Die Schaffung neuer Probleme
Universitäre Zentren für islamische Religionslehre
Karl-Heinz Ohlig
(imprimatur 43, 2010; 369-372)
Es ist sicher zutreffend, dass der Islam mittlerweile zu Deutschland gehört. Mehr als vier Millionen Muslime leben hier – wenn man die Aleviten, die unter den hiesigen Türken einen Anteil von 20 bis 30 Prozent ausmachen – dazu zählen will. Diese Zahlen werden, auf Grund weiterer Immigration, des Familiennachzugs und höherer Fertilität, noch steigen, erst recht, wenn die Türkei Mitglied der EU werden sollte.
Die Muslime hierzulande besitzen schon oder erwerben in Zukunft die deutsche Staatsbürgerschaft, sie sind also ein – wachsender – Teil Deutschlands. Allmählich wird einer größeren Öffentlichkeit bewusst, dass dies Probleme mit sich bringt. Die Politik reagiert, fordert das Erlernen der deutschen Sprache, den Besuch der Schulen, die Verpflichtung auf das Grundgesetz usf. Das alles ist nötig, und es ist zu hoffen, dass es zur Integration beiträgt. Als mir vor wenigen Wochen ein hier geborener und promovierter Universitätsassistent mit flammendem Blick erklärte, die Scharia stimme völlig mit dem deutschen Grundgesetz überein, kamen Zweifel auf.
Natürlich sind viele Schwierigkeiten bei der Integration kulturell, sozial und ethnisch begründet. Aber es wäre blauäugig zu sagen, die Religion, der Islam, spiele bei alledem keine Rolle. Zwar lässt sich theoretisch ein Islam vorstellen, der sich auf den religiösen Bereich beschränkt, also die mit ihm verbundene Forderung nach Geltung des islamischen Rechts und zur Errichtung entsprechender gesellschaftlicher und staatlicher Strukturen aufgibt. Es lässt sich ein Islam denken, der die Gleichberechtigung der Frauen respektiert, historische und philologische Forschungen zum Koran und zur eigenen Geschichte zulässt und den Austritt aus der Religionsgemeinschaft nicht sanktioniert.
Dazu aber bedarf es einer Aufklärung, die ja auch in unserer eigenen Tradition die zentralen Fortschritte gebracht hat, aus jüdischen und christlichen Wurzeln, wenn auch oft gegen die Kirchen. Zur Zeit ist nicht abzusehen, dass das im Islam geschehen wird, auch innerhalb des sogn. Euro-Islam findet sich kritisches Denken nur an den Rändern.
Eine große Chance zur Integration der in Deutschland geborenen oder aufwachsenden muslimischen Kinder wurde vertan – unumkehrbar vertan. Die Einführung eines für alle Schulpflichtigen obligatorischen Religionskunde- und Ethikunterricht hätte alle Kinder und Jugendlichen zum gemeinsamen Kennenlernen und Verstehen der Religionen, ihrer Unterschiede und Gemeinsamkeiten, ihrer Geschichte, Verbreitung und historischen Kontexte anleiten und sichtbar machen können, dass wir alle in Gesellschaft und Staat auf der Basis des Grundgesetzes zusammenleben müssen.
Die Kirchen waren nicht bereit, ihren konfessionellen Religionsunterricht aufzugeben, sondern unterstützten die Forderung der Muslime nach einem islamischen Religionsunterricht; die Länder wollten keine weiteren Konflikte, und so bleibt auf Dauer nichts übrig, trotz des Fehlens der institutionellen Voraussetzungen bei den Muslimen, einen islamischen Religionsunterricht einzurichten. Was das heißt, ist vielen unklar: Soll hierbei eine Richtung des Islam, z.B. der sunnitische oder sunnitisch-türkische Islam unterrichtet werden? Was werden dann die Muslime tun, die anderen Richtungen (Schia) oder ethnischen Ausprägungen (Kurden, Araber, Asiaten, Schwarzafrikaner) zugehören? Wie werden sich die Aleviten – in Deutschland immerhin, wie gesagt, bis zu 30 Prozent der immigrierten Türken und Kurden – verhalten, die wohl kaum so einfachhin zum Islam zu rechnen sind und in manchen Bundesländern jetzt schon ihren schulischen Religionsunterricht durchführen können? Usf.
Zumindest eines aber scheint in Deutschland klar zu sein: Die künftigen islamischen Religionslehrer müssen ähnliche akademische Voraussetzungen mitbringen wie ihre christlichen Kollegen. Sie müssen also, nach einem Abitur, ein fachspezifisches akademisches Studium absolviert haben, in den meisten Bundesländern auch in einem zweiten Fach.
Dies ist bisher nicht möglich. Um keine Zeit zu vertun, wird schnell zur Tat geschritten – natürlich nach ebenso schnellen Beratungen in einigen angeblich zuständigen Gremien mit Beratung seitens einiger deutscher Islamwissenschaftler.
Bundesbildungsministerin Schavan (CDU) hat die Berliner Entscheidung, der sich die betroffenen Länder anschließen werden (es gibt hierfür Bundesmittel) verkündet: vier deutsche Universitäten hatten sich um die Einrichtung von Zentren für die Ausbildung islamischer Religionslehrer beworben. An zweien, an der Universität Tübingen und dem Doppelstandort Münster und Osnabrück werden diese Zentren jetzt eingerichtet, in einer zweiten Bewerbungsrunde (Frist 31.01.2011) sollen auch die beiden anderen Bewerber Erlangen und der Doppelstandort Marburg und Gießen ihre Chance erhalten.
Ob es bei der ursprünglich geplanten Einrichtung von sechs Lehrstühlen (recht komfortabel im Vergleich zu universitären christlich-theologischen Instituten zur Lehrerausbildung) und weiteren Mitarbeiterstellen bleibt, ist wohl noch nicht entschieden, wohl aber über einen Bundeszuschuss von jeweils vier Millionen Euro für bis zu fünf Jahre; möglicherweise oder wahrscheinlich bleibt die darüber hinaus gehende Finanzierung dann an den betreffenden Universitäten bzw. den Ländern hängen.
Nun werden hierzulande an künftige Professoren gewisse Anforderungen gestellt. Sie sollten, mit sehr guter Note, promoviert und fachspezifisch habilitiert sein bzw. adäquate wissenschaftliche Leistungen vorweisen; daneben gibt es – seltener – die Möglichkeit, Juniorprofessoren zu berufen, die zumindest eine exzellente Dissertation vorweisen sollten.
Grundsätzlich ist festzustellen, dass es solche Bewerber für islamische Religionslehre zur Zeit in Deutschland nicht gibt. Aber nach dem Plan der Bundesministerin soll der Lehrbetrieb an drei oder vier Zentren, also auch an denen, über die erst im Frühjahr 2011 entschieden wird, schon zum Wintersemester 2011/2012 (formeller Beginn: 01.10.11) anfangen. Die Berufungsausschüsse der betroffenen Universitäten müssten also im Verlauf eines einzigen Semesters, im Sommersemester 2011, nach Billigung durch die weiteren zuständigen Gremien, den Kultusministern Dreierlisten vorlegen, diese müssten sich die Zustimmung von religiöser Seite (von wem? von den intellektuell dürftigen und keineswegs repräsentativen Islamverbänden?) einholen. Erst dann kann ein Kandidat berufen/ernannt werden.
Die ganze Konstruktion und erst recht die intendierte Eile ist absurd und stümperhaft – und so werden wohl auch die Ergebnisse aussehen. Seriös und wenigstens einigermaßen wissenschaftlich – und darum sollte es an den Universitäten doch primär gehen – ist das nicht zu realisieren. Noch ganz abgesehen davon, dass die auserwählten Universitäten wohl noch keinerlei Vorstellung haben, wie die nötigen Berufungsausschüsse aussehen und welche wissenschaftlichen Kriterien eine Rolle spielen sollten – auch das lässt sich nicht übers Knie brechen. Mit anderen Worten: die ganze Sache ist alles andere als universitär und wissenschaftlich verantwortbar oder gar – im Sinne möglicher Integration – förderlich.
Was sich absehen lässt: Man wird dazu gezwungen sein, Bewerber/innen auf die Schnelle einzustellen, die ihren Werdegang an den Instituten und Universitäten der Türkei absolviert haben. Vielleicht auch aus anderen islamischen Ländern, bei denen allerdings die Anerkennung ihrer Diplome hierzulande nicht immer geregelt ist.
Wie anzunehmen ist, werden die Bewerber im Prinzip von der Diyanet, dem Amt für Religiöse Angelegenheiten, das beim türkischen Ministerpräsidenten ressortiert, vorgeschlagen. Weil diese Bewerber in aller Regel die deutsche Sprache weder verstehen noch sprechen können, hört man schon, dass „für eine Übergangszeit“ die Lehrveranstaltungen auch in englischer Sprache stattfinden können. Da die meisten Bewerber auch diese nicht richtig beherrschen, wird man zwangsläufig auf Türkisch ausweichen müssen.
Mit dieser engen Terminierung vergibt man auch die geringen Chancen, an unseren Universitäten in dem neuen Fach auch nur einige wissenschaftliche Standards zu installieren. Dies wäre ohnehin schwierig: In islamischen Ländern, auch in der Türkei, gibt es keinerlei wissenschaftliche, d.h. historisch-kritische und philologisch exakte Forschung und Lehre. Selbst die angeblich berühmte „Ankaraner Schule“ macht keine Ausnahme, auch sie geht davon aus, dass der Koran wörtliche Offenbarung Allahs ist – also nicht untersucht und interpretiert werden darf – und von Mohammed verkündet wurde usf. Sollten solche Professoren einmal installiert sein, kann man sich das Profil auch schon der nächsten, hier ausgebildeten Generation von „Wissenschaftlern“ vorstellen, aus deren Kreis die Nachfolger der jetzigen Lehrenden berufen werden müssen.
Die beantragenden Universitäten haben wohl keine Vorstellung davon, was auf sie zukommen wird: Nicht die kleinste Kritik wird möglich sein, sie wird zurückgewiesen, weil sie ohnehin von Ungläubigen kommt. Sie wird als Angriff aufgefasst, auf die man beleidigt reagiert. Wenn es einmal eine Ausnahme gibt und von einem Lehrenden historisch-kritisches Denken vertreten wird – wie an der Universität Münster durch Muhammad (jetzt: Sven) Kalisch -, werden die hiesigen Islamverbände seine Entfernung aus dem Fach erzwingen.
Man muss staunen, dass es Universitäten gibt, die sich auf dieses Spiel einlassen. Geht es um die zusätzlichen Etatmittel oder ein vermeintliches besonderes Profil der eigenen Universität? Das Erwachen wird schmerzlich sein. Wahrscheinlich wird man sich dann damit behelfen (müssen), diese Zentren in eine quasi exterritoriale Position auszugliedern und sich selbst zu überlassen.
Die ganze Konstruktion ist verfehlt. Aber das Schlimmste ist der fehlende längere Atem und der große Zeitdruck. Am liebsten sollte wohl alles schon gestern eingerichtet sein, sowohl seitens der Universitäten wie seitens der Politik. Wenn denn alles auf die beschriebene Weise intendiert ist, hätte man sich mehr Zeit lassen müssen, damit die Unternehmung einigermaßen verantwortet werden kann. So aber werden neue Problemfelder eröffnet, die es bisher nicht gab, ohne erkennbare Aussicht, dass in absehbarer Zeit eine positive Wirkung von ihr ausgeht. Wollte man den Muslimen (welchen?) nur dokumentieren: Seht, wie sind ganz tolerant und erfüllen euch im Schnellgang jeden Wunsch? Haben wir es nötig, dafür auf universitäre Standards zu verzichten? Und hilft das in irgendeiner Beziehung?