Karl-Heinz Ohlig
Das „Sanctus“ der Messe (des Abendmahls) und „Mohammed“
Spuren gemeinsamer Theologie
in: imprimatur 40, 2007, 73-75 (ISSN 0946 3178)
Neuerdings wird durchaus richtig ausgeführt, dass der interreligiöse Dialog mit dem Islam auch die kontroversen Themen und Probleme ansprechen sollte. Dazu aber gehören nicht, wie viele (z.B. Bischof Huber) meinen, die Gottesauffassung und die Christologie. Wir beten zu demselben Gott, und nicht nur, weil unsere katholischen Brüder und Schwestern in Malta oder auch die arabischen Christen Gott als Allah anreden.
Die Gemeinsamkeiten reichen tiefer. Wenn die Muslime Gott als den alleinigen Gott, ohne Beigesellung – also nicht trinitarisch – verstehen oder der Koran von Jesus sagt, er sei Messias, Prophet, Gesandter, Knecht Gottes – und nicht Sohn Gottes oder selber Gott -, dann handelt es sich dabei ursprünglich nicht um eine „nichtchristliche“ islamische Lehre, die gegen das Christentum gerichtet ist, Zeichen eben einer anderen Religion.
Vielmehr war diese Auffassung im frühen Christentum selbst lange Zeit verbreitet, so z.B. in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas)1 und vor allem, nicht nur, im syrischen Christentum, das von der palästinischen Mittelmeerküste bis weit in den Osten Mesopotamiens verbreitet war.
Dort wurde bis zum Konzil von Nizäa im Jahre 325 der sogn. Monarchianismus vertreten: Gott allein ist Herrscher, Wort und Geist sind „nur“ seine Kräfte (dynameis), durch die er selbst nach außen wirkt. Es gibt nur den einen und selbigen Gott, er ist unitarisch einer. Jesus wurde auch hier als unser Heilsmittler bekannt. Er war dies aber deswegen, weil er sich in vollkommener Weise im Gehorsam dem Vater gegenüber bewährt hat, die syrische Bewährungschristologie. Er ist also (nur) Mensch, aber der ethisch exemplarische Mensch.
So nannten ihn die syrischen Christen den (vollkommenen) Knecht Gottes, den Messias, „Sohn der Maria“ (nicht: Gottes), den (großen) Propheten und Gesandten Gottes, dem wir nachfolgen sollen. Im aus Syrien stammenden Martyrium des Polykarp aus dem 2. Jahrhundert, das zu den „Apostolischen Vätern“ gezählt wird, heißt es: „Herr, Gott, Allmächtiger, Vater dieses geliebten und gelobten Knechtes Jesus Christus“ (14.1). Ebenso wird in der Didache, der die älteste Fassung des eucharistischen Hochgebets entnommen ist, Jesus „Knecht Gottes“ genannt (10,2), sogar auch in einem Schreiben der römischen Gemeinde aus dem Jahr 97 (Erster Klemensbrief 59,2) ist vom „geliebten Knecht Jesus Christus“ die Rede.
Auf dem Konzil von Nizäa legte die griechische Kirche unter der Leitung des Kaisers Konstantin fest, dass „der Sohn“ „Gott aus Gott, Licht aus Licht, wahrer Gott aus wahrem Gott“ und sogar „gleichwesentlich“ mit dem Vater ist. Deswegen mussten nach dem Konzil von Nizäa auch die Westsyrer (vom Mittelmeer bis zum Euphrat), die zum Römischen Reich und somit zur Kirche des Kaisers gehörten, die Gleichwesentlichkeit den „Sohnes“ mit dem Vater anerkennen. Wie schwer es ihnen fiel, kann man, unter anderen, bei dem Bischof Theodor von Mopsuestia (gest. 428) nachlesen. Er schrieb: „Mensch ist Jesus … Der Mensch Jesus ist ähnlich allen Menschen, in nichts von den (ihm) gleichwesentlichen Menschen sich unterscheidend als in der Gnade.“2 Er lobt an Jesus, dass er sich „nach größter Möglichkeit um vollkommenste Tugend bemühte.“3
In Ostsyrien, in Mesopotamien östlich des Euphrat, das damals zum Perserreich gehörte, war Nizäa zunächst unbekannt. Erst im Jahre 410 wurde dessen Glaubensbekenntnis auch im Osten, auf einer Synode in der persischen Hauptstadt Seleukia-Ktesiphon angenommen. Aber es dauerte eine längere Zeit, bis sich dieses Bekenntnis verbreitete und durchsetzte. Seitdem übernahm auch die ostsyrische Großkirche eine Binitäts-, später auch eine Trinitätslehre sowie für die Christologie die Zwei-Naturen-Lehre.
Anders im Koran. Dieser bleibt bei der alten vornizenischen Theologie.4 Die aramäischen Christen, die den Grundstock des Koran formulierten, blieben bei dem Christentum ihrer Anfänge und grenzten sich gegen die neuen theologischen Aussagen ab.
Der spätere Araberherrscher ‚Abd al-Malik hat im Innern des von ihm 693 erbauten Felsendoms in Jerusalem eine Inschrift anbringen lassen, die diese christliche Theologie programmatisch festhält (die sich auch im Koran findet). Dort heißt es zu Beginn eines gänzlich der Christologie gewidmeten Textes, nach einem Bekenntnis zu dem einen Gott ohne Teilhaber: „Gelobt/gepriesen (muhammad) sei der Knecht Gottes (‚abdallah) und sein Gesandter … Denn der Messias Jesus, Sohn der Maria, ist der Gesandte Gottes und sein Wort, das er der Maria eingegeben hat …“.5
Gott ist ein einziger, und gepriesen ist sein Gesandter, Jesus. Genau darum geht es auch im Sanctus der Messe: „Heilig, heilig, heilig, Herr, Gott der Heerscharen (Sabaoth). Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit. Hosanna in der Höhe. Hoch gelobt sei (benedictus), der da kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe.“
Wer das Sanctus nicht nur – in „Volksweisen“ oder mit Mozart – singt und fromm betet, sondern auch über seinen Inhalt nachdenkt, wird bemerken, dass hier nicht der dreifaltige, sondern der unitarisch eine Gott des Alten Testaments gepriesen wird; denn das „dreimal Heilig“ (Trishagion) ist ein Zitat aus Jesaja 6,3, der noch nichts von einer Trinität wusste: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr der Heerscharen (Zebaoth). Die ganze Erde ist erfüllt von seiner Herrlichkeit“.6 Dieses Zitat findet sich auch im Ersten Klemensbrief (34,6), der ebenfalls noch keine Trinität kennt – er nennt Jesus „Knecht Gottes“.
Im zweiten Teil des Sanctus ist von Jesu Würde die Rede: benedictus qui venit … Auch dieser Lobpreis stammt aus dem Alten Testament, aus Psalm 118,26, wo von dem Stein, den die Bauleute verworfen haben (Vers 22), gesagt wird: „Gepriesen sei er, der da kommt im Namen des Herrn.“ Im Neuen Testament wird dieses Psalmzitat Jesus bei seinem Einzug in Jerusalem zugerufen (Markus 11,4; Matthäus 21,9; Lukas 13,35).
Jesus ist also der Gepriesene oder zu Preisende.7 Der Gepriesene oder der zu Preisende heißt arabisch muhammad, Knecht Gottes heißt ‚abdallah, und wie später im Felsendom wird schon im Martyrium des Polykarp im 2. Jahrhundert Gott gepriesen als „Vater dieses geliebten und gelobten Knechtes (arabisch: muhammad ‚abdallah) Jesus Christus“.
Tatsächlich stammt das Sanctus ursprünglich aus ganz frühen, wahrscheinlich syrischen Zeiten des Christentums. Es wurde erst Jahrhunderte später auch im Westen in die Messliturgie übernommen, wobei hilfreich war, dass das dreifache Heilig, das im Alten Testament und in der frühen christlichen Theologie nur eine feierliche Bekräftigung ist, dann trinitarisch missverstanden werden konnte.
Heute sollten wir es besser wissen. In jeder Messe / Abendmahl beten wir einen Text, dessen Theologie und Christologie mit der frühen syrischen und deswegen auch mit der koranischen Auffassung übereinstimmt. Ein Anlass zum binnenchristlichen und binnentheologischen Nachdenken und dann auch zur Korrektur im interreligiösen Dialog?
1 Zwar wird bei den Synoptikern auch der Hoheitstitel „Sohn Gottes“ für Jesus gebraucht. Er besagt aber lediglich, dass Jesus heilsgeschichtlich Gott nahe stand wie ein Sohn, vergleichbar der alttestamentlichen Bezeichnung des Mose, Salomos, des jüdischen Königs oder auch ganz Israels als „Sohn Gottes“.
2 Theodor von Mopsuestia, De incarnatione, griech., latein. und syrische Fragmente, in: H.B. Swete, Theodori episcopi Mopsuesteni in epistolas B. Pauli Commentarii, B. II, Cambridge 1882, 291.
3 Theodor von Mopsuestia, ebd. 296.
4 Vgl. hierzu vom Verf., Das syrische und arabische Christentum und der Koran, in: Karl-Heinz Ohlig, Gerd-R. Puin (Hrsg), Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entstehung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2005, 32007, 366-404.
5 Vgl. hierzu Christoph Luxenberg, Neudeutung der arabischen Inschrift im Felsendom zu Jerusalem, in: ebd. 126.127.
6 Jesaja wird noch einmal zitiert in der Apokalypse 4,8, hier mit dem griechischen Zusatz zu Gottes immer währendem Sein.
7 Weder im Hebräischen noch im Arabischen gibt es ein Gerundivum, sondern nur ein Partizip Perfekt; benedictus ist die grammatische Entsprechung des hebräischen Worts. Dennoch muss ein solches Partizip, je nach Kontext, gerundivisch übersetzt werden, statt: „gepriesen“: „der zu Preisende“, was nicht der lateinische Text des Sanctus, wohl aber die deutsche Übersetzung tut.