., Der Mensch in Orient und Okzident, München 1960, 107‑160.
[119] Piotr O. Scholz, Das Hellenische oder das Hellenistische als Grundlage des arabischen kulturellen Eklektizismus, Græco‑arabica VI (1995) 37‑71 und dort zit. Lit.; s. auch Heinz Halm, Ayyubiden und Ulrich Haarmann, Der arabische Osten im späten Mittelalter 1250‑1517, beide in Haarmann, Geschichte /A. 46/ 200‑263.
[120] Bernard Lewis, Stern, Kreuz und Halbmond. 2000 Jahre Geschichte des Nahen Osten, München 1997
[121] Ye’or, Niedergang /A. 81/, 71‑106
[122] Heinz Halm, Die Kalifen von Kairo. Die Fatimiden in Ägypten 973‑1074, München 2003, bes. 129‑146
[123] Unter al‑Ḥakīm fand sogar die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusalem statt (dazu Halm, Kalifen /A. 122/ 217‑228). Halm versucht die Verfolgungswut des sonderbaren Kalifen klein zu reden, in dem er die angebliche christliche Einseitigkeit der Darstellung hervorhebt (220), dennoch läßt er erkennen, dass in dieser Zeit seitens der Muslime Entsetzlichkeiten ausgeübt worden sind, die Ye’or (Niedergang (A. 81)) beschreibt und dokumentarisch belegt. Dabei kann man leicht ersehen, dass man die Geschichte der muslimischen Reiche nicht ohne christlichen Quellen (z.B. die Zitate aus der Patriarchengeschiche machen das deutlich) schreiben kann.
[124] Es ist beachtenswert, wie viele Elemente und Methoden aus der islamischen Tradition die Nationalsozialisten übernommen haben: die anderen kenntlich zu machen (wie das die Fatimiden mit Christen und Juden taten), Völkermord (z.B. Yves Ternon, Tabu Armenie. Geschichte eines Völkermords (Org.franz. 1977), Berlin 1988; Wolfgang Gust, Der Völkermord an den Armeniern, München 1993, 301ff.), die Lebensbornidee (aus der Janitscharen‑Tadition; Ye’or, Niedergang /A. 80/, 57, 124; grundlegend B.D. Papoulia, Ursprung und Wesen der „Knabenlese“ im Osmanischen Reich, München 1963; populär Gerhard Schweizer, Die Janitscharen. Geheime Macht der Türkenreichs, Salzburg 1984, 53ff.), Tötungsaufrufe gegen Konvertiten (d.h. Liquidation der Andersdenkenden). S. auch o. A. 38, 50, 69, 99.
[125] Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht, aus den arabischen Quellen ausgewählt und übersetzt von Francesco Gabrieli (BiMo), Zürich/München 1973; s. auch Régine Pernoud, Die Kreuzzüge in Augenzeugenberichten, Düsseldorf 1961; Peter Malcolm Holt, The age of the Crusades. The Near East from the eleventh century to 1517, London/New York 1986; Hans Eberh. Mayer, Geschichte der Kreuzzüge, Stuttgart u.a. 1965/19897 (eine der kompetentesten Darstellungen). Heute entstehen in Zusammenhang mit Ausstellungen über die Kreuzzüge sonderbare Betrachtungen, die man kaum hinnehmen kann.
[126] So sieht das sogar ein Muslim, vgl. Ansary (Mitte, s.A. 47, 155f.) im Gegensatz zu Amin Maalouf (Der heilige Krieg der Barbaren. Die Kreuzzüge aus der Sicht der Araber (franz. Org. 1983), München 1996).
[127] Valognes, Vie /A.84/, Index: „émigration des chrétiens“, und Tagespresse (FAZ, NZZ u.a.); schon 2008 (FAZ v. 5.06.) fragte Wolfgang Günter Lerch „Vor der Auslöschung? Im mittleren und südlichen Irak sind die assyrischen Christen fast verschwunden“.
[128] Über die steigenden Belastungen schreibt nicht nur Ye’or, Niedergang (A.81) sondern auch Halm (Kalifen /A. 122/ 129‑139).
[129] Wie bereits zusammenfassend ausgeführt worden ist (Scholz, Sudan, TRE (A.25) 315ff.) lebten in Nubien noch Christen, die erst mit der Mahadiya eliminiert wurden (Trimingham, Sudan /A. 25/, 150‑162; Peter M. Holt, The Mahdist state in the Sudan 1881‑1898, Oxford 1958/19702).
[130] Armenier und Georgier konnten sich im Kampf gegen den Islam behaupten, u.a. weil man die eigenen Sprachen nicht zu Gunsten des Arabischen aufgegeben hat. S. dazu einige Art. von Julius Aßfalg (Armenische Lit., Schrift u. Sprache, 55-61; Georgische Lit. u. Sprache, 184-189; beides in KLCO).
[131] F. Løkkergaard, EI2 I (1986) 966f. baqt/bakt geht auf eine antike Tradition (πακτov bzw. pactum) von Friedensverträgen zurück.
[132] In der allgemeinen Wahrnehmung wird diese Tatsache gerne verschwiegen. Dabei leisteten die orientalische Christen in dieser Hinsicht einen wesentlichen Beitrag, was viele Autoren noch offen legen, z.B. Bürgel, Allmacht /A.43/, 114f.
[133] In Jerusalem, Damaskus (Oleg Grabar, Die Entstehung der islamischen Kunst, Köln 1977, 55‑72; 106ff.), in Córdoba (ebd. 29f., 112,191) wirkten christliche Handwerker und die Byzantiner schickten sogar Gold nach Andalusien (Gabriele Crespi, Die Araber in Europa, Stuttgart/Zürich 1983, 120‑279).
[134] Ulya Vogt‑Göknil, Sinan, Tübingen/Basel 1993, 18
[135] Das arabische Wort für „Moschee“ (masǧid) heißt nur „Ort der Niederwerfung/ Anbetung“. In der islamischen Welt wird für die Moschee auch die Bezeichnung al-ǧāmīʿ (von ǧamaʿa – s. sammeln) verwendet. Im Prinzip gibt es keine Notwendigkeit für die Erbauung einer Moschee, da die Welt, als Schöpfung Gottes, eine große Moschee darstellt. S. dazu Giorgio Paolucci u. Camille Eid, Cento domande sull’islam. Intervista a Samir Khalil Samir, Genua 2002, Frage/Antwort 86-88.
[136] Felix Klein‑Franke, Die klassische Antike in der Tradition des Islam, Darmstadt 1980; die drei Bände der Reihe Studies in late antiquity and early Islam: Averil Cameron and Lawrence I. Conrad (Hgg.), The Byzantine and early Islamic Near East I‑III, Princeton, NJ 1992‑1995 [Bd. II mit G.R.D. King als Mithg.].
[137] Zwar setzte sich in einigen Bereichen manche Autochthonität durch (so z.B. in Zentralasien), aber gleichzeitig wird sie in einigen Ländern (Afganistan, Pakistan) beseitigt bzw. wird die Spaltung des Islam deutlich (Sunna vs Schia). Heinz Halm, Die Schia, Darmstadt 1988. S. u. A. 138‑145.
[138] Eine Reihe einseitiger Darstellungen eröffnet die sehr verbreitete populäre Monographie von Siegrid Hunke (Allahs Sonne über dem Abendland. Unser arabisches Erbe, Stuttgart 1960; dann zahlreiche Taschenbuch‑Ausgaben bei Fischer); der folgen weitere, von denen man die von Eberhard Serauky (Im Glanz Allahs. Die arabische Kulturwelt und Europa, Berlin 2004) erwähnen sollte, weil er manchmal auf die Christen hinweist, die für die Vermittlung von Wissen verantwortlich gewesen waren. Grundsätzlich versucht man aber den Wissenschaftsbeitrag der orientalischen Christen zu minimieren und ihnen ihre Bedeutung abzusprechen, mit der Begründung: „Es die höchste Zeit (ist), ein neues Kapitel aufzuschlagen und […] die Beiträge der Araber zu dem anzuerkennen, was wir als „abendländische Bildung“ vereinnahmt haben. (so Ulrich Rebstock, Null von den Arabern? Das Abendland als Erbe der arabischen Naturwissenschaften, in Rotter, Welten (A.85), 191‑98, 198).
Eine Betrachtung dieser Problematik bedarf eingehender Studien, weil die sich ausbreitende Ignoranz, vor der schon v. Grunebaum (s.o. A. 16) warnte, immer deutlicher ein falsches Bild von den Arabern und ihrem Kulturbeitrag prägt (dazu zwar grundsätzlich Das Vermächtnis /A. 51/, Bd. II, aber mit einigen Korrekturen).
[139] Mit dem Auftreten der Mongolen (Bertold Spuler, Geschichte der islamischen Länder. Die Mongolenzeit (HdbOr VI, 2), Leiden 1953; Tilman Nagel, Timur der Eroberer und die islamische Welt des späten Mittelalters, München 1993) und Türken veränderte sich nicht nur der bisherige arabische Charakter des Islam, sondern auch die Geschichte der alten Welt.
[140] Das Osmanen‑Reich gehörte nach der Eroberung Konstantinopels (1453) zu den größten Imperien damaliger Welt (allgemein zugängliche Darstellung von Wolfgang Gust, Das Imperium der Sultane, München 1995 mit weiterführender Lit.), seine Ausdehnung reichte in Osten nach Indien und im Westen bis Marokko, im Norden bis zu den Grenzen Polens und Russlands und im Süden bis Aden und Schwarzafrika (südlich der Sahara). Es war eine Kolonialmacht, die das Menschenreservoir sowohl für die dauerhaften Kriege, als auch als Ware nutzte. De facto kontrollierten Türken und muslimische Kaufleute auch den Sklavenhandel nach Amerika (Tidiane N’Diaye, Der verschleierte Völkermord. Die Geschichte des muslimischen Sklavenhandels in Afrika, Reinbek 2010; s. auch Egon Flaig, Weltgeschichte der Sklaverei, München 2009, bes. 141‑151) und weigerten sich, damit Schluss zu machen, was den Westen auf den Plan rief. Die Situation änderte sich erst im 19. Jh. (beispielhaft dafür sind die Ereignisse, die mit dem Mahdi‑Aufstand im Sudan zusammenhängen, dazu u.a. F.R. Wingate, Mahdism and the Egyptian Sudan (1891), London/Edinburgh 1968˛). Der „kranke Mann am Bosporus“ schrumpfte und kollabierte (Adam Palmer, Verfall und Untergang des Osmanischen Reiches, München/Lpzg 1992). Die siegreichen Feldzüge waren beendet, aber der Lebensstil des Hofes blieb. Dennoch begann eine Anpassung an Sitten und Vorstellungen der seinerzeit Unterlegenen, d.h. der Europäer. Die neuen Kolonialherren fanden im früheren Osmanischen Reich das, was bis heute den Orient kennzeichnet: Korruption (Bakschisch), Fatalismus, verdeckte Sklaverei, Machtausübung nach Art der Kalifen, Ausbeutung etc.
[141] Es genügt, auf die Ausführungen von Necla Kelek (Über die Freiheit im Islam, [Vontobel‑Stiftung/ Schriftenreihe] Zürich 2010) hinzuweisen, um zu erkennen, dass die Unterscheidungen zwischen Muslimen und Islamisten irreführend sind.
[142] Hier entfaltet sich die ganze politisch‑ideologische Ortung (s.o. A. 38, 40) die nur eines im Sinn hat, die endgültige Eliminierung der Christen aus dem Nahen Osten.
[143] Die in einigen Kreisen angeprangerten Folgen des europäischen Kolonialismus (Said, Kultur und Imperialismus /A. 46/ bes. 227‑256) haben mit der historischen Wirklichkeit nur wenig zu tun. Das ist am besten der falschen, von einigen aber allzu gerne angenommenen These zu entnehmen, die besagt, dass das Christentum eine in die islamische Welt importierte Ideologie sei und mit den autochthonen Kulturen nichts zu tun habe (A. 46). Damit vermeidet man auch von der Türkei als einem Kolonialimperium (S. A. 139, 144) zu sprechen (eine gewisse Parallele zu der Betrachtung Russlands läßt sich kaum übersehen).
[144] Das vom Orient‑Institut in Hamburg ins Leben berufenes Handbuch ist seit der 3. Auflage zum scheinbar umfassenden Informationsmaterial, leider manchmal sehr einseitig, über den Islam in der Welt geworden, vgl. Werner Ende u. Udo Steinbach (Hgg), Der Islam in der Gegenwart, München 19913.
[145] Beispielhaft Ekkehard Eickhoff, Venedig, Wien und die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1654‑1700, Stuttgart 1992 (mit einer umfangreichen Bibliographie).
[146] Z.B. s. Peter Bartl, Die albanische Muslime zur Zeit der nationalen Unabhängigkeitsbewegung (AlbanSt 8), Wiesbaden 1968.
[147] Huntington, Clash /A. 41/, 434‑444.
[148] Gust, Imperium /A. 140/, 245‑264
[149] Christenverfolgung in der Türkei – wo angeblich die Christen dazu gehören (so nach dem Besuch des Bundespräsidenten Wulff in der Türkei 18.-21.10.2010) – gehört leider immer noch zum Alltag.
[150] Müller, Nationalkirchen /A.51/; Klaus Wenzel, Kirchegeschichte Asiens, Wuppertal/Zürich 1995; Dietmar W. Winkler, Koptische Kirche und Reichskirche. Altes Schisma und neuer Dialog, Innsbruck/Wien 1997.
[151] Daran, dass die Christen zum wichtigen Wirtschaftsfaktor in den islamischen Imperien wurden, besteht wohl kein Zweifel. Hierzu eine beispielhafte Untersuchung von Subhi Y. Labib, Handelsgeschichte Ägyptens im Spätmittelalter (1171‑1517), Wiesbaden 1965.
[152] Jerzy S. Łątka, Ojciec Turków. Kemal Atatürk, Kraków 1994, 12.
[153] Sowohl Lewis (Stern /A.119/ 419‑422), als auch Schulze (Geschichte /A.39/,71, 388f.) verhalten sich gegenüber der Armenien-Frage fast philotürkisch, was man angesichts der Tatsachen (s.o. A. 123) nur mit Verwunderung wahrnehmen kann. Regelmässig finden sich darüber Berichte und Nachrichten in Armenisch‑Deutsche Korrespondenz, Vierteljahresheft der Deutsch‑Armenischen Gesellschaft.
[154] Eltern, die zum Islam übertraten, um ihre Söhne nicht zu verlieren, kann man wohl kaum als freiwillige Konvertiten bezeichnen!