Die christliche Literatur unter arabischer Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert

Karl-Heinz Ohlig

(Vortrag Uni Münster am 07.02.09)

Die christliche Literatur unter arabischer Herrschaft im 7. und 8. Jahrhundert [1]

Das hier zu verhandelnde Thema ist komplex und setzt ein gründliches Quellenstudium voraus, um es sachgerecht beurteilen zu können. Es kann also nur um einen Überblick gehen: nach kurzen Vorbemerkungen zu den Anfängen von Weltreligionen will ich versuchen, die hier thematische Literatur generell historisch-kritisch und in den wesentlichen Aussagen zu charakterisieren, um dann an einigen, aber den wichtigsten Beispielen aufzuzeigen, was sich aus ihnen ergibt. Alle in Frage kommenden Textstellen können im Rahmen eines Vortrags nicht angesprochen werden; hierfür verweise ich auf meinen Beitrag in dem Sammelband „Der frühe Islam“, Berlin 2007, und die dort angegebene Literatur.

1. Die Anfänge von Religionen

1.1 Vorbemerkung

Sowohl in der islamischen Theologie wie in weiten Teilen der gegenwärtigen Islamwissenschaft wird die Entstehung und Entwicklung des Islam im 7. und 8. Jahrhundert gemäß den reichhaltigen muslimischen Darstellungen – Biographien und Hadithsammlungen – geschildert, deren Abfassung frühestens auf das 9. und 10. Jahrhundert und deren Handschriftenüberlieferung noch einmal später zu datieren sind. Der Koran ist zwar älter und lässt Rückschlüsse auf ältere Entwicklungsstufen zu, bietet aber leider keine belastbaren biographischen, historischen oder geographischen Informationen, die die spätere Tradition erhärten könnten.

Der Islam entstand in einem Umfeld, das eine Jahrtausende alte hochkulturelle und –religiöse Vorgeschichte kennt und auch zur Zeit seiner frühen Verschriftlichungen von zahllosen kulturellen, politischen, gesellschaftlichen, religiösen und sprachlichen Entwicklungen geprägt war. Diese Vielfalt macht die Zusammenarbeit und das Gespräch von Forschern aus unterschiedlichen Disziplinen erforderlich, wenn man Eigenart und Geschichte der frühen Zeit erkennen will. Wir haben eine solche interdisziplinäre und internationale Forschergruppe zur gemeinsamen Arbeit in „Inârah. Institut zur Erforschung des frühen Islam und des Koran“ motivieren können: Neben hervorragenden Arabisten auch Semitisten, Indo-Germanisten und Kenner weiterer damaliger vorderorientalischer Sprachen sowie Sprachwissenschaftler, Religions- und Theologiegeschichtler, Epigraphiker, Numismatiker, Archäologen, Rechtshistoriker und Hispanisten. Mein Beitrag ist der eines Religions- und Theologiehistorikers.

1.2 Dunkle Anfänge von Weltreligionen

Die großen Weltreligionen haben meist umfängliche und detailreiche Überlieferungen ausgebildet und niedergeschrieben, die ihre Anfänge und – im Fall von sogn. Stifterreligionen – die begründende Gestalt vorstellen. Dabei waren sie nicht von einem historischen Interesse, sondern von theologischen Tendenzen geleitet. Das, was sie jetzt für richtig hielten, projizierten sie in eine begründende Anfangszeit. Zwar mag es in den Traditionen durchaus auch geschichtliche Notizen geben, die einfach eingeflossen sind; aber intendiert und primär sind sie nicht. Nach dem Aufkommen des historisch-kritischen Denkens seit der Aufklärung wurden diese Erzählungen daraufhin untersucht, wie weit sich die religiösen Anfangstraditionen durch Quellen erhärten lassen, die den geschilderten Gang der Ereignisse nachprüfbar stützen; hierfür kamen vor allem zeitgenössische Quellen in Frage. Ganz pauschal – hier gibt es zwischen den Religionen und ihren Anfangsüberlieferungen durchaus Unterschiede – lässt sich sagen, dass die Frühgeschichten tatsächlich gänzlich oder weithin im Dunkeln liegen oder jedenfalls anders verlaufen sind, als sie in dem jeweiligen heiligen Schrifttum und der nachfolgenden Literatur geschildert werden.

Die Plausibilität und Nachprüfbarkeit dieser historischen Untersuchungen lässt dann auch die literarische Eigenart der ältesten Schriften hervortreten, die nur scheinbar Geschichte erzählen, in Wirklichkeit aber theologische Konstrukte bzw. mythische Projektionen aus der Sicht der späteren Gläubigen sind. Dies hätte bei einer wirklich wissenschaftlichen Exegese auch schon aus den in den frühen Schriften verwendeten literarischen Gattungen und Formen erschlossen werden können. Allerdings wäre eine solche Exegese theoretisch geblieben, erst die historische Forschung macht ihre literar- und formkritischen Beobachtungen unwiderlegbar. So konnte man z.B., solange die Archäologie nicht aufgedeckt hatte, dass während der angeblichen israelitischen Landnahme seit dem 12. Jahrhundert v.Chr., anders als in der Bibel dargestellt, keine Städte zerstört wurden, nicht zwingend widerlegen, dass die narrativen Schilderungen der Eroberungen nicht doch Geschichte wiedergeben. Ähnliches gilt für die im Gefolge der angeblichen islamischen Eroberungen behaupteten Zerstörungen von Städten; Kirchen oder Klöstern von Mesopotamien bis nach Spanien.

Alttestamentliches Schrifttum wurde frühestens seit dem Exil im 6. Jahrhundert v. Chr abgefasst, berichtet aber in den Patriarchenerzählungen, z.B. zu Abraham, von mindestens 1.000 Jahre zurückliegenden Geschehnissen, im Fall der Moseüberlieferungen und des Exodus sind es immerhin noch mehr als 500 Jahre, die zu überbrücken sind. Die buddhistische Literatur wurde kurz vor der Zeitenwende im Pali-Kanon aufgeschrieben und bezieht sich auf einen Verkünder, der vor einem halben Jahrtausend gelebt haben soll. Die zoroastrische Literatur muss noch größere Zeiträume überbrücken. Kleinere Zeitabstände finden sich bei den neutestamentlichen Schriften, aber selbst bei ihnen ergibt sich das Problem der Spannung zwischen dem Jesus der Geschichte und dem Christus des Glaubens, dem historischen Jesus und dem kerygmatischen Christus. Alleine die Nennung dieser Zeitdistanzen zwischen den möglichen historischen Anfängen und den späteren Verschriftlichungen lässt von vornherein keine geschichtlich zutreffenden Darstellungen erwarten; angebliche oder tatsächliche mündliche Überlieferungen, die hinter diesen Verschriftlichungen stehen, können diese Distanzen nicht gegenstandslos machen. Weder in der Geschichtswissenschaft noch in der christlichen Theologie wird noch auf solche mündlichen Traditionen zum Erweis historischer Tatsachen zurückgegriffen, deren Zuverlässigkeit immer wieder falsifiziert wurde  und auch im empirischen Experiment widerlegt ist. Dies schließt natürlich nicht aus, dass im kollektiven Gedächtnis auch hin und wieder noch Splitter historischer Reminiszenzen zu finden sein mögen (aber das muss im Einzelfall nachgewiesen werden).

2. Der Rekurs auf zeitgenössische Quellen.

Seltsamerweise wurden die Methoden der historischen Wissenschaften bis in die jüngere Zeit nicht zu dem Zweck der Untersuchung der Anfänge des Islam angewendet. Vielmehr galten diese bisher oft, trotz einiger früherer kritischer Stimmen im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, als so gut bekannt wie bei keiner anderen Religion. Dabei hätte auch hier die viel spätere Entstehungszeit der Traditionsliteratur und das noch spätere Vorliegen von Handschriften, ebenso der sich schon beim ersten Lesen aufdrängende Eindruck des legendarischen Charakters der Texte oder ihre Verwendung literarischer Formen und Topoi, wie Albrecht Noth 1973 nachgewiesen hat,[2] stutzig machen sollen und müssen. Gründliche historische Untersuchungen, die dem Level der heutigen Wissenschaften entsprechen, fehlen weithin. Dabei geht es nicht darum, eine Religion zu dekonstruieren. Vielmehr gebietet es die Achtung und Hochschätzung einer Religion, sich – soweit es möglich ist – über ihre Anfänge und damit auch ihre ursprüngliche Eigenart Rechenschaft zu geben, noch abgesehen von der dem Menschen eingestifteten Eigentümlichkeit, allem, soweit es ihm möglich ist, auf den Grund zu gehen.

Zur Beantwortung dieser Fragen ist auch für den Islam der Rekurs auf zeitgenössische Quellen erforderlich. Diese gibt es durchaus. An erster Stelle steht hierbei der Koran, der allerdings in einem mindestens zweihundertjährigen Prozess entstanden ist. Bei ihm kommt es vor allem darauf an, ihn nicht, wie in der muslimischen Theologie und leider auch in der Islamwissenschaft üblich, von den viel späteren Überlieferungen her rückzudeuten, ihn konkret von der Sunna und den  sogn. Biographien wie Sira und at-Tabari her auszulegen. Vielmehr erschließt er sich in seiner Theologie und Eigenart, wenn diese Textsammlung auf ihre eigenen Aussagen und Aussageabsichten, ihre sprachliche Beschaffenheit und darüber hinaus auf die nachweislich in sie eingeflossenen oder von ihr verwendeten religiösen und literarischen Motive, Raster und Argumentationsweisen untersucht wird. Daraus ergibt sich zwar immer noch – auf Grund seiner literarischen Art – keine Möglichkeit, den Koran biographisch oder in einem historischen Ereigniszusammenhang oder auch nur geographisch zu verorten. Aber seine Verkündigung einer frühen syrisch-christlichen Theologie, wie sie damals nur noch weit im Osten des Perserreichs bestand, sowie die zahlreichen aramäischen und persischen Raster und Motive sowie Anklänge an andere religiöse Bewegungen und seine extensive Verwendung spätantiker Literatur deuten auf Anfänge hin, die nichts mit der Arabischen Halbinsel zu tun haben.

Weitere zeitgenössische Quellen bieten die zahlreichen Münzfunde und Inschriften arabischer Herrscher aus den beiden ersten islamischen Jahrhunderten sowie – hier steht man noch in den Anfängen – archäologische Befunde. Darüber hinaus ist wichtig die Fülle der christlichen Literatur, die unter arabischer Herrschaft, also zeitgenössisch, entstanden ist. Diese soll im Folgenden daraufhin untersucht werden, was sich in ihr über die arabische Herrschaft, mögliche arabische Eroberungen, vor allem aber über die Religion der neuen Herren und über Mohammed findet.

3. Die christliche Literatur unter arabischer Herrschaft

Dies hat schon vor mehr als zehn Jahren Robert G. Hoyland in seinem umfänglichen Buch „Seeing Islam as Others saw it“, Princeton 1997, getan. Diese fleißige Arbeit geht auf so gut wie alle nur irgendwie in Frage kommenden Quellen ein, liest sie allerdings gänzlich von der traditionellen islamischen Historiographie her; diese steht für Hoyland unverrückbar fest, so dass er versucht, alle Textstellen so zu interpretieren, dass sie zu ihr passen und diese bestätigen. Dies gilt leider auch für viele Übersetzer und Kommentatoren dieser Texte, vor allem der syrischen Quellen. Diese Übersetzer können zwar Syrisch – obwohl sie sich gegenseitig gelegentlich Fehler vorwerfen –, aber sie können in der Regel nicht historisch-kritisch arbeiten.

Für einen historisch-kritischen Umgang mit diesen Quellen sind aber verschiedene Essentials zu beachten:

Erstens – im Grunde unter Historikern eine Selbstverständlichkeit, aber in der Islamwissenschaft selten beachtet – muss ein Text so verstanden werden, wie er da steht, zunächst einmal ohne den Versuch, ihn irgendwie passend zu machen, also mit der traditionellen Geschichtsdarstellung zu harmonisieren. Wenn in einem Text von „Kämpfen“ die Rede ist, lässt sich dies – ohne weitere Hinweise – nicht einfach als Aussage zum ersten Bürgerkrieg auffassen, und dann auch noch die Quelle von daher datieren; wenn von einer ansonsten unbekannten Schlacht gegen die Römer in Gabitha gesprochen wird, darf man sie nicht einfach zu der in der Tradition bekannten Schlacht am Yarmuk machen; wenn von Söhnen Ismaels oder Hagars, also von Ismaeliten und Hagarenern, geschrieben wird, kann man dies nicht einfach mit „Muslimen“ übersetzen; wenn ein Prophet erwähnt wird, kann man nicht, ohne zusätzliche Hinweise, einfach Mohammed annehmen oder diesen Namen, wie es auch bei Koranübersetzungen üblich ist, in Klammern hinzufügen. Die Texte müssen, wenn sie denn als historische Quellen aussagekräftig sein sollen, beim Wort und ernst genommen und nicht vorschnell umgebogen werden.

Ein zweiter Gesichtspunkt ist zu beachten: In den meisten Fällen ist die handschriftliche Bezeugung der Texte erst viele Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte nach ihrer vermuteten oder behaupteten Abfassungszeit gegeben. Das bedeutet aber, dass die Abschreiber ungeahnte Möglichkeiten hatten, in die älteren Texte Passagen einzufügen oder auch neue pseudepigraphe Dokumente zu schaffen, die ihrem neuen Wissensstand entsprachen. Die Abschreiber der Antike und des Mittelalters waren nicht, wie wir heute, dem Prinzip der Authentizität verpflichtet; manche Historiker sprechen sogar von einer durchgängigen Fälscherpraxis und von Fälscherwerkstätten. Das ist wohl zu hart. Man wollte nicht fälschen – so erscheint es uns, die wir den authentischen Originaltext suchen –, sondern nur das, was man mittlerweile für „die Wahrheit“ hielt, ergänzen, in bester Absicht. Aber der Effekt ist für den Historiker der Gleiche.

Wenn die echten Paulusbriefe nicht mehr zureichten, um Antworten auf neue Fragestellungen in den Gemeinden zu finden, verfasste man Jahrzehnte später weitere, pseudopaulinische Briefe, die dann ins Neue Testament gelangten. Weil dieser sich gut benutzen ließ, schuf man einen Briefwechsel des Paulus mit Seneca, der im Mittelalter beinahe auch den Weg ins Neue Testament geschafft hätte. Es gibt eine Fülle von pseudepigraphen Schrften des Augustinus, Dionysios Areopagites, Bonaventura usw. Und immer muss man damit rechnen, dass Abschreiber, wenn es denn eine authentische Vorlage gab, diese zwar abschrieben, aber durch Interpolationen im Dienst der jeweils jetzt geltenden Überzeugungen ergänzten. So sind jüdische Apokalypsen der zwischentestamentlichen Literatur später von Christen abgeschrieben, aber zugleich mit christlichen Ergänzungen versehen worden; die Bücher des Flavius Josephus sind zwar von ihm geschrieben, enthalten aber schon in den ältesten Handschriften eine Reihe von Interpolationen aus christlicher Sicht.

So muss immer nachgeprüft werden, soweit das möglich ist, wann diese Texte entstanden sein könnten, wie sie beim Abschreiben verändert wurden und ob nicht der ursprüngliche Duktus eines Textes durch Interpolationen unterbrochen ist.

4. Allgemeine Charakterisierung der Quellen

Welche Informationen geben also die hier angesprochenen christlichen Texte unter arabischer Herrschaft über die religiösen und zeitgenössischen Verhältnisse im 7. und 8. Jahrhundert?

Das kann hier nur recht kursorisch in einigen Aspekten erläutert werden.

4.1 Christen unter arabischer Herrschaft haben eine Unmenge an Schriften, wenn auch viele nur noch fragmentarisch erhalten sind, hinterlassen, die meisten davon in syrischer, aber auch in griechischer und koptischer Sprache; manche sind nur noch in späteren armenischen, lateinischen oder arabischen Übersetzungen erhalten. Überliefert sind Briefe, Chroniken, Apokalypsen, Heiligenlegenden, Berichte über Klostergründungen, spirituelle – also erbauliche – und vor allem theologische Schriften. Diese Texte bezeugen ein intensives und relativ ungestörtes kirchliches Leben in diesem ganzen Raum vom Mittelmeer bis an die Grenzen Indiens, was auch von der Archäologie bestätigt wird: die Zahl der Kirchen und Klöster, die in diesen beiden Jahrhunderten erbaut wurden, ist beeindruckend. Die ostsyrische („nestorianische“) Kirche scheint nach dem Zusammenbruch der zoroastrischen Sassanidenherrschaft eine Blütezeit durchlaufen zu haben. Die syrische „Kirche ist in Frieden und blüht“, wie der ostsyrische Patriarch Isoyaw III. (gest. 659) in einem seiner vielen Briefe schreibt, und sie betrieb Mission, über die Seidenstraße, bis hin nach China.[3]

Nur ganz wenige dieser Schriften sind bisher kritisch ediert. Die christliche Theologiegeschichte war bis in die jüngste Zeit eurozentrisch ausgerichtet. Im Blick waren die griechischen und lateinischen Theologen der Antike rund um das Mittelmeer und später die abendländische Theologie. Die entsprechende Literaturen liegen meist – wenn auch immer noch nicht alle – in ausgezeichneten kritischen Editionen vor. Erst allmählich wird bewusst, dass dabei eine große kirchliche Region, vom Mittelmeer bis nach Indien und China, nicht beachtet wurde. Von der großen syrischen Kirche waren im Wesentlichen nur die Theologen westlich des Euphrats, die zum Römischen oder Byzantinischen Reich gehörten, bekannt – bekannt als Häretiker (in den Augen der Griechen). Hier wartet auch auf die christliche Theologiegeschichte noch eine Fülle von Forschungsarbeit; zur Zeit sieht es so aus, als werde diese Aufgabe allmählich wahrgenommen. Weil sich Übersetzer und Bearbeiter aber von der Islamwissenschaft den zeitgeschichtlichen Kontext dieses Schrifttums, also die Herrschaft des Islam, unbefragt vorgeben lassen, wird es hierbei beträchtliche Mankos geben.

Betrachtet man in Summe die damalige Literatur, so fällt auf, dass die Christen erstaunlicherweise, obwohl sie doch laut traditioneller Vorstellung von Muslimen beherrscht wurden, damals ihren gewohnten Geschäften nachgingen. Sie vertraten mit Leidenschaft ihre je spezifischen Theologien: Chalkedonier schrieben, oft umfangreiche, Bücher gegen die Monophysiten oder Monotheleten, griechisch denkende Theologen gegen Syrer und umgekehrt. Eine neue Religion, der Islam, kommt in dieser Literatur nicht vor, auch nicht in den zahlreichen Briefen und Brieffragmenten oft weit gereister Äbte, Mönche oder Bischöfe, und es bestand offensichtlich auch keine Notwendigkeit, sich mit ihr auseinander zu setzen. Hätten die neuen Herren, die Araber, eine neue Religion vertreten, hätten sich die damaligen Theologen vor allem damit auseinander setzen müssen – und nicht mit ihren innerchristlichen Querelen. Sebastian Brock schreibt in seinem Buch Syriac Perspectives on Late Antiquity (London 1984, S. 21), dass erst der 845 gestorbene Syrer Dionysios von Tellmahre erstmals vom Islam als einer neuen Religion spricht[4]; er war ehrlicher als Hoyland. Dennoch hält er aber an der Vorstellung islamischer Herrschaft fest. Er erklärt sich dann diesen Sachverhalt damit, dass die vorherigen Theologen nicht imstande waren, die Religion der Araber von Heidentum zu unterscheiden – was bei der Differenziertheit vieler dieser Theologen geradezu absurd ist, einmal abgesehen davon, dass kein einziger Autor der damaligen Zeit gegen ein Heidentum der Araber, allenfalls gegen mitgeschleppte heidnische Relikte polemisiert – hierfür gibt es zwei Zeugnisse, die aber wahrscheinlich von Hieronymus (Ende 4. Jahrhundert) abgeschrieben sind.

4.2 Ist man wohlwollend, so ist an allenfalls 29 Belegstellen von meist nur wenigen Zeilen von den Arabern und ihrer Herrschaft die Rede. „Wohlwollend“, weil einige dieser Quellen entweder nichtssagend oder wohl späterer Provenienz oder interpoliert sind. Diese Araber werden kaum einmal mit diesem Namen oder mit dem syrischen Äquivalent (Tayaye) bezeichnet, sondern durchgängig gemäß biblischer Genealogie und Völkerherleitung, wie spätestens seit Hieronymus (spätes 4. Jahrhundert) üblich, als Ismaeliten oder Hagarener, also als Söhne Ismaels oder seiner Mutter Hagar (nach Genesis 16), aber auch mit dem seit der Antike, seit dem 2. Jahrhundert, gebräuchlichen Begriff Sarazenen. Niemals taucht der Begriff Muslime auf.

Es fällt auf, dass man offensichtlich – das gilt durchgängig – über die Ismaeliten nicht viel mehr wusste als das, was in der Bibel steht. Sie werden meist vorgestellt mittels Zitaten oder Anklängen aus dem Buch Genesis. Danach lebten Hagar und ihr Sohn Ismael nach der Verstoßung durch Abraham „in der Wüste“ (Gen 21, 9-21), ebenso die von Ismael gezeugten zwölf Söhne und ihre 12 Stämme (Gen 25, 16-18). In den syrischen Apokalypsen werden sie zudem – ohne geographische Konnotation – mit Hilfe des Buchs Daniel in die theologische Geschichte eingereiht („Reich des Südens“).

Wenn, ganz selten, über die biblischen Assoziationen hinaus weitere Informationen über die Ismaeliten anklingen, dann werden sie mit dem mesopotamischen Gebiet bis zum Tigris (sprachlich genauer: das Gebiet „westlich“ des Tigris) oder mit der von den Römern im Jahr 106 n.Chr. eroberten und so benannten provincia Arabia, dem Nabatäergebiet östlich und südlich der Provinz Judäa, in Verbindung gebracht.

An ganz wenigen Stellen ist auch von Jathrib die Rede, das aber in einer syrischen Chronik, angeblich vor 680 verfasst, mit Hasor, einer Stadt in Israel, genauer in der Nordhälfte Kanaans (vgl. Josua 11,10-15), identifiziert wird; zusätzlich hat später ein Abschreiber den jetzigen Namen von Jathrib, Medina, ergänzt.[5] In der Apokalypse des Pseudo-Methodius, die in ihrer Endredaktion wohl auf die erste Hälfte des 8. Jahrhunderts zu datieren ist, besiegt im 13. Kapitel der König der Griechen die Ismaeliten und treibt sie in die Wüste Jathrib zurück, wo sie auch herkommen.[6] Hinter dieser Notiz steckt keine historische Begebenheit, immerhin aber zeigt sie mittlerweile ein Wissen um Jathrib. wo ja auch in der Mitte dieses Jahrhunderts ein Heiligtum gebaut wurde.

Die Arabische Halbinsel oder gar Mekka kommen nicht vor (auch im Koran ist nur einmal, ohne irgendeine Relevanz, vom Talgrund von Mekka die Rede). Einmal allerdings wird in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts Mekka erwähnt, in einem Anhang zu einer Schrift des Isidor von Sevilla (historia Gothorum, Wandalorum, Sueborum). Dieser Anhang (Additamentum IV-V: Continuatio Byzantina Arabica) wurde schon von Theodor Mommsen in seinen Monumenta Germaniae historica, Berlin 1844, herausgegeben. Offensichtlich sind in diesem lateinischen Text bisher unbekannte Quellen aus dem Vorderen Orient verarbeitet. Dort wird erzählt, dass ein Habdemale (’Abd al-malik) gegen einen Habdella (also ’Abdallah) zu Felde zieht; letzteren habe auch schon sein Vater bekämpft „bei Mekka (apud Maccam), Abrahams Haus, wie sie (die Ismaeliten) glauben, das zwischen Ur in Chaldäa und Carras, einer Stadt Mesopotamiens, liegt“[7]. Carras ist die lateinische Umschrift für griechisch Carrhae, das selbst die Umschrift für Harran ist. Mekka und das Haus Abrahams liegen also demnach in Mesopotamien zwischen Ur in Chaldäa und Harran, was ja auch der Heimat des biblisch-fiktiven Abraham entspricht. Diese älteste geographische Lokalisierung eines Mekka hat also nichts mit der Arabischen Halbinsel zu tun. In einer ostsyrischen Chronik, die in den Jahren 670 bis 680 abgefasst sein soll, heißt es von den Ismaeliten, dass sie im „Dom Abrahams“ diesen verehren – was als positiv gewertet wird. Dann heißt es, dass „wir“ nicht gefunden haben, „welcher Ort es auch immer gewesen sei.“[8] In einem Fragment des Pseudo-Methodius, das aber, wegen seiner theologischen Fortentwicklung wesentlich jünger sein muss als die eben genannte Apokalypse, also wohl vom Ende des 8. Jahrhunderts stammt, wird statt jetzt erstmals Mekka, dieses Mal wohl die Stadt in Arabien, erwähnt.[9]

4.3 Von arabischen Invasionen und Eroberungen wissen diese Zeitgenossen nichts, wenn man nicht Anspielungen auf das Buch Genesis, das die Ismaeliten in der Wüste wohnen lässt, als geographische Aussagen über die Herkunft der Araber von der Arabischen Halbinsel missdeuten will. Die neuen Herren haben aber zwei Reiche, also das Byzantinische und das Persische Reich, abgelöst – wie Jochanan bar Penkaye gegen Ende des 7. Jahrhunderts in einer ihm zugeschriebenen, fragmentarisch erhaltenen Chronik schreibt. Sie gewannen die zwei Königreiche „ohne Kampf und ohne Schlacht … Gott gab ihnen den Sieg“.[10] Jetzt jedenfalls haben sie die Macht. Ähnlich steht es in der eben erwähnten ostsyrischen Chronik.

Lediglich in einem Manuskript (aus dem 8. Jahrhundert?), das einem Presbyter Thomas (um 640) zugeschrieben wird, ist von arabischen Eroberungen in Syrien und Persien im Jahr 635/636 die Rede und von einer Schlacht gegen die Römer östlich von Gaza im Jahr 634.[11] Die den Arabern hier zugeschriebene „Verwüstung der ganzen Region“ hat es, laut Archäologie, nicht gegeben, weiteren Verdacht erweckt die Nähe zum Traditionellen Bericht. Kurz: entweder ist das ganze Manuskript ein späteres pseudepigraphes Produkt oder die beiden kurzen Sätze sind später interpoliert worden, vielleicht schon im späten  8. Jahrhundert. Aber noch einmal: dies ist der einzige Text, der von Eroberungen spricht.

Diese neue Herrschaft wird zunächst, vor allem in der Regierungszeit des Maavia, später arabisiert zu Mu’awiya, positiv gewertet: es ist Friede, und die Kirche wird gefördert, wie der ostsyrische Patriarch Isoyaw III. schreibt.[12] Auch in der „Geschichte des Heraklius“ von Pseudo-Sebeos heißt es: „Als er (Mu’awiya) sie (die Stämme) sich unterworfen hatte, regierte er über alle Besitztümer der Kinder Ismaels und machte mit allen Frieden.“[13] Seit der Herrschaft des eifernden ’Abd al-malik aber wird die Araberherrschaft zunehmend negativ empfunden und gewertet. So schreibt Jakob von Edessa (gest. 708), dass Gott „uns“ wegen unserer vielen Sünden „dem harten Joch der Araber“ unterworfen habe.[14] In den syrischen Apokalypsen schließlich wird die Araberherrschaft gänzlich verurteilt  – sie ist, in Anlehnung an die Danielapokalypse, das vierte und letzte der vier Weltreiche. Sie bringt Unrecht und Böses hervor und wird nur noch, negativ, übertroffen von dem auf die Ismaelitenherrschaft folgenden Kommen des Antichrist vor der Wiederkunft Christi.

4.4 In keinem der christlichen Texte aus den beiden ersten „islamischen“ Jahrhunderten ist, wie gesagt, von Islam oder einer neuen Religion der Ismaeliten die Rede. Alleine dieses Nichtvorhandensein expliziter Aussagen lässt darauf schließen, dass die damaligen Theologen keine Notwendigkeit sahen, davon zu sprechen. Man muss annehmen, was ja auch durch die christliche Ikonographie der Münzprägungen und die Inschriften arabischer Herrscher gestützt wird, dass sie als Christen wahrgenommen wurden. Dies gilt auch für die syrischen Apokalypsen, die den Arabern alles nur erdenklich Böse vorwerfen, von Unzucht über Unterdrückung bis hin zu brutalem Morden, aber keinerlei Vorwürfe erheben, sie verträten eine nichtchristliche Religion; wenn das so gewesen wäre, hätte man vor allem dies den Negativkatalogen hinzufügen müssen.

Dennoch aber finden sich an einigen Stellen Andeutungen über religiöse Überzeugungen und Praktiken der Araber.

5. Die religiösen Vorstellungen der Araber

Drei Textstellen ermöglichen vielleicht Einblicke in diese christlichen Vorstellungen der Araber. „Vielleicht“ deswegen, weil auch sie entweder nicht präzise oder auch in ihrer historischen Einordnung problematisch sind. Die drei Textstellen aber stammen, ein glücklicher Zufall, von Theologen. die ein großes Spektrum des damaligen Christentums repräsentieren: von einem ostsyrischen („nestorianischen“) Patriarchen, von einem syrischen Neuchalkedonier und von einem byzantinisch denkenden Theologen.

(1) Der älteste Hinweis findet sich in einem der Briefe des schon erwähnten ostsyrischen („nestorianischen“) Patriarchen Iso’yaw III. (gest. 659). Von ihm sind 106 Briefe überliefert, nur in einem ist von den Hagarenern die Rede. Dieser Brief antwortet auf eine Beschwerde des Klerus von Niniveh, die neuen arabischen Herrscher bevorzugten die Monophysiten. Diese Beschwerde deutet auf einen historischen Hintergrund: In der Gegend von Niniveh waren wohl Gouverneure oder sonstige Machthaber tätig, die aus den Reihen der Ghassaniden stammten. Diese arabischen Stämme haben schon in byzantinischer Zeit den Monophysitismus übernommen. Allerdings scheint es sich um eine regionale Besonderheit gehandelt zu haben; denn der Patriarch sieht keinen Grund zur Beunruhigung, weil die hagarenischen Araber (tayyaye mhaggraye) „unseren Glauben“, also den der ostsyrischen Christen, loben, „unsere“ Priester und Heiligen ehren und der Kirche und ihren Konventen helfen.[15]

Dann heißt es, in einer Übersetzung von Harald Suermann folgendermaßen: „Die Häretiker (also die Monophysiten, Verf.) täuschen euch (indem sie sagen, Verf.): das, was passiert, passiert durch den Befehl der Eiferer (Araber). Dies ist überhaupt nicht wahr. Tatsächlich kommen die arabischen Muslime denen nicht zu Hilfe, die sagen, daß der allmächtige Gott  gelitten hat und gestorben ist. Wenn es vorkommt …, daß sie ihnen helfen, könnt ihr den Muslimen sagen, was ist, und sie überzeugen, wie es sich gehört.“[16] Daran schließen sich bei H. Suermann treffliche Ausführungen zum Verhältnis von Christen und Muslimen an.

Dies ist ein Beispiel für tendenziöses und unwissenschaftliches Umgehen mit Quellen: Wegen des Verdachts, hier könne eine falsche Übersetzung vorliegen – immerhin wäre es recht schwierig zu erklären, dass in dieser frühen Zeit schon von Muslimen die Rede ist –, wurde zunächst die lateinische Übersetzung von R. Duval, auf die sich H. Suermann bezieht, überprüft. Tatsächlich heißt es dort dann – noch erstaunlicher – Arabes Mohammetani und auch einfach Mohammetani.[17] Ein Vergleich mit dem ebenfalls von R. Duval edierten syrischen Text aber erweist, dass in dem o.a. Zitat zweimal Tayyaye m-Haggre (hagarenische Araber) und einmal m-Haggre (Hagarener) zu lesen ist.[18] Diese Bezeichnung der Araber als Hagarener, seit Hieronymus geläufig, hat aber nicht das Geringste mit Islam und Muslimen zu tun; es handelt sich um Benennungen der Araber gemäß biblischen Rastern, die damals „das Wissen“ um die Welt bestimmten. Im Text steht lediglich, dass damals, z.Zt. Mu’awiyas, die Araber den (anderen) Christen freie Hand ließen und das christliche Leben ungestört blühen konnte. Sie scheinen, der Haupttendenz der Regierenden gemäß, den ostsyrischen („nestorianischen“) Christen und Theologen zugeneigt gewesen zu sein; aber es gab wohl auch in manchen Regionen noch Agierende unter ihnen, die aus dem ghassanidischen Milieu kamen.

(2) Ein zweiter wichtiger Zeuge ist Anastasius Sinaita (vom Sinai); er lebte von 610 bis wahrscheinlich 710. Er war „Mönchspriester (und später Abt) im Sinaikloster“. Er hat ein umfangreiches Werk hinterlassen, in dem es vor allem um die theologischen Streitigkeiten in Ägypten und Syrien ging, um Monophysitismus und Monotheletismus auf der einen und syrische, gelegentlich neuchalkedonische Theologie, der er zuzurechnen ist, auf der anderen Seite; darüber hinaus hat er erbauliche und exegetische Schriften verfasst.

Weil seine Werke der (späteren) Hälfte des 7. Jahrhunderts zuzurechnen sind, ist schon – die traditionelle Geschichtsschreibung vorausgesetzt – erstaunlich, dass er sich in keiner Weise mit der Bedrohung durch eine angeblich neue Religion befasst; auch die Araber waren für ihn kein Problem, obwohl sie doch die Herren des Landes waren.

Letztere werden – am Rande – in seiner wichtigsten antimonophysitischen Schrift, dem Hodegos (lateinisch: Viae dux), erwähnt (vor 690). Diese Schrift ist in ihrer handschriftlichen Überlieferung äußerst komplex und vielfältig redigiert, mitten hinein scheinen ein ursprünglich selbständiger Traktat und auch Scholien (Glossen) integriert worden zu sein.

Nehmen wir den Text, wie er jetzt ist, findet sich eine kurze Aussage zur Theologie der Araber: Vor einem Gespräch mit ihnen müsse man irrige Thesen zurückweisen, die Gegner vielleicht „über uns“ haben könnten: „Wenn wir mit Arabern diskutieren wollen, sollten wir den, der sagt ‚(Es gibt) zwei Götter’ anathematisieren; oder den, der behauptet ‚Gott hat auf fleischliche Weise einen Sohn gezeugt’ oder denjenigen, der irgendein Geschöpf im Himmel oder auf der Erde wie Gott anbetet.“[19] Da geht es um monophysitische Überzeugungen, deren Thesen die Araber, aber ebenso Anastasius, ablehnen.

Es spricht nichts dagegen, diese Passagen Anastasius zuzuschreiben. Richtig sind arabische Überzeugungen z.Zt. des ’Abd al-Malik wiedergegeben, wie die Inschrift im Felsendom zeigt. Da sich Anastasius in keiner Weise darüber aufregt oder sie richtig stellt, lässt sich annehmen, dass er die arabischen Wünsche für richtig hält; sie sollen nicht annehmen, er oder seine syrischen Christen dächten so etwas. Seine Christologie ist so beschaffen, dass er selbst weder zwei Götter noch eine fleischliche Zeugung noch die Anbetung eines Geschöpfs – der Mensch Jesus ist für ihn mit dem göttlichen Logos „lediglich“, ein wenig ungenau, in einer Hypostase – geeint. Vor allem schildert er die Araber in keiner Weise als Angehörige einer anderen Religion, sondern als Leute mit einer spezifischen Christologie.

In ähnlicher Weise ist wohl auch eine Stelle zu verstehen, in der er gegen die Severianer – Severus war gemäßigter Monophysit, der aber ablehnte, dass Jesus Christus „in“ zwei Naturen existierte – polemisiert; er wirft den Severianern vor, beim Wort „Natur“, an „hässliche und unziemliche Dinge“ wie an die Geschlechtsorgane von Männern und Frauen zu denken. „Aus diesem Grund scheuen sie dieses Wort (Natur), als seien sie Schüler der Sarazenen gewesen; denn wenn diese von der Geburt Gottes und der Zeugung Gottes hören, lästern sie sofort, weil sie sich (unter diesen Begriffen) Heirat, Befruchtung und fleischliche Vereinigung vorstellen.“[20] Diese drastische und untheologische Auffassung von Natur mag den Sarazenen in der alltäglichen Diskussion geholfen haben, ihre Christologie – dass Jesus nicht Gott, sondern Messias und Gesandter war – zu verteidigen. Sie können deswegen aber durchaus als Christen aufgefasst werden, wie auch die (häretischen) Severianer.

In einer Schrift Quaestiones et responsiones behandelt Anastasius 154 exegetische Fragen. Die kurze Frage 126 bezieht sich auf die Aussage, dass der Satan zu Fall kam, weil er nicht vor dem Menschen (Adam) niederknien wollte. Dies betrachtet Anastasius als aus Mythen der Griechen und Araber herkommend.[21] In Bezug auf die Letzteren könnte dies auf die Kenntnis koranischer Stoffe (vgl. Sure 38, 71-78), wenigstens vom Hörensagen, hindeuten, ebenso aber auf die Mandäer, in deren Schriften (z.B. in der „rechten Ginza“) diese Schilderung, lange vor dem Koran, mehrfach auftaucht.

(3) Der wichtigste Zeuge für  die religiösen Auffassungen der Ismaeliten ist wahrscheinlich (seine Biographie ist erst hunderte Jahre später abgefasst) Johannes Damascenus. Johannes wurde um 650 in Damaskus geboren. Aus einer vornehmen melkitischen Familie, vielleicht mit syrischen Wurzeln, stammend – sein Großvater war angeblich Präfekt von Damaskus, sein Vater Leiter der Finanzverwaltung unter Mu’awiya –, soll auch er zunächst Beamter bei ’Abd al-Malik gewesen sein. Vor 700 zog er sich in das Kloster Mar Saba bei Jerusalem zurück, wurde später Priester und war literarisch tätig. Er erreichte ein hohes Alter, aber das genauere Todesdatum ist unbekannt (nach 749, vor 754).

Er hat eine Reihe von griechischsprachigen Schriften hinterlassen, die ihn als wichtigen byzantinischen Theologen erweisen und die ihm noch 1890 den Titel eines (römisch-) katholischen Kirchenlehrers einbrachten.

In seiner Zeit gab es heftige Diskussionen um den Monophysitismus und seine Auswirkungen im Monenergetismus und Monotheletismus. Mit diesen Fragen vor allem beschäftigte sich Jo­hannes und verwendete klare Begrifflichkeiten für eine diphysitische Christologie. Darüber hinaus bekämpfte er dualistische Strömungen, trat für die Bilderverehrung ein und verfasste ethisch/asketische Schriften.

Nur in einer dieser zahlreichen Schriften rein innerkirchlicher Art kommen die Araber vor; eine unter seinem Namen kursierende Disputation (Streitgespräch) zwischen einem Sarazenen und einem Christen ist offensichtlich pseudepigraph und frühestens gegen Ende des 9. Jahrhunderts abgefasst. Als echtes Werk  – was aber wohl auch unwahrscheinlich ist – gilt aber ein Buch Über die Häresien, dessen Hand­schriftenüberlieferung aber erst vom 11. Jahrhundert an gegeben ist und in dem – als 100. bzw. 101. und letzte Häresie – der Glauben der Ismaeliten verhandelt wird.[22]

Das Kapitel erzählt vom Pseudo-Propheten Mamed (Machmed)[23] und einer auf ihn zurück gehenden Graphä; die Begriffe Koran oder Sure kommen nicht vor. Angegriffen werden die Christologie und Gotteslehre dieser Schrift, erzählt wird recht ausführlich von einer Kamelstute, von der in dieser Schrift die Rede sei (Passagen, die es im heutigen Koran nicht mehr gibt), dann folgen eine Reihe von Zitaten aus dem Koran, die später im 9. Jahrhundert zwischen Christen und Muslimen strittig waren; auffällig ist, dass diese Zitate schon mit den Surenüberschriften eingeleitet werden, z.B. die Schrift (graphä) der Kuh oder des Tisches, die in den ältesten Koranhandschriften noch nicht vorkommen und erst später, wohl nicht vor dem späten 8. Jahrhundert, ergänzt wurden. Das ganze Kapitel endet – und dies ist zugleich der Buchschluss (für einen differenzierten Theologen seltsam) – mit dem tiefsinnigen Satz: „das Weintrinken aber hat er gänzlich verboten“.

Das alles wirft historische Probleme auf: Es mag durchaus sein, dass Teile des Kapitels auf Johannes selbst zurückgehen; aber so, wie es jetzt da steht, ist es wohl später überarbeitet und ergänzt worden. Dies gilt sicher für die Aneinanderreihung von Surenstücken in offensichtlich polemischer Absicht, wie dies wohl frühestens in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts  üblich wurde. Ebenso spricht einiges dafür, dass die Vorstellung von Mamed später  vorgeschaltet wurde. Wenn, was nicht ganz auszuschließen ist, dieser Teil doch auf Johannes selbst zurückgehen sollte, wäre hier, kurz vor 750, erstmals in der Geschichte der Name des Propheten, Mamed, genannt (Mohammed kommt im Koran an vier Stellen vor, aber nicht eindeutig als Name des arabischen Propheten).[24]

Nehmen wir das Kapitel so, wie es jetzt ist: Was erfahren wir hier über den Glauben der Ismaeliten? Ganz grundsätzlich ist zu sagen, dass der Verfasser das Konzept der Ismaeliten nicht als eine eigenständige Religion ansieht, nämlich den Islam (dieses Wort kommt auch nicht vor), son­dern als eine christliche Häresie, wie auch die anderen, vorher behandelten Richtungen. Diese Beobachtung ist wichtig, weil sie möglicherweise von jemandem stammt, dessen Familie, und er selbst zeitweise, im Dienst der arabischen Herrscher in Damaskus stand. Wenn er aber die religiöse Ausrichtung der Ismaeliten nicht als eine neue Religion wahrnimmt, war sie es bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht. Wie hätte gerade er – Kenner der Auffassungen in Damaskus und Jerusalem und zugleich differenzierter Theologe – die Absichten der Regierenden in Damaskus in einem solch zentralen Punkt missverstehen können? Wenn man annehmen wollte, das entsprechende Ka­pitel oder die Passage zu Mamed seien dem Werk von einem Redaktor hinzugefügt worden, würde sich der Termin für eine Verselb­stän­di­gung des „Islam“ noch weiter in jüngere Zeiten verschieben.

Als erstes geht er auf die aus seiner Sicht wichtigste häretische Lehre ein: Zwar lehre er (Ma[ch]med), dass es nur einen Gott und Schöpfer gebe. „Er sagt, dass Christus Logos Gottes und sein Geist (Pneuma) ist, aber geschaffen und Knecht, und dass er aus Maria, der Schwe­ster des Mose und Aaron (vgl. Sure 19,27.28), ohne Zeugung geboren wurde. Der Logos Gottes, sagt er, und der Geist gingen in Maria ein, und sie gebar Jesus, der Prophet und Knecht Gottes war. Und (er sagt), dass die Juden ihn frevelhafter Weise kreuzigen wollten. Nachdem sie sich seiner bemächtigt hatten, kreuzigten sie (aber nur) seinen Schatten (Scheinbild); Christus selbst aber wurde nicht gekreuzigt, wie er sagt, und sei nicht gestorben. Gott nämlich nahm ihn zu sich in den Himmel auf, weil er ihn liebte.“

Im Folgenden fasst er ein Stück der Sure 5 (116.117) zusammen: Als Jesus in den Himmel aufgenommen war, fragte ihn Gott: „Jesus, hast du gesagt: ‚Ich bin der Sohn Gottes und Gott?’ Jesus antwortete, wie er (Ma[ch]med) sagte: ‚Sei mir gnädig, Herr; du weißt, dass ich es nicht sagte und in keiner Weise mehr (zu sein) scheinen wollte als dein Knecht.“ Die Menschen hätten über ihn geschrieben, er habe so etwas gesagt; aber sie hätten gelogen und sich geirrt. „Und Gott selbst antwortete ihm, wie er (Ma[ch]med) sagte: ‚Du hast diesen Ausspruch nicht gesagt.’“ Dies wird noch vertieft: „Noch einmal sagen wir ihnen (den Ismaeliten): ‚Ihr sagt doch (selbst), dass Christus Logos Gottes und Geist (Pneuma) ist, wieso tadelt ihr uns dann als Beigeseller?’“ Dieser Vorwurf wird im Folgenden entkräftet. Alle diese Aussagen entsprechen einer frühen ostsyrischen christlichen Theologie (die Johannes fälschlich – er kannte noch nicht die frühe syrische Theologiegeschichte – für arianisch hält).

Und dann folgt ein ganz wichtiges Textstück: „Sie schmähen uns als Götzendiener, weil wir das Kreuz verehren … Wir aber sagen ihnen: ‚Wie also reibt ihr an einem (berührt ihr einen) Stein/Fels an eurer (in der Nähe eurer, unter eurer) Höhle/Kuppel (Chabatá) und liebt zärtlich den Stein/Fels(spitze)?’ Einige von ihnen sagen, auf ihm habe Abraham der Hagar beigewohnt, andere aber, an ihm habe er (Abraham) das weibliche Kamel angebunden, als er Isaak töten wollte.“ Das aber widerspreche der Schrift (einige Details werden angeführt). „Sie verehren ihn (den Stein), zugleich sagen sie, es sei der Stein/Fels Abrahams.“ Noch einmal wird der Vorwurf wegen der Verehrung des Kreuzes zurückgewiesen. Dann greift Johannes die Ismaeliten an: „Dieser aber, den sie Stein/Fels nennen, ist (in Wirklichkeit) der Kopf der Aphrodite, den sie verehren, den sie auch Chabár (groß) nennen …“.[25]

Zur Erklärung: Das Wort Chabathá (Xabaqa), Masculinum, aber – wegen des auslautenden  a – wie ein Femininum dekliniert [Akkusativ: Chabathán, Xabaqan]) ist schwer zu deuten. Weil Johannes schon vorher das arabische Wort kabar (groß) mit Chabar (Xabar), also den arabischen k-Laut mit griechisch chi (x) umschreibt, muss auch hier als arabische Entsprechung qubbat(a) angenommen werden. qubbat bedeutet soviel wie „Kuppel“ oder „Höhle“, „Grab“ (Mausoleum). Es liegt nahe, die Stein-/Felsverehrung (das Berühren des oder Reiben an einem Stein), die mit einer Höhle oder Kuppel assoziiert wird, als Hinweis auf den Felsendom zu verstehen, der sowohl unter den Felsspitzen eine Höhle (Grab Jesu?) wie auch über ihnen eine Kuppel hat und Johannes gut bekannt war. Dann ist das griechische kata (kata), mit Akkusativ (kata ton Xabaqan), räumlich zu verstehen: „unter“, „in der Nähe von“, „bei“. Hinzugefügt werden muss, dass Johannes, trotz seiner sonstigen Kenntnisse ismaelitischer Aussagen, den Sinn des Felsens/Steins völlig missverstanden hat oder aber auch ihn, aus polemischen Gründen, missverstehen wollte; immerhin referiert er, dass der Stein für die Ismaeliten der Stein Abrahams sei, was er aber – mit dem Hinweis auf Aphrodite – nicht akzeptieren will.

Wichtig sind die Bemerkungen zur Stein-/Felsverehrung der Ismaeliten, die nichts mit der späteren Kaaba in Mekka zu tun haben, sondern – der Hinweis auf Stein/Fels bei der Cha­batha kann nur auf den Felsendom zielen – mit dem Tempelberg in Jerusalem. Dies entspricht der Praxis seit ’Abd al-Malik, aber wohl nicht mehr in der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts. Ebenso bezeugt er die ismaelitische – wohl auch ungenaue, aber tendenziell, weil biblisch, richtige – Deu­tung der Steinverehrung im Zusammenhang mit Abraham; es scheint, dass es diese Meinung tatsächlich gegeben hat.

Deswegen könnten diese Bemerkungen wohl am ehesten Johannes von Damaskus selbst zugeschrieben werden, ebenso auch die Ausführungen zur Gotteslehre und Christologie – diese Themen bestimmen auch sonst sein theologisches Interesse. Wenn dies so ist, wurde bis rund  zum Jahre 750 von einem Kenner der Szene in Damaskus und Jerusalem die Religion der Ismaeliten als eine christliche Häresie verstanden, nicht unchristlicher als die anderen 99 in dem Buch behandelten, oft wahrhaftig seltsamen Häresien. Er bezeugt eine frühe syrische Theologie und Christologie der Ismaeliten, die gegen die spätere Entwicklung seit dem Konzil von Nizäa gerichtet ist, und einen Kult um die Kuppel oder ein Grab bei einer Felsspitze, die von ihnen mit Abraham assoziiert wird (wie schon lange vorher in der syrisch-christlichen Tradition). Sollte das ganze Kapitel, was aus den angegebenen Gründen unwahrscheinlich ist, für redaktionell angefügt betrachtet werden, müsste diese Einschätzung der Religion der Ismaeliten noch in späteren Zeiten verbreitet gewesen sein.

(4) Gelegentlich behaupten Übersetzer und Bearbeiter syrischer Apokalypsen, die zwar extensiv von den Untaten, aber nicht von der Religion der Ismaeliten sprechen, wenigstens an der einen oder anderen Stelle sei davon die Rede, dass in der Endzeit viele nicht mehr Christus bekennen wollen und vom Glauben abfallen; entsprechend der traditionellen Historiographie wird dann interpretiert: zum Islam, der dann als eine neue Religion aufgefasst werde. Diese Literaturgattung hier vorzustellen, würde zu viel Zeit erfordern. Nur so viel: Dieser Glaubensabfall vor dem Ende, bei dem verschiedene mit der Behauptung auftreten, sie seien der Messias, ist bei diesen durch und durch biblisch gestalteten Texten nichts anderes als ein Rückgriff auf das neutestamentliche Endzeitszenario, vor allem die Markusapokalypse (Mk 13) und Parallelen – und hat nichts mit den Arabern zu tun, wohl aber mit dem Antichrist.

 

So bleibt als Resümee, dass im 7. und 8. Jahrhundert in keinem christlichen Text die Religion der Araber als eine neue Religion gesehen wurde; sie ist vielmehr eine der christlichen Varianten, die von einem ostsyrischen Patriarchen oder von einem syrischen Abt mit Sympathie gesehen, von dem griechisch denkenden Theologen Johannes Damascenus  aber als häretisch angesehen wird.

 

Darüber hinaus gibt es noch wenige kleinere Anmerkungen zu der Religion der Araber:

(1) In einem Brief des Patriarchen Johannes über einen Dialog mit einem Emir, dessen syrisches Manuskript aus dem Jahr 876 stammt und von dem vermutet wird, dass das Gespräch im Jahre 644 stattgefunden habe, werden von einem namenlosen Emir vier Fragenkomplexe vorgelegt: Wenn alle Christen das selbe Evangelium haben, wieso dann ihr Glaube so verschieden sei. Es geht zum zweiten um die christologische Diskussion und auch um die Trinitätslehre: War Jesus Gott oder Sohn Gottes, welchen Glauben hatten Abraham und Mose? Zum dritten wird ausgeführt, dass die Araber Abraham und Mose als Propheten akzeptieren, nicht aber das restliche Alte Testament. Deswegen die Frage, ob die Gottheit Jesu und die Geburt aus der Jungfrau Maria im Gesetz (Pentateuch) zu finden seien. Viertens fragt er nach den Gesetzen der Christen (auch zum Erbrecht) und fordert sie auf, diese einzuhalten oder sich nach den Regeln der Araber zu richten.[26]

Hier fragt ein Araber, der die Verwaltung innehat, nach den Eigentümlichkeiten  der Christen. Er fragt den Monophysiten, aber am Gespräch nehmen auch Chalkedonier teil. Er selbst zeigt mit seinen Fragen nirgendwo, dass er Muslim ist. Der Emir will einfach wissen, mit welchen Untertanen er zu tun hat und was er von ihrer Lehre halten soll; er will wissen, ob sie „genügend und ausreichend detaillierte Gesetze besitzen“, um ihre Gemeinschaft selbst zu verwalten. „Wenn nicht, müssen sie sich nach dem Gesetz der Hagarener richten, das jetzt das neue Gesetz des Landes ist.“

Y.D. Nevo und J. Koren meinen, dass die Position des Emir, der nur den Pentateuch anerkennt, von einer nicht-rabbinischen jüdischen oder judenchristlichen oder samaritanischen Sekte beeinflusst war. Sie sind überzeugt – und das ergibt sich nach unvoreingenommener Lektüre des Gesprächs –, „dass der Emir den Koran nicht berücksichtigte, weil es ihn noch nicht gab; und der Glaube des Emirs war nicht islamisch, sondern eine Form von grundlegendem Monotheismus (basic monotheism) mit jüdisch-christlichen Entnahmen.“[27] Es scheint in der frühen Zeit der Machtübernahme auch noch Araber gegeben zu haben, die einen im Vorderen Orient verbreiteten Monotheismus vertraten und nicht als Christen zu bezeichnen, aber von biblischen Rastern geprägt sind.

(2) Johannes von Damaskus unterstellt den Ismaeliten, dass sie bei ihrem Felskult in Wirklichkeit nicht Abraham, sondern den Kopf der Aphrodite verehren, die sie chabár (die Große) nennen; in ähnlicher Weise polemisiert der byzantinische Patriarch Germanus (gest. zwischen 730 und 733) gegen die Ismaeliten, die er allerdings nur vom Hörensagen kennt, dass sie in der Wüste einen Stein verehren, den sie chobar nennen.[28] Diese Stein- und Aphroditeverehrung von Arabern kommt allerdings schon bei Hieronymus, Ende 4. Jahrhundert, vor; wahrscheinlich hat Germanus das übernommen, möglicherweise auch der Redaktor des Textes von Johannes Damascenus.

(3) Ob eine syrische Synode aus dem Jahre 676 und ein Brief des syrischen Patriarchen Anastasius II., spätes 7. Jahrhundert, in denen vor dem Umgang mit Heiden und vor allem vor der Heirat heidnischer Frauen gewarnt wird,[29] sich auf die Araber bezieht, wird nirgends deutlich, ist sogar wegen einiger Einzelheiten unwahrscheinlich.

So bleibt als Ergebnis nur, dass die Araber in diesen Jahrhunderten prinzipiell Christen waren. In einigen Gebieten gab es unter ihnen Monophysiten, wohl Ghassaniden, in der Hauptsache aber waren sie Vertreter einer frühen ostsyrischen Theologie, was auch vom Koran betätigt wird. Aber sicher gab es in den Anfängen auch noch Araber mit einem basic monotheism, und es finden sich vielleicht noch mitgeschleppte „heidnische“ Relikte, ein Stein- und vielleicht ein Aphroditekult. Letzteres spricht allerdings nicht gegen ihre Zugehörigkeit zum Christentum. Wir wissen, wie lange es nach der Christianisierung der Germanen und Kelten (oder heute in Afrika oder Lateinamerika) dauerte, bis die alten Kulte gänzlich verschwunden waren.

6. Die Gestalt Mohammeds in  christlichen Texten

Patricia Crone hat 2006 in einem Beitrag What do we actually know about Mohammed?[30] die These vertreten, der Islam sei nicht auf der Arabischen Halbinsel entstanden. Auch die recht späten muslimischen Quellen zu Mohammed hält sie für problematisch, fügt aber hinzu: „Es gibt da keinen Zweifel daran, dass Mohammed existierte.“ Sie begründet dies mit einem Verweis auf zwei christliche Texte, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen.

(1) Angeblich aus dem Jahr 634, nach H. Suermann erst 640[31], stammt eine Schrift Doctrina Jacobi nuper baptizati.[32] Es handelt sich um eine christliche und zugleich antijüdische Schrift, obwohl in ihr nur Juden auftreten; sie gibt vor, in Karthago zu spielen. Vorweg ist zu bemerken, dass nach Meinung von Vincent Déroche, der den griechischen Text kritisch ediert und mit allen anderssprachigen Überlieferungen verglichen hat, dieser Text auf uns „sous une forme irrémédiablement altérée“ überkommen ist.[33] So können Textstücke nur unter Zuhilfenahme weiterer Kriterien in die anzunehmenden historischen Kontexte eingeordnet werden.

Der anonyme Autor geht aus von einer Anordnung des Kaisers Heraklius (gest. 641) zur Zwangstaufe von Juden. H. Suermann fasst die Geschichte zusammen: „Ein jüdischer Kaufmann namens Jakob aus Konstantinopel, der nach Afrika gekommen ist, weigert sich zuerst, sich taufen zu lassen, wird aber dennoch getauft und ins Gefängnis geworfen. Im Gefängnis bittet er Gott, ihm zu zeigen, ob es gut oder schlecht war, daß er getauft wurde. Gott offenbart ihm, daß es gut war und Christus der Messias ist.“[34] (Alleine schon diese schlichte und erbauliche Erzählung macht klar, was historisch von den erzählten Begebenheiten zu halten ist, nämlich gar nichts – es ist eine erbauliche Werbeschrift, Ohlig).

Er spricht daraufhin mit anderen Juden und will sie vom Messias Jesus überzeugen. Ein anderer zwangsbekehrter Jude berichtet von seinem Bruder aus Cäsarea (Palästina); dann lässt die Doctrina Jacobi ihn sagen: „Denn mein Bruder schrieb mir, dass ein falscher Prophet erschienen sei. Als (Sergius) Kandidatus von den Sarazenen getötet wurde, war ich in Cäsarea, sagte (mein Bruder, Verf.) Abraham … Und die Juden freuten sich (darüber) sehr. Sie sagten, dass der Prophet erschienen sei, der mit den Sarazenen kommt, und er verkündet die Ankunft des kommenden Gesalbten und Christus.“ Der Bruder fragt einen „schriftkundigen Greis“, was er von dem Propheten der Sarazenen halte. „Er sagte mir unter starkem Seufzen: ‚Er ist falsch: Die Propheten kommen nämlich nicht mit Schwert und Waffen’.“ Der Greis fordert den Bruder auf, über den Propheten Nachforschungen anzustellen. Das tut er und hört von denen, die ihn getroffen haben, „dass du nichts Wahres an dem genannten Propheten findest, es sei denn Blutvergießen an Menschen. Er (der Prophet) behauptet nämlich, dass er die Schlüssel des Paradieses habe, was unglaubwürdig ist.“[35]

Obwohl nur von einem Propheten die Rede ist und der Name Mohammed nicht genannt wird, hält H. Suermann, wie auch Patricia Crone, die Doctrina Jacobi für den „älteste(n) Text, der Muhammad erwähnt“[36]. Zwar stört er sich daran, dass der Dialog den Propheten nicht nennt und zudem noch als lebend behauptet. Muhammad und den Muslimen würden aber in der jüdischen Endzeiterwartung, wie sie die Doctrina Jacobi verrät, keine „besondere Rolle“ zugeschrieben; sie seien nur aufgefasst als „Teil der dem Weltende vorausgehenden Zerstörung“.[37]

Was ist davon zu halten? Zunächst einmal handelt es sich um einen Text, der anscheinend – anders als gemäß der Interpretation H. Suermanns – so gut wie alle religionsgeschichtlichen Zusammenhänge verkennt: Juden konnten zwar mit der Übernahme der Selbstherrschaft der Araber, also mit dem Rückzug der – judenfeindlichen – Byzantiner durchaus Hoffnungen verbinden, nicht aber mit dem „Propheten“. Darüber hinaus hat der Mohammed des traditionellen Berichts nicht den kommenden Christus verkündet, hat auch nicht behauptet, die Schlüssel des Himmelreichs zu besitzen, zog auch nicht mehr mit erobernden Sarazenen durch den Vorderen Orient.

Richtig an der Erzählung ist, dass nicht von der Arabischen Halbinsel gesprochen wird, sondern die Nachrichten über einen Propheten der Sarazenen in Palästina auftauchen, bei dem Bruder Abraham in Cäsarea. Es ist wahrscheinlicher, dass die Doctrina Jacobi an das Ende des 7. Jahrhunderts, in die Zeit der messianischen Erwartungen ’Abd al-Maliks, die sich im Bau des Felsendoms niederschlagen, zu platzieren ist. In dieser Zeit spitzten sich die schon älteren, mit der Danieltradition verknüpften Endzeiterwartungen unter syrischen und arabischen Christen zu, damals wurden in Jerusalem und Damaskus, also auch in Cäsarea, koranische Materialien bekannt, die zwar nur selten von einem muhammad, wohl aber durchgängig von einem Propheten sprechen. So könnte der Prophet der Sarazenen zu verstehen sein. Dass Juden zu dieser Zeit Endzeiterwartungen der syrischen Christen, wie die Apokalypsen zeigen, und auch der Bewegung ’Abd al-Maliks teilten, liegt nahe, ebenso aber auch, dass sie mit der Sarazenherrschaft Hoffnungen verknüpften, obwohl sie mit ihr lediglich die Katastrophe der Endzeit eingeleitet sahen. Mit dem Propheten aber, das zeigt der Dialog, konnten sie nichts Positives assoziieren; dieser Prophet (der koranischen Materialien und der Sarazenen) widersprach dem jüdischen Prophetenbild.

Die Rückdatierung in die letzten Jahre des Heraklius und seines Befehls zur Zwangstaufe der Juden erscheint als bewusst gewählter „Aufhänger“ der Dialoge; historisch ist er wohl kaum. Keinesfalls aber hat die Doctrina Jacobi mit dem Propheten Mohammed zu tun und spiegelt auch nicht die Verhältnisse in der späteren ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts. Die Lokalisierung in Karthago scheint ebenfalls fiktiv zu sein und wird durch einen erzählerischen Einfall, den Bruder Abraham aus Cäsarea, sachgerecht nach Palästina verlegt.

(2) Die „Geschichte des Heraklius“ von Pseudo-Sebeos

Sebeos, dem die anonyme, unbetitelte und nur noch in einer armenischen Version erhaltene Geschichte des Heraklius später – fälschlich – zugeschrieben wurde, war um 660 Bischof von Bagratunis. Die Schrift geht auf die Geschichte zwischen 590 und 661 ein, die in einen Raster apokalyptischer Deutung eingepasst wird[38]: Die Endzeit wird eingeleitet durch die Rückkehr der Juden ins Gelobte Land; diese Rückkehr wird erreicht durch eine Allianz der Juden mit den Arabern, der „vierten Bestie“ des Danielbuchs, und einen Sieg über die Truppen des Heraklius. Der Verfasser hofft, dass die Araber bald besiegt werden.

In einem Kapitel, das je nach Edition unterschiedlich gezählt wird, bietet der Verfasser/Redaktor/armenische Übersetzer Informationen zu den Arabern, (und erstmals neben dem Mamed des Johannes von Damaskus) zu dem Prediger Muhammad und dem Bündnis der Juden mit den Arabern; diese will er von arabischen Kriegsgefangenen erhalten haben. Der hier interessierende Textteil, der damit eingeleitet wird, dass jetzt von den Nachkommen des „Sklaven“ (Ismael) gesprochen wird, lautet, in der deutschen Übertragung der französischen Übersetzung von H. Suermann:

Sie (die Juden) nahmen den Weg in die Wüste und gelangten nach Arabien zu den Kindern Ismaels; sie baten sie um Hilfe und ließen sie wissen, daß sie der Bibel nach verwandt waren. Obwohl diese gerne an diese Verwandtschaft glaubten, konnten die Juden nicht die ganze Masse des Volkes überzeugen, weil ihre Kulte verschieden waren. [Zu dieser Zeit gab es ein Kind Ismaels, einen Händler mit Namen Muhammad; er stellte sich ihnen nach dem Befehl Gottes als Prediger, als den Weg der Wahrheit vor und lehrte sie den Gott Abrahams kennen, denn er war sehr gebildet und versiert in der Geschichte Moses. Da der Befehl von oben kam, vereinigten sich alle unter der Autorität eines einzigen zur Einheit des Gesetzes und, nachdem sie den Kult der Nichtigkeiten verlassen hatten, kamen sie zum lebendigen Gott zurück, der sich dem Vater Abraham geoffenbart hatte. Muhammad schrieb ihnen vor, von keinem toten Tier zu essen, Wein nicht zu trinken, nicht zu lügen und nicht zu huren. Er fügte hinzu: ‚Gott hat dieses Land durch Eid Abraham und seiner Nachkommenschaft versprochen in alle Ewigkeit. Er hat gemäß seines Versprechens gehandelt, als er Israel liebte. Ihr nun, ihr seid Söhne Abrahams, und Gott verwirklicht an euch das Versprechen an Abraham und an seine Nachkommen. Liebt nur den Gott Abrahams, ergreift Besitz von eurem Gebiet, das Gott eurem Vater Abraham gegeben hat, und niemand kann euch im Kampf widerstehen.’][39] Also versammelten sich alle von Weiwlay (bei F. Macler: Ewiwlay; bei R.W. Thomson: Ewila) bis Sur und gegenüber Ägypten; sie verließen die Wüste Pharan in zwölf Stämme aufgeteilt, nach der Rasse ihrer Patriarchen. Sie teilten unter ihren Stämmen die zwölftausend Kinder Israels auf, tausend pro Stamm, um sie ins Gebiet Israels zu führen. Sie zogen von Lagerplatz zu Lagerplatz gemäß der Ordnung ihrer Patriarchen: Nabeuth, Keda (,) Abdiwl, Mosamb, Masmay, Idovmay, Mase, Koldat, Theman, Yetur, Naphes und Kedmay (Genesis 25, 13-15, Verf.). Dies sind die Stämme Ismaels. Sie begaben sich nach Rabbath Moab, im Territorium Rubens. Denn die Armee der Griechen kampierte in Arabien. Sie attackierten sie unerwartet, ließen sie über die Klinge springen, schlugen Theodoros, den Bruder des Kaisers Heraklios, in die Flucht und kehrten nach Arabien zurück. Alle, die vom Volk der Kinder Israels übrigblieben, kamen, um sich mit ihnen zu vereinen, und sie formten eine große Armee. Dann schickten sie eine Botschaft an den Kaiser der Griechen, die besagte: ‚Gott hat dieses Land zum Erbe unserem Vater Abraham und seinen Nachkommen nach ihm gegeben; überlaßt es uns friedlich, und wir dringen nicht in dein Territorium ein; wenn nicht, nehmen wir dir mit Wucher das ab, was du dir genommen hast.’ Der Kaiser lehnte ab und sagte, ohne ihnen eine befriedigende Antwort zu geben: ‚Das Land gehört mir: dein Erbe ist die Wüste; geh in Frieden in dein Land.’“[40]

Pseudo-Sebeos referiert in seiner Geschichte viele Einzelheiten. So meint H. Suermann auch zu unserer Frage: „Er (der Autor, Verf.) scheint recht genau über die Entstehungsgeschichte des Islams unterrichtet zu sein.“ Dennoch stellt er bedauernd fest: „… die Ortsangaben folgen mehr der biblischen Tradition als der Geographie der damaligen Zeit. Arabien ist bei Sebeos das Gebiet östlich des Sinai bis jenseits des Toten Meeres. Es ist nicht die arabische Halbinsel, sondern das Arabien des Apostels Paulus. Das Stammland der Araber ist nach Sebeos die Wüste Pharan. Diese Interpretation führt allerdings zu einem geographisch falschen Verständnis der damaligen Ereignisse.“[41]

Das geographisch „richtige“ Verständnis wäre laut H. Suermann das des traditionellen Berichts. Sieht man von diesen Vorgaben des 9. Jahrhunderts ab, hält sich der anonyme Verfasser an biblische Raster, die von Genesis 25,12-18, vorgegeben sind, verfügt also in dieser Hinsicht über keinerlei „neue“ Informationen zu den „Kindern Ismaels“. Ebenso wenig weiß er prinzipiell über die historischen Zusammenhänge. Dass Juden zu den Arabern zogen, ihre eigenen zwölf Stämme mit den, laut Genesis 25,13-15, ebenfalls zwölf Stämmen der Ismaeliten vereinigten, und mit ihnen „eine große Armee“ bildeten, widerspricht allen historischen Abläufen.

Dennoch hat diese Geschichtsdeutung einen historischen Hintergrund. Da (Christen wie) Juden im 6., 7. und 8. Jahrhundert von Endzeiterwartungen geprägt waren, hat die Übernahme der Selbstherrschaft durch die Araber zunächst bei Juden endzeitliche Hoffnungen ausgelöst. Diese gänzlich bibeltheologischen Reflexionen des Sebeos in Kapitel 30 stehen allerdings in einem Gegensatz zu den Ausführungen über Mohammed und seine Predigt. Dabei kommen über das Alte Testament hinausgehende Informationen zum Zuge, vor allem der Name des Propheten. Deswegen muss angenommen werden, dass hier eine ältere Vorlage durch spätere Interpolationen ergänzt wurde. Die ältere Vorlage nimmt einige Zeilen der Genesis zur Hilfe, um im Sinne der apokalyptischen Endzeiterwartung deren baldiges Eintreten, gemäß der Danieltradition, zu schildern: Die Juden sammeln sich zum Kampf, um im Sinne der Endzeiterwartungen Besitz von Palästina zu ergreifen. Zu diesem Zweck verbünden sie sich mit den Arabern, der neuen endzeitlichen Bedrohung, die aber gänzlich nach der Vorgabe des Buchs Genesis, als Kinder Ismaels aus der Wüste Pharan, aufgefasst werden. Fasst man die Aussagen über Muhammad aber als spätere Interpolation, lässt sich die seltsame Disparität des Textes in Kapitel 30 erklären. Ein älteres Stück biblisch-apokalyptischer Geschichtsdeutung, das Juden und Araber als Endzeitphänomene zusammenbringt, wird dann von einem Abschreiber und/oder neuen Redaktor oder armenischem Übersetzer als Aufhänger benutzt, weitere Informationen einzufügen.

Diese sind einer Zeit zuzurechnen, in der der Begriff muhammad bekannt war und mit einem Prediger und Händler verbunden wird. Die Aussagen zur Predigt Mohammeds überliefern seine Forderungen, „von keinem toten Tier zu essen, Wein nicht zu trinken, nicht zu lügen und nicht zu huren“. Diese Einzelvorschriften werden ergänzt durch Erklärungen des theologischen Konzepts Mohammeds, der „sehr gebildet“ war: die Verkündigung des lebendigen Gottes Abrahams und der „Einheit des Gesetzes“, Abschaffung eines Kultes der Nichtigkeiten, Anspruch auf Palästina, „das Gott eurem Vater Abraham gegeben hat“ – ein Anspruch, den Mohammed – und hier stimmt es wieder nicht – den Juden zusagt.

Randbemerkung

Dass dieser Prophet auch Händler war – was auch die Sira, nicht der Koran von Mohammed aussagt –, könnte auf eine alte Tradition über die Begründung des Christentums in Südarabien zurückgehen, der zufolge ein Händler in Hira Christ wurde und nach seiner Rückkehr in Nadschran missioniert hat. In der Chronik von Seert, auch Nestorianische Geschichte genannt, findet sich folgender Passus, der auf  das 6. Jahrhundert verweist:

„In der Epoche des Yezdegerd gab es im Gebiet von Nadschran im Jemen einen Händler mit Namen Hannan, der in der Region gut bekannt war. Eines Tages brach er wegen Handelsgeschäften nach Konstantinopel auf und kehrte (dann) in sein Land zurück. Danach wollte er sich nach Persien begeben. Als er nach Hira kam, besuchte er häufig Christen und lernte ihre Lehre kennen. Er wurde getauft und blieb einige Zeit dort. Dann kehrte er in sein Heimatland zurück und lud die Leute ein, seinen Glauben anzunehmen. Er taufte die Leute seines Hauses und viele andere seines Landes und der Umgebung. Dann bekehrte er mit Unterstützung einiger anderer, die sich ihm angeschlossen hatten, die Einwohner von Himar und benachbarter Regionen Äthiopiens.“[42]

Die Nestorianische Geschichte wurde im frühen 11. Jahrhundert verfasst; R. Tardy nimmt aber an, dass die Ausführungen zu Nadschran aus einem anderen Text, dem sehr viel älteren Buch der Himyariten, entnommen sind.[43] Jedenfalls könnte die Geschichte von einem predigenden arabischen Kaufmann – eine Art von „Wanderlegende“? – die Zuordnung dieses Berufs an Mohammed sowohl bei Pseudo-Sebeos wie in der Sira erklären. Ebenso könnten auch die Erzählungen des 9. Jahrhunderts, dass Mohammed Offenbarungen am Berg Hira empfangen hat, auf die oben erwähnte Lokalisierung der religiösen Neuorientierung des Kaufmanns in Hira zurückgehen. Möglich ist auch ein Einfluss markionitischer Vorstellungen von Jesus „als Kämpfer und Händler“ , mit denen sich Ephräm der Syrer noch intensiv auseinander gesetzt hat.[44]

Die Ausführungen bei Pseudo-Sebeos zu Mohammed zeugen von Sympathie für diesen Prediger und seine Lehre, zugleich wird er aber für das Gesetz und für das jüdische Recht auf das Gelobte Land in Anspruch genommen. Ebenso fällt auf, dass von seiner Predigt nur Motive erwähnt werden, die im jüdischen Sinn positiv waren (abgesehen vom Weinverbot). Aussagen dieser Art sind in einer christlichen Schrift, die die Geschichte des Heraklius ansonsten ist, seltsam. Als Redaktor kann weder ein Christ noch ein Muslim angenommen werden; letzterer hätte wohl kaum den Juden das heilige Land als göttlich verbrieftes Eigentum zugesprochen. Am ehesten erklären sich die Passagen, wenn ein jüdischer Redaktor – frühestens in den ersten Jahrzehnten des 8. Jahrhunderts oder noch mal später – angenommen wird, der an der Araberherrschaft und den Grundlinien ihrer (jüdisch interpretierten) Lehre Gefallen fand, sie jedenfalls für besser hielt als die Griechenherrschaft, und der dann mittels seines „Wissens“ zu Mohammed jüdische Ansprüche formulierte.

7. Resümee

Diese wenigen Texte christlicher Zeitgenossen mögen genügen; die übrigen Quellen fügen dem nichts Relevantes hinzu.

Sie machen deutlich, dass die Frühgeschichte der arabischen Herrschaft anders verlaufen ist – ohne Invasionen von der Arabischen Halbinsel aus. Vor allem aber wird die Religion der Araber von den christlichen Theologen nicht als eine neue Religion, sondern als eine Variante des – auch sonst sehr pluriformen  – Christentums verstanden. Es scheint so, als sei dieses Christentum der frühen syrischen Theologie und Christologie sehr verwandt, was ja auch vom Koran bestätigt wird.

 


[1] Der folgende Aufsatz bietet eine Zusammenfassung eines Vortrags an der Universität Münster. Im Rahmen eines Vortrags können nicht alle Quellen vorgestellt werden. Hierfür verweise ich auf meinen BeitragHinweise auf eine neue Religion in der christlichen Literatur ‚unter islamischer Herrschaft’?“ in: Karl-Heinz  Ohlig (Hg.), Der frühe Islam,, Berlin 2007,223-325, und die dort angegebene Literatur. Ein wenig gekürzt ist der Beitrag in drei Folgen unter dem TitelDie christliche Literatur unter arabischer Herrschaft. Finden sich dort Hinweise auf eine neue Religion der arabischen Herrscher?“  publiziert in imprimatur  45, 2012, 184-191; 228-232; 296-301.

 

[2] Albrecht Noth, Quellenkritische Studien zu Themen, Formen und Tendenzen frühislamischer Geschichtsüberlieferung, Teil I: Themen und Formen, Selbstverlag des Orientalischen Instituts der Universität Bonn, Bonn 1973.

[3] Vgl. hierzu z.B. Wilhelm Baum / Dietmar W. Winkler, Die Apostolische Kirche des Ostens. Geschichte der sogenannten Nestorianer (Einführungen in das Orientalische Christentum, Bd. 1), Klagenfurt 2000; allerdings führt die Schilderung der Blütezeit der syrischen Kirche hier an keiner Stelle zu der Frage, wie dies unter der fraglos vorausgesetzten islamischen Herrschaft möglich gewesen sein sollte. Vgl. vom Verf., Das syrische und arabische Christentum und der Koran, in: Karl-Heinz Ohlig / Gerd-R. Puin (Hg.), Die dunklen Anfänge. Neue Forschungen zur Entsteheung und frühen Geschichte des Islam, Berlin 2005, 366-404.

 

[4] Sebastian Brock,  VIII Syriac Views of Emergent Islam, in: Ders., Syriac Perspectives on Late Antiquity, London 1984, 21.

[5] Syrische Chronik (vor 680?), lateinische Version in: Chronica Minora, pars prior, hrsg. und übers. von Ignatius Guidi (SSCO, Scriptores Syri, series tertia, tomus IV), Paris 1903, 3-32; hier 31.

[6] Pseudo-Methodius-Fragment, syrischer Text und deutsche Übersetzung in: H. Suermann, Die geschichtstheologische Reaktion auf die einfallenden Muslime in der edessenischen Apokalyptik des 7. Jahrhunderts (Europäische Hochschulschriften, Reihe XXIII Theologie, Bd. 256), Frankfurt a.M, Bern, New York1985, 86-97; hier 13,11.

[7] Add.(itamenta) IV.V: Continuatio Byzantina Arabica a. DCCXLI, zu: Isidori iunioris episcopi Hispalensis historia Gothorum Wandalorum Sueborum ad a. DCXXIV, in: Monumenta Germaniae historica, tomus XI: Chronicorum minorum saec. IV, V, VI, VII, Vol. II: Chronica minora, edidit Theodorus Mommsen, Berlin 1844 (Add. IV und V ganz: 323-369).

[8] Chronica Minora (SSCO, Scriptores Syri III,4), a.a.O. 31; deutsch nach: H. Suermann, Orientalische Christen und der Islam. Christliche Texte aus der Zeit von 632-750, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 52, 1993, 120-136; hier 130.

[9] Syrischer Text und deutsche Übersetzung bei H. Suermann, Die geschichtstheologische Reaktion, a.a.O. 86-97.

[10] Johannes bar Penkayê, Chronik, Kap. 14, in: deutsche Übersetzung aus dem Syrischen von Rudolf Abramowski, Dionysius von Tellmahre. Zur Geschichte der Kirche unter dem Islam (einschließlich einer Übersetzung der Bücher 14 und 15 von Johannes bar Penkayê), Leipzig 1940, 5.6.

[11] Chronik, in: The Seventh Century in the West-Syrian Chronicles, introduced, translatet and annotated by Andrew Palmer, including two seventh-century Syriac apocalyptic texts, introduced, translated and annotated by Sebastian Brock, with added annotation and historical introduction by Robert Hoyland, Liverpool 1993 (ed. A. Palmer), 18.19.

[12] ’Iso’yaw patriarchae III., Liber epistularum, hrsg. und ins Lateinische übers. von R. Duval (Corpus Scriptorum christianorum orientalium, Vol. 12, Scriptores Syri II, tomus 12), Löwen 1904, 172.182.

[13] Pseudo-Sebeos, Histoire d’Héraclius par l’évêque Sebéos, traduite de l’Arménien et annotèe par F. Macler, Paris 1904,149.

[14] Jakob von Edessa, Scholion zu 1 Könige 14,21ff., in: George Phillips, Scholia on Passages on the Old Testament by Mar Jacob, Bishop of Edessa, London 1864 (Text und englische Übersetzung).

 

[15] ’Iso’yaw patriarchae III., Liber epistularum, hrsg. und ins Lateinische übers. von R. Duval (Corpus Scriptorum christianorum orientalium, Vol. 12, Scriptores Syri II, tomus 12), Löwen 1904, 182; deutsch nach H. Suermann, Orientalische Christen und der Islam. Christliche Texte aus der Zeit von 632-750, in: Zeitschrift für Missionswissenschaft und Religionswissenschaft 52, 1993, 120-136, hier: 128.

[16] H. Suermann, Orientalische Christen und der Islam, a.a.O. 128.

[17] ’Iso’yaw patriarchae III., Liber epistularum,  hrsg. und ins Lateinische übers. von R. Duval (CSCO Vol. 12), a.a.O. 73.

[18] Iso’yahw Patriarchae III  liber epistularum (syrischer Text),  hrsg. von R. Duval (CSCO  Vol. 11; Scriptores Syri, Tomus II), 97.

[19] Anastasii Sinaitae Viae dux, (kritische Edition des griechischen Textes) von Karl-Heinz Uthemann (Corpus Christianorum, series Graeca [CCG], Bd. 8), Turnhout, Brepols 1981 (Hodegos, ebd. 7-320), hier: 9, Zeile 45-49.

 

[20] Anastasius Sinaita, Viae dux X 2,4; ed. Uthemann, ebd. 169.170, Zeilen 5-12.

[21] Anastasius Sinaiticus, Quaestiones et responsiones (MPG 89, 311-824 [griechisch und lateinisch]), hier:126, in:  MPG 89, 776 B.C.

 

[22] Johannes Damascenus, Über die Häresien, Kapitel 100, in: Die Schriften des Johannes von Damaskus, Bd. IV, Liber de haeresibus. Opera polemica, hrsg. von Bonifatius Kotter (PTS 22), Berlin, New York 1981, 60-67.

[23] Im Griechischen kann ein h-Laut nicht mitten in einem Wort geschrieben werden. Vgl. z.B. Jochanan, das zu griechisch Joannes (lateinisch Johannes) wird.

 

[24] Vgl. vom Verf., Vom muhammad Jesus zum Propheten der Araber. Die Historisierung eines christologischen Prädikats, in: K.-H. Ohlig (Hrsg.), Der frühe Islam, a.a.O. 327-376; hier: 355-361.

 

[25] Johannes Damascenus, Liber de haeresibus 100; ed. B. Kolter 64, Z. 78-93.

[26] M. F.(rançois) Nau, Un colloque du Patriarche Jean avec l’émir des Agaréens et faits divers des années 712 à 716 d’après le MS. du British Museum Add. 17193 …, in: Journal Asiatique, 11e série, Tome 5, 1915, 225-279; syrischer Text ebd. 248-256, französische Übersetzung ebd. 257-267.

[27] Nevo, Yehuda D. and Koren, Judith, Crossroads to Islam. The Origins of the Arab Religion and the Arab State, Amherst, New York 2003, 228.

[28] Germanus, Dogmatische Briefe, MPG 93, 168 C.D.

[29] Synodicon Orientale, Canon 16, Canon 18, translat. and ed. by J.-B. Chabot, Paris 1902, Bd. 2 (französische Übersetzung), 488.489.

 

[30] Patricia Crone, What do we actually know about Mohammed?, www.openDemocracy.net.

[31] Harald Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, in: Holger Preißler, Heidi Stein (Hrsg.), Annäherung an das Fremde. XXVI. Deutscher Orientalistentag vom 25. bis 29.9.1995 in Leipzig, Stuttgart 1998, 145.

[32] Doctrina Jacobi nuper baptizati, griechischer Text und französische Übersetzung von Vincent Déroche, in: Gilbert Dagron, Vincent Déroche (Hrsg.), Juifs et chrétiens dans l’Orient du VIIe siècle (Travaux et Mémores 11,  redigiert von Gilbert Dagron und Denis Feissel [Collège de France. Centre de Recherche d’histoire et civilisaton de Byzance]), Paris1991,  47-229; anschließend: Gilbert Dagron, Commentaire, ebd. 230-273.

[33] Vincent Déroche, ebd. 64

[34] H. Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, ebd. 145.146.

 

[35] Doctrina Jacobi V 16; ed. V. Déroche, a.a.O. 209.211.

[36] H. Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, in: Holger Preißler, Heidi Stein (Hrsg.), Annäherung an das Fremde. XXVI. Deutscher Orientalistentag vom 25. bis 29.9.1995 in Leipzig, Stuttgart 1998, 145-154,

hier: 145.

[37] H. Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, ebd. 147.148.

 

[38] Textausgabe: Histoire d’Héraclius par l’évêque Sebéos, traduite de l’Arménien et annotèe par F. Macler, Paris 1904 (ed. F. Macler); armenische Edition: Parmut’iwn Sebeosi, Ed. G.V. Abgarian, Yerevan 1979; The Armenian History attributed to Sebeos, Translated, with notes, by R.W. Thomson. Historical Commentary by James Howard-Johnston, Part I. Translation and Notes, Liverpool 1999 (ed. R.W. Thomson), Part II. Historical Commentary, Liverpool 1999.

 

[39] Die von mir eingefügten Klammern sollen einen späteren Einschub in eine ältere Vorlage kennzeichnen; vgl. hierzu den folgenden Text.

[40] Pseudo-Sebeos, Histoire d’Héraclius, Kap. 30;  ed. F. Macler, ebd. 95.96; deutsch nach: H. Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, a.a.O. 150.

[41] H. Suermann, Juden und Muslime gemäß christlichen Texten zur Zeit Muhammads und in der Frühzeit des Islams, ebd. 150.154.

 

[42] Chronik von Seert, Kap. 73, in: Addai Scher (arabische Edition) und Pierre Dib (französische Übersetzung), Histoire nestorienne (Chronique de Séert), première partie (II) (Patrologia Orientalis, éd. R. Graffin/F. Nau, tome V, fasc. 2), Paris 1950, 330.331.

[43] René Tardy, Najrân. Chrétiens d’Arabie avant l’islam, Beyrouth 1999,  97.98; so auch Irfan Shahîd, Nadjjran, in: The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Volume VII, Leiden 1992, 871.872. Das ins Spiel gebrachte Kitâb al-Himyar liegt allerdings nur noch fragmentarisch vor; überliefert sind die Aktivitäten des jüdischen Königs im Jemen gegen die Christen, die in der Chronik von Seert übernommen sind. Man kann nur vermuten, dass sich die Chronik von Seert auch an der genannten Stelle auf den älteren Text stützt. Vgl. zum Buch der Himiyariten: Irfan Shahîd, The Book of the Himyarites: Authorship and Authenticity, in: Ders., Byzantium and the Semitic Orient before the Rise of Islam, London 1988, 349-362.

[44] Vgl. hierzu Han J.W. Drijvers, Christ as Warrier and Merchant. Aspects of Marcion’s Christology, in: Ders., History and Religion in Late Antique Syria, Aldershot (Great Britain), Brookfield (USA) 1994, XIII, 73-85.

 


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