„Islamophob und rassistisch!“
Ein Plädoyer für differenzierte Sprachverwendung
Markus Groß
Tilman Nagel, emeritierter Professor für Arabistik und Islamwissenschaft in Göttingen und ehemaliger Teilnehmer der Deutschen Islamkonferenz hat in seinem kürzlich erschienenen Buch „Angst vor Allah? Auseinandersetzungen mit dem Islam“ (Berlin 2014) ein ganzes Kapitel dem Thema „Islamophobie“ gewidmet (S. 328 ff.). In der Einleitung zitiert er Beispiele der Verwendung des Begriffes, z.B. die Kritik von islamischer Seite, Islamophobie sei die „schlimmste Form des Terrorismus“. Auf S. 330 schreibt er dann:
„Der Begriff ‚Islamophobie‘, dessen Inhalt offenbleibt und der daher beliebig eingesetzt werden kann, ist vorzüglich geeignet, den Wortführern des Islams unangenehme Fragen zu ersparen. … So wurde im Jahre 2008 vor dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Diskussion über die in der Scharia dekretierte Minderrangigkeit der Frau unterbunden, da die Erörterung des Inhalts religiöser Bestimmungen einen Mißbrauch der Meinungsfreiheit darstelle, der in einem solchen Fall auf Rassismus und ‚Islamophobie‘ – beides wird gern miteinander vermischt – hinauslaufe.“
Nagel, einer der kenntnisreichsten deutschen Orientalisten, dem man in Bezug auf den Islam bestimmt keine Vorurteile unterstellen kann, der in seinen Urteilen aber, anders als viele seiner teils euphorischen Zunftkollegen, stets Klartext redet und Konfliktpotentiale nicht beschönigt, hat hier ein vordergründig sprachliches Problem angesprochen, das aber in der Folge massive Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit und den Pluralismus in der westlichen Welt hat.
Wer sich in der heutigen Zeit ein Bild über das moderne Verständnis alteingesessener Begriffe machen will, kann immer einiges in Wikipedia finden. Beim Suchbegriff „Islamophobie“ wird man auf einen weiteren Suchbegriff verwiesen: „Islamfeindlichkeit“, der folgendermaßen definiert wird: „Islamfeindlichkeit bezeichnet die Feindseligkeit gegenüber Muslimen sowie deren kategorische Abwertung und Benachteiligung. Daneben existieren die konkurrierenden Bezeichnungen und Konzepte Islamophobie und antimuslimischer Rassismus, die unterschiedliche Schwerpunkte und Wertungen bei der Betrachtung des Phänomens setzen. Umstritten ist, ob Islamfeindlichkeit als Form des Rassismus oder als eine nahe verwandte Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu betrachten sei.“
Eine weitere Seite widmet Wikipedia dem „Jahrbuch für Islamophobieforschung“, wobei ausschließlich wohlwollende Kommentare erwähnt werden: „Das Jahrbuch für Islamophobieforschung ist eine seit 2010 einmal jährlich erscheinende Publikation, die einem peer review-Verfahren unterzogen wird. Herausgeber ist Farid Hafez vom Institut für Orientalistik an der Universität Wien. … Antisemitismus und Islamfeindlichkeit ist seit einigen Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Analysen und Debatten.“
Man sieht in beiden Fällen ein Problem: Die Feindseligkeit gegen eine Religion, in diesem Falle eine Religion mit stark politischem Charakter, wird gleichgesetzt mit unbegründetem und damit ungerechten Hass auf eine Gruppe von Menschen. Man stelle sich einmal vor, jemand kritisiert eine bestimmte Sekte, sagen wir Scientology oder die Moon-Sekte, weil bei beiden gefährliche politische Ambitionen erkennbar sind. Würde man da ebenfalls von Rassismus und „Scientology-Phobie“ sprechen? Wohl kaum. Der Grund ist wohl in erster Linie, dass der Begriff bzw. Wortbildungsbestandteil „Phobie“ eine rational unbegründete bzw. sich auf Vorurteile stützende Angst bezeichnet, im Extremfall sogar ein Krankheitsbild (z.B. Klaustrophobie, Agoraphobie etc.)
Das Problem wollen wir am Beispiel eines anderen neuen Begriffes demonstrieren, der in diesem Zusammenhang ebenfalls oft zu hören ist: Homophobie. In meiner Kindheit (ich bin Jahrgang 1962) wurde selten in einem offenen Gespräch, etwa bei einer Familienfeier über das Thema Homosexualität gesprochen. Homosexuelle Männer wurden meist als „175er“ bezeichnet, was auf den §175 des Strafgesetzbuches anspielte, der homosexuelle Handlungen unter Strafe stellte. Das Wort „schwul“ war damals ein Schimpfwort, eine neutrale, nicht-wissenschaftliche Bezeichnung gab es nicht, ebenso wenig wie es „bekennende“ Schwule gab. Wenn es also damals in der Bevölkerung Ängste gab, mit Schwulen alleine in einem Raum zu sein, so war dies in erster Linie auf Unkenntnis zurückzuführen. In dem Moment, als Prominente, allen voran ein Sympathieträger wie Alfred Biolek, sich als schwul outeten bzw. geoutet wurden (auch dies ein moderner Begriff, den es vorher nicht gab), verschwanden die Vorurteile relativ schnell. Für das damalige Verhalten des Durchschnittsbürgers wäre der Begriff „Homophobie“ durchaus angemessen gewesen, wenn es ihn damals gegeben hätte.
Wenn heute aber ein Café für Schwule und Lesben von Neonazis oder islamischen Fundamentalisten (eine nicht seltene unheilige Allianz) gestürmt und diese verprügelt werden, so hat dies nichts mit Homo-phobie zu tun, d.h. es geht nicht um latente, unbegründete Ängste, sondern um blanken Hass einer gut sichtbaren Bevölkerungsgruppe, obwohl es für diesen Hass keinen Grund gibt. Hier wäre der Begriff „Schwulen- (und in geringerem Maße Lesben-)feindlichkeit“ der passendere.
Wie passt das zur Islamophobie? Eigentlich gar nicht! Denn Homosexualität ist für einen Erwachsenen ein Wesenszug (inwieweit angeboren oder in Kindheit und Jugend umweltbedingt erworben ist dabei unerheblich), der nicht einfach abgelegt werden kann. Die Zugehörigkeit zu einer Religion kann dagegen leicht (wenn auch nicht folgenlos) geändert werden. Zudem richtet sich Schwulenfeindlichkeit gegen die Menschen, dagegen kann man sehr wohl viele Muslime sympathisch finden, aber die Religion Islam oder zumindest seine politischen Aspekte absolut nicht mögen. Und schließlich kann man wohl kaum behaupten, dass es keine rationale Begründungen für Angst und Feindseligkeit gegen diese Religion gäbe. Zwar wird bei allen Konflikten mit Islambezug, bei den Boko Haram in Nigeria, den al-Shabab-Milizen in Somalia, den Taliban in Afghanistan, der Nusra-Front in Syrien und schließlich dem IS immer wieder gebetsmühlenartig behauptet, das alles habe „nichts mit dem Islam“ zu tun, die Religion werde „politisch missbraucht“ usw. Aber allein schon die Tatsache, dass die Verbrechen dieser Organisationen – Steinigung angeblicher Ehebrecherinnen, Einführung der Vollverschleierung, Hinrichtung von Abtrünnigen etc. – in allen islamischen Staaten der letzten anderthalb Jahrtausende, auch den mit uns verbündeten aktuellen wie Saudi-Arabien, immer zum normalen Leben gehört haben, dann wird schnell klar, dass alle diese Organisationen sehr viel mit der Religion zu tun haben, mit der sie ihre Taten begründen. Hier von einer Phobie zu sprechen wäre in etwa so sinnvoll wie wenn man von einer NPD-Phobie spräche, wenn ein neues Verbotsverfahren diskutiert wird.
Doch nun zu dem zweiten, oft damit im Zusammenhang gesehenen Begriff: Rassismus. In Wikipedia finden wir folgende Definition: „Rassismus ist eine Ideologie, die ‚Rasse‘ in der biologistischen Bedeutung als grundsätzlichen bestimmenden Faktor menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften deutet.“ Soweit korrekt, doch passt diese Definition absolut nicht auf die Haltung einer Religion gegenüber, die als Abstraktum auch eine gewisse Existenz hätte, wenn alle Anhänger sie bereits verlassen haben (man könnte sie z.B. wiederbeleben).
Um den Unterschied zwischen Feindseligkeit gegen eine Religion (oder wahlweise eine Ideologie) und gegen eine Gruppe von Menschen aufzuzeigen, betrachten wir einige Zitate aus einer Zeit, die wohl unzweifelhaft von einer menschenverachtenden Ideologie geprägt waren, dem Nationalsozialismus. Sie stammen bewusst nicht aus einer Hetzschrift, sondern aus der einbändigen Enzyklopädie „Volksbrockhaus“ (1938, 792 Seiten): Zum Stichwort Juden (S. 325) lesen wir folgendes: „Die Juden bilden ein Rassengemisch, … . Auf diesen rassischen Grundlagen beruht der jüdische Charakter, dessen negative Wesenszüge sich in Händlergeist, Intellektualismus, Macht- und Geldstreben, Eitelkeit und Empfindlichkeit äußern.“ Weiter unten in dem vergleichsweise sehr langen Artikel geht es weiter: „Die blutsmäßige Vermischung führte zu ernsthaften Störungen der lebensgesetzlichen Grundlagen namentlich in den führenden Schichten des deutschen Volkes. (…) Männer wie Stoecker, Georg von Schönerer, Th. Fritsch traten als Vorkämpfer des Antisemitismus (im Orig. fett) diesen Gefahren mutig entgegen.“
Man stelle sich einmal vor, etwas Ähnliches würde heute über irgendeine Bevölkerungsgruppe in unserem Land veröffentlicht und man würde den dahinter stehenden (Un)geist beschreiben wollen. „Rassismus“ wäre wohl der einzige dabei zutreffende Begriff. Wie aber, wenn dieser Begriff schon „verbraten“ wurde zur Beschreibung von Leuten, die eine Religion kritisieren, in deren Namen jeden Tag unsägliche Verbrechen verübt werden.
Um den Unterschied nochmals klar zu machen: In diesem Nazi-Text werden Juden als Rasse definiert, aus fadenscheinig begründeten rassischen Gründen gehasst und die dazu führende Haltung als positive Einstellung gelobt, und das in einem für den einfachen Mann konzipierten Konversationslexikon. Einem Juden laut Nazidefinition hätte und hat es nichts genutzt, aus seiner Religion auszutreten, sonst wäre Edith Stein nicht ermordet worden. Der Antisemitismus früherer Zeiten, z.B. bei Luther, dagegen war ausschließlich religiös.
Zudem, wenn jemand die negative Meinung über eine Religion als gleichbedeutend mit Rassismus ansieht, dann gibt es nichts Rassistischeres als den Islam. Denn während beispielsweise im 2. Vatikanischen Konzil auch anderen Religionen – nicht nur den monotheistischen, sondern auch dem Buddhismus gegenüber „Hochachtung“ (nicht nur Duldung!) bekundet wurde, gibt es für einen gläubigen Moslem kein größeres Verbrechen als Vielgötterei (shirk), vielleicht noch den Abfall vom Glauben (auch Abfall von anderen monotheistischen Religionen). Hinduisten und Atheisten werden also sicherlich nicht nur nicht als gleichwertige Menschen geachtet und hätten in einem islamischen Staat um ihr Leben zu fürchten.
Dies soll nun aber nicht heißen, dass Muslime (die Menschen, nicht die Religion) nicht auch Ungerechtigkeiten ausgesetzt sind. Wenn ein türkischstämmiger Student trotz guter Noten und höflichen Benehmens (wie einige meiner Studenten) eine Praktikantenstelle nur deshalb nicht bekommt, weil er Ahmed oder Mehmet heißt, so ist dies ein klarer Fall – nicht von Rassismus, Namen kann man ändern – sondern von Diskriminierung. Wenn der Student Afrikaner ist, vielleicht ebenfalls Ahmed heißt, das Praktikum aber wegen seiner Hautfarbe nicht bekommt, wäre es Rassismus. Wenn er die Stelle nicht bekommt, weil er sich klar als schwul outet, wäre es Homophobie (falls der Arbeitgeber noch nie mit Schwulen zu tun hatte) oder ebenfalls Diskriminierung.
Wenn er aber zum Vorstellungsgespräch mit langem Bart und in Salafistenkleidung auftaucht und fragt, ob es einen Gebetsraum im Gebäude gibt, so liegt keiner dieser Fälle vor. Es gibt gute Gründe für einen Arbeitgeber, so jemand nicht einzustellen, wie es auch gute Gründe gibt, jemand mit einer Hakenkreuztätowierung abzulehnen.
Beispiele für die Neudefinition von Begriffen zwecks Bekämpfung des politischen Gegners finden wir jedoch zu allen Zeiten. In den 60er Jahren wurde die Bundesrepublik von linken Studenten fast schon standardmäßig als faschist-oid bezeichnet, ihre konservativen Gegner sprachen einige Jahre später während des Schleyer-Entführung durch die RAF und den verschärften Sicherheitsmaßnahmen von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, in den Folgejahren wurden geradezu lächerliche Streitigkeiten um Fangquoten in der Fischerei als Kabeljau-Krieg bezeichnet und in einem Falle hat jemand auch die Gewissensprüfung für Kriegsdienstverweigerer als Folter bezeichnet.
Das Problem ist nicht nur, dass Bewohner eines wirklich faschistischen Staates, aktuell Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Syrien und wirkliche Folteropfer sich hier beleidigt fühlen könnten, sondern auch, dass zur Beschreibung ihrer unerträglichen Erfahrungen das dazu nötige Vokabular abhanden gekommen ist.
Der Begriff „Islamophobie“ ist leider mittlerweile ebenso ein Kampfbegriff geworden, mit dem unangenehme, aber dringend nötige Diskussionen abgewürgt und Menschen mit kritischer Einstellung zu den ideologischen Aspekten des Islam als eine Art unmoralische Hetzer (oder auch wörtlich als „Hassprediger“ wie kürzlich der Kabarettist Dieter Nuhr) diffamiert werden. Dies ist weder gerecht, noch langfristig im Interesse der hier lebenden Muslime, schon gar nicht im Interesse unseres Gemeinwesens.
In diesem Sinne soll dieser Beitrag verstanden werden nicht nur als Plädoyer für eine kritische Auseinandersetzung mit der Religion Islam, bei gleichzeitig respektvollem und freundlichem Umgang mit Menschen, die – oft nur durch Gruppenzwang und meist ohne tiefere Kenntnisse – sich zu dieser Religion bekennen, sondern auch für einen differenzierten und sorgsamen Umgang mit Begriffen.
Zuerst veröffentlicht in: imprimatur 48, 2015, 90-92