Zur Vor- und Frühgeschichte des Islam. Geschichte und Geschichten
Karl-Heinz Ohlig
1. Grundsätzliches
In so gut wie allen Gesellschaften findet sich die Überlieferung von Erzählungen und Geschichten, die für das eigene Selbstverständnis konstitutiv sind. Geschichten können kulturelle Identitäten begründen, seien sie ethnischer, nationaler, religiöser Art. Diese Funktion haben sie auch heute noch, obwohl wir über Wissen verfügen, das von ihnen unabhängig ist. Zu Zeiten aber, die noch nichts von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen z.B. zur Entstehung des Kosmos oder zur Evolution alles Lebendigen wussten, die ebenso keine Geschichtswissenschaften oder empirische Humanwissenschaften kannten, bestimmten sie beinahe ausschließlich „das Wissen“ von Welt und Mensch in den Gesellschaften und sicherten die je neue Erinnerung an die eigenen Prägungen und Besonderheiten, gleichgültig ob sie erzählt wurden oder geschrieben vorlagen.
Mit dem Aufkommen eines kritischen Denkens, in Ansätzen im Hoch- und Spätmittelalter, vor allem aber seit der Neuzeit und Aufklärung, wurden viele der seit alters her Orientierung und Sinn stiftenden Geschichten problematisiert. Kritisches Denken „unterscheidet“; es unterscheidet z.B. zwischen dem, was in einer Erzählung berichtet und intendiert wird, und dem, was tatsächlich passiert ist oder passiert sein könnte. Letzteres wurde durch die immer mehr verfeinerten historisch-kritischen Methoden, durch exakte philologische Untersuchungen, empirisch überprüfbare Datenerhebungen (in Geschichtswissenschaften, Archäologie, Epigraphik, Numismatik usf.) und Einbeziehung aller verfügbaren zeitgenössischen Quellen zu eruieren gesucht.
So wurden in Judentum und Christentum z.B. zahlreiche Geschichtenerzählungen als spätere Produkte – viele Jahrhunderte oder (für das Neue Testament) Jahrzehnte nach den berichteten „Ereignissen“ niedergeschrieben – erkennbar. Sie schildern eine „heilige Geschichte“ (historia sacra), wie sie sich die die späteren Autoren vorstellten, sie sind eine narrative Theologie der Späteren, die ihre Konzepte mit dem Rückgriff auf eine postulierte Vergangenheit erläutern und zugleich auch absichern wollten. Die Patriarchenerzählungen des Alten Testaments, mittlerweile auch Geschichten von späteren Geschehnissen und Personen, z.B. um Mose, Joschua, Saul, Salomo und David, oder die Wundererzählungen, die Kindheitsgeschichten oder Erscheinungsberichte des Neuen Testaments verloren ihre geschichtliche Grundlage. Man musste realisieren, dass die Geschichte anders verlaufen ist.
Vom historischen Standpunkt aus könnte man diese Geschichten als Erfindungen oder gar Fälschungen bezeichnen. Dies ist nach heutigem Verständnis sicher zutreffend, aber es beschreibt nur eine einzige Dimension dieser Geschichten, nämlich die unserer historischen Fragestellung (ist es so passiert, wie es geschildert wird?), die die damaligen Produzenten und Rezipienten der Erzählungen noch nicht kannten. Sie aber wollten, anhand von Reprojektionen in eine (ausgedachte) Vergangenheit, das herausstellen, klar machen und begründen, was ihnen in ihrer jeweiligen Gegenwart wichtig war. Der „Sitz-im-Leben“ für diese Erzählungen war nicht, Vergangenes so zu schildern, wie es tatsächlich war. Woher auch hätte man das denn auch, nach langen Zeiten, wissen sollen, ohne irgendwelche Quellen? Vielmehr sammelten die Erzähler oder Schreiber alle möglichen mündlichen oder auch, seltener, schriftlich vorliegenden Geschichten, Namen und Erzählmotive, die in ihren Kontexten in Umlauf waren, brachten sie in einen gänzlich neuen Zusammenhang, schufen weitere Erzählungen und platzierten sie in einer mythischen Vergangenheit, um damit die Gegenwart und Zukunft normativ zu bestimmen.
So trugen die Erzählungen von Romulus und Remus oder die Herleitung der eigenen Geschichte von Troja bei Vergil zur Begründung des römischen Staates und seines Weltreiches bei (ähnlich fand letzteres Motiv auch für die fränkischen Könige eine Nachahmung). Die Herleitung der äthiopischen Könige von der sagenumwobenen Königin von Saba befestigte die Identität Äthiopiens, die Konstruktion eines Aufenthalts des Petrus in Rom, eines von ihm dort ausgeübten Bischofsamtes und der darauf folgenden Sukzession der „Nachfolger des Petrus“ konnten den erst viel später entstandenen Primatsanspruch untermauern, die sogn. Konstantinische Schenkung – „die wohl berühmteste Fälschung der Weltgeschichte“[1]– bestimmte für lange Zeit in Europa das Verhältnis von Kirche und Staat, von Papst und Kaiser im Sinne der damaligen Fälscher. Die „Erfindung“, wie Johannes Fried mit guten Gründen aufgezeigt hat[2], eines Begründers des Benediktinerordens und der Benediktregel, des Benedikt von Nursia, legte für das abendländische kirchliche und kulturelle Leben ein sicheres und vor allem anschauliches und erzählbares Fundament.
Man denke nur an die nicht wenigen Heiligen und Märtyrer/innen der Antike, deren anschaulich erzählte Viten zu tugendhaftem und standhaftem Christenleben motivieren sollten, ohne dass es sie, wie wir heute wissen, tatsächlich gegeben hätte; die schönen Mythen um Elisabeth von Thüringen sollten bestimmte damalige christliche Wertvorstellungen transportieren usw. Auch Klöster oder Wallfahrtsorte schufen Erzählungen, durch die sie ihre Identität und Bedeutung begründen und sichern konnten.[3]
Allen diesen Geschichten ist unter historischen Gesichtspunkten gemeinsam, dass das Berichtete nicht auf tatsächlichen Geschehnissen beruht oder wenigstens nicht auf die erzählte Weise passiert ist. Dennoch gibt es bei diesen Geschichten Unterschiede: Einige sind absichtsvolle Fälschungen im eigentlichen Sinn; zu dieser Gattung gehört beispielsweise die Konstantinische Schenkung. Andere Geschichten aber sind wohl „wie von selbst“ entstanden, weil man bestimmte Hinweise aus späterer Sicht und auf Grund der bis dahin gelaufenen Entwicklungen mittlerweile so verstand – und vielleicht sogar verstehen musste.
Dies kann man wohl annehmen für die kärglichen Notizen, die im Sinne eines Aufenthalts des Petrus in Rom (usw.) gedeutet wurden; nachdem sich Jahrhunderte später der Primat der römischen Bischöfe im Westen der Kirche einigermaßen etabliert hatte, konnte man diese vom späteren Blickwinkel aus nur noch als gültige Hinweise auffassen, so dass sie sich allmählich zu einer kontinuierlichen Geschichte von Petrus an verdichteten. Zu dieser Gattung gehören wohl auch die meisten Gründungsmythen von Religionen, in denen sich umlaufende Erzählungen oder Namen aus der Sicht der späteren Erzähler zu einer mehr oder weniger zusammenhängenden – die Lücken wurden besten Gewissens aufgefüllt – Geschichte fügten.[4]
Aber selbst wenn z.B. der Verfasser der neutestamentlichen Apostelgeschichte nach – sagen wir einmal: rund 50 bis 60 Jahren – eine Petrusrede oder die Areopagrede des Paulus „erfindet“ oder unbekannte Kirchenleute noch einmal später unter dem Namen des Petrus Briefe oder über die „echten“ Paulusbriefe hinaus weitere unter seinem Namen niederschrieben (Pseudepigraphie), sie selbst also wohl wussten, dass nicht Petrus oder Paulus so gesprochen und geschrieben haben, wäre der Begriff Fälschung wohl unangemessen. Schrieben sie doch so, wie nach ihrer Überzeugung Petrus oder Paulus geredet oder geschrieben haben müssten – und damit ließ sich dann noch eine positive Wirkung erzielen, wenn man ihnen, anerkannten Autoritäten, die jeweiligen Inhalte in den Mund legte. Das für uns heute so zentrale Kriterium der historischen Authentizität spielte damals keine nennenswerte Rolle, ebenso wenig wie für Abschreiber von überlieferten Texten ein Bemühen um die Echtheit der Originale; man schrieb einfach weiter oder ergänzte sie mit Einschüben vom neuen „Wissensstand“ her – oder man schuf einfach ganz neue Schriften: So gibt es viele pseudepigraphe Schriften, z.B. Pseudo-Augustinus, Pseudo-Bonaventura usf. Vor allem die Spätantike und das Mittelalter, im Okzident wie im Orient, waren eine Brutstätte für die Produktion immer neuer Geschichten und Schriften, auch unter fingierten Autorennamen, sowie für die Einfügung neuer Textstücke in vorliegende Schriften im Vorgang des Kopierens (Interpolationen).
Mögen sich die beiden Gattungen auch gelegentlich überschneiden, so wäre es doch falsch, alle Geschichten über einen Kamm zu scheren und als Fälschungen zu bezeichnen. Dies allerdings tut der historischen Feststellung keinen Abbruch, dass sie nicht Geschichte wiedergeben, also, wenn man so will, „erfunden“ sind. Historisch wichtig sind sie nur insofern, als man an ihnen analysieren kann, was ihre Produzenten zu ihrer Zeit, in ihren Kontexten dachten und was sie angesichts ihrer Hörer bzw. Leser für wichtig hielten – im Fall religiöser Geschichten also: welche Theologie, welche kerygmatischen oder „politischen“ Interessen die späteren Verfasser vertraten.
Johannes Fried bezeichnet solche wirkmächtigen Geschichten als „Implantate ins kollektive Gedächtnis“[5] der jeweiligen Kulturen, oft ohne jegliches oder jedenfalls mit nur kärglichem historischem Fundament. In ähnlicher Weise bezeichnet der israelische Historiker Shlomo Sand[6] die Gründungsmythen Israels als ‚implantiertes Gedächtnis’.
Der Verdacht einer Implantation ohne historisches Fundament gilt vor allem für Geschichten, die sich auf (angebliche) mündliche Traditionen stützen:
„Alle Erfahrung lehrt, dass bei ausschließlich mündlicher Tradition, zumal wenn autoritative Momente in Anschlag zu bringen sind, mit extremer Selektion und unmerklicher Erinnerungsmodulation zu rechnen ist, ja, dass im Extremfall zwischen Mythos oder Sage, Erfindung und Realität nicht mehr unterschieden werden kann und Fiktionen als Wirklichkeit gelten.“[7]
Die historischen Probleme verstärken sich noch, wenn aus mündlichen Überlieferungen nur eine einzige schriftliche Aufzeichnung hervorgegangen ist:
„Höchste Vorsicht ist etwa geboten, wenn der gesamte Überlieferungsstrom nach langer (für den Historiker unkontrollierbaren) Mündlichkeit in eine einzige Quelle mündet, die durch keine Parallelquelle bestätigt werden kann.“[8]
Johannes Fried berücksichtigt vor allem die antike und europäisch-mittelalterliche, Shlomo Sand die jüdischen Traditionen. Aber die Feststellungen der beiden gelten ebenso für andere Kulturen. Uns interessieren hier die entsprechenden Implantate ins kollektive Gedächtnis der Muslime.
2. Zu den islamischen Geschichten
Alles, was islamische Gelehrte über die Geschichte der eigenen Religion erzählen und was westliche Islamwissenschaftler in der Regel bekräftigen, beruht auf Sammlungen bunter Geschichten: die vier „Biographien“ des Propheten, die Sammlungen der Sunna, die spanische Eroberungsliteratur[9]. Bei den Biographien handelt es sich um:
1. Die Sīra („Biographie“ Mohammeds) von Ibn-Hišām (gest. 834), die sich – tatsächlich oder fiktiv? – auf einen nicht erhaltenen Text von Ibn-Isḥāq bezieht;
2. eine Geschichte der Kriegszüge (Kitāb al-maġāzī) von al-Wāqidī, gest. 822;
3. ein Buch namens „Klassen“ oder „Generationen“ (Ṭabaqāt) von Ibn-Saʿd, gest. 845;
4. ein Buch „Annales“ (Ta’rīḫ) von al-Ṭabarī, gest. 922.
Die sechs kanonischen Ḥadīṯsammlungen („al-kutub as-sitta“) der Sunna werden folgenden Autoren/Redaktoren zugeordnet, wobei die beiden ersten Ḥadīṯsammlungen sind und die drei letzten auch unter dem Oberbegriff „sunan“-Werke zusammengefasst werden:
1. al- Buḫārī, gest. 870;
2. Abū Muslim, gest. 875;
3. Abū Dawūd (al-Siǧistānī), gest. 888;
4. al-Tirmiḏī, gest. 892;
5. al-Nasā’i, gest. 915;
6. Ibn Māǧa, gest. 886.
Diese sind allesamt erst einige Jahrhunderte nach den in ihnen thematisierten Ereignissen niedergeschrieben worden; einigermaßen zeitgenössische islamische Literatur zu diesen Abläufen gibt es nicht. Zudem drängt sich dem Leser dieser späteren Schriften deren legendarischer Charakter unmittelbar auf.
So bieten diese Schriften zwar durchaus historisch verwendbare Informationen, nämlich zu dem Denken und dem Vorstellungsmaterial ihrer Produzenten zur Zeit ihrer Abfassung. Sie zeigen, wie der Islam zu späteren Zeiten, in denen er sich in den jeweiligen Heimatregionen der Autoren durchgesetzt hatte, beschaffen war, und ebenso, wie diese Situation durch die Schaffung und den Rückgriff auf eine Vorgeschichte erklärt, begründet und somit gesichert werden sollte.
In Summe entwerfen sie – trotz aller Widersprüche und Ungereimtheiten – eine „heilige Geschichte“ von den Anfängen um den Propheten Mohammed in Mekka und Medina, über die dynamische Eroberung weitester Gebiete im Osten, Süden und Westen des Mittelmeers unter Führung der vier „rechtgeleiteten Kalifen“ und der Omaiyaden bis in die frühe Abbasidenzeit, in Spanien berichtet vergleichbare Literatur von der angeblichen Eroberung im Jahre 711 bis zum Sieg des Islam.
3. „Heilige Geschichte“ in den sogenannten Mohammedbiographien
Einen zentralen Teil an diesen Geschichten bilden Eroberungs- und Landnahmeerzählungen, die die je jetzige Situation islamischer Herrschaft legitimieren sollten. Anders als heute gab es damals, wie auch generell seit Beginn der Historischen Epoche der Menschheitsgeschichte, noch keine völkerrechtlichen Vorbehalte gegen solche Eroberungen; Bedenken dieser Art sind auch in Europa und weltweit erst in jüngster Zeit – noch nicht z.B. für die Verfestigung der territorialen Ergebnisse des letzten Weltkriegs – stärker geworden. Mit anderen Worten: Landnahmegeschichten konnten und sollten die siegreiche Herrschaft „geschichtlich“ legitimieren. Wer Land erobert hatte, dem gehörte es zu Recht bzw. von Gott gegeben. Dies war schon die Ursache für die alttestamentlichen Landnahmeerzählungen mit ihren blutigen Schilderungen. Auch hier handelt es sich um „Legitimationsgeschichten“, denen so gut wie jegliche historische Basis fehlt (Israel war nie so mächtig, dass es solche Siege hätte erringen und an den Unterworfenen den Bann vollziehen können). In der wirklichen Geschichte verliefen Besiedlungsvorgänge wie auch Herrschaftsübernahmen oft ganz anders.
Nun verfügten die jeweiligen Autoren der islamischen Erzählungen für die Zeiten, über die sie „berichteten“ und die einige hundert Jahre zurücklagen, nachweislich über keinerlei Quellenmaterial, auf das sie ihre Schilderungen von kriegerischen oder politischen Abläufen, über die handelnden Personen und die von ihnen gehaltenen Reden oder abgeschlossenen Verträge usf. hätten stützen können. Gelegentlich beriefen sie sich auf frühere Schriften, wie z.B. Ibn Hišām, angeblich gestorben 834, auf eine ältere Vorlage eines Ibn-Isḥāq, wiederum angeblich gestorben 768, oder spanisch-islamische Autoren auf literarische Quellen[10]. Leider ist deren Existenz nicht nachweisbar, und wenn es doch in seltenen Fällen (so vielleicht in Bezug auf die Sīra des Ibn-Isḥāq) einen älteren Text gegeben haben sollte, lässt sich nicht rekonstruieren, wie er vor seiner Bearbeitung durch die Späteren ausgesehen haben könnte. Diese Berufungen erweisen sich bei genauerem Hinsehen oft als bloße Versuche der späten Verfasser, ihre Schilderungen als zuverlässig erscheinen zu lassen.
In den meisten Fällen aber rekurrieren diese auf die bis zu ihnen überkommenen mündlichen Traditionen, von denen wir naturgemäß nicht wissen können, ob es sie gab, und wenn es sie gab, wie sie beschaffen waren. Aber eines ist historisch gewiss: Mündliche Überlieferungen über die Jahrhunderte hinweg müssen als historische Quellen ausgeschieden werden, weil sie sich je nach Erzähler und Adressatenkreis verändern, das weglassen, was nicht interessiert, und Neues, meist für die Erzähler und ihre Zuhörer in ihrer Situation Wichtiges oder auch nur Spannendes, hinzufügen. Natürlich wäre es prinzipiell möglich, dass irgendeine Information in den (aufgeschriebenen) Erzählungen durch unabhängige zeitgenössische Quellen bestätigt würde. Aber das trifft weder auf die Anfangsmythen der Biographien Mohammeds noch auf die weitere Frühgeschichte und ihre Akteure noch auf die Ḥadīṯe der Sunna noch – oder nur selten – auf die andalusische „Geschichtsschreibung“ zu.
Den Verdacht, dass die Berufung auf mündliche Erzählungen problematisch ist, gab es schon recht früh. Um dem zu begegnen, haben die islamischen Schreiber vielen ihrer Geschichten Überliefererketten (Isnād) vorangestellt, die über eine oft beeindruckende Fülle von mit Namen genannten Gewährsmännern in die Zeitgenossenschaft oder Augenzeugenschaft zu den berichteten Ereignissen oder Aussprüchen – z.B. des Propheten – führen. Diese Namen wurden mit der Zeit mit (nicht immer übereinstimmenden) Biographien unterlegt. Diese Schaffung von Überliefererketten und ihren Biographien ist eine poetische Meisterleistung, nur leider ohne historischen Wert. Die weitaus meisten dieser Gewährsmänner bis hin zu den Gefährten des Propheten oder auch dieser selbst lassen sich historisch nicht verifizieren.
Darüber hinaus erweisen sich viele solcher Berufungsadressen nicht nur als nicht nachweisbar, sondern als offensichtlich unhistorisch. Z.B. wird die als siebenjähriges Kind von dem mehr als fünfzigjährigen Propheten geheiratete ʿĀʾiša, die angebliche Lieblingsfrau Mohammeds, mit Namen und Geschichte erstmals im 9. Jahrhundert erwähnt und dann bald zur Gewährsfrau für recht umfängliche Komplexe von Mohammedworten. Hinzu kommt eine sehr detailreiche Biographie und Schilderung ihrer Beziehung zu Mohammed. Selbst intimste und privateste Begebenheiten und Worte zwischen den beiden, die gerade in diesem Bereich ja wohl niemand an die große Glocke hängt und für die es in der Regel keine Zeugen gab, haben offenbar den Weg in die Öffentlichkeit gefunden und wurden über die Jahrhunderte „getreu“ überliefert?
Ist das denkbar? Ist es vorstellbar, dass man – um einige Beispiele aus der Sīra des Ibn Hišām zu nennen – noch nach zweihundert Jahren mündlicher Tradition „weiß“, dass Mohammed einmal keinen Knoblauch und keine Zwiebeln aß, dass er bei einer Beerdigung zweiundsiebzig Gebete sprach, dass er kurz vor seinem Tod Abū Bakr, der als Vorbeter tätig war, in den Rücken stubste oder noch unmittelbar vor seinem Tod nach einem Zahnstocher verlangte usw. usw., dass alles das über lange Generationen von Erzählern historisch zuverlässig tradiert wurde? Es scheint umgekehrt zu sein: Je genauer die späteren Erzähler Bescheid wussten, umso mehr enthüllt sich der fiktionale Charakter der Geschichten. Je jünger eine Schrift und je weiter sie zeitlich von dem Berichteten entfernt ist, umso detailreicher erzählt sie, weil sie jetzt, unbehindert von jeglicher Realität, der Phantasie und den Erzählinteressen späterer Zeiten freien Lauf lassen konnte. Ähnlich verhält es sich in der christlichen Tradition mit apokryphen Evangelien oder Apostelakten, die eine Fülle von zusätzlichen Details überliefern, je jünger die Produktion umso mehr.
4. Jedermann einsichtige Beobachtungen zu den in der Tradition angegebenen Verfassern der „Biographien“
Diese Biographien bieten ein reichhaltiges Material mit vielen Einzelheiten, die allesamt von der mündlichen Überlieferung gestützt werden. Für ihre Autoren werden biographische „Informationen“ überliefert, die durch keinerlei überprüfbare Quellen gestützt sind, weder ihre Lebensdaten noch die -umstände: Nur der mythische Ibn-Isḥāq (gest. 768) und dessen Schrift, die Ibn-Hišām und ein weiterer Teil von ihr al–Ṭabarī angeblich vorlag, und (2) al-Wāqidī (gest. 823) sollen in Medina geboren worden sein, lebten dann aber in Bagdad. Dagegen ist (1) Ibn-Hišām (gest.834) laut der biographischen Überlieferung in Basra (heute Irak) geboren, studierte in Kufa und lebte in Ägypten; auch (3) Ibn Saʿd (gest. 845) stammte aus Basra und verbrachte sein Leben in Bagdad. Noch schwieriger wird es mit (4) al–Ṭabarī (gest. 922/923), einem Perser aus Amol in Tabiristan, der in Bagdad gestorben sei. Bei allen ist eine biographische Verknüpfung mit der behaupteten Ursprungsregion des Islam und den dort vielleicht noch möglichen (?) mündlichen Traditionen nur sehr sporadisch oder gar nicht gegeben. Bei ihnen dominieren „Autoren“ östlicher Herkunft; dort waren anscheinend die Geschichten über die Anfänge des Islam (entstanden? und) verbreitet.
Aus weiteren Gründen ist vor allem Werk und Biographie des al–Ṭabarī interessant: Seine Annalen sind äußerst umfänglich, sie umfassen in der englischen Übersetzung 38 Bände; zusätzlich wird ihm noch ein (berühmter und bis heute genutzter) Korankommentar, 30 Bände, zugeschrieben. Wenn er auch angeblich recht alt wurde – mehr als achtzig Jahre –, ist eine solche Schreibleistung für ein Individuum so gut wie unmöglich, zumal wenn man annimmt – und (nicht nur) für seinen Korankommentar verhält es sich sicher so –, dass er vor dem Schreiben auch noch gesammelt und nachgedacht hat. Wahrscheinlich hat man sich die Ursprünge der Annalen (und des Korankommentars) eher bei einer Schreibergruppe oder –schule in der Stadt Täbris, nach der der fiktive Autor dann benannt wurde, vorzustellen. Dafür würde auch sprechen, dass eine kürzere Fassung des Werks in persischer Sprache erhalten ist, gängigerweise als gekürzte Übersetzung des arabischen Originals interpretiert. Könnte es sich hierbei nicht um eine ältere Version handeln, die erst später in arabische Sprache übertragen und dabei, wie das so gut wie immer bei späteren Versionen der Fall war, erweitert wurde? Zudem fällt auf, dass seine Annalen und auch sein Korankommentar in einem „moderneren“ Arabisch geschrieben und für heutige Muttersprachler einigermaßen problemlos zu lesen sind. Dieses Arabisch gab es zur Zeit des behaupteten al–Ṭabarī noch nicht, wie Vergleiche mit damaligen Schriften zeigen. Volker Popp und Christoph Luxenberg nehmen aufgrund philologischer Beobachungen an, dass die heutige Fassung erst im 12. oder 13. Jahrhundert in Ägypten ihre Gestalt gefunden hat.
Auch für die übrigen „Biographien“ ist die Handschriftenüberlieferung ungewiss. Es ist nicht auszumachen – darum bemüht sich die Islamwissenschaft nicht –, ob die oft erst viel später vorliegenden Handschriften erweiterte Fassungen sind, in die noch Vieles aus der späteren Tradition eingeflossen ist.
5. Zur literarischen Eigenart der Mohammedbiographien
Die vier Mohammedbiographien enthalten sehr viele schon auf den ersten Blick legendarische Erzählungen. Da ist die Rede von einer nächtlichen Reise des Propheten von Jerusalem aus durch die Himmel, von vielen seiner Wundertaten, seinem übermenschlichen Wissen usw. Diese Geschichten werden heute noch von den meisten Muslimen geglaubt.
Viele Islamwissenschaftler, die keine Muslime sind und eine rationale Distanz zu solchen wunderbaren Begebenheiten haben, übergehen sie vornehm, wenn sie z.B. die Sīra als Quelle für ihre Ausführungen zu Mohammeds Leben benutzen, oder sie lehnen sie auch explizit ab. Sie stützen sich aber dennoch auf die übrigen Erzählungen, die anscheinend Historisches wiedergeben, jedenfalls ohne Wundersames auskommen.
Die mögliche Historizität der Geschichten wird also auf eine recht einfache Weise festgestellt: Man sondere alles aus, was offensichtlich mirakelhaft ist, und beschränke sich auf die übrigen (quantitativ umfänglicheren) Ausführungen, deren Geschichtlichkeit dann, wenigstens prinzipiell, angenommen wird.
Hans Jansen schreibt in seiner Mohammedbiographie zu dem islamwissenschaftlichen Umgang mit der nächtlichen Himmelsreise des Propheten:
„Montgomery Watt erwähnt die Himmelsreise in seiner maßgeblichen, aber inzwischen veralteten Mohammed-Biographie nicht.[11] Das stimmt mit der Anlage seiner beiden Bücher über das Leben des Propheten überein: so wenig wie möglich Aufmerksamkeit für überirdische Erscheinungen, mit Ausnahme der Offenbarung des Korans. Das ist ein bewundernswerter, in gewissem Sinne rationaler Standpunkt, doch im Lichte der vielen großen und kleinen Wunder, die die älteste Mohammed-Biographie von Ibn Ishâq enthält, ist es fraglich, wie ehrlich es einem modernen Publikum gegenüber ist, ein stark gesäubertes Bild von dem zu bieten, was die islamische Tradition über das Leben Mohammeds zu berichten hat.“[12]
Bei diesem einfachen, aber für den Historiker absurden Verfahren, das auch noch die Mohammedbiographie von Tilman Nagel[13] anwendet, wird übersehen, dass die Gesamtheit der Texte Material bietet, das nur scheinbar Geschichte erzählt. In Wirklichkeit ist es durchzogen von zahllosen Topoi und Motiven, die meist biblische Hintergründe haben. Schon Albrecht Noth hat 1973 festgestellt, dass die Traditionsliteratur eine Fülle von Themen, Formen und Topoi bietet, so dass ihre Verwendung als historische Quelle problematisch oder gar unmöglich ist.[14]
Die Mohammedbiographie von Hans Jansen, der sich auf die Sīra stützt, zeigt eine solche Fülle von biblischen Bezügen und Motiven auf, die auch die Erzählungen zum Leben Mohammeds bewirkt und ausgestaltet haben, und grundsätzlich darüber hinaus die Stilisierung der Geschichte Mohammeds zu einer „heiligen Geschichte“. Es ist beinahe unverständlich, wie man diese Texte, auch nur in Teilen (in welchen, und nach welchen Kriterien?), als Geschichtsquellen ansehen kann. Diese Beobachtungen zur Sīra können natürlich ebenso auf die übrigen kanonischen Biographien angewendet und von dort her bestätigt werden.
Ein Beitrag im Literaturteil der Süddeutschen Zeitung vom 01.03.2011 (Nr. 49, S. 14) referiert Thesen von Angelika Neuwirth zu ihrem Buch „Der Koran als Text der Spätantike“[15]. Dort heißt es:
„Die Zeit ihres höchsten Ruhms liegt für die deutsche Islamwissenschaft rund hundert Jahre zurück. Ignaz Goldziher und Theodor Nöldeke legten damals Studien zum frühen Islam, zum Koran und zur Entstehung des islamischen Rechts vor, an denen noch heute kein Weg vorbeiführt.“
Wie wahr. Aber leider verlässt A. Neuwirth in ihrem Buch und in ihren sonstigen Arbeiten zentrale Grundlegungen dieser Gewährsmänner und geht Wege, die an ihnen vorbei führen.
So hat z.B. Ignaz Goldziher in einem Vortrag an der Sorbonne in Paris im Jahr 1900 ausgeführt:
„Je weiter wir in der kritischen Prüfung der frühen Dokumente des Islam vorankommen …, desto mehr können wir uns davon überzeugen, dass die muslimische Tradition (Hadiṯ), die nach dem Koran unsere zeitlich älteste Informationsquelle darstellt, nur in geringem Maße uns in die frühe Kindheit des Islam zurückführt … Niemand, der seriös Islam-Studien betreibt, würde es wagen, die Mohammed und seinen Gefährten zugeschriebenen Aussprüche als Quelle zu benutzen, um ein Bild vom frühen Zustand und den ursprünglichen Lehren des Islam zu entwerfen. Die moderne historische Kritik lässt uns gegen eine solche vorsintflutliche Betrachtungsweise auf der Hut sein.“[16]
Leider lebte die „vorsintflutliche Betrachtungsweise“ munter fort, Geschichten wurden und werden weiterhin, anders als Goldziher dachte, die Grundlage von angeblich realen Abläufen, wie sie in der Islamwissenschaft propagiert werden.
In gleicher Weise wie die „Biographien“ sind auch die islamischen Schriften zur Geschichte der Eroberungen und des Islam in Spanien von Variationen biblischer Motive und Topoi geprägt.[17] Zur Eroberungsgeschichte z.B. des Ibn ʿAbd al-Ḥakam folgert J. Thomas:
„Es zeigt sich, dass es weniger um die Eroberung und gar nicht um Geschichte im heutigen Sinn geht, sondern primär um das Erzählen von ‚Geschichten’ biblischer und anderer Provenienz um das Eroberungsthema herum.“[18]
Das hindert weder spanische Historiker noch Islamwissenschaftler daran, aus diesen Quellen eine „heilige Geschichte“ der Eroberung Spaniens wie eine reale Geschichtsdarstellung zu behandeln. Geschichten dominieren die kritische Untersuchung von Geschichte, ganz anders, als es Goldziher (der sich allerdings zu Spanien m.W. noch nicht geäußert hat) vor mehr als hundert Jahren postuliert hatte.
6. Der autoritative Anfang und Mittelpunkt Mohammed in den sechs kanonischen Sammlungen der Sunna
In den Sammlungen der Sunna dreht sich alles um Worte Mohammeds, mit denen er auf Fragen reagiert bzw. diese autoritativ löst, die es oft z.Zt. der Abfassung des Koran noch nicht gegeben hatte. Das Leben in der Umma bzw. in arabischen Großreichen warf Probleme rechtlicher, ethischer usw. Dimensionen auf, für die der Koran keine Anhaltspunkte bot. Es scheint so, als sei alles, was die damaligen Traditionen/Schreiber/Redaktoren für verbindlich hielten, in der Autorität Mohammeds verankert worden.[19] So steht er auf eine Weise im Mittelpunkt, die zumindest der Koran nicht kennt.
Es erscheint eigenartig, dass die angeblichen Autoren der sechs „kanonischen“ Sammlungen der Sunna laut ihren „Biographien“ – darauf verwies auch ein Leser unserer Bücher – fern der Arabischen Halbinsel geboren wurden und lebten: (1) Al-Buḫārī (gest. 870) ist nach seinem Geburtsort Buḫārā in Samarkand (heute Usbekistan) benannt und lebte später in Nischapur (in heutigen Iran); (2) Abū Muslim bn. al-Ḥaǧǧāǧ (gest. 875) wurde in Nischapur geboren; (3) Abū Dawūd (gest. 888) stammt aus Siǧistān in Khorasan und schrieb in Bagdad; (4) al-Tirmiḏī (gest. 892) wurde in Bugh (im heutigen Turkmenistan) geboren, (5) al-Nasā’ī (gest. 915) in Nosa in Khorasan und lebte schließlich in Ägypten, (6) Ibn Māǧā (gest. 887) war ein Perser aus der Stadt Qazrin.
Alle stammten also aus Regionen, die von dem behaupteten Lebensraum des Propheten weit entfernt lagen, wo aber seltsamerweise trotzdem eine Überfülle von Mohammedworten und –begebenheiten verbreitet war (?). Vielleicht kann sich hinter diesen konstruierten Biographien noch ein historisch interessantes „Wissen“ erkennen lassen darum, dass die Anfänge des Islam in Mesopotamien und noch östlich davon gelegenen Gebieten zu suchen sind.
Aber natürlich ist eine „zuverlässige“ mündliche Tradition nicht nur über Jahrhunderte hinweg, sondern auch noch über riesige geographische Distanzen sowie in fremden kulturellen Kontexten, die gänzlich anders waren als die angeblichen Ursprünge in Mekka und Medina, undenkbar.
Dies haben wohl auch die Konstrukteure der Biographien empfunden, und so lassen sie alle Autoren weite Reisen, gelegentlich – nicht bei allen – auch in die „Heimat“ des Propheten unternehmen. Dabei sollen sie jeweils, das klingt nach Tausendundeiner Nacht, bei Hunderten von Gelehrten – allein al-Buḫārī über tausend (wo soll es die gegeben haben?) – studiert und alle möglichen Ḥadīṯe, gigantische Zahlen werden genannt, gesammelt und aus ihnen eine Auswahl getroffen haben. Allein al-Buḫārī hat aus diesem Material 2.800 Ḥadīṯe ausgewählt und in 97 Büchern publiziert, auch Abū Dawūd brachte es auf 4.800, Tirmiḏī auf 3.956, Ibn Māǧā auf 4.341 Ḥadīṯe (Von diesen gewaltigen Stoffmengen her erklärt es sich, dass heute noch islamische Gelehrte, die alles das lernen und kennen sollten, so beeindruckend lange „studieren“ müssen).
Die Schreibleistung dieser Sammler ist immens, zumal wenn man bedenkt, dass alle zunächst einmal eine viel größere Zahl an Ḥadīṯen – für Muslim z.B. werden 300.000 Ḥadīṯe genannt – anhören oder lesen (?) und aus ihnen auswählen mussten. Es gehört schon eine große historische Naivität dazu, zum einen hinter diesen tatsächlich gigantischen Sammlungen einzelne Autoren anzunehmen, ihre Biographien für plausibel zu halten und erst recht nach rund zweieinhalb Jahrhunderten aus den mündlichen Traditionen, die diesen Sammlungen in von den Ursprüngen weit entlegenen Gebieten angeblich zugrunde lagen, noch geschichtliche Informationen gewinnen zu wollen. Es handelt sich wohl um Kollektive von Schreibern, die im Lauf der Zeit immer mehr Geschichten hinzugefügt haben.
Als Resümee bleibt, dass es ein ungeheuer reichhaltiges und quantitativ beeindruckendes Schrifttum zu Mohammed und den Anfängen des Islam aus dem 9. und 10. (evtl. noch aus dem 12.) Jahrhundert gibt, dieses aber für die reale Geschichte der Frühzeit des Islam nichts hergibt. Es handelt sich vielmehr um den Islam des 9. und 10. Jahrhunderts, der erläutert wird mittels Geschichten und Überlieferungen, die eine Vorgeschichte konstruieren, auf der man aufbauen konnte. Es handelt sich um ätiologische Geschichten, nicht Geschichte.
Der Koran selbst ist in dieser Hinsicht auszunehmen. Abgesehen von den sogn. Straflegenden, die er oder die vorherige Tradition aus alttestamentlichen sowie in den Stämmen verbreiteten Geschichten zusammengestellt hat, kennt er nur knappe Übernahmen von Erzählstücken aus der biblischen Tradition (im weitesten Sinn); meist werden auch diese nur kurz angesprochen und ihre Kenntnis bei den Zuhörern vorausgesetzt.
Ansonsten fehlen eigenständige narrative Texte, der Koran bietet, abgesehen von der ersten Sure, prophetische Verkündigung oder Schriftauslegung, wenn auch durchaus mit Anspielungen auf verbreitete Erzähltraditionen. Er „berichtet“ nichts von Mohammed, seinem Leben oder seiner Verkündigungstätigkeit in Mekka und Medina, er bietet keine Geschichten. Weil er keine „heilige Geschichte“ erzählt (aber als Hintergrund die biblische Geschichte nutzt), konnte diese später, nach zwei- bis dreihundert Jahren, ohne große Probleme geschaffen werden und dann den koranischen Sprüchen unterlegt werden.
7. Zum Zustandekommen der „Heiligen Geschichte“
An dieser Stelle wurde darauf verzichtet, einzelne Materialien aus den vier „Biographien“ oder den Sammlungen der Sunna detailliert zu analysieren und auf ihre mögliche historische Plausibiliät zu befragen. Vielmehr handelt es sich um leicht für jeden Leser nachzuvollziehende Beobachtungen anhand der Rahmenbedingungen für ihr Zustandekommen, wie sie in der traditionellen muslimischen Theologie und leider auch in weitesten Teilen der Islamwissenschaft behauptet werden.
Die Traditionsliteratur selbst ist so beschaffen, dass bei einer unvoreingenommenen Herangehensweise Informationen zu den ersten beiden „islamischen“ Jahrhunderten (7. und 8. Jahrhundert n.Chr.) nicht oder nur in einzeln zu begründenden Ausnahmefällen zu erwarten sind. Sie als solche Geschichte zu akzeptieren, setzt ein sacrificium mentis voraus, das aber offensichtlich und erstaunlicherweise vielen keine Probleme macht; man lese nur, was in islamwissenschaftlichen Handbüchern und Monographien oder im Internet angeboten wird. Für den Historiker aber bietet diese schriftliche Überlieferung Geschichten, nicht Geschichte.
Das ist keine Abwertung. Manche Geschichten sind beeindruckend, ebenso sind nicht wenige Ḥadīṯe aus den kanonischen Sammlungen bedenkenswert. So sind auch die fünfhundert Jahre nach dem vermuteten „Leben Buddhas“ aufgezeichneten Begebenheiten aus seinem Leben und seine Reden spätere, aber oft human wertvolle Konstruktionen; aber auch sie bieten keine Geschichte. In beiden Fällen handelt es sich um in weitem Zeitabstand entstandene oder entworfene Anfangsmythen einer Religion.
Die geschichtlichen Abläufe selbst müssen grundsätzlich immer aus möglichst zeitgenössischen Quellen – bei aller ihrer Fragmentarität – mühsam erarbeitet werden. Ein schwieriges, aber keineswegs gänzlich erfolgloses Geschäft. Dabei ergibt sich in Bezug auf die Frühzeit des Islam eine andere Geschichte, die aber immerhin anhand von Quellenmaterial überprüft und in ihren Ergebnissen wissenschaftlich diskutiert werden kann.
Gelegentlich kann man gegen diese – hier nur sehr oberflächlich dargebotenen – Überlegungen den Einwand hören, dann müsse man für diese „heilige Geschichte“, was nicht denkbar sei, eine gewaltige Fälschertätigkeit der „Autoren“ annehmen. Gemäß der Website des WDR heißt es zu Tilman Nagel:
„Nagel gibt zu bedenken, dass nur ein Superhirn zu einer solchen Inszenierung in der Lage gewesen wäre.“[20]
Vielleicht wollte er mit diesem Argument seine neue und sehr umfängliche Mohammedbiographie[21] schützen, die auf dem hier thematischen Schrifttum basiert.[22] Aber hier irrt der Fachmann für arabische Philologie. Für den Historiker sind die Produktionen solcher Geschichten nichts Erstaunliches und sie benötigen zu ihrer Erklärung keineswegs das Postulat nach einem „Superhirn“.
Anfangsmythen können auch „wie von selbst“ entstehen und, wenn sie einmal in Ansätzen gegeben sind, mit immer neuem Material angereichert werden. So bildet sich dann im Lauf der Zeit eine kontinuierliche, wenn auch nicht in allen Aspekten stimmige „heilige Geschichte“ aus, die die später lebenden Gläubigen zur Selbstvergewisserung und zur Erklärung ihrer Vorstellungen brauchen.
Hierfür mussten die Erzähler/Schreiber nicht beim Nullpunkt anfangen. Es stand ihnen schon eine „heilige Geschichte“ zur Verfügung, die sie schon lange internalisiert hatten: die alt- und neutestamentliche „Geschichte“. Diese musste nur weiter geschrieben werden – so fangen die Annalen des al-Ṭabarī bei Adam an – und konnte auf die Topoi der biblischen Tradition zurückgreifen – so zeigt z.B. Hans Jansen in seiner Mohammedbiographie, dass die Sīra nach dem Modell des Richterbuchs konzipiert ist und, wie ausgeführt, eine Fülle biblischer Motive aufgreift.
Die Erzählungen werden nicht selten von in der eigenen Tradition überlieferten Namen oder auch nur vermeintlichen Namen als Kristallisationspunkte ausgelöst, um die sich dann ein Kranz von erklärenden Geschichten rankt. So ist es z.B. durchaus nachvollziehbar, dass im Verlauf des 2. Jahrhunderts H. (8. Jh. n. Chr.) der Begriff muḥammad (der Gelobte /Gepriesene bzw., je nach Kontext, der zu Lobende/Preisende) in den Mittelpunkt rückte, der vorher in der koranischen Bewegung ein Prädikat des zentralen christlichen Bezugspunktes ist, des „Messias Jesus, Sohn der Maria“, wie es in Koran (Sure 4,17) und in der Felsendominschrift heißt. Dieser Würdename löste sich erst mit der Zeit von seinem bisherigen Subjekt und verselbständigte sich zu einem arabischen Verkünder, Propheten und Gewährsmann der koranischen Sprüche. Nach der Etablierung der koranischen Bewegung zu einer eigenen Religion, dem Islam, um das Jahr 800, wurde er zur zentralen Gestalt dieser neuen Religion. Bedarf es dann eines „Superhirns“, ihm eine Biographie zu schaffen, ihn und die Anfänge des Islam auf der Arabischen Halbinsel zu platzieren, nachdem das Wissen um die anderen „Arabien“ mittlerweile geschwunden war? [23] Ist ein „Superhirn“ zu postulieren, wenn sich um den Namen ʿAli, der seit gnostischen und christlichen Zeiten im Vorderen Orient verbreitet war, eine eigenständige „geschichtliche“ Figur herausschält, die dann im 9. Jahrhundert mit der Mohammed-Tradition verknüpft wurde?[24]
Der erste historisch greifbare Herrscher der arabischen Frühgeschichte ist Muʿāwiya. Ist es erstaunlich, dass die Zwischenzeit bis dahin „aufgefüllt“ wurde mit den sogn. vier „rechtgeleiteten Kalifen“, deren Vierzahl wie auch ihre Namen ursprünglich theologische Motive charakterisieren, die sich dann aber leicht zu handelnden Personen wandelten, mit zahlreichen – meist biblisch motivierten – biographischen Details?[25]
Wie gesagt, ist Muʿāwiya der erste nachweisbare Herrscher. Bei ihm lässt sich schön beobachten, wie tatsächlich historische Menschen – das wird in der Folgezeit noch häufiger vorkommen – in die „Heilige Geschichte“ eingeordnet wurden, wobei dann hin und wieder auch reale historische Notizen in den Bericht einfließen können.
Aber diese Einordnung erfordert ihren Tribut einer weitgehenden Umwandlung. So bezeichnete sich – er mag als Beispiel dienen – der angebliche Muʿāwiya, selbst in der auf griechisch geschriebenen Gadara-Inschrift, mit seinem aramäischen Namen Maavia, der in der Traditionsliteratur arabisiert und mit einer genealogischen Verbindung mit Mekka versehen wurde. Er wurde zum islamischen Herrscher, obwohl er ausweislich von Münzen und Inschriften ein Christ war.[26]
Wenn die Islamwissenschaft die frühislamische Geschichte nicht vom späteren Traditionellen Bericht her deuten würde, hätte ihr der eigenartige Name Maavia, der „Heuler“ („Weiner“ o.ä., ein lautmalerischer Name) auffallen müssen. Wieso bezeichnet sich ein Herrscher auf diese, nicht gerade imperiale Weise? Sicherlich weil er, wie nicht zu Unrecht vermutet wurde, die in der Antike hochgeschätzte „Gabe der Tränen“, z.B. bei der Betrachtung der Passion Jesu, besaß. Es scheint aber noch einen konkreteren Hinweis zu geben: Jean Maurice Fiey berichtet in seinem Buch „Saints Syriaques“[27] von einem aus der Theologiegeschichte bekannten (der alexandrinischen Theologie bzw. dem Monophysitismus zuneigenden) Mönch namens Barsauma aus der Gegend von Samosata (gest. 458), der „chef des pleureurs“, Anführer der Heuler, der Maavias, war. Diese nun waren nicht nur fromme Mönche und friedliche Klosterinsassen, sondern militante Gesellen, die unter seiner Führung 438 die in Jerusalem wieder ansässigen Juden vertrieben, während des Konzils von Ephesus im Jahr 449 (Leo I.: „Räubersynode“) nicht vor Handgreiflichkeiten gegen die Konzilsteilnehmer zurückschreckten und zum Konzil von Chalkedon 451 mit einer Horde von angeblich 1.000 Mönchen anrückten, die aber verjagt wurden.[28]
Gab es diese Bewegung im Vorderen Orient noch bis in die erste Hälfte des 7. Jahrhunderts und hat man Maavia von hierher zu verstehen als Anführer einer militanten Mönchsgruppe, der auf dieser Basis ein erstes arabisches Großreich geschaffen hat? Dies könnte manches, auch an in der Tradition überlieferten Assoziationen, erklären, so z.B. dass er das riesige Gebiet beherrschen konnte ohne staatliche Strukturen, ohne institutionelle Funktion usf. (wenn man so will: nach Art eines – christlichen – Chomeini). Die Einordnung in die „heilige Geschichte“ des Traditionellen Berichts musste ihn offensichtlich umformen, damit er in ihren Verlauf und die religiösen Tendenzen eingebaut werden konnte. So geschah es zwangsläufig auch bei späteren Potentaten, selbst wenn wenigstens ihre Existenz historisch nachweisbar sein sollte. Mit anderen Worten: Auch Relikte tatsächlicher Geschichte werden bis zur Unkenntlichkeit umgedeutet, m.E. „wie von selbst“, ohne große schöpferische oder planende Intelligenz, die dahinter angenommen werden müsste.
Diese Prozesse sind in ihren Motiven und Rastern nachvollziehbar. Und man muss bedenken, dass auf diese Weise in allen möglichen Kulturen und Religionen historische Überlieferungen in vorgegebene Rahmenvorstellungen eingepasst wurden. Singulär in Bezug auf unsere Thematik ist lediglich, dass im Islam trotz aller Reibungen mit historischen Feststellungen und Quellen das entsprechende Schrifttum positivistisch als wahre Geschichte behauptet wird, das man nicht in Zweifel ziehen darf. Damit sind Untersuchungen mittels historisch-kritischer Methoden in islamischen Gesellschaften tabuisiert. Diesen Tabus schließen sich leider auch große Teile der Islamwissenschaft an.
8. Resümee
Der muslimische Anfangsmythos, auf Geschichten begründet, scheint ein „Implantat ins kollektive Gedächtnis“ (J. Fried) der Muslime zu sein. Vielleicht aber ist der Begriff „Implantat“ in diesem Fall ein wenig unangemessen, er klingt wohl zu sehr nach bewusster Konstruktion oder Manipulation, wie es etwa für die Konstantinische Schenkung oder die Schaffung eines Benedikt zutrifft. Das war hier sicher nicht der Fall. Wenn man so sagen will, handelt es sich bei diesem Mythos, wie mehr oder weniger in allen Religionen, um ein im Zuge der damaligen spezifischen Entwicklungen und Kontexte im Binnenraum – beinahe organisch – „gewachsenes Implantat“. Seine Basis bilden seit alters her vorgegebene, vor allem biblische Raster und Motive, die einfach fortgeschrieben und mit neuen Inhalten angereichert wurden. So ergab sich eine Gesamtkonzeption, die – bei allen Widersprüchlichkeiten und literarisch-theologisch-ethischen Schwächen der kurz vorgestellten Literatur – starke religiöse Resonanz finden und leicht verinnerlicht werden konnte.
[1] Johannes Fried, Das Mittelalter. Geschichte und Kultur, München vierte Auflage 2009, 95.
[2] Johannes Fried, Ungeschehenes Geschehen. Implantate ins kollektive Gedächtnis – eine Herausforderung für die Geschichtswissenschaft (Millenium 5/2008. Jahrbuch für Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends, hrsg. von W. Brandes, A. Demandt, H. Leppin, H. Krasser u. P. von Möllendorf), Berlin, New York 2008, 1-36; vgl. ders., Das Mittelalter, a.a.O. 38.
[3] Vgl. z.B. die Studie von Christofer Zwanzig, Gründungsmythen fränkischer Klöster in Früh- und Hochmittelalter (Beiträge zur Hagiographie, Bd. 9), Stuttgart 2010.
[4] Vgl. hierzu vom Verf., Von Bagdad nach Merv. Geschichte, rückwärts gelesen, in: Markus Groß / Karl-Heinz Ohlig Hg.), Vom Koran zum Islam (Inârah. Schriften zur frühen Islamgeschichte und zum Koran, Bd. 4), Berlin 2009, 29-106; für die Anfangsmythen bes. 56-63.
[5] So der Untertitel seines Aufsatzes „Ungeschehenes Geschehen“, a.a.O.
[6] Shlomo Sand, Die Erfindung des jüdischen Volkes. Israels Gründungsmythos auf dem Prüfstand (erste Auflage 2008), zweite Auflage (deutsche Übersetzung aus dem Hebräischen von Alice Meroz) Berlin 2010. Der zweite Abschnitt seiner Einleitung trägt die Überschrift „Das implantierte Gedächtnis“ und bezieht sich auf die biblischen und nachbiblischen Gründungsmythen Israels (40-52).
[7] J. Fried, Ungeschehenes Geschehen, a.a.O. 18.
[8] Ders., ebd.
[9] Vgl. zur spanischen Geschichte die drei Beiträge von Johannes Thomas, Frühe spanische Zeugnisse zum Islam …, in: Markus Groß / Karl-Heinz Ohlig (Hg.), Schlaglichter. Die beiden ersten islamischen Jahrhunderte, Berlin 2008, 93-186; „Ibaditen“ / Kharidjiten“ / „Mutaziliten“ …, in: M. Groß / K.-H. Ohlig (Hg.), Der frühe Islam. Eine historisch-kritische Rekonstruktion anhand der zeitgenössischen Quellen, Berlin zweite Aufl. 2010, 250-321; Arabo-islamische Geschichtsschreibung und ihre Auswirkungen auf Geschichtsbilder von al-Andalus (8. Jh.) …, in: Markus Groß / Karl-Heinz Ohlig (Hg.), Die Entstehung einer Weltreligion I. Von der koranischen Bewegung zum Frühislam (Inârah. Schriften zur frühen Islamgeschichte und zum Koran, Bd. 5), Berlin 2010, 140-232.
[10] Vgl. hierzu die Erörterungen von Johannes Thomas (Anmerkung 8).
[11] W. Montgomery Watt, Muhammad at Mecca, Oxford 1953, und ders., Muhammad at Medina, Oxford 1956.
[12] Hans Jansen, Mohammed. Eine Biographie (aus dem Niederländischen übers. von Marlene Müller-Haas), München 2008, 186.
[13] Tilman Nagel, Mohammed. Leben und Legende, München 2008.
[14] Albrecht Noth, Quellenkritische Studien zu Themen, Formen und Tendenzen frühislamischer Geschichtsüberlieferung, Teil I: Themen und Formen, Selbstverlag des Orientalischen Instituts der Universität Bonn, Bonn 1973.
[15] Angelika Neuwirth, Der Koran als Text der Spätantike. Ein europäischer Zugang, Berlin 2010.
[16] Ignaz Goldziher, Islam und Parsismus (Islamisme et Parsisme), Vortrag bei der allgemeinen Sitzung des ersten Internationalen Kongresses für Religionsgeschichte am 6. September 1900 (Originaltitel: Islamisme et Parsisme, in: Actes du premier Congrès international d’histoire des religions, 119-147, wieder abgedruckt in: Der., Gesammelte Schriften, Bd. IV, hg. von Joseph Desomogyi, Hildesheim 1970, 232-260). Deutsche Übersetzung von Werner Müller in: K.-H. Ohlig / G.-R. Puin (Hg.), Die dunklen Anfänge, Neue Forschungen zur Entstehung und zur frühen Geschichte des Islam, Berlin 2005, 415-439; zitierte Stelle ebd.415.416.
[17] Vgl. hierzu J. Thomas, Araboislamische Geschichtsschreibung, a.a.O., bes. 167-173.
[18] J. Thomas, ebd. 141.
[19] Vgl. z.B. Ignaz Goldziher, Vorlesungen über den Islam (1910/1925), Nachdruck Darmstadt 1963, 73, der die Hadithe für spätere Projektionen hielt, die alles, was nach dem „Gefühl der naiv Gläubigen“ richtig war, „als Spruch des Propheten verkündet“.
[20] http://www.wdr.de/themen/kultur/religion/ islam/konflikte/kalisch/081008.html.
[21] Tilman Nagel, Mohammed. Leben und Legende, a.a.O.
[22] Vgl. hierzu meine Rezension: Eine Sackgasse. Zu: Tilman Nagel, Mohammed. Leben und Legende, R. Oldenbourg Verlag: München 2008, in: imprimatur 41, 2008, 319-322 (ISSN 0946 3178).
[23] Vgl. hierzu vom Verf., Vom muhammad Jesus zum Propheten der Araber, in: Karl-Heinz Ohlig (Hg.), Der frühe Islam, a.a.O., 327-376, und: Von Bagdad nach Merv. Geschichte, rückwärts gelesen, in: M. Groß / K.-H. Ohlig (Hg.), Vom Koran zum Islam, a.a.O. 29-106.
[24] Vgl. hierzu den Beitrag von Raymond Dequin, Frühe Ali-Verehrung und die Schöpfung des abbasidischen Weltbilds in diesem Sammelband.
[25] Vgl. hierzu Volker Popp, Biblische Strukturen der islamischen Geschichtsschreibung, in: M. Groß / K-H. Ohlig (Hg.), Schlaglichter, a.a.O. 35-92; hier besonders das 3. Kapitel: „Die Geschichte von den vier Kalifen: Abu Bakr als Adam / ’Umar als Noah, ’Utman als Abraham, ’Ali als Moses“, ebd. 46-53.
[26] Vgl. hierzu Volker Popp, Maavia der Aramäer und seine Zeitgenossen. Die muslimische Geschichtsschreibung als Mythologisierung eines theologischen Konzepts, in: M. Groß / K.-H. Ohlig (Hg.), Vom Koran zum Islam , a.a.O. 107-176.
[27] Jean Maurice Fiey, Saints Syriaques (Studies in Late Antiquity and Early Islam, Bd. 6, hg. von Lawrence I. Conrad), Princeton, New Jersey 2004.
[28] J.M. Fiey, ebd. 49.50.