Goldziher: Über den Einfluss des Buddhismus auf den Islam

Ignaz Goldziher

Über den Einfluss des Buddhismus auf den Islam

Vortrag in ungarischer Sprache aus dem Jahre 1903

übersetzt und kommentiert von Markus Groß

1. Vorbemerkungen des Übersetzers

Auf den folgenden Text wurde ich von Gerd-R. Puin aufmerksam gemacht, der den Titel in einer Bibliographie mit knapper Inhaltsangabe auf Franzö­sisch gefunden hatte. Eine digitale Version des Textes fand sich unter dem Titel „A Buddhizmus hatása az Iszlámra – Goldziher Ignác“ in der Ungari­schen Elektronischen Bibliothek (Magyar Elektronikus Könyvtár; elektroni­sche Ausgabe/Elektronikus kiadás: Terebess Ázsia)1. Der zunächst gefasste Plan, den Text in Ungarn übersetzen zu lassen, musste aus Kostengründen aufgegeben werden, so dass ich die Übersetzung selbst übernehmen musste.

Ignaz Goldziher erwähnt in seinen meist auf deutsch geschriebenen Tage­büchern den Vortrag und gibt ihm dort den Titel, der auch für diesen Beitrag gewählt wurde. Sándor Csoma K?rösi, der Gelehrte, zu dessen Ehren der Vortrag von Ignaz Goldziher gehalten wurde, lebte von 1784 bis 1842 und gilt als Vater der Tibetologie.

Eine Übersetzung in andere Sprachen scheint Goldziher erwogen zu haben, ausgeführt wurde dieser Plan jedoch nie, abgesehen von einigen Abschnitten des Vortrages, die sich in anderen seiner Untersuchungen finden, in der im Vortrag gebotenen Breite geht er jedoch nirgendwo auf buddhis­tische Einflüsse auf den Islam ein.

Interessant sind in diesem Zusammenhang zwei Zitate von Zeitgenossen Goldzihers auf der deutschen Wikipedia-Seite2 über Ignaz Goldziher, von denen das erste in einem Brief Nöldekes an Goldziher, dem gerade eine Professur angeboten worden war, zu finden ist:

Ich wünsche Ihnen sehr, Sie gingen nach Prag, wenn Sie irgend leidliche Bedingungen erhalten. Dass Sie dann nicht mehr magyarisch arbeiten können, ist um so besser. Zum Volkslehrer sind Sie nicht ge­macht, und wozu sonst in einer Sprache schreiben, die niemand ausser Ungarn versteht und verstehen wird, sehe ich nicht ein.

Das zweite stimmt mit Nöldekes Ansicht überein und stammt von dem britischen Orientalisten Anthony Ashley Bevan3:

Most of Goldziher’s writing were published in German, but unfortu­nately some of them remain shrouded in the impenentrable obscurity of the Hungarian language. It is most earnestly to be wished that all his contributions to learning should, as soon as possible, be rendered generally accessible to Orientalists, for even his briefest articles have a permanent value.

Diese Anregung habe ich aufgenommen und den Anfang mit dem vorlie­genden, für meine eigenen Studien zum Buddhismus sehr wertvollen, Artikel ge­macht, nicht ohne die Hoffnung, dass auch die übrigen nur ungarisch er­hält­lichen Texte Goldzihers in Zukunft in anderen Sprachen vorgelegt werden.

Der Text des ungarischen Originals ist der wohl nur wenig veränderte Vortrag und hat keine Fußnoten oder bibliographischen Angaben. In der Übersetzung sind also alle Fußnoten Anmerkungen des Übersetzers.

Die arabischen und indischen Namen sind im Original nach den phonetischen Regeln des Ungarischen geschrieben, z.B. iszlám, Bászra, al-Gazáli. In der Übersetzung wurden sie soweit wie möglich in eine wissenschaftliche Transliteration übertragen, was in einigen Fällen sehr schwierig war. Auf eine genaue Lokalisierung der teilweise berühmten Zitate aus literarischen Werken hingegen wurde verzichtet.

Für die Durchsicht meiner Übersetzung und viele wertvolle Hinweise und Vorschläge danke ich meinem langjährigen Freund Josef Schwing.

 

2. Der Vortragstext

Auf der Grundlage des Manuskriptes des am 30. März 1903 vor der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gehaltenen Festvortrages zu Ehren von Sándor Csoma K?rösi:

Wir wollen heute Sándor Csoma K?rösis gedenken, der „nicht leben wollte, sondern wissen“ und dessen ganzes Leben ein Vorbild geistiger Reinheit und wissenschaftlicher ebenso wie auch moralischer Wahrhaftigkeit war.

Er war der erste, dem es gelang, in die Sprache und rätselhafte Kultur Tibets einzudringen und der die buddhistische Weltanschauung in den Klöstern Yangla, Sabathu und Kanum studierte.

Als ein in die historischen und literarischen Einflüsse eingeweihter Forscher nannte er dieses Religionssystem „den größten Welteroberer nach Alexander dem Großen“. Damit spielte er nicht etwa auf die große Anzahl der Anhänger des Buddhismus an, auch nicht auf das Gebiet, über das dieser sich verbreitet hat, sondern er meinte die Verbreitung geistiger Einflüsse des Buddhismus.

Denn das geistige Leben des Westens bekam heimliche Nahrung aus dem Osten. So sickerten in unsere Märchenwelt unbemerkt Elemente orientalischer Märchen. Die Legenden, die sich um den Buddha ranken, waren für die apokryphe Literatur der Kirche und für die Lebens­beschreibungen westlicher Heiliger eine außerordentlich wichtige Quelle. Auf diesem Gebiet sind Untersuchungen noch im Gange, doch kann schon jetzt mit Gewissheit gesagt werden, dass zum Beispiel in der Legende von Barlaam und Josaphat sich die Biographie Buddhas widerspiegelt, wie auch jene fremden Züge, mit welchen die Legende des Heiligen Thomas geschmückt ist, erst aus dem Buddhismus heraus verständlich werden.

Für den Zweig der Geschichtswissenschaft, die sich mit den Heiligen­viten beschäftigt, liegt also folgende Frage auf der Hand:

Welchen Einfluss konnte der Buddhismus auf den ihm geographisch benachbarten Islam ausüben? War es so, dass die oben erwähnte Eroberungskraft buddhistischer Gedanken auch hier Wirkung zeigte?

Ich bin nicht der erste, der diese Frage aufwirft. Seit die geschichtliche Rolle des Islam ein Gegenstand wissenschaftlicher Forschung geworden ist, beschäftigen sich auch mehr und mehr Studien mit dieser Frage. So denke ich, dass eine Stunde, die Csoma K?rösi gewidmet ist, einen würdigen Anlass bietet, diese Fragestellung in gebotener Breite zu behandeln.

I.

Der Islam hat in seiner Entwicklung zahlreiche fremde Ideenströmungen aufgenommen. Seine Dogmatik zeigt Einflüsse der griechischen Philoso­phie, in seinen Ritualen scheint die persische Religion durch, und sein Gesetzeskanon ist geprägt vom römischen Recht; selbst in den wichtigsten Bereichen der Staatstheorie und des Staatsrecht und auch in den Ideen der Kalifatstheorie, die Äußerlichkeiten betreffen, kommt der Einfluss des sassanidischen Reiches zum Tragen. Diese fremden Ideen waren auch unterschwellig immer gegenwärtig bei der geistigen Geburt des späteren Islam, der dann eine weltgeschichtliche Rolle spielte.

Ich denke hierbei nicht an die jüdischen und christlichen Gedanken und Einrichtungen, aus denen der Islam tatsächlich hervorgegangen ist; diese waren keine unterschwelligen Einflüsse, sondern wirkmächtige Kräfte, die der Stifter des Islam auch bestätigt. Aber nach heutiger wissenschaftlicher Mei­nung erscheint es als unbezweifelte wissenschaftliche Tatsache, dass persischer Geist Mohammed selbst beeinflusst hat, noch bevor Anhänger des Islam in engeren Kontakt mit der persischen Kultur gekommen sind. Der im Koran auf bestimmte Art umschriebene, auf einen Freitag fallende wöchentliche Feiertag, die Definition von „Unglaube“, und noch viele an­dere religiöse Elemente weisen auf einen Einfluss des Parsismus hin. Dieser Einfluss verband sich später mit der parallelen Beeinflussung der Heer­scharen, die aus Arabien loszogen, um Persien zu erobern.

Aus all dem geht hervor, wie sehr islamisches Denken neuen Ideen gegen­über offen war. Bei der Untersuchung seiner Entwicklungsgeschichte können wir daraufhin ebenfalls indische Einflüsse beobachten. Diese bewirk­ten keine wirklich tiefen Veränderungen, obwohl gesagt werden kann, dass sie in der islamischen Religion dennoch eine ebenso bedeutende Rolle spielen wie die persischen Ideen.

Aus dem Kreis indischer Religionen stammende Vorstellungen wirkten auf die Entwicklung des Islam in einem sensiblen Punkt: die starre Förmlichkeit des Islam hoben sie auf durch ihren „Mystizismus“. Begin­nend mit dem 12. Jahrhundert, als der Mystizismus al-?az?l?s, der auch in der Philosophiegeschichte bedeutend war, eine beträchtliche Wirkung ausübte, wurde der Islam aufgrund dieser Einflüsse mit tieferem religiösen Gefühl durchdrungen. Doch bevor wir zur Untersuchung tiefer geistiger Einflüsse schreiten, müssen wir einen Blick auf einige Einzelheiten der geschichtlichen Hintergründe werfen.

 

II.

Schon in vorislamischer Zeit gab es zwischen Indien und Arabien einen lebhaften Handel. Indische Schiffe brachten Weihrauch und Edelmetalle aus Arabien, und arabische Kaufleute fuhren wegen Gewürzen und Hölzern nach Indien. Es ist daher auch nicht verwunderlich, dass in der überlieferten arabischen Dichtung auch zahlreiche aus Indien stammende Bezeichnungen für Holzarten und Gewürze zu finden sind. Nachdem die arabische Eisen- und Stahlqualität nur gering war, wurden Klingen seit Menschengedenken immer aus Indien bezogen. Schon die alten heidnischen Dichter priesen das indische Schwert, das hinduw?n?, überschwenglich, ebenso wie das Schwert, das aus der indischen Kunst hervorgetreten war, das muhannad4. Diese Wörter sind Zeugen für den arabisch-indischen Handel.

Daraus geht daraus jedoch nicht hervor, dass mit dieser die materielle Welt betreffenden sprachlichen Verbindung auch irgendein geistiger Ein­fluss einherging. Die alte arabische Kultur hatte keine nachweislichen indi­schen Elemente. In der Offenbarung Mohammeds gibt es diese ebenfalls nicht, wenn der Prophet auch sehr wohl für allerlei fremden Einfluss em­pfäng­­lich war. Die indischen Kaufleute tauschten ihre Waren an der Küste und zogen weiter. Eine geistige Beziehung entwickelte sich nicht aus dem Handel; die Händler ließen sich im Land nicht nieder, wie vormals die Perser, deren geistiger Einfluss schon in vorislamischer Zeit ausgemacht werden kann.

Erst die islamischen Eroberungen tragen den indischen Geist auch näher an die arabische Welt heran. Infolge dieser Eroberungen breitete sich das arabische Reich auch in solche Gegenden aus, wo auch Inder verkehrten. Die geistige Verbindung mit buddhistischen Mönchen basierte auf wirk­lichen persönlichen Kontakten. Das geht daraus hervor, dass ab dem 3. Jahrhundert der Buddhismus as-sum?n?ya genannt wurde, d.h. Schamanen­glaube5. Saman? oder ?rama?a jedoch ist der indische Name für buddhis­tische Asketen, von welchen die Bezeichnung Schamane stammt.

In der Betrachtung dieser Mönche wurzelt also die arabische Bezeich­nung für den Buddhismus. Als sie später den Buddhismus näher kennen­lernten, bereicherten sie ihre Sprache mit einem neueren Ausdruck: mit dem Wort budd, das „Götze“ bedeutet. (Es ist sehr bezeichnend, dass Alexander Polyhistor (der von 89 bis 60 v.Chr. schrieb) die baktrischen Priester als samaniaioi bezeichnet. Die muslimische, von den Persern verbreitete Bezeichnung budd hat die Bedeutung Götze: der persische bud-perest bezeichnet einen „Götzenanbeter“, die Wörter but-??ne und but-kedeh einen „Götzentempel“.)

Auf die Weltanschauung der Muslime hatte nicht die Metaphysik und die Ethik des Systems der Sum?n?ya einen Einfluss, sondern deren insti­tu­tionalisierte Bilderverehrung, die dem puritanischen Monotheismus fremd war. Mit den Lehren des Buddhimus beschäftigten sich jedoch nur seine Philosophen näher. Die für die neue geistige Strömung charakteristische Lehre war der Glaube an die Seelenwanderung. Mancher Philosoph, der sich vom Islam gelöst hatte, verschmolz diesen mit seinem eigenen System. Dieser Glaube konnte die Frage beantworten, wie es möglich sei, dass auch fromme Menschen bisweilen unter der Last der göttlichen Gerechtigkeit zu leiden hatten. Nach den Lehren des Buddhismus hatte die Seele eines frommen Menschen in einem früheren Leben in einem bösen Menschen gewohnt und musste die dabei begangenen Sünden in einer späteren Reinkarnation büßen. Dies ist die Karma-Lehre.

Aber dies sind alles nur verstreute, undeutliche Spuren; sie weisen nicht auf eine entscheidende tiefe geistige Beeinflussung des Islams durch den Buddhismus hin.

Im Laufe der literarischen Entwicklung unter den abbasidischen Kalifen und unter Pahlevi6-Vermittlung wurde dann vieles aus der indischen Literatur entlehnt; durch die Vermittlung arabischer Bearbeitungen fanden diese Quellen ihren Weg auch in die westliche Literatur. Beginnend mit dem 2. islamischen Jahrhundert (vor dem 9. Jhdt.) sickern so vereinzelte in Indien beheimatete Gedanken in den islamischen Kulturkreis ein, zum Beispiel über den Weg der volkstümlichen erzählenden Literatur.

Es ist bekannt, dass die Wurzeln der Märchensammlung aus 1001 Nacht bis nach Indien reichen. Auch nach Umarbeitung mit islamischen Versatz­stücken haben diese hier und da noch die typischen Elemente des in Indien beheimateten Ideenkreises bewahrt, und nach Eindringen in breitere Schichten des islamischen Publikums schlugen diese auch im Volksglauben ihre Wurzeln.

Auf diese Erscheinung treffen wir in der Religionsgeschichte auf Schritt und Tritt. Es gibt keine Religion, in deren volkstümlichen Varianten dieses Phänomen nicht zu beobachten wäre. Es wäre eine verdienstvolle Aufgabe zu überprüfen, wie durch Vermittlung der Märchen aus 1001 Nacht in das islamische Denken hineingerieselte Gedanken sich mit der islamischen Auffassung verbanden.

Dazu möchte ich ein Beispiel geben. Wenn wir über Fatalismus reden, denken wir fast unwillkürlich an den Islam, oder, wie man früher zu sagen pflegte, an die Türken, die konsequentesten Vertreter des Fatalismus. Und dies ist kein Zufall. Ihre Bücher sind voll von Lehren, die eine fatalistische Weltanschauung predigen, und diese religiöse Verkündigung spiegelt sich im täglichen Umgang, auch in der Lehre des Kismet7 wider.

Trotzdem können wir nicht sagen, dass die fatalistische Weltanschauung im Islam, oder allgemein im semitischen Denken strenger zum Ausdruck gekommen ist als in den Religionen zahlreicher arischer8 Völker. Wir denken an die Griechen und Germanen, oder an jenes Volk, in dessen Mythologie, Religion und Philosophie wir die arischen geistigen Wurzeln erkennen können, an die Inder.

Die indische Literatur, Religion und Philosophie war konsequent fatalistisch. Die Lehre von der Seelenwanderung ist auch als Folge dieses Denkens anzusehen. In den Märchen aus 1001 Nacht treffen wir auf den Fatalismus in verschiedener Gestalt: So ist dem Menschen sein Schicksal sozusagen „auf die Stirn geschrieben“. Diese Redensart treffen wir sowohl in den Prosateilen, als auch in den Versen der Märchen aus 1001 Nacht. Von hier übernahmen auch andere Erzähler die Wortverbindung in ihre Werke, zum Beispiel in den Sayf -Roman.

„Es geschieht all das, was in Gottes Wissen seit ewigen Zeiten verborgen ist und was er mit seiner Feder auf dessen Stirn schrieb.“

Gott hat nämlich im Moment der Schöpfung das Schicksal eines Menschen mit der Feder auf eine „wohl verwahrte Tafel“ geschrieben. Dieses Schreiben auf die Stirn stimmt nicht überein mit der Auffassung, wie sie den [islami­schen] religiösen Texten entspricht. Denn erst laut späteren Texten wird das Schicksal in „ein Buch“ oder auf die oben erwähnte „wohl verwahrte Tafel“ geschrieben. Der Islam hat diese Vorstellung aus biblisch-apokrypher Lite­ra­tur entliehen. Wie wir sehen, empfindet der Volksdichter den unwill­kürlichen Drang, das „auf die Stirn Schreiben“ mit der mohammedanischen Auffassung zu kombinieren; einerseits spricht er von „der Tafel der Stirn“, andererseits verwendet er den kal?m der islamischen Tradition.

Dieser Satz, dass das Schicksal dem Menschen auf die Stirn geschrieben steht, ist nicht in der islamischen Lehre verankert. Er ist vielmehr fremden Ursprungs und erwarb sich erst durch Vermittlung der erzählenden Literatur – spätestens durch die Märchen aus 1001 Nacht – sein Bürger­recht. Möglicherweise stammt er aus Indien. Gemäß den indischen Dich­tern schreibt Brahma dem Menschen, noch während er sich im Mutter­schoß befindet, auf die Stirn, welches Schicksal ihm auf Erden zu Teil wer­den wird. Gegen das, was ihm auf die Stirn geschrieben steht, kann keine Macht der Welt etwas tun. Selbst die Weisheit der Weisesten ist nicht imstande, die auf seine Stirn geschriebenen Worte auszulöschen. Von einem indischen Dichter gibt es folgendes Gebet:

„Oh Brahma, großer Gott! Schütte die Frucht jeder einzelnen meiner Sünden über mich aus, so wie du willst, ich werde es erdulden. Nur eins tue nicht: schreibe nicht jenen, die kein Talent haben, auf die Stirn: ich mache dich zum Dichter.“

 

III.

Das Einsickern fremder Ideen in die Literatur ging mit dem persönlichen unmittelbaren Kontakt einher, zu dem die Ausbreitung des Kalifats nach Osten die Anhänger des Islam zwang. Besonders die in Bagdad angesiedelte Herrschaft der Abbassiden sollte zu einem Zentrum der Beziehungen wer­den. Bagdad nämlich erhob sich vom 8.-9. Jahrhundert in den Rang der mächtigsten Weltstadt, wie schon Alexandria ein halbes Jahrtausend zuvor. Es war nicht nur ein Zentrum des geistigen Lebens Asiens, sondern auch ein Knotenpunkt des Welthandels. Hierher wandten sich Völker von überall her, und es gab fast kein Volk in den Grenzen des Kalifats, dessen Vertreter man nicht in Basra und Bagdad angetroffen hätte. Die Grenzen dehnten sich im Osten und Süden bis nach China und Indien. Schon in den ersten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts drangen muslimische Heere in Nord-Indien ein, wohin als erster ?a????, der mächtige Statthalter der Umay­ya­den in Zentralasien, seine Streitmacht geschickt hatte. Die Feldzüge boten jedoch noch kaum Gelegenheit, wirklich mit dem Buddhismus bekannt zu werden. Sie hatten jedoch äußerlich zur Folge, dass die erobernden Heere fahrendes Volk ins Land brachten, das in den morastigen Gegenden Mesopotamiens angesiedelt wurde und später im Reich viel Unheil anrichten sollte.

Es gab also überall genug Gelegenheit für muslimische Denker, mit indischen Ideen Bekanntschaft zu machen. Buddhistische Wandermönche konnten oft in den Grenzen Chinas und Indiens verkehren. Die Stadt Balkh (Bal?; das antike Baktrien), wo das älteste zentralasiatische Derwischkloster seine Wirkung ausübte, lag in geographisch sehr großer Nähe zum Buddhismus.

Bagdad war in dieser Zeit nicht nur ein Zentrum des Handels, sondern auch das Zentrum einer Theokratischen Ideologie9. In der Umgebung des Kalifen, der Personifikation der Theokratie, herrschte die fanatische islamische Orthodoxie. Diese leistete Widerstand gegen freiere Denker und dagegen, dass diese sich mit fremden Ideenströmungen und Religionen vertraut machten.

Die Bewegung der Zind?qs war eine jener verfolgten Bewegungen, die den religiösen Führern der islamischen Religion viele Kopfschmerzen verursachten. Die Bedeutung des Begriffes kann nicht genau abgegrenzt werden; er bezeichnet Häretiker aller Richtungen. Aber der Islam im 2. Jahrhundert verstand darunter eher solche Häresien, die aus einer anderen Religion stammende Vorstellungen in den Islam integrieren wollten. Als Zind?qs galten also nicht solche, die mittels philosophischer Spekulation Lehrsätze des Islam in Frage stellten.

Der Begriff selbst – wie wir aufgrund der Forschungen von James Darmesteter wissen – stammt aus der Terminologie der altpersischen Religion. Etymologisch geht er auf das altpersische zna-Wort zurück, das soviel bedeutet wie „wissen“ (gnosco, gr. ????); zandam ist das „Wissen“ (??????), mit der Spezialbedeutung „Kurpfuscherei“. Der aus dem Mittelpersischen stammende Begriff zandiki bezeichnet den Irrglauben, dass gute Werke auch von Ahriman10 und den Daevas stammen können. Das islamische religiöse Recht übernahm also aus dem Wortschatz der persischen Religion die Bezeichnung für Häretiker.

Mit Zandik bezeichnet man zum Islam übergetretene Perser, die ihrer angestammten Religion nicht ganz abegschworen hatten und die deren dualistische Elemente auch noch in ihrer neuen Religion neben dem Monotheismus beibehielten. Als Zind?q wurde zum Beispiel der konvertierte Sohn des ?Abdall?h ibn al-Mukaff? bezeichnet, der die persi­sche historische und erzählende Literatur ins Arabische übersetzte.

Besonders wurden auch jene Muslime Zind?q genannt, die sich dem Manichäismus zuwandten.

„Ich sage: Ich will meinen Herrn loben;

und du sagst dieses: ich will Mani loben.“

So spottet der arabische Heine, Ab? Nuw?s, über einen seiner Widersacher, den er in den Verdacht der Häresie11 bringen wollte. Aber so wurden auch jene freieren Denker bezeichnet, die sich nicht um die ihnen lästigen Zeremonien des Islam kümmerten, und die statt dessen als ihre Religion den reinen Deismus und als seine Praktizierung das moralische Leben als Grundlage wählten.

Die abbassidische Dynastie begann ihre Herrschaft damit, dass sie schonungslos die verfolgte, die man der Häresie verdächtigen konnte. Ein spezielles Inquisitionsamt wurde ins Leben gerufen, dessen Vertreter die verdächtigen Denker aufstöbern, in den Kerker werfen oder hinrichten ließen.

Denn wer bei seiner Überzeugung beharrte, auf den wartete am Ende „als Rationalist“ der Tod. Die Rechtsgelehrten aber studierten sorgfältig die neu herausgekommenen geistigen Sünden, und legten die Verfahrens­durch­führung im Gesetzbuch fest.

Die Zind?q-Bewegung gehört deshalb in den Themenkreis dieser Arbeit, weil buddhistische Lehren bei der Erneuerungsbewegung innerhalb des Islam eine wichtige Rolle spielten. Wir wissen davon, dass ein Mann, der der Zind?q-Inquisition zum Opfer fiel, an Versammlungen einer Gesellschaft teilnahm, in der außer Philosophen und Dichtern auch ein Sum?n?ya-Anhänger Mitglied war. Der Name Sum?n?ya aber bezeichnet, wie wir erwähnten, den Buddhismus.

Es waren auch eben diese Zind?qs, die die buddhistische Literatur liebten. Es kann kein Zufall sein, dass die Übersetzer der buddhistischen Werke dieselben waren, die wir weiter oben als die kennengelernt haben, die der Zandaqa12 verdächtigt wurden: Einer von ihnen war Ibn al-Muqaffa?, ein anderer derselbe Ab?n al-L??iq?, gegen den Ab? Nuw?s ein Spottgedicht schrieb. In diesem Kreis brachte man der buddhistischen Literatur am meisten Interesse entgegen.

Welche Weltsicht kommt nun im Umkreis der Zandaqa zum Ausdruck, und was davon stammt aus der buddhistischen Literatur?

Auf diese Frage antworten wir mit einem islamischen Fachwort: zuhd. Es bedeutet wörtlich nichts anderes als wahre Weltentsagung, Verachtung der irdischen Güter, Askese und Quietismus. Die Zind?qs stellen Zuhd sowie das moralische und religiöse Leben in den Mittelpunkt. Dies steht im Gegensatz zum Islam, der sein Ideal nicht in der Meditation und in der Zurückweisung der Freuden des Lebens sucht. Der Islam ist eine aktive, sogar offensive Religion, die Krieg als heilige Pflicht betrachtet und die ihren Stifter den „Propheten des Krieges und des Umsturzes“ nannte und die jeder Auffassung entgegentritt, die bei den Gläubigen des Islam zu friedlichen Absichten führt. Einer der dies vertretenden Dichter spricht folgendermaßen über eine beiseite gelegte, zur Ruhe gekommene Waffe:

„Ein christlicher13 Speer ist einer, der nicht mit Blut getränkt wird.“

Der Islam ist so unfähig, weltliche Lust aus seinem Lebensideal auszu­schließen, dass er sie sogar ins Jenseits überträgt. Den Seligen verspricht er nie endende irdische Genüsse. Er schließt die asketische Lebensführung aus, wobei er sich auch dem Christentum entgegenstellt.

Er verlangt geradezu von den Gläubigen, dass sie materielle Dinge nicht verschmähen sollen.

„Jeder Brocken, den der Mensch in seinen Mund stopft, möge Gott lohnen!“ sagt die Überlieferung, natürlich mit der Begründung, dass der Gläubige aus der Speise neue Kraft schöpft, um seine religiösen Pflichten zu erfüllen.

„Den Muslim, der seine Körperkraft stählt, den liebt Gott mehr als den Schwachen.“

Diese Aussagen schreibt die religiöse Literatur Mohammed zu.

Statt asketischer Lebensführung14 predigt der Islam den ?ih?d, den heiligen Krieg. Hier haben wir auch den einzigen Punkt in der islamischen Weltanschauung, wo die Verleugnung des eigenen Lebens, das „Sterben auf dem Wege Gottes“ erscheint. Allerdings wird der Gläubige im Tausch für die Aufgabe seines Lebens mit unendlichen Freuden und Genüssen im Jenseits belohnt.

Es ist also kein Zufall, dass eine Religion, in deren Zentrum Zuhd steht, mit Argwohn betrachtet wurde. Wir ahnen also sehr wohl, dass im Hintergrund des organisch gewachsenen Islam fremde Einflüsse wirksam sind. Und zu den Religionskritikern unter den Zind?qs zählten auch jene, die eine asketische Lebensführung predigten. Einige Vertreter der Zandaqa jener Zeit waren Dichter; vielleicht können einige ihrer Gedichte den Charakter der Bewegung verdeutlichen.

Der älteste von ihnen ist der im Jahre 783 zum Tode verurteilte S?li? b. ?Abd al-Quddus (dessen dichterische Texte ich auf der Basis verstreuter Zitate im Jahre 1892 sammelte und herausgab). Für die Tradition der Weltanschauung der Zind?qs bürgt schon S?li?s Familienname, denn bereits sein Vater hatte sich ziemlich ungezwungen über die heiligen Handlungen des Islam geäußert:

„Wieviele Wallfahrer gehen auf dem Weg nach Mekka zugrunde? Gott möge Mekka und seine Häuser verwüsten!“

„Er (Anm. d. Übers.: gemeint ist Gott) gebe nicht jenen Brot, die darinnen wohnen, und verbrenne mit Feuer ihre Toten!“

Sein Sohn S?li? aber, der ebenfalls wegen Zandaqa ins Gefängnis kam, teilte anscheinend die Weltverachtung seines Vaters. Die von indischen Asketen gelernte Zuhd spiegelt sich wider in einem seiner charakteristischen Verse:

„Wir verlassen die Welt, wir gehören nicht mehr zu ihren Bewohnern.Weder die Lebenden noch die Toten gehen uns etwas an.“

„Wenn ein Besucher bei uns anklopft, starren wir ihn an und sagen: dieser ist ja von der Welt“

Wer jedoch am stärksten die Lehre von der Weltentsagung vertrat, war der etwa ein halbes Jahrhundert später lebende Ab? l-?At?h?ya. Im Werk dieses Zeitgenossen des Kalifen Har?n ar-Raš?d (gest. 828), dessen Divan von den Beiruter Jesuiten herausgegeben wurde, können wir studieren und ihn mit Recht einen Klassiker der Zuhd-Dichtung nennen. Seit dem 9. Jahrhundert berufen sich muslimische und nicht-muslimische Asketen gleichermaßen auf ihn. Er wuchs nicht in der Zind?q-Tradition auf wie S?li? und begann seine dichterische Tätigkeit mit Liebesversen, die man in den vornehmen Kreisen Bagdads aufführte. Doch plötzlich veränderte sich seine Weltsicht und er wandte sich einer asketischen Lebensweise zu. Danach schreibt er über den Tod, und seine Gedichte bereichern die Dichtungsgattung des Zuhd (Diese Verse stehen in seinem Divan vorne). Und der Kalif, der sich mit seinen älteren Versen noch gerne die Zeit vertrieben hatte, lässt nun den Dichter, der in den Verdacht der Zandaqa geraten ist, in den Kerker werfen. Er schrieb nicht nach dem üblichen islamischen Geschmack, er besang nicht das Paradies und die Hölle, die Auferstehung und das Jüngste Gericht. Seine Verse lehren auch keine islamische Askese und seine Ethik entzieht sich der islamischen Dogmatik.

Das Ab? al-?At?h?ya unter dem Einfluss von Anhängern des Buddhis­mus stand, beweist die folgende Passage:

„Suchst du den edelsten aller Menschen,

so blicke auf einen König im Bettlergewand!“

Ich halte es für unzweifelhaft, dass der im Bettlergewand erscheinende König, der edelste aller Menschen, niemand anderes ist als der auf seinen Rang verzichtende Boddhisattva.

Zweihundert Jahre nach Ab? al-?At?h?ya fesselt ein anderer arabischer Dichter unsere Aufmerksamkeit damit, dass er buddhistische Askese lehrt. Ab? l-?Al?? al-Ma?arr? (gest. 1057) gehört ohne Zweifel zu den originellsten Geistern der arabischen Literatur. Sein literarisches Gesamtwerk geht in zwei Richtungen. In seinen Gedichten richtet er sich mit seiner Denkweise nicht nach dem Zeitgeist. In ihnen hebt er das Niveau der arabischen schönen Literatur auf eine hohe Stufe, wobei er „ein rechtgläubiger Muslim bleibt“. Nicht einmal intime Briefe an seine Freunde lassen seinen wahren Charakter erkennen. Seine Werke verraten nichts von jenem Kampf, der in seiner Seele gegen die staatlichen und religiösen Ideen ausgetragen wurde.

Über diesen Kampf gibt er in einer anderen Reihe seiner Gedichte Kun­de. In einem seiner Meisterwerke wendet er sich gegen jenes Dogma, wo­nach der Koran eine Offenbarung Gottes sei, dessen Stil unerreichbar sei und kein Rhetoriker oder Dichter etwas Vergleichbares schaffen könnte. Ab? l-?Al?? schrieb – sich mit den Himmlischen in den Wettstreit begebend – ein Koran-Imitat. Daneben existiert ein bis in unsere Tage erhaltener Gedichtzyklus, in dem er in beißenden Epigrammen die Gesellschafts­ordnung, die religiöse Autorität und die Staatsmacht angreift.

Wohin er auch schaut, überall sieht er Willkür, Ungerechtigkeit, Macht und Machthaberei, die er im Namen der Vernunft und der Moral scharf verurteilt. Nicht nur gegen den Islam erhebt er das Wort, sondern gegen jede positive Religion im allgemeinen. Den islamischen Ritus und seine Gesetze kritisiert er heftig, so den Gebetsritus15 und die Pilgerfahrt nach Mekka. Anstelle der Dogmen und Zeremonien der Religionen predigt er Moral und Askese. Als Quellen des religiösen Lebens sind für ihn nicht der göttliche Wille und die Offenbarung, sondern die Vernunft und das Gewissen, wobei er das Gewissen noch über die Vernunft stellt:

„Wenn du im Spiegel deines Verstandes etwas anderes siehst, als in deinem Gewissen, dann ist böse, was dein Verstand gezeigt hat.“

Zu Eckpfeilern seiner Ethik macht er hingegen Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Altruismus.

Das literarische Gesamtwerk von Ab? l-?Al?? hat am tiefsten Alfred Kremer in seinem Meisterwerk behandelt. Darin lenkt er die Auf­merk­samkeit der Kulturhistoriker auf diesen einsamen Denker, dessen Ideen seiner Zeit weit voraus waren.

Seitdem ist mehr Material aus dem Nachlass des Dichters zugänglich geworden, z.B. sein literarischer Briefwechsel. Reynolds A. Nicholson hat aus einem bisher unbekannten Werk des Dichters, aus dem „Buch der Verge­bung der Sünden“ Auszüge bekannt gemacht. Dieses Werk ist in sei­nen außerordentlich reichen literatur- und religionsgeschichtlichen Über­legungen auch von einem universellen literarischen Standpunkt aus gesehen interessant: Das fast drei Jahrhunderte vor Dante geschriebene Werk hat einen ähnlichen Anfang wie die Göttliche Komödie. Der Verfasser wandelt mit einem ?Al? b. Man??r genannten „Seelenführer“ durch das Jenseits und trifft mit namhaften Gestalten der arabischen Literatur zusammen.

Margoliouth verdanken wir die Herausgabe des Briefwechsels des Dich­ters mit H?bat?llah b. M?s?, dessen Hauptthema der Vorteil der vegetari­schen Lebensweise war. Ab? l-?Al?? bekannte sich im Übrigen ebenfalls zu asketischen Grundsätzen: Er predigte den Verzicht auf irdische Güter und die Genüsse der Welt. Seiner Ansicht nach war die Ehelosigkeit auch des­halb nötig, weil die Fortpflanzung des Menschengeschlechts nur das Garn des Elends weiterspinnt.

„Meine Kinder – sagt er – leben in der Wonne des Nichtvorhanden­seins, die besser ist als alle Genüsse der irdischen Welt.“

Er machte sich auch den Gedanken des Freiwerdens von der Welt, die Idee des Nirwana, zu eigen. Immerwährende Ruhe kann der Mensch nur im Nicht-Sein, im Nichts, finden, das er solange nicht finden kann, wie er von den Plagen des Lebens gequält wird.

Wie Buddha die Veden und die brahmanischen Gesetzestexte abgelehnt hatte, so akzeptierte Ab? l-?Al?? auch nicht die Bücher der Offenbarung und die Zeremonien der positiven Religionen. Er verkündete Barmherzigkeit, Liebe und Askese. Das Verlöschen war sein Lebensziel, weshalb es für ihn auch keine Notwendigkeit gab, den Glauben an ein jenseitiges Leben aufrechtzuerhalten.

In der Weltstadt Bagdad, wo er zwei Jahre verbrachte (von 1007 – 1009), hatte er die Gelegenheit, mit Buddhisten zusammenzutreffen. Hier wurde er bekannt mit jenen Lehren, die auf ihn einen viel größeren Einfluss ausübten als auf S?li? al-?At?h?ya. Nach den Jahren in Bagdad schrieb er jene philoso­phischen Epigramme, die eine echte – buddhistisch motivierte – Opposition gegen den Islam bezeugen.

Kremer wagte die Vermutung, dass Ab? al-?Al?? wahrscheinlich von einem Mitglied der Jaina-Sekte in indische Lehren eingeführt worden war. Die Bewegung der Jaina ist dem Buddhismus verwandt und wohl noch älter als dieser. Mah?v?ra gilt als Hauptheiliger der Religion und soll Buddhas Lehrmeister gewesen sein. Nach dem Jainismus ist das Nirwana das Lebensziel, zu dem Askese und Entsagung hinführen. Aber – im Gegensatz zum Buddhismus – werden die zahlreichen brahmanischen Götter anerkannt und auch das Kastenwesen blieb unangetastet. Die Hindus selbst unterscheiden nicht zwischen Jainismus und Buddhismus, sie halten beide vielmehr für zwei Sekten derselben Religion.

Man darf sich den Einfluss indischer Ideen auf den Islam nicht als die Übertragung irgendeiner dogmatischen Ordnung vorstellen, er war viel­mehr äußerst eklektisch und gründete sich auf eine ganz individuelle Synthese. Diese eklektische Stimmung, in der der Geist des „Pessimismus“ in der Luft liegt, führte bei den oben erwähnten drei Vertretern zu einer religiösen Ausrichtung, die den Zuhd, die Weltflucht, in das Zentrum eines ethischen Lebens stellte. Von diesen Dreien begeisterte dieses Gefühl am intensivsten Ab? al-?Al??, wie wir gesehen haben, bis hin zum Gedanken an das Nirwana.

Die erwähnten Dichter und Philosophen förderten im großen Stil die Verbreitung des Zuhd innerhalb des Islamischen Kulturkreises. Institutio­nalisiert werden konnten diese buddhistischen Gedanken jedoch nicht, sie bildeten lediglich eine andere geistige Bewegung der islamischen Welt, die wir im folgenden Kapitel näher behandeln werden.

 

IV.

Der Islam, obwohl er zu Beginn eine Religion der Schwärmerei war, trug bereits in der Morgendämmerung seiner Entwicklung den Keim des Ritualismus und die Gefahr des Abgleitens in Dogmatismus in sich.

In seiner Theologie herrschte ein seelenloses Beharren auf Formalismen vor. Seine großen Gelehrten, die ?Ulam??, gaben mit spitzfindigen Beweis­führungen minutiöse religiöse Vorschriften für das Alltagsleben. Von den dogmatischen griechischen Philosophen lernten sie dagegen die Gesichts­punkte kennen, von denen ausgehend man die göttlichen Sphären genau bestimmen kann, worüber sie dann unendliche Debatten führten.

Das religiöse Leben und die Wissenschaft des Islam wurden von der Sufibewegung aus ihrer Versteifung gerettet. Anstelle der Religion der Gesetze setzen sie die Religion des Herzens. Die Gläubigen betrachteten das Wesen des religiösen Lebens nicht in Formalitäten, sondern in der Annäherung an die Unendlichkeit.

Alles war eine Bewegung gegen den Islam, welche schließlich aus der Sehnsucht zu mystischer Gottesliebe und wahrer Vereinigung mit Gott zu der Einsicht gekommen war, dass die wahre Existenz einzig und allein in Gott ist, dass nichts anderes als Gott existiert.

Die Sufi-Gläubigen strömten schon im 2. islamischen Jahrhundert in Klöster, ihre Lehren strahlten jedoch durch deren Mauern hindurch. Die Religion der Sufis brachte eine riesige Literatur hervor, geschrieben ganz in der Sprache des Islam; die größten Dichter wurden zum Schreiben mysti­scher, allegorischer Lieder angetrieben. Die Bewegung bereicherte auch das gesell­schaftliche Leben, so zum Beispiel mit dem Auftauchen von Derwisch-Orden.

Innerhalb des Islam bilden die Sufis keine einheitliche Richtung. Es ist nicht möglich, ihre sich verzweigenden Lehren in ein homogenes System zu pressen. In vereinzelten Varianten herrschte die asketische Lebensweise, in anderen der Mystizismus vor. In Syrien setzten sich eher christliche, in Zentalasien eher indische Einflüsse durch.

Nach Schopenhauer ist die Religion der Sufis ganz indischen Geistes und Ursprungs. Aber abgesehen vom Buddhismus steuerten auch andere Faktoren dazu bei, dass diese dem orthodoxen Islam doch mehr oder weniger entgegengesetzte geistige Richtung enstanden ist.

In Syrien, wo die Religion der Sufis entstanden ist, war der christliche Einfluss beträchtlich. Natürlich nicht aus dem Christentum der Kirche, sondern aus einem zwar in der Kirche gewachsenen, aber doch an einigen Stellen „regellosen“ Christentum. Ich habe an anderer Stelle darauf hinge­wiesen, aufgrund welcher Einflüsse aus dem ?ikr, der inbrünstigen Rezi­tation16, worin sich das vagabundierende Derwischtum erschöpfte, in Syrien sich die Bewegung der Euchiten, auf syrisch Messalianer, entwickeln konnte. Diese wurden „Betende“17 genannt und trafen sich mit ebenfalls vagabun­dierenden Freunden. Diese Lehre besagt, dass man über das Gebet dem All näher kommt. Unter Verzicht auf irdische Güter beschäftigten sie sich nur mit Betteln und Beten. Die Sekte war im 4. Jahrhundert in Mesopotamien entstanden und bestand noch im 9. Jahrhundert in Syrien. Dieses Beispiel ist nur denkbar bei Annahme entscheidender [christlicher] Einflüsse auf das syrische Derwischtum.

Den christlichen Einfluss kann man außerdem auch an einem Text aus dem Neuen Testament ablesen, in dem wir eine Grundwahrheit der Sufis wiederfinden (Matth. 6,25-34, Lukas 12, 22-30).18 Dies aber bezieht sich mehr auf die praktische Ausübung des Sufitums, ihre theoretische Grund­lage schöpfte nicht viel daraus. Das Evangelium wirkte auf die Sufis auch eher in seinen „volkstümlichen Varianten“.

Einen tieferen Einfluss auf die Theorie der Sufis übte jedoch der Neu­platonismus aus. Schon der erste wissenschaftliche Erforscher der Sufis, August Tholuck, konnte nicht umhin, diese wichtige religionshistorische Tatsache zu bemerken. Eine eingehendere Untersuchung jedoch wurde von Adalbert Merx durchgeführt.

Einige Forscher jedoch – wie Edward G. Browne – weisen den Gedanken jedoch unverblümt zurück, dass der Buddhismus bei der Entwicklung des Sufitums irgendeine Rolle gespielt habe. Diese Gelehrten erkennen nur neuplatonische und gnostische Einflüsse an. Dabei wird die Tatsache jedoch nicht beachtet, dass es unvorstellbar ist, dass die Sufibewegung in isolierten Umfeldern ohne unmittelbaren Einfluss zu diesen Ideen gekommen ist. Die jeweiligen Gläubigen übernahmen von den westlichen Sufis alles, was neuplatonischen Ursprungs war, aber ergänzten es durch eigene, neuere Elemente. Das syrische Sufitum ist zu Beginn voll mit christlichen und neuplatonischen Elementen, aber in Zentralasien müssen wir schon mit starkem buddhistischen Einfluss rechnen. Das ist auch nicht weiter über­raschend, musste doch der Islam infolge seiner Verbreitung mit buddhis­tischen Wandermönchen in engeren Kontakt kommen.

Inwieweit die zentralasiatischen Sufis durch den Buddhismus inspiriert worden sind, zeigt sich an einer wichtigen Tatsache. Den Asketismus der Sufis finden wir in einer der ältesten Lebensbeschreibungen, in der eine Buddha-Persönlichkeit beschrieben wird. Ich meine damit die Legende von Ibrah?m b. Edhem (gest. 776). Diesen großen Sufi-Patriarchen, ein Vorbild der Weltentsagung, beschreibt die Legende als Königssohn aus Balkh und berichtet davon, wie er einmal jagen ging. Er war gerade dabei, einen Fuchs zu verfolgen, als ein geheimnisvoller Ton ihn zum Stehen brachte und ihm mitteilte, dass er keinem Lebewesen nach dem Leben trachten solle. Der König stieg darauf sofort von seinem Pferd und tauschte sein Gewand mit dem eines Hirten. Dem Hirten schenkte er alles, was er bei sich hatte und zog sich in die Wüste zurück. Später fristete er in Syrien sein Leben als unbeachteter Tagelöhner. Als heiliger Mann wirkte er zahlreiche Wunder.

Eine andere Legende erzählt, wie während eines Gespräches mit einem Bettler Ibn Edhem plötzlich bewusst wurde, was wahre Zufriedenheit sei, wie er daraufhin seinen Palast verließ und als Bettler weiterwanderte.

In diesen Legenden kann man die Umrisse der Lebensbeschreibung Buddhas erkennen. Hierbei können wir uns auch die Legende von as-Sabt, des Sohnes von H?r?n ar-Raš?d vor Augen halten, der auf gleiche Weise auf sein riesiges Vermögen verzichtete und seine Seele in einer ärmlichen Hütte aushauchte. Diese letztere Legende, die auch in die Sammlung aus 1001 Nacht eingefügt wurde, brachte Nöldeke in Zusammenhang mit der Lebensgeschichte Buddhas.

Mit Buddha kann Ibrah?m b. Edhem auch deshalb in Zusammenhang gebracht werden, weil seine Gestalt so unbestimmt bleibt und durchaus veränderliche Grundzüge trägt. Nach einigen starb er im Römischen Reich in einer Ortschaft namens Sukein, nach anderen in Tyros, nach wieder anderen in Laodizäa als Kämpfer für die Religion. In seiner Legende spielt die Ehrfurcht vor Tieren eine wichtige Rolle, was ebenfalls buddhistischer Mentalität entspricht.

Ibrahim werden folgende Aussprüche zugesprochen:

„Frei ist jener Mensch, dessen Seele die Welt verlässt, noch bevor er [selbst] die Welt verlässt.“

„Wenn dein Bruder zu dir sagt, du sollst ihm von deinem Vermögen geben, und du ihn fragst, wieviel er will, dann ist deine Wohltat nichts wert. Wenn er dich um einen Gefallen bittet, und du ihn fragst, wo er denn hin will, dann hast du ihm nicht geholfen.“

„Meide die Welt wie die Raubtiere!“

Der als Einsiedler lebende Königssohn traf einmal in der Wüste einen Jüngling, in dem er seinen eigenen Sohn erkannte. Gerührt pochte das väterliche Herz, aber schließlich unterdrückte er in sich das Gefühl. Der Legende zufolge sagte er ihm folgendes:

„Ich nahm Reißaus vor den Menschen, um Deiner (d.h. Gottes) Liebe willen; zu Waisen machte ich meine Kinder, nur um Dich zu sehen; wenn du es zur Bedingung Deiner Liebe machen würdest, dass du mich in Stücke schneidest, so hätte ich doch an niemand anderes mich gewandt als nur an Dich.“

Daraufhin verlässt er seinen Sohn und bittet ihn (Anm. d. Übers.: gemeint ist Gott) zum Abschied:

„Gott möge ihm seine Sünden vergeben und ihm bei der Erfüllung seines Willens helfen.“

Der Einfluss, den der Buddhismus in Zentralasien auf die Sufis ausübte, zeigte sich bald darauf auch im Bereich der praktischen Übungen. In der Hand eines buddhistischen Bettlers, der der Welt entsagt hat, sieht man einen Rosenkranz. Dieses Werkzeug zur Andacht, dessen Gebrauch von brahmanischen Mönchen übernommen worden war, wurde bei den nördlichen Buddhisten, die mit dem Islam in Kontakt kamen, an ihre Bedürfnisse angepasst. Die muslimischen Sufi-Mönche übernahmen darauf­hin den Gebrauch des Rosenkranzes und setzten die Formeln ihrer eigenen Religion ein (99 Perlen gemäß der Anzahl der kanonischen Beinamen Gottes). Schon im 3. Jahrhundert finden wir Spuren des Gebrauches des Rosenkranzes im östlichen Islam (wo Sufi-Gemeinschaften häufig waren).

Westliche Islamgelehrte wenden sich noch im 14. Jahrhundert gegen seine Benutzung als eine den islamischen Traditionen nicht entsprechende Neuerung. Die von diesen buddhistischen Mönchen erlernte Gewohnheit sickerte in der Folge aber in alle höheren Bereiche des Islam ein.

Alle diese Sagen und Erscheinungen weisen darauf hin, dass der Buddhismus die zentralasiatische Sufi-Bewegung neu formte. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Religion der Sufis nur eine Übertragung der hinduistischen Vedanta-Philosophie in die Wüste sei. Die Sufi-Meister lernten den Buddismus auch nicht aus einzelnen Büchern kennen, sondern aus dem Leben, auf dem Wege persönlicher Kontakte.

Sie sahen ganz unmittelbar Mönche, die der Welt entsagten, folgten ihrem Beispiel und zogen ebenfalls ins Kloster, wobei sie das idealtypische Bild des Bettelmönches schufen.

Auf buddhistischen Einfluss weist auch die Tatsache hin, dass die erste Sufi-Gruppierung ihren Sitz in der Stadt Balkh hatte, wo vor der Eroberung durch den Islam der Buddhismus vorherrschte. Die Legende nennt ja auch Ibrahim b. Edhem einen Königssohn aus Balkh.

Zwischen Buddhismus und Sufismus gibt es auf der allgemeinen Ebene viele Ähnlichkeiten; auf dem Gebiet der Details der Praktizierung dieser Lehren aber können wir zahlreiche Abweichungen beobachten. Alfred Kremer hat in einer bahnbrechenden Studie in einem seiner Werke diese Momente als solche erkannt. Kremer weist nicht nur buddhistische Einflüsse auf die Theorie der Sufis nach, sondern auch auf dem Gebiet der mystischen Übungen. Wir wollen nun einige der oben erwähnten Einzelheiten betrachten.

Sehr charakteristisch ist die Übernahme der Lehre vom Nirwana durch die Sufis. Wie der Buddhismus die Erreichung des summum bonum im völligen Verlöschen der individuellen Seele und in der Befreiung von Freuden und Leiden im Zustand des Nirwana sieht, so zielten auch die Hoffnungen der Sufis auf den fan??19, das Aufgehen im Nichts.

Das buddhistische Nirwana wurde schon auf vielerlei Art erklärt. Nach einigen ist das Nirwana die völlige Vernichtung des Daseins, das folglich im Leben unerreichbar ist. Modernere Erklärer des Buddhismus jedoch – allen voran Max Müller – würden aus der Bedeutung des Begriffes Nirwana eher das Aufhören der materiellen Existenz herauslesen und den Begriff folgendermaßen deuten:

„Völlige geistige Ruhe, an der Freud und Leid der zeitgebundenen Welt keinen Anteil hat; das Ich-Bewusstsein hört auf, alle Begierde und alle Sehnsucht der Seele erlöschen.“20

Das Nirwana steht im Gegensatz zu M?y?, d.h. dem Blendwerk der schein­baren Realtität, und stellt die Wiederherstellung der wahren Wirklichkeit dar.21 Es ist offensichtlich, dass wir im Sufi-Begriff fan?? einen Widerhall des Nirwana vor uns haben. Fan?? würde ich hierbei folgendermaßen definieren:

„Die Abwesenheit des individuellen Ich und allen dazugehörenden Bewusstseins, die Befreiung des Menschen von allen Mitteln – wenn der Mensch kein Ziel mehr hat, keinen Willen, denn er ist versunken in den Willen Gottes.“

Aus dieser späteren Definition wird klar, dass die Sufi-Vorstellung vom Nirwana – im Gegensatz zur Vorstellung im Buddhismus – sich mit der Vorstellung einer Gottheit verbindet, und zwar einer Art von pantheis­tischem Gott. Der Sufi versinkt nicht im Nichts, sondern im Alles, in einer unendlichen Gottheit. So wie sich im buddhistischen Nirwana das mensch­liche Subjekt mit der Auflösung aller Objektivität zum Nichts wird, so geht das Ich-Bewusstsein der Sufis in das allgemeine Sein, in eine universelle Gottheit ein. So wird das Individuum zu Gott, zu einem Tropfen im unendlichen Meer des Universums, dem keine individuelle Existenz mehr eignet. Das buddhistische Nirwana kann gleichgesetzt werden der Auflö­sung aller Mittel, die Nutzen oder Schaden hervorbringen. Wie ?al?l ad-D?n R?m? schreibt:

„Ohne Sorge, ohne Denken

an Gewinn oder Schaden“.

Dieser Zustand entspricht dem Nirwana und wird mit dem Wort istihl?k bezeichnet, der meist mit „das Streben zum Nichts“ übersetzt werden kann. Der größte mystische Dichter, Šams Tabr?z?22, sagt:

„Ich bin weder Christ, noch Jude, noch Feueranbeter23, noch Muslim, komme weder von Ost, noch West, weder vom Meer, noch vom Lande, ich gehöre weder zur Ordnung der Natur, noch zu den Sphären des himmlischen Firmamentes, bin weder aus Staub, noch aus Luft, noch aus Feuer gemacht, ich habe meinen Platz weder beim Thron, noch bei den Lichtatomen und auch nicht im Dasein. Meine Herkunft ist weder das Diesseits, noch das Jenseits, weder Paradies, noch Hölle, ich stamme weder von Adam, noch von Eva, habe nichts zu schaffen mit Eden und Ri?w?n24 – mein Ort ist die Ortslosigkeit, mein Zeichen die Zeichenlosigkeit, habe weder Körper, noch Seele, ich lehne alle Dualität ab, denn ich sehe beide Welten als eine an. Diese eine suche ich, diese kenne ich, die eine sehe ich und zu der einen rufe ich: ‚Außer dem ‚Oh, Er‘ und ‚oh, ich bin Er‘ weiß ich nichts.'“

Bei jenen, die sich der eigenen Persönlichkeit gegenüber verweigern, die in das absolute Sein versinken wollen, wird die Seele durch die immer­währende Wirklichkeit geadelt und der Zustand des fan??, das Verlöschens, erreicht. Ein solcher ist der ins?n al-k?mil, der vollkommene Mensch. Auf dieser Höhe führt der Weg in ein weiteres Stadium: das des Niederkämpfens des individuellen Daseinsbewusstseins. Mit den hierzu führenden Stationen befasst sich ausführlich die buddhistische Terminologie. Als That?gata25 wird die höchste Stufe bezeichnet, die Buddha selbst erreicht hat. Die Schüler können bis zur Stufe eines Arhat aufsteigen, der Stufe eines Heili­gen, der die materielle Welt beherrscht. Diese können Wunder wirken und beherrschen die Elemente (Ich habe bereits zwanzig solcher Wunder zusammengestellt, die die Muslime ihren Heiligen zuschreiben). Diese Wunder erinnern an jene, die die Hindus jenen zuschreiben, die die höchste Stufe der Meditation26 erreichen. Man spricht von Selbst-Vervielfältigung, Fliegen, auf dem Wasser gehen und dem Versetzen von Bergen. Die Fähig­keiten eines muslimischen wal? ähneln hierbei den indischen Vorbildern.

Der Sufi kann – ebenso wie ein buddhistischer ?rama?a, das summum bonum nicht einfach durch einen Entschluss erreichen. Nach buddhistischer Lehre führt ein Weg zum höchsten Ziel: der achtfache Pfad. Alle Stationen dieses Weges ähneln dabei einer langen Wanderschaft. Das Endziel ist das Nirwana. Gleiches gilt für das fan?? der Sufis: Um es zu erreichen, muss man einen bestimmten Weg (tar?qa) bis zum Ende gehen, dessen verschiedene Stationen als Maq?men bezeichnet werden. Deshalb nennt ein Sufi die Selbstverwirklichung „sul?k – Reise“. Ein anderer Name für Sufis lautet: ahl at-tar?qa, d.h. „Menschen des Weges“. Gemeinhin werden alle Sufi-Orden mit dem Wort tar?qa bezeichnet.

Ich halte es für unwahrscheinlich, dass all dies reiner Zufall sein kann. Die Tatsachen, dass die Stationen des buddhistischen und des Sufi-Weges nicht übereinstimmen, bedeutet nicht, dass es zwischen ihnen keine Über­ein­stimmung gibt. Wie könnte auch der Weg eines Menschen, der das völlige Verlöschen verkündet, mit dem eines Menschen übereinstimmen, der den Lehrsatz vertritt, dass Gott „hen kai pãn – das Eine und das Alles“ ist? Aber der Grundgedanke ist derselbe. Wir wollen nun eine der wichtigeren Übereinstimmungen näher betrachten!

Eines der wichtigsten Stadien auf dem Sufi-Weg ist die Stufe, die man mur?qaba nennt, was soviel wie „Meditation“ bedeutet. Von deren Ergebnis hängt in erster Linie die Erreichung der fan?? ab. Dieselbe Bedeutung hat sam?dhi, d.h. Versenkung, in der buddhistischen Doktrin. Ihren Inhalt, den ich nicht wagen würde mit einem einzigen ungarischen Wort wiederzugeben, definiert Oldenberg mit dem [deutschen] Wort „Nichtirgendetwasheit“. 27

Die mur?qaba der Sufis gleicht in allem dem sam?dhi der Hindus. Auch die Begleitumstände stimmen überein. In der sufischen ?alwa28, dem ganz abgesonderten Leben, übt der Führer zum fan?? in Einsamkeit diese höchste Fähigkeit. Der ?alwa-Derwischorden, von dem die Vorstellung den Namen hat, fordert von seinen Derwischen alljährlich eine 40tägige, mit Fasten verbundene Zeit in der Einsamkeit. Andere Orden sind nicht so streng: in Ägypten verbreitete sich der Demirdashi-Orden, der sich mit einer dreitä­gigen ?alwa begnügt. Während dieser Zeit ist es den Derwischen nicht erlaubt zu sprechen. Diese Zeit gehört ausschließlich der Meditation. Der Gedanke, dass Meditation zur Erreichung des Nirwana führt, ist also aus dem Buddhismus entliehen.

 

V.

Eine siegreiche Religion saugt immer die Traditionen der besiegten Religion in sich auf und verschmilzt diese mit seinem eigenen System, wobei er ihnen eine neue Bedeutung und eine neue Form gibt. Wie der siegreiche Islam das Syrische in sich aufnahm und die ägyptischen Traditionen – indem er die alten Götter zu muslimischen Heiligen erklärte -, so hat er sich auch die Überlieferung des abgedrängten Buddhismus einverleibt. Infolge dieser Um­­bildung ist Resten der alten buddhistischen Bräuche bisweilen ihr heiliger Charakter abhanden gekommen und sie lebten profanisiert weiter. Vámbéry hat aus Narša??s29 historischem Werk eine hierher gehörende interessante Einzelheit zitiert. Zur Zeit dieses Historiographen (um 944-948) wurde in Bukhara, einem [früheren] buddhistischen Zentrum30 (das Wort bu??r bedeutet im Mongolischen „buddhistischer Tempel“ oder „Kloster“), zweimal im Jahr ein Puppen- und Bildermarkt abgehalten. (Der Spielzeugumsatz belief sich in der Stadt auf insgesamt 5000 Denare). Nach Narša?? ist dieser Brauch nichts anderes, als das Überbleibsel eines früheren wimmelnden Marktes für Buddhastatuen.

Noch typischer ist, wie die besiegte Religion ihre heiligen Handlungen der siegreichen Religion mit neuen Bedeutungen als Erbe hinterlässt. Ver­geblich besiegte der Islam den Buddhismus – die Verehrung der heiligen Plätze und Gegenstände konnte er nicht ausrotten. So bildete er sie um und schmolz sie ein. Hier war jedoch nicht irgendein planender Wille am Werk, sondern die unwillkürlich waltende Volksseele. Die buddhistischen Heiligtümer konnten so zu Gedenkstätten für islamische Heilige werden. Für diesen Vorgang gibt es zahlreiche Anzeichen. In Kandahar verehrten Buddhisten einen Wasserkrug Buddhas, der nach der Eroberung einfach Mohammed zugeschrieben wurde. Auf der Insel Ceylon, wo ein Fuß­abdruck Buddhas Gegenstand religiöser Andacht war, sehen Anhänger des Islam in demselben Abdruck bereits den Fuß ?Al?s. (Dabei störte niemand, dass die großen Figuren des Islam niemals an diesen Orten gewesen waren.)

Grenard lässt sich in einem seiner Werke darüber aus, dass in Ost-Turkestan, wo im 10. Jahrhundert der Buddhismus die beherrschende Religion gewesen war, von wo er erst im 13. Jahrhundert endgültig ver­schwand, in großer Zahl Heiligengräber (maz?r) zu finden sind, die jetzt den Helden der islamischen Legenden zugeschrieben werden. Diese Helden, wenn sie überhaupt jemals gelebt haben sollten, konnten niemals in diese Gegend Asiens gelangt sein. Diese heiligen Orte sind nichts anderes, als ehemalige Stupas, die mittlerweile muslimischen Herren gehörten.

Die lokalen Traditionen wurden nach dem Aussterben des Buddhismus herrenlos, es wurden dort aber sofort muslimische Heilige hervorgebracht, die das Erbe Buddhas antraten. Die neuen Heiligen und ihre Gedenkstätten nahmen für sie die Funktionen der buddhistischen Heiligen an. Durch die Opfer, die an den Grabstätten dargebracht wurden, wurden muslimischen Hilfesuchenden dieselben Wohltaten zuteil wie vormals den Verehrern der Stupas. Die Tradition ist unsterblich, nur die Erklärung ändert sich.

 

1 Die benutzte Version ist: http://www.terebess.hu/keletkultinfo/goldziher.html

Der jeweils identische Text findet sich auch auf mehreren anderen Websites, z.B.

http://vmek.oszk.hu/00100/00163/html/nter2107.htm

 

2 Der vorliegende Beitrag wird dort übrigens unter dem Titel „Die Wirkung des Buddhismus auf den Islam, 1902″ unter der Rubrik „ungarische Veröffent-­ lichungen aufgeführt.

3 Journal of the Royal Asiatic Society, Jahrgang 122, S. 144

4 Muhannad ist ein Partizip Passiv der Verbwurzel „hannada – aus indischem Stahl bereiten, schärfen“, das von den Radikalen des Wortes „Hind -Inder“ abgeleitet ist, also vielleicht als das „indisch gemachte“ wiederzugeben.

5 Das Wort „Schamane“ wird allgemein auf ein tungusisches Wort zurückgeführt, das seinerseits – wohl über das Tocharische ?am?ne (buddhistischer Mönch) – auf das Sanskritwort „?rama?a < ?ram – überdrüssig sein“, Pali „sama?a“ zurück­geht. Der Bedeutungswandel von „Buddhistischer Mönch“ zu „Schama-­ ne“ könnte auch damit zu tun haben, dass bis heute (z.B. in Thailand) Mönche für allerlei „schamanistische“ Bräuche herangezogen werden.

6 Damit bezeichnet man die mittelpersische Sprache (der Zoroastrier), in einigen Fällen auch (inkorrekt) das Parthische.

7 Von arabisch „qisma – Schicksal, eigentlich: Zuteilung“; < qasama – zuteilen, vgl. al-Q?sim – der Zuteiler, der die Menschen in Gruppen einteilt, ein Beiname Mu?ammads.

8 „Arisch“ ist die in der Sprachwissenschaft übliche Sammelbezeichnung für die Indisch-Iranische Untergruppe der indogermanischen Sprachen. Das Wort wird bisweilen als „die Gastfreundlichen“ übersetzt und war die Selbstbezeichnung der Inder und Iraner. Aus dem Genitiv Plural „?ry?nam > mittelpersisch: ?r?n – iranische Völker“ leitet sich das Wort „Iran“ ab. Die Verwendung bei den Nazis als Bezeichnung einer (ebenfalls nur imaginär vorhandenen) „Rasse„, wobei Arier und Indogermanen fälsch­licher­­weise miteinander identifiziert wur­­­den, hat mit Goldzihers (und der heute in der Indogermanistik üblichen Ver­wen­dung des Begriffes) nichts zu tun. Allerdings hält auch Goldziher die Griechen und Germanen für Arier, was aber nach damaligem Kenntnisstand im Falle der Grie-­ chen verzeihlich war, da die entsprechende Wurzel sich auch in griechischen Wörtern (z.B. Areopag) findet.

9 Goldziher verwendet das ungarische Wort „teokratizmus“.

10 Im Zoroastrismus der böse Gegenspieler Ahura Mazdas, die Daevas entsprechen etymologisch den indischen Devas (Göttern), bezeichnen aber im Zoroastrismus böse Geister.

11 Hier und im Folgenden wird die ungarische Neuschöpfung „zindikség“ – „Zind?q-tum“ mit „Häresie“ widergegeben, statt auch im Deutschen eine Neuschöpfung zu verwenden.

12 Die Abstraktform der Wurzel lautet im Arabischen „zandaqa“, das meist mit „Gottlosigkeit, Asebie“ übersetzt wird. Goldziher benutzte die morphologischen Mittel des Ungarischen und prägte das Wort „zindikség – Zindiq-tum“.

13 Das Zitat und der Dichter sind dem Übers. nicht bekannt; „christlich – ung.: keresztény“ könnte hier auch übertragene Bedeutung haben.

14 Goldziher unterscheidet im Ungarischen zwischen „aszkétizmus – asketische Lebensführung“ und „aszkézis – Askese“.

15 Im Original steht „imádság – Anbetung“, es ist also wohl eher der Vollzug des Gebetes als dieses selbst gemeint.

16 Gemeint ist die immer wiederkehrende Rezitation der Šah?da oder des Gottesnamens. Im Ungarischen steht dafür das sonst nicht gebräuchliche „ajakkultusz – Lippenkultus“.

17 Die wörtliche Übersetzung von „Euchiten“.

18 Vgl. Matth 6, 25: Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung? 26. Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?

19 „Fan?? -Auflösung“ steht im Gegensatz zu „baq?? – Bestehen“

20 Das Zitat wurde direkt aus dem Ungarischen übersetzt.

21 Buddhisten verweisen oft darauf, dass man durch die Erleuchtung die Dinge zu sehen lernt „wie sie [wirklich] sind“.

22 Gest. 1248, unter anderem Lehrer des berühmten Rumi Mevlana (R?m? Mawl?n?).

23 Anm. d. Übers.: gemeint sind Zoroastrier.

24 Arab. Ri?w?n ist nach islamischer Tradition der Engel, der das Paradies bewacht und ein verbreiteter Vorname.

25 „Tath?gata – wörtl.: der dorthin Gegangene“, das Pali-Wort, das Buddha für die Bezeichnung seiner eigenen Person verwendet hat. Im Theravada-­Buddhismus unterscheidet man zwischen einem „Arhant“ (oder: Arhat) und einem „Buddha“. Beide ha­ben zwar das Nirwana erreicht, d.h. das Endresultat ist dasselbe, während jedoch der Arhant dazu die Anleitung eines Lehrers benötig­te, ist ein „buddha“ jemand, der es aus eigener Kraft schafft. Laut Buddha können Frauen zwar Ar­hants werden, nicht aber Buddhas. In der ungarischen digitalen Version lautet das Wort „Thetagota“.

26 Das von Goldziher verwendete Wort lautet „lelki koncentráció – seelische Konzentration“.

27 Im Ungarischen Original steht das Wort auf Deutsch.

28 Privatheit, Einsamkeit, abgeleitet von der Verbwurzel ?-l-y – allein sein“.

29 Gest. 943, schrieb eine Geschichte von Bu??r?.

30 Im ungarischen Original steht hier „fészek – Nest, Brutstätte“.