Zur Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht. Gibt es eine andere Perspektive?

Karl-Heinz Ohlig

Zur Forderung nach einem islamischen Religionsunterricht

in: imprimatur 39, 2006, 173.174 (ISSN 0946 3178)

Unsere muslimischen Mitbürger repräsentieren mittlerweile eine recht beachtliche Minorität, die in Zukunft, durch Migration und eine hohe Reproduktionsrate, noch weiter wachsen wird.

Es ist ihr gutes Recht, hierzulande – in Frankreich, an dessen staatlichen Schulen es keinen Religionsunterricht gibt, ist das anders – eine staatliche Gewährleistung einer religiösen Er­ziehung in der Schule zu fordern, die den christlichen Kirchen und Juden garantiert ist. Auch unsere Gesellschaft und der Staat haben ein Interesse daran, um die bisherige Regelung, eine Erziehung in den Koranschulen, aufzubrechen, deren Ideologie und Erziehungsmethoden zur Verfestigung einer weiteren Ghettoisierung und zum Unverständnis gegenüber den Erforder­nissen einer plu­ralistischen Gesellschaft führen.

Nun wird es schwer sein, einen islamischen Religionsunterricht einzuführen, in dem – analog zum evangelischen und katholischen Religionsunterricht – der Staat die formale, die Reli­gionsgemeinschaft die inhaltliche Aufsicht innehaben. Der Islam kennt keine kirchenähnliche Organisation und ist in den islamischen Ländern mit den jeweiligen Staaten eng verbunden, trotz gelegentlicher rechtlicher Trennung von Religion und Staat, die aber kaum irgendwo konsequent durchgeführt wird.

Es gibt eine Reihe von islamischen Dachverbänden in Deutschland, die meist miteinander konkurrieren und selbst wieder ein Zusammenschluss sehr verschiedener und weithin auto­nomer Verbände sind. Zudem grenzen sunnitische Verbände schiitische oder alevitische Gruppen aus und umgekehrt. Es ist nicht zu erkennen, wie sie zu einer gemeinsamen Linie für eine inhaltliche Gestaltung des Religionsunterrichts finden könnten und, darüber hinaus, mit welcher fachlichen Kompetenz sie die erforderliche Aufsicht wahrnehmen könnten. Ebenso fehlt es an entsprechend ausgebildeten Lehrern, deren Ausbildung an Hochschulen und Uni­versitäten den westlichen Standards einer Befähigung zum kritischen Umgang mit ihrem Stoff und einer Verpflichtung auf die vom Grundgesetz vorgegebenen Ziele entspricht.

Was ist zu tun? Es gab, z.B. im Saarland, Anträge auf Einführung des Fachs Islamkunde. Dies aber wurde abgelehnt, auch von den Kirchen, weil dies kein Religionsunterricht sei. Die hie­sigen Kirchen, evangelisch und katholisch, befürworten amtlicherseits einen islamischen Reli­gionsunterricht, was nicht unbedingt Zeichen von Toleranz, sondern auch Eigeninteresse sein kann: Gibt es einmal einen islamischen Religionsunterricht, kann niemand mehr diesen, und so auch nicht den der Kirchen, abschaffen.

Die Länder sind in einer schwierigen Lage. Die schulrechtlichen Regelungen für einen Islam­unterricht sind nicht gegeben. Wenn sie sich nicht über rechtliche und auch sachliche Kri­terien hinwegsetzen wollen, können sie einen solchen Religionsunterricht nicht einführen. Es fehlt an so gut wie allen Voraussetzungen, die erst nach längeren – und für den Fall einer islamischen Lehrerbildung – teuren Regelungen erfüllt werden könnten.

Andererseits ist die jetzige Situation unbefriedigend. Die Gefahr besteht, dass sie nach Zulas­sung eines muslimischen Religionsunterrichts noch schlimmer wird. In den Schulen, die ja doch (auch) zu einer sozialen Integration aller Bevölkerungsgruppen durch gemeinsame Er­zie­hung und Wertevermittlung verhelfen sollen, wären dann im Religionsunterricht Kinder und Jugendliche nach ihren – oft nur noch formalen – Religionszugehörigkeiten sortiert. Dies war gerade noch machbar, solange es um unterschiedliche Varianten des christlichen Reli­gions­­unterrichts ging; aber auch hier gibt es seit Langem berechtigte Forderungen nach einem öku­menischen Religionsunterricht.

Der konfessionelle Religionsunterricht aber führt glücklicherweise seit längerer Zeit schon nicht zur Segregation der Konfessionen, weil die meisten Religionslehrer ökumenisch denken und unterrichten. Zudem finden sie in ihren – evangelischen oder katholischen – Klassen meist eine Mehrheit von Kindern und Jugendlichen vor, die religiös so gut wie nicht soziali­siert oder gar engagiert sind und später gelegentlich – meist noch eine Minderheit – einen kir­chenfreien Ethikunterricht wählen. Immerhin aber hat diese Situation dazu geführt, dass Reli­gionslehrer auch die nicht kirchlich sozialisierten Schülerinnen und Schüler berücksichtigen, was in der Realität nur geht, wenn sie den Unterricht mehr „religionskundlich“ oder im Sinne einer allgemeinen christlichen Wertevermittlung – und nicht als „Verkündigung“ – gestalten, ohne dabei ihre persönliche Meinung zu verstecken.

Diese durch die wissenschaftliche Ausbildung der Lehrer sowie durch die Entwicklungen inner­halb der Religionspädagogik ermöglichte Veränderung des traditionellen Religionsunter­richts können Islamlehrer (noch) nicht mitmachen; hier muss leider eine gesellschaftliche und päd­agogische Regression erwartet werden.

Die Einrichtung von Religionsunterricht dreier Arten – evangelisch, katholisch, muslimisch, evtl. noch weiterer Religionen – ist keine Lösung. Zu fragen wäre, ob nicht die staatliche Ge­währleistung eines Unterrichts zum Thema Religion – diesen Fragebereich, wie z.B. in Frank­reich, auszublenden, wäre nicht gut und müsste zu Irrationalismen führen – besser durch einen gemeinsamen religionskundlichen (und ethischen) Unterricht gewährleistet wäre. Kenntnis der Religionen und religiöser Modelle der Lebensführung wäre ein wichtiges schulisches Ziel und könnte zu einem kritischen, emanzipierten Umgang mit der je eigenen Religion führen. Die Religionsgemeinschaften müssten – außerhalb der Schule – versuchen, Kinder und Ju­gendliche in ihren Gemeinschaften zu sozialisieren.