Kerr: Von der aramäischen Lesekultur zur aramäischen Schreibkultur II Der aramäische Wortschatz des Koran

Von der aramäischen Lesekultur zur aramäischen Schreibkultur II. Der aramäische Wortschatz des Koran

Ter nagedachtenis aan G. H. A. Juynboll (1935-2010)

Robert M. Kerr  Wilfrid Laurier University, Waterloo

  1. Einleitung

Mein Aufsatz im vorigen Inârah-Band war ein Versuch, anhand der Schrif­ten- und Sprachverbreitung im römisch-byzantischen Vorderen Orient (ein­­schließ­lich Arabiens) zu zeigen, dass der Koran in arabischer Schrift und Sprache nicht in der Gegend von Mekka/Medina hätte entstehen kön­nen. Der epigraphische Kenntnisstand von heute widerspricht dieser her­kömm­lichen Auffassung eindeutig. Vielmehr muss man gen Syrien schau­en, et­wa zu den Ghassaniden bzw. Lakhmiden oder den Nachfahren der de­portierten Araber im Umkreis von Merw, wo diese arabische Sprache ge­spro­chen wurde und wo der Übergang von einer aramäischen zur arabi­schen Schrift vollzogen wurde. Wenn man diese Argumente, wie und wo der Koran verschriftet wurde, betrachtet, dann wird vieles auch am Inhalt dieses Buches einfacher zu verstehen sein. Das Thema des folgenden Bei­trages ist eine Erörterung der theologisch-technischen Lehnwörter im Ko­ran, die deutlich machen, dass man auch unter diesem Gesichtspunkt nach Syrien als Entstehungsort dieses den Muslimen heiligen Buches schauen muss.

Ein Leser des Koran wird sehr schnell die biblische Hinterlassenschaft be­mer­ken. Was aber ebenso auffällt, ist die Art und Weise des koranischen Bibel­­verständnisses. Dieses angeblich geoffenbarte Buch behauptet, bibli­sche Überlieferungen als historische Gegebenheiten zu vermitteln; wie es man­­che Christen und Juden auch heute noch für die Bibel annehmen, ver­wechselt der Koran Offenbarungswahrheit bzw. biblische Historio­gra­phie mit Geschichte. Weil der Koran, wie aus seiner Entstehungszeit zu erwarten ist, die biblische Heilsgeschichte als großenteils historisch versteht, kann diese aber nicht Historizität für sich einfordern. Die historisch-kritische Bi­bel­forschung seit etwa zwei Jahrhunderten hat die komplexe, aber noch nicht in allen Einzelheiten geklärte Entstehungsgeschichte der Hebräischen Bibel und des christlichen Neuen Testaments aufgezeigt. Wenn aber die wissenschaftliche Bibelforschung nachweisen kann, dass kaum etwas an der Bi­bel historisch wahr im modernen Sinne des Wortes ist, gilt dies auch für das Fortleben dieser Erzählungen im Koran.[1] Hier ist nicht der Ort, um dies eingehend zu behandeln, aber im Vorbeigehen wollen wir hier bloß an­mer­ken, dass z.B. die Sintfluterzählung eindeutig einem erzählerischen To­pos aus Mesopotamien entstammen muss, wo es regelmäßig Über­schwem­mun­gen gibt und woher eine sehr frühe literarische Vorlage im (su­me­risch-) babylonischen Gilgamesch-Epos stammt. Oder: War Abraham / Ib­rahim der erste Monotheist? Das ist auszuschließen. Heutzutage weiß man, dass die Segnung Abrams durch Melchisedek (Gn 14, 19) sich nicht auf einen ein­zigen Gott bezog, wie es die Einheitsübersetzung, gemäß dem Verständ­nis des Hebräerbriefs, nahelegt (“Gesegnet sei Abram vom Höchs­ten Gott, dem Schöpfer des Himmels und der Erde”), sondern auf drei Gottheiten (die korrektere Übersetzung: “Gesegnet sei Abram vom Elyon, El, [und El] dem Schöpfer des Himmels und der Erde”). Gleiches gilt für Mose. Er kann keinesfalls als Erfinder des israelitischen Monotheismus gel­ten – dieser hatte eine komplexe Entwicklungsgeschichte, die aber erst Jahrhunderte später anzusetzen ist. Ähnliche Bemerkungen könnte man auch in Bezug auf die Engellehre oder die Prophetie machen. So zeigt das koranische Verständnis eher das Ende einer langen Entwicklungsgeschichte an. Der Koran steht der Sache nach zu großen Teilen in der Tradition der judäo-christlichen Offenbarung.[2]

Woher aber stammt dieses allem Anscheine nach biblische mono­theis­tische Verständnis des Koran? Bisher wurde häufig, auch in der muslimi­schen Traditionsliteratur, von jüdischen und christlichen arabischen Stäm­men berichtet, deren Einfluß auf den Muḥammad verschieden gewichtet wurde. Auch einige epigraphische Zeugnisse geben Hinweise auf Juden in Arabien und auf christliche Mission in dieser Region[3].  Neben Judentum und Christentum gab es natürlich auch den einheimischen traditionellen semi­tischen Glauben verschiedener Stämme, gegen welche der Koran eine sehr unpräzise Polemik betreibt. Einige Hinweise auf diese Religionsformen finden sich auch auf Inschriften, hauptsächlich aber für das im heutigen Jemen zu verortende Sabäerreich. Sehr aussagekräftig aber sind die sabäi­schen Zeugnisse nicht. Die nordarabischen Inschriften sind großenteils eher als ‚Graffiti’ zu bewerten und meistens eher unergiebig, abgesehen von etwaigen theophoren Elementen in den Personennamen. Obwohl es durch­aus denkbar ist, dass ein heidnischer Muḥammad jüdische und christliche Lehrer gehabt haben könnte und so Auskünfte über das Alte und Neue Testament und jüdische sowie christliche Lehren hätte empfangen können, um einen selbstständigen neuen Gottesdienst zu erschaffen, habe ich mit dieser Interpretation meine Bedenken.

Obwohl für die archäologische Erforschung Arabiens noch viel zu leis­ten ist, gibt es aus den bisherigen Funden einfach nicht genug Hinweise auf Judentum und Christentum, um ein Szenario einer direkten Übernahme plau­sibel zu machen. Dies betrifft deutlich das Christentum, was m.E. aus­schlag­­gebend für die Entstehung des Koran war. Es gibt nichts in dem hei­ligen Buch des Islam, was ausschließlich jüdisch zu bewerten wäre, also Über­lieferungen, die spezifisch dem (rabbinischen) Judentum zugerechnet wer­den müssten. Der koranische Erzählstoff aus der hebräischen Bibel kann durchaus einer christlichen Quelle wie z.B. einer aramäischen Bibel­übersetzung entstammen.

Wenn man sich aber genauer den etwaigen Quellen des Koran nähern möchte, gilt es, den Text selber zu untersuchen. Ein großes Problem bei einem solchen Unterfangen, wie immer wieder angemerkt werden muss, ist das Fehlen einer kritischen Ausgabe des koranischen Textes – also ein roher Konsonantentext (رسم – rasm) ohne diakritischen Zeichen (إعجام – iʿǧām‎) usw. – und eines diachronen etymologischen Wörterbuchs des Arabischen.  Der heutige Stand der arabischen Textforschung, wobei man den Kairoer Koran als textuelle Basis annimmt, bedeutet eigentlich, dass sich die text­kri­tische Erforschung auf der Entwicklungsstufe der Bibelforschung des sieb­zehnten Jahrhunderts befindet, die Zeit also, in der ein Streit wütete, ob die masoretische Punktation gleich am Berge Sinai mitgeoffenbart worden sei oder nicht. Manche jüdische Gelehrte wie Eben Ezra hatten schon früher darauf hingewiesen, dass die Vokalisierung erst später, im frühen Mittel­alter, von den tiberischen Masoreten stammen müsse. Diese These erreichte größere Bekanntheit unter christlichen Gelehrten im sechzehnten Jahrhun­dert durch Elias Levita, war aber heiß umstritten, besonders durch die Buxdorfs. Erst Louis Cappel hat in seiner anonym durch den Leidener Pro­fessor Thomas Erpenius 1624 herausgegebenen Schrift Arcanum Puncta­tionis Revelatum diese wissenschaftlich nachgewiesen. Seitdem, aber eigent­lich schon vorher, sind die Texte der hebräischen Bibel – was ebenso für das christliche Neue Testament gilt – in einem Zustand der fortwährenden Ver­änderung begriffen, wobei der Begriff ‚Kanon’ in Bezug auf Altes und Neues Testament heutzutage als Anachronismus aufgefasst werden muss, unter anderem dank neuer Funde (z.B. der Qumran-Rollen seit 1947). In Bezug auf deren Verständnis hat auch die Entwicklung der vergleichenden Sprach­wissenschaft für Veränderung gesorgt. Kein seriöser Bibelforscher des Alten Testamentes würde sich heute noch auf Werke stützen wie מחברת מנחם (Maḥberet Menaḥem) des im zehnten Jahrhundert zu Cor­doba lebenden Menachem ben Jakob ibn Saruq oder das Werk שׁשׁרות כסף (Šašerot Kese – ‚Ketten aus Silber’) des im dreizehnten/vierzehnten Jahr­hun­dert in der Provence lebenden Josef ibn Kaspi, ebenso wenig auf frühe wissen­schaftliche Wörterbücher – die z.T. auf den Werken jüdischer Ge­lehr­ten des Mittel­alters basierten –, wie das seinerseits sehr berühmte Lexi­con hebraicum et chaldaicum complectens omnes voces, tam primas quàm deri­vatas, quæ in Sacris Bibliis, Hebræâ, & ex parte Chaldæâ linguâ scriptis, extant … (Basel, 16311) von Vater und Sohn Buxtorf oder das seinerseits sehr berühmte Lexicon et commentarius sermonis hebraici et chaldaici veteris testamenti … (Amsterdam, 16691; Frankfurt, 16892) des Bremers Johannes Coccejus (außerdem dürften viele Theologen nicht mehr genug Latein verstehen, um diese überhaupt benutzen zu können!). Diese in ihrer Entstehungszeit z.T. sehr revolutionären Arbeiten sind für das mo­derne wissenschaftliche Studium der Bibel veraltet. Der Fortschritt der wis­sen­schaftlichen hebräischen und biblisch-aramäischen Lexikographie kann beispielsweise anhand der verschieden Ausgaben der ursprünglich von Wil­helm Gesenius[4] verfassten Wörterbücher überprüft werden – die gerade vom Kieler Alttestamentler und Ägyptologen Herbert Donner vollendete acht­zehnte Ausgabe ist ein „State of the art”-Werkzeug für den seriösen Bibel­forscher. Die alten Werke, besonders die von mittelalterlichen Rabbi­nern ver­fassten Wörterbücher, sind immer noch wertvoll und selbst wichtig für die Erforschung des rabbinischen bzw. klassisch-jüdischen Verständ­nisses biblischer Wörter – die erste Ausgabe habe ich manchmal während meiner Studienzeit bei der Lektüre rabbinischer Texte verwendet –, sie sind aber für die Begriffsbedeutung von Wörtern und Texten der Zeit ihrer vermeint­lichen Verschriftlichung unergiebig. Um so erstaunlicher ist von daher die Tatsache, dass die koranische Exegese immer noch auf vor-wis­sen­­schaft­lichen Werken beruht wie das zurecht berühmte العرب  لسان (Lisān al-ʿArab) des im dreizehnten/vierzehnten Jahrhundert lebenden Ibn Manzur oder der المحيط قاموس  (Qāmūs al-Muḥīṭ) des im vierzehn­ten/fünfzehnten Jahrhun­dert lebenden Iraners al-Firuzabadi.

Diese Wörterbücher oder abendländischen Werke bieten eine hervor­ragende Unterstützung bei der Lektüre klassisch-arabischer Texte, sind aber von nur eingeschränktem Nutzen bei der philologischen Arbeit am ‚ersten arabischen Buch’, da sie die spätere islamische Auslegung voraussetzen. Hier sind zu nennen das Lexicon Arabico-Latinum des Leidener Gelehrten und Erpenius-Schüler Jacob Golius (Leiden, 1653) sowie seine erweiterte Neubearbeitung durch Georg Wilhelm Freytag (Lexicon Arabico-Latinum, 4 Bde.; Halle, 1830-1837), oder der الـعـروس تـاج  (Tāǧ al-ʿArūs) des Al-Zabidi und das hierauf basierende (aber erweiterte) Arab-English Lexicon (unvoll­endet; London, 1863-1893) des englischen Gelehrten Edward Wil­liam Lane sowie das Supplément aux dictionaires arabes (Leiden, 1881) des Holländers Reinhart Dozy und das Wörterbuch der klassischen ara­bischen Sprache des Tübinger Arabisten Manfred Ullmanns (Wiesbaden, 1970- ). Trotz des Urteils von Fück, dass ein philologisch-etymologisches Wörter­buch eine Voraussetzung für jede Koranübersetzung, ebenso wie bei Bibelübersetzungen, wäre, gibt es solche Hilfmittel immer noch nicht: das jüngste koranische Wörterbuch, das von der ruhmreichen Firma E. J. Brill zu Leiden 2010 (zweimal!) verlegte Arabic-English Dictionary of Qur’anic Usage von den Gelehrten Elsaid M. Badawi und Muhammad Abdel Haleem ist bei langem nicht auf demselben wissenschaftlichen Stand wie z.B. die vom selben Hause herausgegebene Neuausgabe des “Koehler-Baum­gart­ner”[5], die u.a. epigraphische Funde und Ergebnisse der verglei­chenden se­mi­tischen Sprachwissenschaft miteinbezieht. Die älteren Werke waren wohl auf dem Kenntnisstand ihrer jeweiligen Zeiten – dass die neueren Werke immer noch auf diesem Stande verblieben sind, macht die philologische Arbeit am Koran oft unmöglich.[6]

Die Probleme bei der koranischen Auslegung sind im Grunde dieselben wie in der Bibelexegese. Gottesdienste sind Menschenwerk, also lebende Er­schei­nungen und keine starren Gebilde, Aussagen von Fundamentalisten zum Trotz. Die Germania von Tacitus, das Römische Recht, die Bibel, der Koran, der Zauberberg von Thomas Mann oder was auch immer, werden beim Lesen ohne kritische Untersuchung immer gemäß den heutigen Vor­stellungen und Gegebenheiten des Lesers bzw. der Leserin verstanden. Jeder Christ weiß heute z.B. ungefähr, was im Christentum mit den Glaubens­fachbegriffen „Menschensohn”, „Dreifaltigkeit” oder „Abendmahl” gemeint ist. Die heutige(n) Bedeutung(en) dieser Worte aber stehen am vorläufigen Ende einer langen Entwicklung und sind keinesfalls dieselben wie die im Zeit­alter Jesu. Die historische Wortforschung des Hebräischen und Griechi­schen ist weit entwickelt, beim Arabischen aber muss die Arbeit erst begin­nen. Das Griechische des Neuen Testamentes ist nicht das Griechische der homerischen Epen, die Sprache der hebräischen Bibel ist nicht die der Rab­biner zur Zeit der Mischna und der Tosefta – das Arabische der Kommen­tatoren (مفسرون‎ – Mufassirūn) ist nicht die Sprache des Koran.

Die philologische Methode hat universelle Geltung –  sie ist also auf einen jeden beliebigen Text anzuwenden. Obwohl die Kommentarliteratur (تفسير‎ – Tafsīr) des Korans seine Bedeutung hat für das Verständnis dieses Buches innerhalb der islamischen Traditionen, ist sie nicht ohne weiteres brauchbar für die Forschung bezüglich seiner Entstehung und der ursprünglich gemeinten Aussage. Dieses Problem ist öfters bemängelt wor­den – auch von Alttestamentlern, die gerne aus dem Vokabular des Arabi­schen für ihre Forschungen schöpfen. Wichtig hier sind die Bemer­kungen L. Kopfs:

„Ein großer Teil des Wortschatzes, den die arabischen Philologen aufzeichneten und erklärten, war ihnen weder aus dem alltäglichen Gebrauch noch von ausgedehnter Lektüre her bekannt. Ihre Haupt­aufgabe bestand deshalb nicht in der Festlegung genauer und treffen­der Erklärungen für Wörter, die jedem Gebildeten geläufig waren, sondern im Auffinden der Bedeutungen seltener und unbekannter Wörter, denen sie wohl zum ersten Male im Zuge ihrer professio­nellen Tätigkeit begegneten. Da ihrer Forschungsarbeit auf diesem Gebiet zwei notwendige Grundlagen fehlten, nämlich die Kenntnis anderer semitischer Sprachen und das Vorhandensein von ausge­dehntem und übersichtlichem sprachlichen Rohmaterial, entstand eine Menge von ungenauen und sogar völlig abwegigen Worter­klärungen. Die vielen verschiedenen Bedeutungen, die einer großen Anzahl seltener arabischer Wörter zugeschrieben wurden, sind grundsätzlich als Ergebnisse von Versuchen verschiedener Philolo­gen aufzufassen, schwierige Ausdrücke mit Hilfe der unzulänglichen Mittel, die ihnen zur Verfügung standen, zu erklären. … Da die Kenntnis anderer semitischen Sprachen fehlte und Parallelstellen ge­wöhnlich nicht herangezogen werden konnten, wurde auf diese Wei­se mannigfaltigen Vermutungen Tür und Tor geöffnet. Besonders oft führte die Anwendung verschiedener Methoden zu abweichenden Ergebnissen. Zu den irrigen Wörterklärungen, die von den Philolo­gen selbst stammten, gesellten sich noch andere hinzu, die entweder auf religiösen Erwägungen beruhten, … oder in alten sprachlichen Traditionen aus der ,,vorwissenschaftlichen“ Zeit ihren Ursprung hatten.”[7]

Man sieht dies beispielsweise am ältesten Denkmal der arabischen Sprache, der العين‎ كتاب  (Kitāb al-ʿAin) des Al-Ḫalil ibn Aḥmad al-Farahids[8],  der All­tagswörter wie كلب (kalb) „Hund”, كثير (kaṯīr) „viel” oder كل (kull) „alle” gar nicht erst behandelt. Ein gutes Beispiel der Arbeitsweise der traditionellen arabischen Philologen liefert Kopf (art. cit. 298) aus dem oben erwähnten قاموس المحيط (Qāmūs al-Muḥīṭ), nämlich das häufige Wort كرسي (kursī) „Stuhl.” Dieses Lexem, natürlich dem Hebräischen כִּסֵּא (kissēʾ) verwandt, be­kommt in diesem Werk nebst seiner Hauptbedeutung überraschen­der­weise auch die von “Kenntnis.” Dies ist zurückzuführen auf den Thronvers (2: 255) des Korans:

وَسِعَ كُرْسِيُّهُ السَّمَاوَاتِ وَالأَرْضَ

„Sein Thron versteht[9]  Himmel und Erde”

Leicht könnte man eine Vielzahl solcher Beispiele aus der traditionellen Lexikographie anführen[10]. Aber das Gesagte macht die Problematik hinrei­chend deutlich: Die herkömmlichen Wörterbücher sind nicht hilfreich, um die koranische Bedeutung arabischer Wörter festzustellen; sie gleichen eher realitätsfremden Synonymwörterbüchern: man denke, was passieren würde, wenn man beispielsweise Friedrich von Schwaben bzw. einen anderen Minnesänger oder gar den Faust mit der jüngsten Ausgabe des altbewahrten Wahrig zu interpretieren versuchen würde. „Suche nur die Menschen zu verwirren, sie zu befriedigen ist schwer” gilt dann auch für die arabische Wortforschung am Koran.

  1. Fremdwörter als Merkmal eines Kulturaustausches

Es gibt also keine kritische Textausgabe des Koran und keine wissen­schaft­liche Aufarbeitung seines Wortschatzes. Wer aber den Koran in arabi­scher Sprache liest (bzw. sich über die Verschiedenheit der Wiedergaben in Über­setzungen wundert!), kommt gleich in Verwirrung. Dank der Altlast der späteren Tradition(en) kann jedem Wort je nach Gusto eine unerwar­tete Bedeutung zugewiesen werden. Ebenso kommt ein vergleichender Se­mi­tist leicht in Verwirrung, da die Notwendigkeit solcher Sprünge oft verschleiert bleibt.

Was dem Semitisten auch gleich auffällt, ist die Vielzahl der Fremd­wör­ter im koranischen Arabisch. Fremdwörter sind eine interessante sprach­­wissenschaftliche Erscheinung und können etwas über die Geschichte der Sprecher einer Sprache und deren Begegnungen in der Vergangenheit aus­sagen.[11] Im Deutschen kann man sehen, dass der Wortschatz in Bezug auf den Weinbau lateinischen Ursprunges ist, was die Vermutung einer römi­schen Einführung dieses Kulturgutes nahelegt (z.B. Wein < vinum, Kelter < calcatura usw.), besonders wenn man bedenkt, dass der Wein hauptsächlich in jenen Gegenden angebaut wird, die ehemals zum Römischen Reiche ge­hör­ten – die Germanen waren von Hause aus eher Biertrinker.[12]

Was den gottesdienstlichen Wortschatz der deutschen Sprache betrifft, wird es auch nicht erstaunen, dass er zahlreiche Vokabeln lateinischen Ur­sprunges bietet: Advent, Akzidenz, Eucharistie, Hostie, Konfession, Konfir­mation, Liturgie, Messe, Mission, Oblate, Passion, Pastor, Realpräzenz, Sakra­ment, Substanz usw., die keinen Zweifel lassen, auf welchem Wege das Christentum in den deutschsprachigen Raum gekommen ist. Wichtig ist hier zu bemerken, dass diese Wörter im Deutschen eine spezifische theo­logische Bedeutung, ungeachtet ihrer Definition im klassischen Latein (oder ihrer jeweiligen Etymologie) aufweisen.[13] Nebst diesen Lehnwörtern gibt es auch die sog. Lehnübersetzungen, also Wort-für-Wort (verbum pro verbo)-Übersetzungen aus dem Lateinischen ins Deutsche, also Wortbildungen, die (etymologisch) im Deutschen keinen Sinn ergeben – deren Sinn also vom Begriff der Gebersprache abgeleitet wird –, wie Heiliger Geist (<spiritus sanctus), heilig (< sanctus), Hirte (< pastor), Leib (corpus < σῶμα), Taufe (baptismus[14] < βαπτισμός) oder gar Gott, also in der Vorstellung eines einzigen und bestimmten Wesens (< deus) usw. Die meisten dieser Wörter sind inzwischen im Deutschen (und auch anderen europäischen Sprachen) so eingebürgert, dass sie nicht mehr als fremd empfunden werden.

Auch in der Bibel gibt es Fremdwörter und Lehnübersetzungen. Das Alte Testament beispielsweise weist Lexeme auf, die aus dem Akkadischen (und Sumerischen),[15] Ägyptischen,[16] Griechischen,[17] Aramäischen[18] usw. stammen. Das griechische Neue Testament spiegelt seinen Ursprung im semitischsprachigen Raum wieder durch zahlreiche Begriffe wie Mammon (Mt 16, 24; Lc 6, 9, 11, 13) oder die letzten Worte Jesu: „Eloi, Eloi, lama sabachtanei?“ (Mk 15, 34; Mt 27, 46 < Ps 22, 2[19]). Der Gebrauch dieser Wörter, besonders im Bereich der Theologie oder anderer Wissenschafts­gebiete, ist nicht zufällig, hat aber damit zu tun, neuartige Konzepte bzw. Begriffe in einen Sprachraum, der sie vormals nicht kannte, einzuführen. In aller Kürze soll ein Beispiel eines alten (vorhebräischen) Lehnwortes im Alten Testament diesen Vorgang verdeutlichen: Das hebräische (eigentlich im ganzen Nordwestsemitischen verbreitete) Lehnwortהֵיכָל (heyḵāl) „Tem­pel” stammt vom Akkadischen ekallum ab, was wiederum auf das sume­rische É.GAL „großes Haus” zurückgeht. Hieraus kann man schließen, dass der Bau eines, architektonisch gesehen, besonderen Gebäudes, das als Wohnort einer Gottheit vorgestellt wurde, eine aus Mesopotamien stam­mende Erscheinung ist (und seine Bestätigung auch in der Archäologie der frühdynastischen Bronzezeit findet). Ähnlich sieht man im Turmbau zu Babel (Gen 11, 1-9), der den Bau eines Ziggurats beschreibt, auch Lehnwörter, in diesem Fall eines jüngeren Sprachstratums, wie z.B. לְבֵנָה  (ləḇēnāh) „ein in der Sonne getrockneter Lehmziegel” – akkadisch libittu – . Auch der Lehmziegelbau ist wiederum eine mesopotamische Bauweise.

  1. Zum Lehnworschatz des Koran

Kehren wir aber jetzt zurück zum eigentlichen Thema, nämlich zu den Fremd­wörtern (mitsamt der Lehnübersetzungen) im Text des Koran. Wie aus den obigen Ausführungen deutlich geworden sein müsste, würden diese auf die Texte bzw. den Glauben verweisen, mit denen die koranischen Ver­fasser in Verbindung standen. Im Folgenden beziehe ich mich hauptsäch­lich auf das Werk des australischen Gelehrten Arthur Jeffery The Foreign Voca­bulary of the Qur’ān, das dankenswerterweise von der Firma Brill neu herausgegeben wurde (2007).[20] In dieser Sammlung behandelt er drei­hun­dert­achtzehn verschiedene Wörter (ohne flektierte Formen; ich füge im Fol­gen­den noch einige weitere hinzu). Wenn man bedenkt, dass der Koran, je nachdem wie man die Wortformen zählt, drei- bis siebentausend Wörter um­fasst, sind also un­ge­fähr sechs bis zehn Prozent des Wort­schatzes frem­den Ursprunges. Dies muss an sich nicht verwundern, wenn man bedenkt, dass das Englische zu ungefähr achtzig Prozent aus (etymologisch gesehen) Fremd­wörtern besteht, ohne aber seine germani­sche Herkunft ganz zu verleugnen. Wichtig aber in Bezug auf den Koran ist, dass alle wichtigen theo­logischen Fachbegriffe aus dem Aramäischen stam­men, und zwar großenteils aus dem Syrischen. Einige sind äthiopischen bzw. persischen Ursprunges – aber viele iranische Wörter sind wahrschein­lich ebenfalls durch das Syrische vermittelt. Wie ich anschaulich machen werde, weisen einige Schlüsselbegriffe darüber hinaus Vorkenntnisse der klassisch-syri­schen Bibelübersetzung, der Peschitta, auf. Ein interessantes Bei­spiel für diesen Sachverhalt ist das Wort خَرْدَلٍ ardalin „Senfkorn” in den Versen Koran 21, 47:

وَنَضَعُ الْمَوَازِينَ الْقِسْطَ لِيَوْمِ الْقِيَامَةِ فَلَا تُظْلَمُ نَفْسٌ شَيْئًا ۖ وَإِن كَانَ مِثْقَالَ حَبَّةٍ مِّنْ خَرْدَلٍ أَتَيْنَا بِهَا ۗ وَكَفَىٰ بِنَا حَاسِبِينَ

wa-naḍaʿu l-mawāzīna l-qiṣta li-yawmi l-qiyāmati fa-lā tuẓlamu nafsun šayʾan wa-ʾin kāna miṯqāla ḥabbatin min ḫardalin ʾātaynā bi-hā wa-kafā bi-nā ḥāsibīna.

„Wir werden gerechte, genaue Waagen am Jüngsten Tag aufstellen. Keinem wird im geringsten Unrecht getan. Auch wenn es um das Gewicht eines Senfkorns geht, erfassen Wir es. Es genügt für die höchste Genauigkeit, daß wir die Abrechnung durchführen.”

und Koran 31, 16

يَا بُنَيَّ إِنَّهَا إِن تَكُ مِثْقَالَ حَبَّةٍ مِّنْ خَرْدَلٍ فَتَكُن فِي صَخْرَةٍ أَوْ فِي السَّمَاوَاتِ أَوْ فِي الْأَرْضِ يَأْتِ بِهَا اللَّهُ ۚ إِنَّ اللَّهَ لَطِيفٌ خَبِيرٌ

yā-bunayya ʾinna-hā ʾin taku miṯqāla ḥabbatin min ḫardalin fa-takun fī ṣaḫratin ʾaw fī s-samāwāti ʾaw fī l-ʾarḍi yaʾti bi-hā llāhu ʾinna llāha laṭīfun ḫabīrun.

„Mein Sohn! Wenn es sich um eine winzige Tat handelt, die so klein wie ein Senfkorn ist, wird Gott sie für die Abrechnung hervorholen, auch wenn sie in einem Felsen oder in den Himmeln verborgen wäre oder in der Erde. Gottes Genauigkeit und Kenntnisse sind uner­meßlich.”

Dem gebildeten Leser wird es schon aufgefallen sein, dass diese Verse eine gewisse Abhängigkeit von dem ‚Gleichnis vom Senfkorn’ in Mt 13, 31-32 und von der „Heilung des besessenen Jungen” in Mt 17, 20 haben (Mk 4, 31; Lk 13, 19 und 17, 6 kommen hier eher nicht in Betracht). Tatsächlich wird in der Peschitta das Griechische ὡς κόκκον σινάπεως mit ܕܚܪܕܠܐ ܦܪܕܬܐ pertā dardlā übersetzt. Obwohl das arabische Wort vielleicht schon frü­her übernommen wurde, da es in der angeblich ‚vorislamischen’ Poesie belegt ist (Divan Hudhail 97, 11), lässt hier die Tatsache, dass das aus dem Aramäischen[21] entlehnte Wort ardlā kein gangbares Lexem ist, und ebenso sein Gebrauch in diesem spezifischen Kontext es wahrscheinlich werden, dass wir es hier mit dem Einfluß einer aramäischen Quelle zu tun haben.

Das eben gegebene Beispiel ist auffallend – aber man könnte argu­mentieren, dass dies ein Wanderwort war, welches mit der so bezeichneten Ware übernommen wurde; auch hierfür gibt es durchaus Beispiele: خَمْرُ amrun „Wein” (2, 219; 5, 90f.;12, 36, 41; 47, 5), was zweifelsohne vom Aramäischen ܚܰܡܪܴܐ amrā stammen muss (vgl. die in der alttestamentlichen Poesie gebrauchte Vokabel חֶמֶר ämär), da der Weinhandel im syro-ara­bischen Raum zu jener Zeit fest in christlicher Hand war (und die arabische Wurzel „bedecken, verbergen“ bedeutet); خُبْز ubzun „Brot”, nur im Traum des Bäckers in der Yusuf-Sura (12, 36) belegt – ein bei den alten Arabern nicht gebräuchliches Lebensmittel –, aus dem Altäthiopischen ኀብስት əbəst (mit zurückwirkender Assimilation < ኀብዝት əbəzət, vgl. Tigré ሕብዘት əbəzat „dickes, rundes Brot”[22]); زُجَاجَة zuǧāǧatun „Glas”, eine wohl aus dem aramäischen Raume eingeführten Handelsware < ܙܔܘܔܝܬܐ zəgugīṯā (vgl. Off. 21, 21) oder زَيْتُ zaytun „Olive” , eine in Arabien nicht heimisches Gewächs < ܙܝܬܐ zaytā (auch mit dieser Frucht nach Afrika entlehnt, z.B. jeeit/joeit djeit/djoit, ዘይት zayət, und nach Osten, z.B. klassisch-arme­nisch ձեթ jêtʿ und georgisch ზეთი zetʿi in der Bedeutung „Öl”), weil der Baum ursprünglich nur an der östlichen Mittelmeerküste heimisch war. Die­se Lehnwörter sind interessant, da sie auf Syrien als die Richtung des Haupt­kulturkontaktes der Araber verweisen, zu einem geringeren Teil auch auf Äthiopien. Vereinzelt gibt es auch (mittel)persische Lehnwörter, meis­tens für eingeführte Waren wie z.B. إِسْتَبْرَق istabraq „Seidenbrokate”, deren arabische Gestalt wegen einer Entlehnung aus dem Persischen über das Syro-Aramäische nicht in Frage kommt, altsüdarabische Lehnwörter sind eher selten.

Obwohl diese Beispiele an sich sehr interessant sind und eines weiteren Studiums bedürften, sagen sie wenig über den Koran aus – sie könnten alle irgendwann entlehnt worden sein: die relevanten Handelsrouten sind uralt. Unsere Interesse gilt hier dem technisch theologischen Wortschatz wie oben für das Deutsche beschrieben. Wenn wir syro-aramäische Vokabeln im Ara­bischen, deren spezifische religiöse und gottesdienstliche Bedeutung von der Gebersprache abhängt, finden, können wir dann Schlüsse zur geistigen Umwelt bzw. zur Einflusssphäre ziehen, die zur Entstehung des Koran hin­leiten. Im Folgenden aber sind einige philologische Vorbehalte zu berück­sichtigen, wie sie schon aus den soeben gegebenen Beispielen ersichtlich wer­den. Wie Jeffery schon bemerkte (a.a.O. 39f.), gehören die Fremdwörter im koranischen Arabisch hauptsächlich zu drei Gruppen:

  1. Wörter, die gar nicht Arabisch (oder gar Semitisch) sein können, wie z.B. إِسْتَبْرَق. istabraq „Seidenbrokate“. Vgl. hierzu etwa im Deutschen „Computer”.
  2. Wörter, deren Wurzeln zwar im Arabischen belegt sind, aber in einer anderen Bedeutung, wie z.B. خَمْرُ amr „Wein“. Vergleich hierzu etwa das englische Wort „cool” im Deutschen; es ist zwar etymologisch ver­wandt mit ‚kühl’, wird aber im Deutschen nur in einer bestimmten abgeleiteten Bedeutung gebraucht.
  3. Wörter, die genuin Arabisch sind, die aber nebst der arabischen Be­deu­tung eine technische Nuance haben, die entlehnt sein muss. Zu dieser Kategorie zählen auch Lehnübersetzungen.

Ich würde gerne eine vierte Kategorie hinzufügen, nämlich

  1. Lexeme mit einer scheinbaren semitischen Wurzel, die ihrer morpho-phonetischen Form wegen entlehnt sein müssen. Hierzu zählen, wie im Folgenden gezeigt wird, auch die Namen biblischer Personen wie die der Patriarchen.
  1. Zum Arabischen Schreibwortschatz

Ohne hier auf die Einzelheiten der Wortbildung und auf andere morpho­logische Details der semitischen Sprachen eingehen zu wollen, muss ich doch anmerken, dass eine der Haupteigenschaften der semitischen Spra­chen das Zusammenspiel zwischen Konsonanten und Vokalen ist. Die Kon­so­nanten liefern die grobe Bedeutung,  so hat etwa die Wurzel k-t-b etwas mit dem semantischen Bereiche des ‚Schreibens’ zu tun. Durch das Hin­zu­fügen von Vokalen (aber auch von Konsonanten) – meistens ge­mäß einer be­stimmten Patrone (Abwandlungssequenz) – kann die spezifische Bedeu­tung entstehen, wie im Falle der angegebenen Wurzel:

كتب            /kataba/ „er schrieb”

كتبنا            /katabnā/ „wir schrieben”

يكتب       /yaktubu/ „er schreibt/wird schreiben”

نكتب       /naktubu/ „wir (werden) schreiben”

أكتب       /aktaba/ „er diktierte”

يكتب       /yuktibu/ „er diktiert/wird diktieren”

استكتب    /istaktaba/ „er beauftragte eine Verschriftung/Abschrift”

يستكتب    /yastaktibu/ „er beauftragt/wird eine Verschriftung     /Abschrift                                         beauftragen”

كاتب       /kātib/ „der Schreiber, eig. der Schreibende” (Partizip aktiv)

مكتوب        /maktūb/ „der Brief, das Geschriebene” (Partizip passiv)

مكتب       /maktab/ „Büro, Schreibtisch”

مكتبة       /maktaba/ „Bibliothek, Buchhandlung”

آلة كاتبة   /kātiba ʾāla/ „Schreibmaschine”

Weil aber diese Wurzel in dieser Bedeutung im Semitischen weit verbreitet ist, wird das Problem ersichtlich. Das Nordwest-Semitische, also der kanaa­näische Zweig (d.h. hier das Phönizisch-Punische und das Hebräische), das Aramäische sowie das in der Spätbronzezeit belegte Ugaritische weisen diese Wurzel mitsamt verschiedenen Ableitungen in dieser Bedeutung auf. Das Schreiben aber ist in der Menschheitsgeschichte eine verhältnismäßig junge Erfindung – die ersten Anfange sind wohl im Südmesopotamien des ausgehenden vierten Jahrtausends vor Christus zu suchen, dann ein wenig später in Ägypten. Unser unter ägyptischem Einfluss entwickeltes Alphabet hat seinen Ursprung unter semitischen Bergarbeitern im Sinai in der ersten Hälfte des zweiten Jahrtausends v. Chr. Logischerweise ist „schreiben” also wohl wohl nicht die ursprüngliche Bedeutung dieser Wurzel, eine Fest­stellung, die ihre Bestätigung in der Tatsache findet, dass diese Wurzel dem Akkadischen (Assyro-Babylonischem) und dem Südsemitischen[23] fremd ist. Festzustellen ist also, dass k-t-b erst später, und zuerst nur in den nordwest-semitischen Sprachen, die Tätigkeit des Schreibens beschrieb; andere Zwei­ge der semitischen Sprachfamilie gebrauchten andere Lexeme – wie ich in meinem vorigen Inârah-Aufsatz zeigte, weil hier wohl eine andere, ebenfalls alte Schreibtradition bestand.

Im Arabischen hat diese Wurzel eine eigene Bedeutung nebst dem semantischen Feld des Schreibens, nämlich „zusammenbringen, binden, schlie­ßen; nähen.”[24] Wir haben es hier mit einer mehrdeutigen Wurzel zu tun, wobei die eine Bedeutung dieser Sprache eigen ist und die andere ent­lehnt sein muss. Die Bedeutung ‚schreiben’ muss wohl aus dem Ara­mä­ischen mit der Übernahme dieser Schreibkultur entlehnt worden sein. Jeffery (a.a.a.O. 249) vermutet die Entlehnung zu al-Ḥīra, dem Sitz der Lakh­mi­den, wie ich im vorigen Aufsatze beschrieb. Wie es auch sei, der Gebrauch der Wurzel ktb mit der entlehnten Bedeutung des Schreibens ist eine weiteres Indiz für den Einfluß der syro-aramäischen Schreibkultur auf die Araber.

Wenn man das semantische Feld von Verschriftung im Arabischen an­schaut, findet man aber interessanterweise eigentlich nur Lehnwörter. Bei­spiels­weise ist die eben erwähnte Wurzel -f auch im Arabischen belegt, im Koran als Nomen صُحُف uuf (als Mehrzahl von صحيفة aḥīfa „Blatt, Seite; modern: Zeitung”), immer im Sinne des schon Offenbarten: 20, 133 (الْأُولَىٰ الصُّحُفِ فِي مَا بَيِّنَةُ – bayyinatu mā fī ṣ-ṣuḥufi l-ʾūlā), sowie 53, 36 (صُحُفِ مُوسَىٰ  uufi mūsā); f74, 52; 80, 13; 81, 10; 87, 18f. (إِنَّ هَٰذَا لَفِي الصُّحُفِ الْأُولَىٰ صُحُفِ إِبْرَاهِيمَ وَمُوسَى  ʾinna hāḏā la-fī uufi l-ʾūlā ṣuḥufi ʾibrahīma wa-mūsā)[25] und mit Hinweis auf die neue Offenbarung 98, 2 (رَسُولٌ مِّنَ اللَّهِ يَتْلُو صُحُفًا مُّطَهَّرَةً – rasūlun mina llāhi yatlū uufan muahharatan). Hier haben wir es wohl mit einem altsüd­arabischen Lehnwort zu tun, u.a. weil es ja auch in der ‚vor­is­lamischen’ Poesie gut belegt ist, ebenso im Sabäischen und Qatabanischen TfAS ṣḥft (pl. FAS ṣḥg)[26] „Dokument” vorkommt. Diese Wurzel ist auch später noch­­mals entlehnt worden, dann allerdings aus dem Altäthiopischen, als مصحف muṣḥaf „Buch, eig. eine Abschrift des Koran) – im Gǝcǝz ist dies das gebräuchliche Wort für „Buch”, aber auch „Heilige Schrift” (d.i. die Bibel) መጽሐፍ maəaf (auch Pl. ጽሐፍትመ maəafət [ቅዹሳት qəddusāt]).[27] Die arabi­sche verbale Bildung mit der Bedeutung „verlesen, diakritische Zei­chen falsch platzieren” ist im Doppelungsstamm, hier ein sicherer Hinweis auf seine sekundäre nominale Ableitung (was wiederum das Nomen تصحف taṣaḥḥuf „Schreib­fehler, Verzerrung” hervorbrachte).[28] Hier sehen wir den Koran in seinem spätantiken Kontext: Das Schreibvokabular stammt aus den benach­barten Kulturen, von welchen die Araber diese übernahmen. Da sie haupt­sächlich in Kontakt zu der aramäischen Schriftkultur im syrischen Raum standen, was schon aus der Schrift deutlich her­vorgegangen ist, überrascht es nicht, dass die meisten produktiven Wur­zeln aus diesem Kreis entlehnt wurden; andere Begriffe stammen aus Gebieten, die im weiteren Umfeld lagen wie Südarabien und Äthiopien.

Andere koranische Begriffe bezüglich des geschriebenen Worts sind ebenfalls Entlehnungen. Auch سجل siǧill, ein hapax legomenon im Koran und nur 21,104 belegt. Die klassischen Kommentatoren hatten große Schwie­­­rigkeiten mit diesem Wort und übersetzten es verschiedentlich als Engel as-Sijill (so auch z.B. in der holländischen Übersetzung von Kramers), der Sekretär des Muammads (Pickthall), oder als Blatt (Paret). Im nach­koranischen Arabischen bedeutet es einen Sammelband richterlicher Urteile (> „Archiv, Kataster” usw.) und bildet ein denominales Verbum im D-Stamm „eintragen, bemerken.” Obwohl die betreffende Passage يَوْمَ نَطْوِي السَّمَاءَ كَطَيِّ السِّجِلِّ لِلْكُتُبِ yawma nawī s-samāʾa kaayyi s-siǧilli li-l-kutubi (21:104) (mir jedenfalls) schwierig bleibt, ist dies ein Wort lateinischen Ursprunges, nämlich sigillium (<signum) – auch der Ursprung des Siegels im Deutschen – , das ins Griechische als σιγίλλον entlehnt wurde und im byzantinischen Reich häufig ein kaiserliches Edikt bzw. einen Erlass bedeutet. Ob das Wort direkt aus dem Griechischen oder durch eine Ableitung des Syrischen ܣܺܝܓܽܝܠܾܝܘܿܢ sigiliyōn „diploma (spec. quo chalifa patriarcham confirmat)” (Brockelmann, 459a), vgl. etwa ܡܣܔܠܣܢܝܬܐ msglsnytʾ „libellus, scriptum accusatorium” entlehnt ist,. bleibt ungewiss; das Letztere ist m.E. wahr­scheinlicher.

Aber auch der Koran selber ist ein aramäisches Lehnwort, wie Chr. Luxenberg (Die syro-aramäische Lesart des Koran, 2. Auflage 2004, 81ff.; vgl auch Jeffery 233f.) deutlich machte. Dieses Wort ist abgeleitet von der Wurzel q-r-’ (pace al-Jawhari aaā s.v. <qarana!) u.a., was im modernen Arabischen hauptsächlich „(vor)lesen” bedeutet. Wie bei der Wurzel k-t-b, kann dies natürlich nicht die ursprüngliche Bedeutung sein – da man erst eine Schrift nötig hat, um lesen zu können. Im Akkadischen (qerûm) und im Ugaritischen findet man die Bedeutung „rufen; einladen.” Im Südsemi­tischen ist auch die Semantik des Lesens dieser Wurzel fremd, es bedeutet „befehlen” im Sabäischen und liegt vielleicht als Relikt im Altäthiopischen ቈርቈረ  qerəqera „schreien, klopfen, verwirrt sein” vor.[29] Wiederum ist die semantische Entwicklung „rufen” > „(laut) vorlesen” > „vorlesen” (> „le­sen”) nur im Nordwestsemitischen der Eisenzeit (Hebräisch, Phönizisch-Pu­nisch, Aramäisch usw.) vollzogen, auch im besonderen theologischen Sinn wie das hebräische  מִקְרָא miqrāʾ „Lesung” (Neh 8, 8, wie in der Revi­dier­ten Eberfelder „… so daß man das Vorgelesene verstehen konnte”), was im späteren Hebräischen zu einer Bezeichnung der Heiligen Schrift schlecht­hin wurde. Jeffery und Luxenberg folgend, sähe ich auch lieber ein Hervorgehen aus syrischen Formen dieses Wortes wie ܟܬܒܐ ܕ ܩܪܝܢܐ qrīnā ḵṯābā die auch die Bedeutung „scriptura sacra” (Brockelmann 690b) haben kann.[30]

Dasselbe gilt für أَسْفَارً asfāran, der Plural von سفر sifr „Buch”, nur belegt im Koran in der Redewendung (62,5)

مَثَلُ الَّذِينَ حُمِّلُوا التَّوْرَاةَ ثُمَّ لَمْ يَحْمِلُوهَا كَمَثَلِ الْحِمَارِ يَحْمِلُ أَسْفَارًا ۚ

maalu llaḏīna ummilū t-tawrāta umma lam yamilu-hā ka-maali l-imāri yamilu ʾasfāran

sowie in سَفَرَةٍ safara (sing. سافر sāfir) in 80,15, eigentlich „(Ab)Schrei­ber”, und nicht Engel bzw. Boten, wie häufig übersetzt wird. Die Wurzel s-f-r im Ara­bischen hat viele Bedeutungen wie etwa: den „Schleier einer Frau entfernen” und in verbalen Ableitungen “(jemand) wegschicken, verban­nen”, “(ver)­reisen” usw. Nichts also, worin man Buch herauslesen könnte, was aber schon die frühen Kommentatoren erkannten.[31] Der erste Beleg hier in Ver­bindung mit der Torah lässt sehen, dass hier eine biblische Schrift gemeint war, wie immer noch im modernen Arabischen z.B. سفر التكوين sifr al-takwīn „Das Buch Genesis.”

Diese Wörter sind auch in eben diesem Sinn im Syrischen geläufig, ܣܷܦܪܴܐ serā „scriptura” und ܣܴܦܪܴܐ sārā „scriba”[32] Diese Bedeutung dieser Wurzel im Ara­mäi­schen stammt letztendlich selber vom Akkadischen: šapārum “to send (a message), to write (to)” mit Ableitungen wie šaprum “envoy mes­sen­ger”, šipārum „regulations, instructions”, šipirtum „message, letter, instruction” usw.[33]

Ein weiteres Lehnwort bezüglich des Schreibens im Arabischen ist wie­de­rum ein mutmaßliches aramäisches Lexem akkadischen Ursprungs, näm­lich die konjugierte Wurzel s--r.[34] Im Koran erscheint dieses Verbum im­mer in Verbindung mit den “wohlverwahrten Tafeln” (لَوْحٍ مَّحْفُوظٍ فِي – fī lawin mafūẓin 85,22), in den herkömmlichen Erklärungen zumindest[35] (17, 58; 33, 6; 52, 2. 37; 54, 53; 68, 1; 88, 22). šaārum ist das geläufige Verbum im Akkadischen, um die Tätigkeit des Schreibens auszudrücken, und hat nomi­nale Ableitungen wie šaārum (Infinitivus) „(Ab)Schrift, Dokument” und mit ähnlicher Bedeutung širum, šiirtum, mašarum „Inschrift; Rezept.” Nur im Sinne eines „Beamten” oder „Schreibers” wird diese Wurzel als Partizip im Hebräischen und im Reichsaramäischen gebraucht. Im Syri­schen wie auch in manch anderen aramäischen Dialekten findet man auch Substantive wie ܫܜܳܪܴܐ šṭārā „syngraphum” (melior ‚syngraphus’), was in der Peschitta סֵפֶר sēär “Buch” zu Jer 32, 10, χειρόγραφον, “Schuldschein” in Tob 5,3 und Kol 2, 14 wiedergibt. Dieses Wort scheint vom oben erwähnten šaārum abgeleitet zu sein – also scheint es eine unproduktive Lehnwurzel in dieser Sprache zu sein, d.h. sie ist belegt als deklinierbares Verbum. Hier muss man anmerken: rts s-t-r ist das gängige Verbum in den altsüdarabischen Sprachen für „schreiben.” Es ist m.E. aber unwahr­schein­lich, dass es direkt aus dem Akkadischen entlehnt worden ist, also bleibt auch hier eine aramäische Vermittlung wahrscheinlich – man beachte aber auch die kausative Form rtsh h-s-t-r und rts s-t-r mit der Bedeutung „Schreiber”, die nur in der letzten monotheistischen Periode des Sabäischen belegt ist[36], auch eine ara­bische Entlehnung aus dem Qatabanischen oder Sabäischen ist nicht auszu­schließen. In jedem Fall haben wir einen weiteren aus einer benachbarten Sprache entlehnten Schreibbegriff.

Die oben im Vorbeigehen erwähnten wohlverwahrten Tafeln, wort­wörtlich „bewachte Planke”, ist der letzte Schreibterminus, den wir hier behandeln. Er ist interessant im Sinne der oben unter drei vermeldeten Kate­gorie – ein echtes arabisches Wort mit einer entlehnten technischen Bedeutung. lw mit der Bedeutung „Planke, Brett” ist weit und breit semi­tisch gut attestiert[37], etwa das Akkadische le’um. Im Arabischen inklusive der Belege aus der ‚vorislamischen’ Poesie wird es Koran 54, 13 gebraucht für die Holzplanken der Arche Noahs وَحَمَلْنَاهُ عَلَىٰ ذَاتِ أَلْوَاح وَدُسُرٍ waamalnāhu ʿalā āti ˈalwāin wa-dusurin, ähnlich wie die አልዋሕ ʾaləwāḥ (sg. ለውሕ lawə)[38] in der Altäthiopischen Version des Neuen Testamentes, Apg 27,44, nämlich die Bretter, womit die Nichtschwimmer beim Schiffbruch Pauli sich erretten mussten. Im Hebräischen wird es u.a. gebraucht bei der Erzählung vom Bau des Brandopferaltars Ex 27, 8 (et passim). In der oben erwähntem Sura 85, 32 ist wohl der Archetyp des Koran gemeint und in 7, 145ff. werden die „steinernen Tafeln” erwähnt, die der Herr dem Mose am Berge übergab; dasselbe Wort finden wir in Ex. 24, 12 (et passim). Die se­mantische Entwickelung „Brett” > „Schreibbrett” scheint erst im Akka­di­schen vollzogen worden zu sein, auch im theologischen Sinne etwa wie le’u ša balāi „Tafel des Lebens” (also worauf Schicksale geschrieben sind). Ge­meint sind hier scheinbar Wachstafeln etwa wie die tabula cerata oder viel­leicht passender die mittelalterlichen diptycha ecclesiastica. In dieser Be­deutung ist das Wort schon im Amarna-Kanaanäischen (358: 9) und Ugari­tischen belegt sowie im Hebräischen (z.B. Spr. 3, 3; 7, 3; HL 8, 9; Jes 30, 8; Jer 17, 1) und im Aramäischen. Wir haben es hier also mit einem techni­schen Lehnwort aus dem Akkadischen zu tun, das sich in den benachbarten Sprachen verbreitete. Keinesfalls aber ist das arabische Wort aus dem He­brä­ischen direkt entlehnt – hier muss man wiederum beim Aramäischen nachschauen, nämlich im Syrischen. In der Peschitta wird ܠܰܘܚܳܐ lawḥā u.a. Ex 24, 12 gebraucht (und auch für die INRI-Aufschrift (τίτλος) des Pilatus in Joh 19, 19[39]), und ist damit wohl die Quelle des arabischen Wortes.

  1. Entlehnte Begriffe im Koran

5.1 Vorbemerkungen

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Schriftkultur, die der Koran hervorbrachte, in engster Verbindung sowohl mit dem syro-ara­mä­ischen Raum wie auch mit einem dort beheimateten Christentum stand. Die Übernahme des schon beschriebenen Wortschatzes macht dies deutlich.[40] Viele der hier behandelten Wörter haben eine lange Entstehungsgeschichte – selbst das hebräische Wort, das alle kennen: „Thora” – bis zu der Bedeu­tung, die es im Koran erlangte. Dass der Schreib- und Lesewortschatz von der Sprache der Schriftgeberkultur(en) entstammt, ist nicht verwunderlich, man denke auch an das Deutsche lesen (< ‚legere’) und schreiben (< ‚scri­bere’). Wenn man aber etwas tiefer gräbt, erstaunt einen die Fülle dieser aus dem Aramäischen entlehnten theologischen Schlüsselbegriffe im Vokabular des Koran. Aus der Sammlung von Jeffery erwähne ich hier nur:

5.2 Adam:  آدم ʾādam

Im Hebräischen אָדָם ʾāām, wie im Ugaritischen, Phö­ni­­zischen usw. eigentlich „Mensch(heit)” (Sabäisch „Vasall, Untertan”). Im Koran nur im Sinne des Namens des ersten Menschen (vgl. auch ابن آدم  ibn ādam „Sohn Adams = Mensch“ wie z.B. 7, 35). Diese Auslegung findet sich schon in der Septuaginta – in der Schöpfungserzählung wird אָדָם ʾāām mit ἄνθρωπος „Mensch” übersetzt bis 2, 15, aber ab dem nächsten Vers, als Gott den Menschen in den Garten Eden versetzt, wird das hebräische Wort als Namen verstanden und transkribiert: Αδαμ. Die Interpretation als Namen „Adam” findet sich aber schon in der hebräischen Bibel in späten Schriften wie IChr 1, 1 und Hos 6, 7. Dies ist auch das Verständnis dieses Lexems im Neuen Testament (etwa Röm 5, 14 et passim) und eigentlich des Chris­tentums bis in die frühe Moderne. Obwohl die Wurzel ’-d-m im Syrischen seine aramäischen Bedeutungen behält, wirdܐܳܕ݂ܳܡ ʾāām durchgängig als der Name des ersten Menschen gebraucht, wie auch im Altäthiopischen, አዳም ʾādām. Obwohl also diese Wurzel im Arabischen gut belegt ist, z.B. اديم ʾadīm „Haut”, setzt aber die Interpretation als Namen des Urmenschen die Kenntnis von Christentum oder Judentum voraus. Belege aber wie Koran 3, 59; 7, 172 (تَقُولُوا يَوْمَ الْقِيَامَةِ taqūlū yawma l-qiyāmati) und 124, 20ff. machen deutlich, dass wir hier einen Einfluss von christlichen Kreisen haben. Weil also Adam im Koran nur im Sinne des Namens des ersten Menschen gebraucht wird, wobei er im hebräischen Text nur als Begriff für den Men­schen gebraucht wurde, setzt das Arabische eine bestimmte exe­getische Evo­lution voraus – dieses Wort fällt in die dritte oben angegebene Kategorie.

5.3 Islam: الإسلام al-ʾislām

Die semitische Wurzel š-l-m (> arab. s-l-m) ist in den meisten Sprachen in der Bedeutung „fertig, vollendet sein” gut bezeugt. Hieraus entwickelt sich die Bedeutung „gesund, wohlauf sein” wie im Akka­dischen. Die Bedeutung „Frieden”, auch als Gruß wie etwa das Hebräische Schalom, liegt dann auch nahe. Im arabischen Doppelungsstamm findet man die Entwicklung „ge­sund, unbeschädigt machen” > „von Schaden bewahren” > „heil übergeben” > „übergeben” (vgl. Franz. sur-rendre), etwa deditio. Im Koran könnte man zwar auch die ursprüngliche Semantik finden, etwa in 31, 22 وَمَن يُسْلِمْ وَجْهَهُ إِلَى اللَّهِ wa-man yuslim waǧha-hu ʾilā -llāhu  „Und wer sein Antlitz Gott übergibt”, wie z.B. auch in 2, 112 und 131. Das Verbum, wovon الإسلام ʾal-ʾislām (kausativ!) eine nominale Ableitung ist, wird hier aber als religiöser terminus technicus gebraucht, wiederum im Sinne einer syrischen semantischen Entwicklung. Im Syrischen findet man auch die kausative Konjugation ܐܰܫܠܶܡ ʾašlem im Sinne von „übergeben” (Luk 1, 2; Joh 18, 35, 19,30 (den Geist); Apg 8, 3 (einem Gefängnis); > „verraten” > Mt 10, 4 usw.), aber auch als christlicher Begriff: sich dem Glauben übergeben, also im Sinne von „widmen” oder „geweiht sein” (also devotio). Islam bedeutet also nicht „Frieden” im Sinn einer pacificatio oder debellatio, wohl aber: sich selber an den Willen Gottes geben, also „Über­gabe”, „Widmung”, dedicatio. Also wieder ein Beispiel einer genuin arabi­schen Wurzel, die aber eine christlich-technische Zusatzbedeutung hinzu­bekommen hat – wiederum Kategorie drei.

5.4 Allāh: الله

Im Semitischen ist das Bestehen einer von ’l abgeleiteter Form ’lh hinläng­lich bekannt. Beide Formen sind in den semitischen Sprachen gut belegt; ihre Problematik habe ich schon woanders ausgeführt.[41] Zweifelsohne ist ’lh im Sinne eines Gottes alt und gut arabisch. Aber dass gerade diese phone­tische Gestalt gebraucht wird, um den einen, einzigen Gott (vgl. im Engli­schen God vs. god) – aus der Fülle an vorhandenen Möglichkeiten – zu bezeichnen, muss ein Einfluß des syrischen ܐܰܠܳܗܳܐ ʾalāhā, der Gottesbegriff dieser Sprache überhaupt, sein[42].

5.5 Hölle: جَهَنَّمُ ǧahannam

Dieses Wort ist eindeutig eine Entlehnung und setzt eine komplizierte Ent­wicklung voraus, nämlich die Unterscheidung zwischen Himmel und Hölle, also eine Endbeurteilung der Menschheit. Diese durch die Apokalyptik ein­geführte Vorstellung ist keinesfalls ursemitisch und in der hebräischen Bibel eigentlich gar nicht gegeben: die Toten fuhren allesamt in die Scheol, un­geachtet ihrer Taten in diesem Leben. Gehenna war ursprünglich ein Orts­name, גֵי־(בֶּן־)הִנֹם gêy-(bän) hinōm, das Tal des (Sohnes von) Hinnom, also die Stätte des Molochdienstes (keine Gottheit!) – vgl. z.B. 2Kg 23, 10; Jer 7, 31f. –, wo Kinder für den Herrn lebendig verbrannt wurden. Was die Wort­form anging, so finden wir in der Septuaginta nebst Übersetzungen auch Umschriften, etwa γαιβενενομ, γαι-βαναι-εννομ und auch phonetisch γαιεννα(μ), was im Neuen Testament dann als γέεννα erscheint. Was die Bedeutung angeht, so finden wir sie in der apokryphen Literatur, z.B im ersten Enochbuch (90, 26), 4Esra und später in den Sibyllinischen Orakeln als Stätte zukünftiger Bestrafung von Frevlern und Übeltätern. In dieser Be­deutung erscheint das Wort dann auch im Neuen Testament, z.B. Mt 5, Mk 9 usw. Die heute immer noch weitverbreitete Vorstellung des Höllenfeuers und der ewigen Verbrennung von Ungläubigen hat also eine lange (un­his­torische!) Entstehungsgeschichte – sie zeugt von einer Mischung aus einem alten Opferkult, zoroastrischen Glaubensvorstellungen und einer guten Dosis hellenistischen Einflusses. Die koranisch-islamische Vorstellung, ge­nau­so wie die christliche, verweist auf eine spätere Glaubensvorstellung, setzt also die geschilderte(n) Entwicklung(en) voraus. Die arabische Form mit dem bewahrten finalen -m könnte auf eine hebräische Entlehnung verweisen, aber das altäthiopische ገሀ/ሃነም gaha / hānam könnte eher die Quelle der Entlehnung sein (möglicherweise aus dem Hebräischen oder von einer nicht bewahrten Orthographie des Griechischen), das Syrische ܔ݄ܝܗܰܢܳܐ gihannā ist nur schwerlich hiermit in Verbindung zu bringen. Das Lexem wie auch die damit verbundenen Vorstellungen können nur vom Christentum abstammen.

5.6 Der Satan:  الشَّيْطَانُ  aš-šayṭānu

Der Herr der Hölle setzt natürlich eine Hölle voraus. Das arabische Wort hat, wie unseres, seinen Ursprung im Hebräischen. Die Etymologie ist noch undeutlich, was aber hier nicht weiter ausgeführt werden muss. In der He­bräischen Bibel finden wir שָׂטָן šāṭān in den früheren Büchern in der Be­deutung eines Gegners, wie z.B.  1Sam 29, 4, wo David als (möglicher) Satan der Philister bezeichnet wird (μὴ γινέσθω ἐπίβουλος τῆς παρεμβολῆς), wie auch in 1Kg 11, 14, 23, 25; Num 22, 22-32. Erst der Chronist gebraucht dieses Wort als Namen einer bestimmten Person, den (proto-)Leibhaftigen, 21, 1 (vgl. schon die Septuaginta: Καὶ ἔστη διάβολος ἐν τῷ Ισραηλ καὶ ἐπέσεισεν τὸν Δαυιδ τοῦ ἀριθμῆσαι τὸν Ισραηλ), der auch wohl (?) gemeint ist in Zach 3, 1f (eine Zwischenstufe stellen vielleicht die Belege im Buche Hiob dar). Der Ursprung dieses Begriffes könnte aus der Rechtssprache ent­stammen, wo der ‚Ankläger’ gemeint ist, etwa Ps 109, 6. Im Neuen Testa­ment finden wir diese Gestalt, den Σατανᾶ (= διάβολος), wie auch in der rabbi­nischen Literatur, ausgebildet als Personifizierung des Bösen – im Ge­gensatze zu Jesus, der als Anwalt, παράκλητος geschildert wird. Auch in der Peschitta gibt es diese Bedeutung ܤܳܛܳܢܳܐ sāṭānā (diese Form könnte sowohl aus dem Hebräischen als auch aus dem Griechischen stammen). Die ara­bische Form šayān, obwohl vielleicht schon eine vorislamische Ent­lehnung im Sinn von ‚bösen Geistern’, z.B. 6, 71:

كَالَّذِي اسْتَهْوَتْهُ الشَّيَاطِينُ فِي الْأَرْضِ حَيْرَانَ لَهُ أَصْحَابٌ يَدْعُونَهُ إِلَى الْهُدَى ائْتِنَا ۗ قُلْ إِنَّ

ka-llaḏī stahwat-hu š-šayāṭīnu fī l-ʾari ayrāna la-hū ˈaṣḥābun yadʿūna-hū ˈilā l-hudā ʾtinā qul ʾinna

رَّبِّ أَعُوذُ بِكَ مِنْ هَمَزَاتِ الشَّيَاطِينِ

rabbi aʿūḏu bi-ka min hamazāti š-šayāṭīni

– etwa ein Synonym zu den جن ǧinn, ist wohl vom Äthiopischen ሰይጣን  sayṭān (< Aram.), ein Lexem, das auch diese Bedeutungsnuancen besitzen kann (pl.  ሰያጥን ayāṭən, ሰያጥናት yāṭənātəsa „Dämonen”). Jedenfalls setzt aber die Verbindung des Leibhaftigen mit diesem Wort deutlich die seman­tische Entwicklung, die im Christentum gipfelte, voraus.

5.7 Vergebung: حِطَّةٌ  iṭṭatun

In diesem Kontext erwähne ich hier auchحِطَّةٌ  iṭṭatun „Vergebung” (2, 58; 7, 161) und das häufige Verbum خطى ḫaṭṭā „sündigen” (خطيئة ḫaṭīʾa „Sün­de”), die wohl allesamt eine im Hebräischen vollzogene Begriffsent­wicklung voraussetzen. Die Wurzel -’ hat ursprünglich die Bedeutung „ver­fehlen, vermissen”, etwa wie im Arabischen noch im kausativischen IV. Stamm „das Ziel (beim Schießen) verfehlen.” In diesem Sinne ist das Wort bei­spielsweise Jes 65, 20 „… wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hun­dert Jahre nicht erreicht (החוטא hwṭʾ wortwörtlich verfehlt), gilt als ver­flucht.” Der Ansatz zur Entwicklung „verfehlen” > „missfallen” (als Resultat von Verfehlung) sieht man z.B. in Spr 8, 36 „Wer aber mich verfehlt (חטאי oəʾī), zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.” Der weitere Weg zur Bezeichnung eines Vergehens ist leicht verständlich – eine Entwicklung, die auch im Akkadischen aûm, im Ugaritischen ḫṭsowie im Sabäischen, Qatabanischem usw. vollzogen wurde. Jedoch ist es ein langer Weg vom Vergehen (mit oder ohne Absicht) zur Sünde, also zum morali­schem Vergehen einer Gottheit gegenüber. Dieses Verständnis ist in den äl­te­ren Teilen der Hebräischen Bibel nicht vorhanden und  das Resultat einer späten komplizierten theologischen Begriffsentfaltung, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann. Aber das Resultat, das wir im Neuen Tes­tament ausgeprägt vorfinden, ist keine Selbstverständlichkeit. In dieser spe­zi­fischen theologisch-technischen Bedeutung finden wir das Syrische ܚܛܳܐ ḥṭā „peccavit” (mit nominalen Ableitungen wie  ܚܛܳܐ ḥṭā, ܚܛܺܝܬܴܐ ḥṭīṯā, ܚܛܺܝܬܴܢܳܝܳܐ ḥṭīṯānāyā,ܚܶܛܝܳܢܳܐ[43] eyānā, ܚܛܳܝܳܐ ḥṭāyā usw.). Im Arabischen so­wie im Altäthiopischen ist diese Bedeutung dann vom Syrischen entlehnt worden. Ihr Gebrauch in diesen Sprachen hat eben die Hamartiologie als Voraussetzung.

حِطَّةٌ  iṭṭa „Vergebung” ist ein Wort, dessen Bedeutung allen Exegeten deut­lich ist, deren Ableitung aber keine befriedigende Lösung gefunden hat. Ihrer Form wegen vermute ich eine mögliche Entlehnung der Bedeutung vom hebräischen Piʿel (D-Stamm), חִטֵּא ḥiṭṭēʾ „entsündigen.”

5.8 Engel: ملائكة malāʾika

Zum Schluss soll noch ein für den Islam wichtiger Begriff erwähnt wer­den, der wiederum eine lange semantische Entwicklungsgeschichte hinter sich hatte, ehe es zu seinen koranischen Bedeutungen kam. Das Wort ملائكة malāʾika „Engel” hat natürlich als Voraussetzung die Konzeption des Beste­hens solcher Geistwesen. Dieses Wort stammt natürlich ab vom hebräischen מַלְאָךְ malʾāḵ (von der Wurzel l-’-k „eine Botschaft senden”)[44]. Diese nominale Ableitung bedeutet in den älteren Büchern der hebräischen Bibel „Botschafter”, also der Überbringer einer Nachricht wie z.B. im Ugari­tischen. In diesem Sinne wird sie beispielsweise in Ez 23: 40 gebraucht:

„Sie haben sogar einen Boten (מַלְאָךְ malʾāḵ) geschickt nach Män­nern, die aus fernen Landen kommen sollten.”

Dass es später zur Bezeichnung eines von Gott her gesandten Nach­rich­tenüberbringers kam, ist wiederum das Ergebnis einer israelitischen, z.T. von außen beeinflussten Sonderentwicklung. Die spätere Tradition, die wir u.a. im Neuen Testament vorfinden, hat den Gabriel (גַּבְרִיאֵל gabrīʾēl „Mann bzw. Held Gottes” Dan 8, 15ff; 9, 20ff.) und den Michael (מִיכָאֵל‎ ḵāʾēl „Wer ist wie Gott”; Dan 10, 13ff.) als ‚Engel’ ausgelegt – es kann kein Zufall sein, dass auch ausgerechnet diese zwei die einzigen im Koran na­ment­lich genannten Engel sind, etwa 2, 98:

مَن كَانَ عَدُوًّا لِّلَّهِ وَمَلَائِكَتِهِ وَرُسُلِهِ وَجِبْرِيلَ وَمِيكَالَ فَإِنَّ اللَّهَ عَدُوٌّ لِّلْكَافِرِينَ

man kāna ʿaduwwan llāhi wa-malāʾikati-hi wa-rusuli-hi wa-ǧibrīla wa-mīkāla wa-ʾinna llāha ʿaduwwun li-lkāfirīna

„wenn einer Gott und seinen Engeln und Gesandten und dem Gabriel und Michael feind ist, so ist (umgekehrt auch) Gott den Ungläubigen feind. (Paret)“

Der Gebrauch sowohl des Terminus technicus ملائكة malāʾika wie auch die Namen جِبْرِيل ǧibrayl und مِيكَالَ mīkaʾal können nur eine Entlehnung sowohl des Worts als auch des Konzepts sein. Das Syrische hat beides aus dem Hebräischen entlehnt, und in der Peschitta gibt ܡܰܠܴܐܟ݂ܳܐ malāḵā den hebrä­ischen Begriff (z.B. Gen 16, 7) wieder; das gilt auch für den griechischen Begriff ἄγγελος wie an dieser Stelle der Septuaginta sowie im Neuen Testament. Das syrische Lexem ist dann auch vom Altäthiopischen entlehnt, መልአክ malʾak. Ob das Arabische es auf direktem Weg vom Syrischen oder vom Gəʿəz übernahm, ist schwer zu entscheiden.

Nebenher sei bemerkt, dass die arabische Orthographie von Gabriel hier – der Name wurde von den frühen Kommentatoren als fremd empfunden und es gibt zahlreiche verschiedene Schreibungen – جِبْرِيلَ eine phonetische Umschrift der Aussprache dieses Namens /ǧibrīl/ ist, die zurückgehen muss auf eine syro-aramäische Form ܓ݁ܰܒ݂ܪܺܝܐܝܶܠ gabriʾel, vgl. Γαβριὴλ, also /găbriʾəl/ > /găbrîl/ > /gĭbrīl/ (Vokalharmonie!). Die Vokalisation von Michael مِيكَالَ /mika’al/ kann gar nicht echt sein – das theophore Element /ʾel/ wurde gar nicht als solches verstanden. Die Orthographie und Voka­lisation dieser Formen sprechen also gegen eine einheimische arabische Tradition als Quelle dieser Namen – ihrer semitischen Etymologie wegen müssen sie phonetische Umschriften sein, deren Ursprung in einer anderen Sprache zu suchen sind.

Dasselbe gilt übrigens für viele Namen biblischer Personen im Koran. Man erwartete bei einer authentischen arabischen Offenbarung eine etymo­logische Recht­schreibung und nicht eine Transkription aramäischer bzw. äthiopischer Formen, die wiederum vom Griechischen übernommen wur­den. Dies gilt u.a. für Isaak: إِسْحَاق /isḥāq/; vom Hebräischen יִצְחָק /yiṣḥāq/ würde man arabisch يصحق* yaṣḥaqu oder gar يضحك* yaḍḥaku (er lacht) schreiben, wenn es eine Erinnerung an die traditionelle Volksetymologie Gen 17, 17; 18, 12 gegeben hätte – so kann diese Form nur eine phonetische Umschrift der syrischen Form ܐܺܝܣܚܳܩ /isḥāq/ sein, die Form wurde also nicht als konjugiertes Verbum verstanden (<*yisḥāq-ʾel). Einen ähnlichen Zustand finden wir bei dem Namen Israel: إِسْرَائِيلَ /isrāʾīl/ vom Hebräischen יִשְׂרָאֵל‎‎ /yiśrā’ēl/ – obwohl die Etymologie des ersten (verbalen) Elements undeut­lich bleibt,[45] ist sie eine Präfixkonjugation (kurz) mit dem theophoren Element /’l/ (vgl. oben unter ‚Allah’). Die arabische Rechtschreibung hat weder das Verbum noch den Gottesnamen als solche erkannt und ist sicherlich zu verstehen als eine Transkription einer syrischen Form ܐܺܝܣܪܳܐܝܶܠ /isrāʾel/ o.ä. (Varr. ܝܺܣܪܳܝܶܠ yisrāʾel, ܐܺܝܣܪܳܝܶܠ isrāʾel) – weniger wahrscheinlich < እስራኤል əsrāʾil. Erstaunlicherweise ist dieselbe Erschei­nung bei der Orthographie von Ismael zu sehen: إسماعيل‎ ismacīl gibt nicht das hebräische יִשְׁמָעֵאל yiśmāʿʾēl „Gott hat gehört (scil. den Wunsch nach einem Kind, Sohn)”, also šmc “hören” + ’l “Gott” wieder – sie kann eigentlich nur eine Transkription einer Form ܐܫܡܥܝܠ ʾšmʿyl sein. Was Jakob angeht, so sind zwar يَعْقُو yaʿqū und يَعْقُوبُ yaʿqūb etymologische Wiedergaben des hebräischen יַעֲקֹב yaʿaqōb > Syrisch ܝܰܥܩܽܘܒ݂ yaʿqub, aber die Uneinigkeit der frühen koranischen Kommentatoren in Hinsicht der Ety­mo­logie dieses Namens (vgl. Jeffery 291) lässt sehen, dass der Name über­nommen worden ist – obwohl عقب ʿ-q-b eine ähnliche Bedeutung wie Hebräisch עָקַב ʿāqab, vgl. Gen 25, 26; 27, 36, haben kann;[46] dass gerade hier das verbale Präfix im Arabischen ohne Kenntnis der Ableitung geschrieben wird, muss auf eine syrische Entlehnung hinweisen. Ähnliches gilt für يوسف‎ yūsuf < ܝܰܘܣܶܦ݂  yawse (mit Vokalharmonie im Arabischen) < יוֹסֵף yōsē. Es kann kein Zufall sein, dass hier das Arabische immer der syrischen Orthographie an­statt der semitischen Etymologie folgt. Hier kann es also nicht um eine neue Offenbarung, wohl aber um eine Fortsetzung bzw. Evolution einer schon bestehenden Tradition handeln.

Weitere Hinweise hierauf sieht man etwa in Fällen, in denen die dia­kritischen Punkten scheinbar falsch auf das konsonantische Gerüst gesetzt wurden, wie etwa يحيى‎  yḥyy „Johannes (der Täufer)” /yaḥyà/. Natürlich gemeint ist hebr. יוֹחָנָן yoḥān > syr. ܝܽܘܚܰܢܳܢ yuḥanān – hier kann nur ein rasm ىحىى zugrunde liegen, der in Unkenntnis nicht als يحنن ynn gepunket wurde. Ein interessanter Fall dieser Erscheinung in der außerkoranischen Überlieferung ist das textuelle Schicksal des ägyptischen Beamten Potiphar, hebräisch פּוֹטִיפָר pôṭîār (u.a. Gen 37, 36). In Surah Yusuf (12) wird er nicht namentlich erwähnt, er heißt etwa v. 21 nur الَّذِي اشْتَرَاهُ مِن مِّصْرَ  allaḏī štarā-hū min mira “Der aus Ägypten stammende Käufer.” In der Kommen­tarliteratur finden wir etwa وهو قطفير wa-huwa qiṭfīr „und er ist Qitfir” (Tafsir Jalalayn a.l.; auch z.B. Al-Baizawi, Djami, قصص الأنبياء qia al-ʾanbiyāʾ [meine Ausgabe, Kairo o.J., pp. 94ff.] usw.). Hier ist wichtig festzustellen, qitfir hat keine Etymologie – potifar ist aber ein ägyptischer Personenname < p3-dj-p3-rˁ, „der von Ra gegebene.”[47] Eindeutig lag hier ڡطڡىر  vor, wie das Syrische ܦܘܛܝܦܪ – eine als fremd empfundene Bildung, bei der man wohl keinen Rat hatte, aber raten musste.

  1. Zu den fünf Säulen des Islam

6.1 Vorbemerkungen

Der Einfluss der syro-aramäischen Sprache auf den theologischen Wort­schatz des Koran ist also deutlich erkennbar. Die oben angegeben Beispiele mögen einem Leser vielleicht willkürlich erscheinen. Um das Bild abzurun­den, verweise ich hier auf die Schlüsselbegriffe der „Fünf Säulen des Islam” (أركان الإسلام ʾarkān al-ʾislām), also

  1. das Glaubensbekenntnis: الشهادة aššahāda,
  2. das Gebet: صلاة alāṭ,
  3. das Fasten: صوم‎ awm,
  4. die Abgabe: زكاة zakāt bzw. صدقة‎ adaqa und
  5. die Pilgerfahrt: حج‎ aǧǧ.

Obwohl alle diese Begriffe ihrer Struktur gemäß gut arabisch sein können, ist deutlich, dass ihre glaubenstechnischen Bedeutungen auf eine Entleh­nung aus dem Syrischen hinweisen.

6.2 Das Glaubensbekenntnis: الشهادة aššahāda

Arabisch š-h-d ‘bezeugen’, hier im spezifischen Sinne des den ‚Glauben bekennen’, setzt das Syrische ܤܗܶܕ she in ähnlicher Bedeutung voraus, etwa wie im Deuteronomium (Dt 5, 20) ܠܐ ܬܣܗܕ ܥܠ ܚܒܪܟ ܣܗܕܘܬܐ ܕܓܠܬܐ܂ d-gltʾ shdwtʾ brk ʿl tshd lʾ „Du sollst nicht falsches Zeugnis reden wider deinen Nächsten.” Im Neuen Testament wird diese Wurzel (vgl. das Nomen ܣܳܗܕ݁ܳܐ sāhdā) gebraucht, um griechisch μάρτυρ- wiederzugeben: μάρτυρ „Zeuge”, μάρτυρίαν „Zeugnis”, μάρτυρέω „bezeugen” usw., wie z.B. Joh 3, 11:

ἀμὴν ἀμὴν λέγω σοι ὅτι ὃ οἴδαμεν λαλοῦμεν καὶ ὃ ἑωράκαμεν μαρτυροῦμεν, καὶ τὴν μαρτυρίαν ἡμῶν οὐ λαμβάνετε –

ܐܰܡܺܝܢ ܐܰܡܺܝܢ ܐܳܡܰܪ ܐ̱ܢܳܐ ܠܳܟ݂܃ ܕ݁ܡܶܕ݁ܶܡ ܕ݁ܝܳܕ݂ܥܺܝܢ ܚ̱ܢܰܢ ܡܡܰܠܠܺܝܢ ܚ̱ܢܰܢ܂ܘܡܶܕ݁ܶܡ ܕ݁ܰܚܙܰܝܢ ܡܰܣܗܕ݂ܺܝܢ ܐܶܢܰܚܢܰܢ܂ ܘܣܳܗܕ݁ܽܘܬ݂ܰܢ ܠܳܐ ܡܩܰܒ݁ܠܺܝܢ ܐܢ̱ܬ݁ܽܘܢ.

ʾamīn ʾamīn ʾāmar-nā lā: d-meddem d-yāʿīn nan məmalləlīn nan. w-meddem da-zayn mashəīn ʾananan. w-sāhduan lāk mqabbəlīn ʾantun.

Auffallend ist auch die Bedeutungsnuance des Martyrers (شهيد šahīd ~ ܤܰܗܕܳܐ sahdā), um eine Person, die für seinen Glauben starb, zu bezeichnen, in beiden Sprachen. Hier kommt nur eine syrische Entlehnung in Frage.[48]

6.3 Das Gebet: صلاة alā

Arabisch -l-w ist nur in der zweiten (faktativischen) Konjugation gebraucht und ist damit also denominal. Ein Blick auf das Aramäische zeigt für ܨܠܴܐ lā im Peal „inclinavit, flexit” usw. – also der Akt des Sich-Beugens, die physische Handlung (vgl. 2, 43 وَارْكَعُوا مَعَ الرَّاكِعِينَ wa-rkaʿū maʿa r-rākiʿīn), in der Zweiten, aber dann im Sinne von ‚beten’, z.B. Mt 6,6:

ܬ݁ܰܪܥܳܟ݂܃ ܘܨܰܠܳܐ ܠܰܐܒ݂ܽܘܟ݂ ܕ݁ܰܒ݂ܟ݂ܶܣܝܳܐ܂ ܘܰܐܒ݂ܽܘܟ݂ ܕ݁ܚܳܙܶܐ ܒ݁ܟ݂ܶܣܝܳܐ ܢܶܦ݂ܪܥܳܟ݂ ܒ݁ܓ݂ܶܠܝܳܐ.[49]

tarʿāḵ: w-ṣalā laʾḇuḵ daḇ-ḵesyā. wa-ʾḇuḵ d-ḥāzeh b-ḵesyā nerʿāḵ b-ḡelyā.

… bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist, und dein Vater, der im Verborgenen sieht, wird dir vergelten.

Hier wiederum ist die Semantik des Syrischen ausschlaggebend – nur der Ge­brauch dieser Wurzel im Syrischen im spezifischen Sinne von sich beu­gen, um Gott zu bitten, kann der Ursprung des arabischen Begriffes sein.

6.4 Das Fasten: صوم‎ awm

Arabisch -w-m, um das religiös bedingte Absehen von Speisen, Getränken, Geschlechtsverkehr usw. anzugeben, kann eigentlich nur eine Entlehnung sein. In dieser Bedeutung ist schon das Ugaritische m belegt. Wenn es sich hier um ein echt arabisches Lexem handelte, erwartete man dies dann auch im Arabischen, also ظوم* ẓ-w-m. Der Ursprung dieses Wortes ist wohl das He­bräische צוֹם ôm „Fasten”[50] (verbal Qal „Fasten, ein Selbst­minderungs­ritus i.d.R. tagsüber” (Gesenius18 s.v.). Das aramäischeܨܘܡ wm in dieser Bedeutung muss hiervon entlehnt sein, da sich proto-semitisch in dieser aramäischen Ausprägung zu entwickelte, also ergäbe es dann ܛܘܡ* wm. Dass Fasten im frühen Christentum, besonders in seinen orientalischen Ausprägungen, weitverbreitet war, erfordert keine weiteren Ausführungen, vgl. hier nur das monatelange Fasten des Adventes während (ܨܘܡܐ ܕܝܠܕܐ/ܕܣܘܒܪܐ ṣawāmā subrā / -yaldā). Neben dem Arabischen ist dieser Begriff auch ins Altäthiopische entlehnt, ጾመ om.

6.5 Die Abgabe: زكاة zakāt bzw. صدقة adaqa

Das Geben von Almosen, also die Verpflichtung, einen bestimmten Anteil des Besitzes Armen und Bedürftigen sowie anderen festgelegten sozialen Gruppen zur Verfügung zu stellen زكاة‎ zakāt, ist nur schwerlich mit زكى zakā „reinigen” in Verbindung zu bringen. Eine befriedigende Etymologie gibt es hierfür nicht, wahrscheinlich ist hier mit einer arabischen Sonder­entwickelung zu rechnen, wohl aber unter dem Einfluß von ܙܳܟ݂ܽܘܬ݂ܳܐ zāḵuṯā „Freispruch, Unschuld” (auch „Grab eines Märtyrers”)  – oder etwa wie jü­disch-babylonisch-aramäisch, pal. Targumaramäisch und galileisches Ara­mäisch זְכוּתָא zəuṯā „Belohnung, verdienstvolle Tat.” Das Letztere scheint mir am Wahrscheinlichsten.

Auch die freiwillige Gabe, صدقة‎ adaqa muss ihrer spezifischen Bedeu­tung wegen fremden Ursprungs sein. Im Amoritischen, Ugaritischen, Hebrä­i­schen, Sabäischen, Gəʿəz usw. ist das semantische Feld „recht, recht­schaffen, wahr sein belegt” (vgl. der Tzaddik) – wovon die klassischen Kom­mentatoren den arabischen Begriff ableiten. Die Entwicklung aber „recht­schaffen sein” > „das was recht(mäßig) ist” > „das was richtig (abzugeben) ist” > „Almosen spenden”> „Anteil, Tribut abgeben” ist im Aramäischen vollzogen. Direkt kommt das Syrische hier nicht in Frage, weil hier mit z wiedergegeben wird. Hier aber finden wir beispielsweise ܙܶܕܩܬܴܐ zadūṯā „benificium, eleemosyne”, also wie in Mt 6, 2, wo dieses Wort griechisch ἐλεημοσύνη wiedergibt:

ܐܰܝܟ݂ ܕ݁ܥܳܒ݂ܕ݁ܺܝܢ ܢܳܣܒ݁ܰܝ̈ ܒ݁ܰܐܦ݁ܶܐ̈ ܒ݁ܰܟ݂ܢܽܘܫܳܬ݂ܳܐ̈ ܘܰܒ݂ܫܽܘܩܶܐ̈܃ܐܰܝܟ݂ ܕ݁ܢܶܫܬ݁ܰܒ݁ܚܽܘܢ ܡܶܢ ܒ݁ܢܰܝ̈ ܐ̱ܢܳܫܳܐ̈܂ ܘܰܐܡܺܝܢ ܐܳܡܰܪ ܐ̱ܢܳܐ ܠܟ݂ܽܘܢ܃ܕ݁ܩܰܒ݁ܶܠܘ ܐܰܓ݂ܪܗܽܘܢ܂

ʾay d-ʿābdīn nāsbar baʾpe ba-nušāṯā wa-buqe: ʾay d-nešbun men bnay (ʾ)nāšā wa-ʾmīn ʾāmar (ʾ)nā lḵun d-qabbelu ʾaḡrhun (vgl. auch Mandäisch).

… wie die Heuchler tun in den Synagogen und auf den Straßen, damit sie von den Menschen geehrt werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin.

Diese Bedeutung aber finden wir mit der Wurzel -d-q im westlichen Ara­mäischen, etwa der christlich-palästinensische ܨܕܩܐ ṣdqʾ sowie als hebrä­ische Entlehnung in jüdischen Dialekten צְדָקָה əḏāqāh. Obwohl die genaue aramäische Quelle der arabischen Entlehnung, die wohl dieselbe ist wie die des Altäthiopischen ጽድቃት adəqāt (pl.; sing. ጽድቅ adəq) nicht deutlich ist, handelt es sich hier zweifelsohne der Semantik wegen um eine Entlehnung.

6.6 Die Pilgerfahrt: حج aǧǧ

Dieses Wort zur spezifischen Bezeichnung der Pilgerfahrt gen Mekka scheint eine Entlehnung zu sein, ist möglicherweise aber eine einheimische Bezeichnung – was nicht erstaunen muss, da es sich um die islamische Ausarbeitung eines vorislamischen Ritus handelt. Ich gebe hier einige Hin­weise, ohne mich festlegen zu können. Im biblischen Hebräisch bedeutet die Wurzel -g-g ein religiöses Fest im Allgemeinen und wird häufig mit -w-g „einen Kreis ziehen, abzirkeln” (vgl. der طواف awāf) in Verbindung ge­bracht, also ursprünglich „im Kreise tanzen” > „an einer Prozession teil­neh­men.” Das Arabische hat für diese Wurzel, nebst der Bedeutung „den Haǧǧ unternehmen”, auch eine juristische Semantik „mit Argumenten überwin­den”, vgl. حجة uǧǧa „Argument; Beweis; Plädoyer usw.” (wohl verwandt mit حقّ aqq „Wahrheit”; vgl. auch ሐገገ agaga “Gesetze erlassen usw.”, ሕግ əgg „Gesetz”). Da diese arabische Wurzel in der Rechtssphäre sehr pro­duktiv ist und die Verbindung mit der Pilgerfahrt keine anderen Nachlässe hat, liegt die Vermutung einer Entlehnung nahe. Die Bedeutung „feiern” im religiösen Kontext ist aber im Aramäischen weit verbreitet und besonders im Syrischen mit der semantischen Weiterentwickelung Pilgerfahrt, z.B. ܚܰܓܿܳܝܳܐ aggāyā „solemnis; peregrinans ad festum agendum.”[51] Im Sabäischen finden wir gA g meistens mit der scheinbaren Bedeutung „göttliche Fü­gung; Anspruch, Berechtigung”, aber spätsabäisch auch „Pilgerfahrt” – die wieder eine Entlehnung aus dem Aramäischen darstellen muss und mög­li­cher­weise auch im Altnordarabischen belegt ist. Obwohl ich eine inner­arabische Entwicklung nicht ganz ausschließen kann – erscheint mir aber eine Entlehnung aus dem Syrischen hier am Wahrscheinlichsten, die aber möglicherweise durch eine altnordarabische Sprache vermittelt wurde.

  1. Die erste Sure des Koran

7.1 Varianten der Fātiḥa

Im Vorhergehenden haben wir einige der theologischen Wörter des Koran und des Islam jedes für sich angeschaut. Es ließ sich feststellen, dass diese (und viele mehr) meistens Entlehnungen aus dem Aramäischen, genauer aus dem Syrischen, sind, der Sprache eines Großteils des semitischen Chris­tentums zur Zeit „Mohammeds.” Zum Schluss aber ist es vielleicht ange­bracht, ein Beispiel eines koranischen Textes zu geben, um das schon Be­schrie­bene im Zusammenhang sehen zu können. Einfachheitshalber be­gnü­ge ich mich hier mit der Eröffnungssure, der Surat Al-Fātiah (سورة الفاتحة). Ich gebe hier eine freie wörtliche Verdeutschung und einen Notenapparat, in dem die Entlehnungen kurz ausgeführt werden.

1. bi-smi llāhi r-raḥmāni

r-raḥīm]

2. al-ḥamdu li-llāhiA rabbiB

l-ʿālamīnC

3. ar-raḥmāniD r-raḥīm

4. māliki yawmiE d-dīnF    

5. iyyāka naʿbuduG wa-

iyyāka nastaʿīn

6. ihdinā ṣ-ṣirāṭH al-mustaqīmI

 

7. ṣirāṭa l-laḏīna anʿamta

ʿalayhim ġayri l-maġḍūbi

ʿalayhim wa-lā ḍ-ḍāllīn

Im Namen des gnädigen Gnädigen

 

Lob sei Gott, dem Herr der Ewig­keit(en)

Der gnädige Gnädige

Der am Tage des (jüngsten) Gerich­tes herrschen wird[52]

Dich beten wir an und bitten Dich um Hilfe

Führe uns auf den geraden Lebens­weg (Glauben)

den Weg derer, denen Du Barm­herzigkeit erwiesen hast, nicht (den Weg) derer, die d(ein)em Zorn ver­fal­len sind und irregehen!

Obwohl der Koran als einzig und einmalig gilt, ist seine Textüberlieferung genausowenig einmalig wie die seiner Vorgänger (scil. die Hebräische Bibel und das Neue Testament). Andere interessante Varianten sind belegt, wie die zwei von Jeffery[53] publizierten. Wir geben sie hier mitsamt seiner Über­setzung wieder:

1. nuḥammidu llāha rabba l-ʿālamīn

2. ar-raḥmāna r-raḥīma

3. malʾaka yawm ad-dīn

 

4. hayyāka naʿbudu wa-yyāka nastaʿīn

5. turšidu sabīla l-mustaqīm

6. sabīl l-laḏīna naʿʿamta

ʿalayhim siwā l-maġḍūbi

ʿalayhim wa-lā ḍ-ḍāllīna

نُحَمِّدُ ٱللّٰهَ رَبَّ ٱلْعَالَمِينَ

ٱلرَّحْمٰنَ ٱلرَّحِيمَ

مَلاَّكَ يَوْمِ ٱلدِّينِ

هَيَّاكَ نَعْبُدُ وِيَاكَ نَسْتَعِينُ

تُرْشِدُ سَبِيلَ ٱلْمُسْتَقِيمِ

سَبِيلَ ٱلَّذِينَ نَعَّمْتَ عَلَيْهِمْ

سِوَى ٱلْمَغْضُوبِ عَلَيْهِمْ وَلاَ ٱلضَّالِّينَ

We greatly praise Allah, Lord of the worlds,

The Merciful, the Compassionate,

He who has possession of the Day of Judgment.

Thee do we worship, and on Thee do we call for help.

Thou dost direct to the path of the Upright One,

The path of those to whom Thou hast shown favor,

Not that of those with whom Thou are angered, or those who go astray.

1. bi-smi llāhi r-raḥmāni  r-raḥīm

2. al-ḥamdu li-llāhi sayyidi l-ʿālamīna

3. ar-razzāqi r-raḥīm

4. malʾaki yawm ad-dīn 

5. inna laka naʿbudu wa-inna laka nastaʿīnu

6. ʾaršid-nā sabīla l-mustaqīm

7. sabīla l-laḏīna mananta ʿalayhim

siwā l-maġḍūb ʿalayhim wa-ġayra

ḍ-ḍāllīna

بِسْمِ ٱللّٰهِ ٱلرَّحْمٰنِ ٱلْرَحِيمِ

أَلْحَمْدُ لِلّٰهِ سَيِّدِ ٱلْعَالَمِينَ

ٱلرَّزَّاقِ ٱلرَّحِيمِ

مَلاَّكِ يَوْمِ ٱلدِّينِ

إِنَّ لَكَ نَعْبُدُ وَإِنَّ لَكَ نَسْتَعِينُ

أَرْشِدْنَا سَبِيلَ ٱلْمُسْتَقِيمِ

سَبِيلَ ٱلَّذِينَ مَنَنْتَ عَلَيْهِمْ

سِوَى ٱلْمَغْضُوُبِ عَلَيْهِمْ وَغَيْرَ ٱلضَّالِّينَ

In the Name of Allah, the Merciful, the Compassionate.

Raise be to Allah, Lord of the worlds,

The Bountiful, the Compassionate,

He who has possession of the Day of Judgment,

As for us, to Thee do we worship, and to Thee we turn for help,

Direct us to the path of the Upright One,

The path of those on whom Thou hast bestowed favors,

Not that of those with whom Thou art angered,

Nor that of those who go astray.

Diese zwei Texte bieten recht interessante Varianten, auf die aber hier nicht näher eingegangen werden soll – ich hoffe, mich bei einer anderen Gelegen­heit hiermit beschäftigen zu können. Häufig sehen wir den Gebrauch von Synonymen. Sie lassen aber erkennen, dass die Textüberlieferung gar nicht so einheitlich ist, wie von Gläubiger behauptet wird.

7.2 Besprechung der einzelnen Formen

7.2.1 Allāh

Allāh الله < al-ilāhu, „Gott” – s. oben.

7.2.2 rabb

Von r-b-b im Sinne von Rabbi (Herr, Lehrer) ist ein Fachterminus, vgl. NT ῤαββί. Ohne hier weitschweifige Ausführungen veranstalten zu wollen, ist diese Bedeutungsentwicklung im Aramäischen vollzogen worden. Im Spät­sa­bäischen der monotheistischen Periode als dhy br rb yhd „Herr der Ju­den” belegt, auch ins Altäthiopische als ረባን rabbān aus dem Aramä­ischen. Auch im Syrischen gut bezeugt: ܪܰܒ݁ܺܝ rabbān sowie ܪܰܒ݁ܽܘܠܺܝ rabbūlī (diminutiv) usw.): Ein offensichtliches Lehnwort im Arabischen in dieser Bedeutung (sowie Ableitungen etwa „besitzen, kontrollieren“ usw.).

7.2.3 ʿālamīn

clm im Arabischen „Wissen, Kennen > Wissenschaft”, vgl. moderne Bil­­dungen ähnlich deutschen Komposita mit -logie: الاحياء علم ʿilm al-ʾiyāʾ „Biologie”, الإجتماع علم ʿilm al-ʾiǧtimāʿ „Soziologie”, الحساب علم ʿilm al-isābMathematik” usw. Für die Bedeutung in diesem Vers vgl. schon ugaritisch „Dauer” > „ewig”, etwa lht w clmh „jetzt und für immer”, auch als Titel eines vergöttlichten toten Königs mlk clm „ewiger König” (vgl. äg. q3 dt als Titel des Osiris!) ­– schon sehr ähnlich zu dem hier behandelten Beleg, auch Hebräisch וַיהוָה אֱלֹהִים אֱמֶת הוּא־אֱלֹהִים חַיִּים וּמֶלֶךְ עֹולָם wa-JHWH ʾälohîm ʾäʾʾälohîm ayyīm ū-mälä ʿolām „Aber der HERR ist der wahrhaftige Gott, der lebendige Gott, der ewige König” (Jer 10, 10) und וַיִּקְרָא־שָׁם בְּשֵׁם יְהוָה אֵל עֹולָם wa-yyiqrāʾšām b-šēm JHWH ʾēl ʿôlām „und rief dort den Namen des HERRN, des ewigen Gottes, an” (Gen 21, 33). Hieraus entwickelte sich die Bedeutung „zukünftige bzw. kommende Zeit”, im Hebräischen auch mit dem Plural (um Nachdruck zu verleihen), z.B. Ps 77: 8 הַלְעֹולָמִים יִזְנַח ׀ אֲדֹנָי וְלֹא־יֹסִיף לִרְצֹות עֹוד ha-lə-ʿôlāmîm yiznaḥ | ʾadonāy wə-lōʾ-yōsîp li-rəṣôṯ ʿôḏ  “Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?” (Statenvertaling: „in eeuwigheden“, so auch LXX αἰῶνας). In dieser Bedeutung ist dieses Wort auch Aramäisch belegt, z.B. Dan 2, 20 שְׁמֵהּ דִּי־אֱלָהָא מְבָרַךְ מִן־עָלְמָא וְעַד־עָלְמָא šmēh dīʾälāhāʾ məbāra min-ʿālmāʾ wəʿa ʿālmāʾ  „Gelobet sei der Name Gottes von Ewigkeit zu Ewigkeit”, auch im Plural. In dieser Bedeutung, aber auch in der semantischen Weiterentwickelung > „Erde”, wird es im Syrischen[54] gebraucht, etwa Mt 4, 8:

ܬ݁ܽܘܒ݂ ܕ݁ܰܒ݂ܪܶܗ ܐܳܟ݂ܶܠܩܰܪܨܳܐ ܠܛܽܘܪܳܐ ܕ݁ܛܳܒ݂ ܪܳܡ܂ ܘܚܰܘܝܶܗ ܟ݁ܽܠܗܶܝܢܡܰܠܟ݁ܘܳܬ݂ܳܐ̈ ܕ݁ܥܳܠܡܳܐ[55]܂ ܘܫܽܘܒ݂ܚܗܶܝܢ

tūb dabreh ʾaḵelqarṣā lə-turā də-ṭāb dām. w-ḥawyeh kul-heyn-malkwāṯā d-ʿālmā w-šubḥ-heyn.

Wiederum nimmt der Teufel ihn mit auf einen sehr hohen Berg und zeigt ihm alle Reiche der Welt und ihre … (Elberfelder 1905).

Im syrischen Neuen Testament, wie anderswo, hat häufig der Singularis die Bedeutung ‚Welt’ und der Pluralis, öfters in der Redewendung ܥܳܠܡܺܝܢ  ܠܥܳܠܰܡ ləʿālam ʿālmin ʿlit. „in Ewigkeit der Ewigkeiten”, wie z.B. im Vaterunser (Mt 6, 13: εἰς τοὺς αἰῶνας). In diesen Bedeutungen ist das Wort ins Spät­sabäische[56] und ins Altäthiopische entlehnt. Um es hier kurz zu halten: Gott als Herr der Ewigkeit(en) ist syrisch gut belegt, und die arabische Wendung kann nur eine Entlehnung sein – wobei die Übersetzung „Herr der Welten” wohl zugunsten von „Herr der Ewigkeit” weichen sollte.[57]

7.2.4 raḥmān

ar-ran „der Gnädige” als Epithet Gottes ist schon seit langem als Ent­lehnung erkannt. Rm bedeutet ursprünglich „Gebärmutter” wie z.B. im Uga­ritischen (mit der abgeleiteten Nebenbedeutung „Frau”[58]). Hieraus ent­wickelte sich die Bedeutung „Mutterliebe” > „Gnade” im Hebräischen und Ara­mäischen, auch als Beschreibung einer Gottheit, etwa zu Tal Faḫariye Z. 5 (KAI5 309), wo von Ḥadad gesagt wird: ’lh rmn zy tlwth bh „gnädiger Gott, für den Gebet angenehm ist”[59], und kommt auch sehr häufig in der Hebräischen Bibel vor. Im nachbiblischen Judentum aber wird dieser Be­griff zu einer Bezeichnung Gottes, etwa in der Tosefta (סדר נזיקין מסכת בבא קמא פרק ט,יא[60]sdr nzyqyn mskt bbʾ qmʾ prq) wo es heißt: כל זמן שאתה רחמן הרחמן מרחם עליך kl zmn šʾth rmn h-rmn mrm ʿlyk „Immer wenn Du gnädig bist, wird der Gnädige Dir Gnade erweisen.” Im heidnischen Palmyra wird dieser Begriff auch gebraucht, um Götter zu beschreiben, aber auch als Epithet eines namentlich nicht bekannten Gottes, der häufig mit Allat und Schamasch verehrt wurde,[61] wie z.B. lbryk šmh lclm’ b’ rmn’ wtyr’ “Möge sein Namen für immer gesegnet sein, der Gute, der Gnädige und der Erbarmungsvolle.” Im Syrischen wird eine abgeleitete Form gebraucht – Greenfield[62] fragt, ob als Reaktion auf den heidnischen Gebrauch von rmn’ das christliche Syrische diesen Terminus meidet und stattdessen ܡܪܰܚܡܳܢ mramān gebraucht, z.B. Jak 5, 11  ܕ݁ܰܡܪܰܚܡܳܢ ܗ̱ܽܘ ܡܳܪܝܳܐ ܘܰܡܪܰܚܦ݂ܳܢ wa-mrapān māryā hu da-mramān (< ὅτι πολύσπλαγχνός ἐστιν ὁ Κύριος καὶ οἰκτίρμων) „dass der Herr voll innigen Mitgefühls und barmherzig ist.“[63]

Im Sabäischen der späten monotheistschen Periode finden wir den Ge­brauch der hier behandelten Wurzel sowohl als Epithet wie auch als Gottes­name, wie schon anhand einer Inschrift dargestellt wurde. Einige von ihnen sind offensichtlich jüdisch wie CIH 543:

1 [b]rk w-tbrk âm RÃmnn[64] ¶-b-âmyn w-Yær£l w- Segne und sei ge­seg­net der Name (des) Rans der im Himmel ist und Israel und
2 £lh-hmw rb-Yhd ¶-hrd(£) ¥bd-hmw PN1 w- sein Gott, der Herr der Juden, der half seinem Knecht dem PN1 und
3 £m-hw Bdm w-Ãäkt-hw

ãmâm w-£lÿ

seiner Mutter PN2, und seiner Frau PN3 und ihren
4 wd-hmy ¯mm w-£bä¥r

(w-)MÜrÿ

Kindern PN4 und PN5 (und) PN6
5 m w-kl bhê-h […] und allen ihren Nächsten …
6 [.]w[…] … und …

andere (spätere?) wiederum christlich, wie die lange Dammbauinschrift des Abrahas zu Marib, CIH 541 (wir zitieren hier nur den relevanten Anfang):

1 b-Åyl w-[r]d£ w-rÃÿ Mit der Kraft, Unterstützung und Gna-
2 mt RÃmnn w-Mâÿ de des Rans und seines Mes-
3 Ã-hw[65] w-RÃ [q]dâ âírw sias und des Heiligen Geistes, hat geschrieben
4 n mændn £n £brh … diese Inschrift, Ich Abraha …

Und als Zugabe Ry 508 (der Schluß, Z. 11):

11.   w-b-]Åfr RÃmnn (¶)n mândn bn kl Åââ{â}m w-mÅd¥m w-trÃm ¥ly kl ¥lm RÃmnn rÃmk mr£ £t und mit dem Schutz Rans für diese Inschrift gegen Schaden und Räuber. Weil Du Ran gnädig bist für die ganze Welt, Du bist der Herr.

In dieser letzten Inschrift sehen wir den Gebrauch der drei hier behandelten Lehntermini rb, clm und auch Ran. Neben dem judäo-christlichen Gott wird in manchen Fällen möglicherweise auch ein heidnischer Gott bezeich­net. Wie dies auch sei, wichtig ist feststellen zu können, dass im sabäischen Judentum und Christentum ein ursprünglich aramäischer Begriff als Got­tes­bezeichnung gebraucht wurde. Wie in meinem letzten Inârah-Aufsatz dargelegt, glaube ich nicht an einen bedeutenden sabäischen Einfluss auf den Islam – vielmehr handelt es hier um einen entlehnten Gottesbegriff. الرَّحِيم الرَّحْمـَنِ ar-raḥmān ar-raḥīm wäre dann entweder als „der gnädige Gnadenvolle” oder als „der gnädige Raḥmān” zu übersetzen (?كرياليسون kryʾlyswn). Es kann sich hier nur um eine Entlehnung handeln, um den jüdisch-christlichen Gott zu bezeichnen.

7.2.5 yawm

yawm „Tag“: Obwohl dies zweifelsohne um ein echt arabisches Wort ist, ist seine eschatologische Bedeutung im Sinne des „Tag des Urteils” (الدين يوم yawm ad-dīn), „Tag der Auferstehung” (القيامة يوم yawm al-qiyāma), also des „letzten Tages”, ein Lehnbegriff, da es die jüdisch-christliche Endzeit­prophetie voraussetzt.[66]

7.2.6 ad-dīn

ad-dīn „das Urteil”: Aber auch im Sinne von Gott als „Richter.” Obwohl die Semantik des Richtens bei dieser Wurzel schon sehr alt ist, vgl. das Ugaritische dn und das Akkadische diānu,/dânu, ist das Verständnis vom Endurteil, Gott als Richter am letzten Tage ein Ergebnis der unter 7.2.5  geschilderten Entwicklungen. Das Verständnis von Gott als „Richter” (דיין/ܕ݁ܰܝܳܢܳܐ dayānā) sowie das Erwarten des „Tages des Urteils” (hebr.  הדין יום yôm ha-ddîn /aram.  יום דינאyôm dīnā) war in jüdischen und christlichen Kreisen weit verbreitet und ist auch als ደይን dayən „Verdammnis” ins Altäthiopische entlehnt. Auffallend ist, dass der arabische Begriff in der Bedeutung von „Richter” nur von Gott am letzten Tag gebraucht wird – im Syro-Aramäischen ist er das Wort für Richter überhaupt, entsprechend dem Arabischen قاضي qāḍī. Nichtsdestotrotz stammt der arabische Begriff bzw. Ausdruck wohl vom Syrischen, da دين dīn auch in der Bedeutung „Religion” (wenn auch noch nicht im modernen Sinn als terminus technicus) ge­braucht werden kann. Das Syrische ܕܝܢ dīn /ܕܐܝܢ dʾīn in dieser Bedeutung stammt aus dem Iranischen,[67] vgl. Avestisch daēnā (>Farsi دین dīn; auch klassisch-armenisch դեն den), und das Arabische hat dann dieses Wort mit beiden Bedeutungen übernommen.

7.2.7 ʿabd

c-b-d “dienen”,عبد ʿabd „Sklave” ist wiederum echt arabisch. Die Sklaven­semantik, die auch für das Hebräische עבד ʿäbä belegt (das Verbum wird in der Peshitta mitܦܠܱܚ pla wiedergegeben) und gemeinsemitisch ist,  ist hier nicht primär relevant. Im Aramäischen bildet diese Wurzel das ge­wöhn­liche Verbum für „machen, tun” (Hebr. עָשָׂה ʿāśā, Arab. فعل faʿala), und im Syrischen[68] findet man dann auch eine Bedeutungserweiterung im religiösen Bereich, also „zelebrieren” und „anbeten, verehren”, etwa Apg 20, 16 ܕ݁ܶܐܢ ܡܶܫܟ݁ܚܳܐ܃ ܝܰܘܡܳܐ ܕ݁ܦ݁ܶܢܛܺܩܳܘܣܛܺܐ ܒ݁ܽܐܘܪܺܫܠܶܡ ܢܶܥܒ݁ܕ݂ܺܝܘܗ̱ܝ܂ d-ʾen meškḥā: yawmā d-penṭiqāwsṭī b-ʾurišlem neʿbḏīwhy „… wenn möglich den Pfingsttag in Jersalem zu feiern”, und dann weiter zu „Ordination, Konsekration“. Anhand dieses spezifischen Gebrauchs ist es wahrscheinlich, dass hier die erweiterte Bedeutung zur Bezeichnung der kultischen Handlung für Gott auf dieselbe arabische Wurzel übertragen wurde (also „anbeten“ anstatt „dienen“).

7.2.8 irāt

irā „Weg”: wohl ein Lehnwort strata > στράτα >(ܐܷܣܛܪܴܛܴܐ esrāṭā) >c [69]صِرَاطَ ṣīrāṭa der römischen Besatzung, vgl. auch „Straße” mit derselben Her­kunft. Das Wort ist nicht selten im Koran, erscheint häufig mit dem Adjek­tivum  مُسْتَقِيمَ mustaqīm, und kann auch im übertragenen Sinne von einer Lehre ausgesagt werden wie die des Mose (Koran 37, 118) وَهَدَيْنَاهُمَا الصِّرَاطَ الْمُسْتَقِيمَ wa-hadaynā-humā irāa l-mustaqīma,     Jesu (Koran 3,51) إِنَّ اللَّهَ رَبِّي وَرَبُّكُمْ فَاعْبُدُوهُ ۗ هَٰذَا صِرَاطٌ مُّسْتَقِيمٌ ʾinna llāha rabbī wa-rabbukum fa-ʿbudūhu hāā irāun mustaqīmun sowie im allgemeinen Sinne (Koran 7, 16) فَبِمَا أَغْوَيْتَنِي    لَأَقْعُدَنَّ لَهُمْ صِرَاطَكَ الْمُسْتَقِيمَ qāla fa-bi-mā ʾaġwaytanī la-ˈaqʿudanna lahum irāaka l-mustaqīma. Was hier mit dem „geraden Wege” eigentlich gemeint wird, ist nicht erwähnt. In der Regel wird der Weg als der Weg des Islam ausgelegt, was praktisch unmöglich ist und in jedem Falle ein Anachronismus wäre – er kann genausowenig auf den Islam verweisen wie Koran 2: 2, ذَٰلِكَ الْكِتَابُ لَا رَيْبَ  فِيهِ  هُدًى لِّلْمُتَّقِينَ  ālika l-kitābu lā rayba fīhi hudan li-l-muttaqīna auf den Koran.

Da eine kritische Ausgabe des Koran, wie anfangs erläutert, immer noch fehlt, kann man sich nicht auf variae lectiones berufen. Interessant sind hier die oben angegebenen Varianttexten von Jeffery, mit bedeutsamen abweichenden Lesungen.

Beiden gemeinsam ist das im Koran sowie im Arabischen gebrauchte Synonym von صِرَاطَ irāṭa, nämlich سَبِيل sabīl, das auch ein aus dem Ara­mäischen stammendes Wort ist. Die aramäische Form ܫܒܺܝܠܐ šbīlā gibt in Gal 6, 16 und Phil 3, 16 das Griechische κανών („Regel, Maßstab, Prinzip”) wieder, aber auch τρίβος in Mt 3,3 „Bereitet den Herrn dem Weg”, und τροχιά in Hebr 12, 13 – also der „Weg” im übertragenen Sinne von „Lebens­weg, Lebensregel”, etwa „Heilsweg.” Die griechischen Begriffe sind Syno­nyme mit ὁδός, die im Neuen Testament auch den christlichen Glauben und das christliche Leben bezeichnen können, etwa Joh 14, 6.[70] In der Regel gibt die Peshitta diesen Terminus mit ܐܽܘܪܚܳܐ ʾūrḥā wieder, im Syrischen ein Synonym von ܫܒܺܝܠܐ šbīlā.

Das letztgenannte griechische Wort wird dann auch gebraucht, um den neuen Glauben zu bezeichnen, vgl. Apg 9, 2: Paulus will „Anhänger des Weges” finden (ὅπως ἐάν τινας εὕρῃ τῆς ὁδοῦ ὄντας =ܕ݁ܪܳܕ݂ܶܝܢ ܒ݁ܗܳܕ݂ܶܐ ܐܽܘܪܚܳܐܓ݁ܰܒ݂ܪ̈ܶܐ ܐܰܘ ܢܶܫܶܐ̈ d-rāḏen b-sāhḏē ʾūrḥā gabrē ʾaw nešeʾ – damit, wenn er etliche, die des Weges wären, fände, sowohl Männer als Weiber,…), um sie gefesselt nach Jersusalem zu führen 19, 23, vgl. auch die vermeintliche Selbst­­aussage Pauli 22, 4 ὃς ταύτην τὴν ὁδὸν ἐδίωξα ἄχρι θανάτου θανάτου δεσμεύων καὶ παραδιδοὺς εἰς φυλακὰς ἄνδρας τε καὶ γυναικὰς (ܘܰܠܗܳܕ݂ܶܐ ܐܽܘܪܚܳܐ ܪܶܕ݂ܦ݁ܶܬ݂ ܥܕ݂ܰܡܳܐ ܠܡܰܘܬ݁ܳܐ܃ ܟ݁ܰܕ݂ ܐܳܣܰܪ ܗ̱ܘܺܝܬ݂ ܘܡܰܫܠܶܡܗ̱ܘܺܝܬ݂ ܠܒ݂ܶܝܬ݂ ܐܰܣܺܝܪ̈ܶܐ܂ ܓ݁ܰܒ݂ܪ̈ܶܐ ܘܢܶܫܶܐ̈ wa-l-hāḏē ʾūrḥā reḏpeṯ ʿḏammā l-mawtā: kaḏ ʾāsar hwīṯ w-mašlemhwīṯ l-beyṯ ʾasīrē gabrē w-nešē der ich diesen Weg verfolgt habe bis zum Tode, indem ich sowohl Männer als Weiber band und in die Gefängnisse überlieferte). Sehr wichtig hier ist beim Prozess Pauli Kap. 24; Tertullus bezeichnet ihn als den πρωτοστάτην τε τῆς τῶν Ναζωραίων αἱρέσεως, v.5. Paulus erwidert v.14 ὁμολογῶ δὲ τοῦτό σοι, ὅτι κατὰ τὴν ὁδὸν [Peshitta: ܝܽܘܠܦ݁ܳܢܶܐ yūlpānē „Lehre”] ἣν λέγουσιν αἵρεσιν οὕτω λατρεύω τῷ πατρῴῳ Θεῷ, πιστεύων πᾶσι τοῖς κατὰ τὸν νόμον καὶ τοῖς ἐν τοῖς προφήταις γεγραμμένοις. Wir sehen hier den „Weg” als eine frühe Selbstbezeichnung semitischer Christen. Ihre Gegner, erst die jüdischen, später die römisch-griechischen, bezeichneten sie als Nazarener.[71]

Wie dies auch sei – der Koran ist genausowenig vom Himmel gefallen wie die hebräische Bibel oder das Neue Testament. Das heilige Buch des Islam setzt eine gewisse Kenntnis des orientalischen Christentums voraus, wie der Versuch im Vorhergehenden deutlich gemacht hat. Wenn, was hier nicht weiter ausgeführt werden sollte, die Wurzeln des Koran bei einer (heterodoxen) Strömung des semitischen Christentums zu suchen sind – eine gewisse Familiarität mit der Peschitta ist deutlich –, erklärt sich der bisher mysteriöse Weg von selbst, nämlich als Selbstbezeichnung.

7.2.9 „Nazarener“ und „Ansar“

Zum Schluss noch ein Wort über den Begriff Nazarener. Wie Pritz[72] schon deutlich machte, wird mit Ναζωραῖος kein Einwohner Nazarets bezeichnet, sondern der Begriff stammt aus Jes 11, 1 „Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais (יִשָׁי yišāy) und ein Zweig (וְנֵצֶר – wə-nēṣär) aus seiner Wurzel Frucht bringen.”[73] Dieser Begriff sowie Ἰεσσαῖοι (< Isais, Jesse)[74] waren dann Bezeichnungen des einheimischen Christentums, bevor es in griechische Hand geriet und die Bezeichnung Χριστιανός geläufig wurde. Aber Ναζωραῖος als Andeutung von Christsein hat es sich in den semi­tischen Sprachen bewahrt, wie im Arabischen النصراني al-naṣrānī und Hebräischen נוצרי rēy.[75] Obwohl die Wurzel n--r im Arabischen nebst ihren „christlichen“ Bedeutungen und Ableitungen die gut belegte semi­ti­sche Semantik von „helfen, unterstützen” aufweist, frage ich mich seit lan­gem, ob die الأنصار‎ al-ʾanṣār, die medinensischen Helfer/Unterstützer Moham­meds, vielleicht noch Christen waren – vielleicht waren sie genau so wenig Muslime wie Jesus ein Nazaräer?[76]

Obwohl dieالأنصار‎ al-ʾanṣār als Christen zu bezeichnen, beim ersten Blick unerhört erscheinen könnte, ein zweiter Blick im Licht des spätantiken „Sitzes im Leben” könnte diese Anschauung durchaus plausibel machen. Die zwei Belege dieses Worts im Koran (9, 100. 117), beide zusammen mit den المهاجرون al-muhāǧirūn „Auswanderer”,[77] stehen faktisch weit ab von den späteren islamischen Traditionen: Sure 9:100:

وَالسَّابِقُونَ الْأَوَّلُونَ مِنَ الْمُهَاجِرِينَ وَالْأَنصَارِ وَالَّذِينَ اتَّبَعُوهُم بِإِحْسَانٍ رَّضِيَ اللَّهُ عَنْهُمْ وَرَضُوا عَنْهُ وَأَعَدَّ لَهُمْ جَنَّاتٍ تَجْرِي تَحْتَهَا الْأَنْهَارُ خَالِدِينَ فِيهَا أَبَدًا ۚ ذَٰلِكَ الْفَوْزُ الْعَظِيمُ

wa-s-sābiqūna l-ʾawwalūna mina l-muhāǧirīna wa-l-ʾanṣāri wa-llaḏīna ttabaʿūhum bi-ʾinin raiya llāhu ʿanhum wa-raḍū ʿanhu wa-ˈaʿadda lahum ǧannātin taǧ tatahā l-ʾanhāru ḫālidīna fī ʾabadan ḏālika l-fawzu l-ʿaẓīmu

„Diejenigen, die (den anderen im Glauben) zuvorgekommen und (so­mit) die Ersten (geworden) sind, nämlich die Auswanderer (aus Mekka) und die Helfer (aus Medina), und diejenigen, die ihnen auf ordentliche Weise (?) gefolgt sind, – an denen hat Gott (dereinst?) Wohlgefallen, und sie an ihm. Und er hat für sie Gärten bereit, in deren Niederungen (w. unter denen) Bäche fließen, und in denen sie ewig weilen werden. Das ist dann das große Glück. (Paret)

Sure 9:117:

لَّقَد تَّابَ اللَّهُ عَلَى النَّبِيِّ وَالْمُهَاجِرِينَ وَالْأَنصَارِ الَّذِينَ اتَّبَعُوهُ فِي سَاعَةِ الْعُسْرَةِ مِن بَعْدِ مَا كَادَ يَزِيغُ قُلُوبُ فَرِيقٍ مِّنْهُمْ ثُمَّ تَابَ عَلَيْهِمْ ۚ إِنَّهُ بِهِمْ رَءُوفٌ رَّحِيمٌ

la-qad tāba llāhu ʿalā n-nabiyyi wa-l-muhāǧirīna wa-l-ʾanṣāri llaḏīna

ttabaʿūhu fī sāʿati l-ʿusrati min baʿdi mā kāda yazīġu qulūbu farīqin minhum umma tāba ʿalayhim ˈinnahū bihim raʾˈūfun raḥīmun

„Gott hat sich doch (seinerzeit) dem Propheten (gnädig) wieder zugewandt, (ihm) und den Auswan derern (aus Mekka) und den Helfern (aus Medina), die ihm in der Stunde der Bedrängnis folgten, nachdem eine Gruppe von ihnen mit dem Herzen beinahe (vom rechten Weg) abgeschweift wäre. Hierauf hat er sich ihnen (gnädig) wieder zugewandt. Er ist mitleidig und barmherzig gegen sie.“

Hieraus kann man nur feststellen, dass diese Gruppen fromme, Gott gefäl­lige Menschen sind. Weitere Auskünfte gibt es im Koran nicht. Die späteren Traditionen über eine mögliche Flucht des Propheten „Mohammed” mit­samt treuer Anhänger nach „Medina”, einer Stadt also, sind hier genauso irrelevant wie z.B. das Liber de infantia für die historische Jesuforschung. Wenn man aber die semitische Wurzel n--r betrachtet, kann man nur feststellen, dass es sich hier um eine Entlehnung handelt: die Bedeutung „helfen, unterstützen” ist dann eine sekundäre denominale Ableitung und müsste von „christianisieren, zum Christentum bekehren” entlehnt sein. Im Koran wird diese Wurzel auch mehrmals gebraucht, um Christen zu bezeichnen, etwa 2, 111:

ا لَن يَدْخُلَ الْجَنَّةَ إِلَّا مَن كَانَ هُودًا أَوْ نَصَارَىٰ ۗ 

lan yadula l-ǧannata ʾillā man kāna hūdan ʾaw naṣārā

„Niemand wird ins Paradies eingehen außer denen, die Juden oder Christen sind.“

2, 113:

وَقَالَتِ الْيَهُودُ لَيْسَتِ النَّصَارَىٰ عَلَىٰ شَيْءٍ وَقَالَتِ النَّصَارَىٰ لَيْسَتِ الْيَهُودُ عَلَىٰ شَيْءٍ وَهُمْ يَتْلُونَ الْكِتَابَ ۗ كَذَٰلِكَ قَالَ الَّذِينَ لَا يَعْلَمُونَ مِثْلَ قَوْلِهِمْ ۚ فَاللَّهُ يَحْكُمُ بَيْنَهُمْ يَوْمَ الْقِيَامَةِ فِيمَا كَانُوا فِيهِ يَخْتَلِفُونَ

wa-qālati l-yahūdu laysati n-naṣārā ʿalā šayʾin wa-qālati n-naṣārā laysati l-

yahūdu ʿalā šayʾin wa-hum yatlūna l-kitāba ka-ḏālika qāla llaḏīna lā

yaʿlamūna mila qawlihim fa-llāhu yakumu baynahum yawma l-qiyāmati fī kānū fīhi yatalifūna

„Die Juden sagen: ‚Die Christen entbehren (in ihren Glaubensan­schau­ungen) der Grundlage.’ Und die Christen sagen: ‚Die Juden entbehren (in ihren Glaubensanschauungen) der Grundlage.’ Dabei lesen sie doch (in gleicher Weise) die Schrift. Diejenigen, die kein Wissen haben, (d.h. die Heiden?) sagen dasselbe. Aber Gott wird am Tag der Auferstehung zwischen ihnen entscheiden über das, worüber sie ihrem Erdenleben) uneins waren. (Paret)“

eigene Übertragung:

“Die Juden sagen: ‘Die Christen haben nichts [~ keinen wahren Glauben].’ Die Christen sagen: ‘Die Juden haben nichts [~ keinen wahren Glauben].’ Dabei berufen sie sich (alle beide) auf die (Heilige) Schrift. Auch die Unwissenden [~ Heiden?] äußern sich ähnlich. Am Jüngsten Tag wird Gott zwischen ihnen über ihre Kontroversen urteilen.”

Oder 3, 67: إِبْرَاهِيمُ يَهُودِيًّا وَلَا نَصْرَ mā kāna ˈibrāhīmu yahūdiyyan wa-lā narā­niyyan „Abraham war weder Jude noch Christ.” Die erste Bedeutung, etwa „helfen”, findet man vielleicht im Spät-Sabäischen rSn nṣr wieder,[78] wobei S mit y verwechselt werden kann. Hier aber handelt es sich um eine späte Vokabel, die meistens in einem festen Ausdruck gebraucht wird, um einen Gott, häufig den schon erwähnten Ran, zu beschreiben, etwa CIH 540, 81f.:

„b-nÜr w-rd£ £lhn b-¥l âmyn w-£r°n – Mit der Hilfe und Unter­stützung Gottes (Allahs!), der über Himmel und Erde (ist).”

Hier aber käme durchaus „Schutz”, also verbal „bewahren, bewachen, be­hüten” wie Hebräisch, Akkadisch usw. in Frage. Da das spätere Aramäisch diese Wurzel als n--r aufweist und sie im Ugaritischen belegt ist als n-ġ-r[79], ist die proto-semitische Wurzel mit *n--r anzusetzen. Im klassischen Arabischen müsste diese Wurzel dann auch in dieser Gestalt erscheinen. Tatsächlich ist eine solche zu erwartende Ausprägung gut belegt, nämlich نظر „betrachten” usw., also entsprechend Gəʿəz ነጸረ naṣṣara „anschauen” (መነጽር manaər „Brillen”). Die semantische Entwicklung scheint dann „anschauen, sehen, betrachten” > „beschützen” gewesen zu sein (vgl. franz. regarder, engl. to watch). Arabisch nr, weil ein phonetischer Fremdkörper, ist somit eine Entlehnung.

Das Arabische hat dann die Wurzel in der Bedeutung einer (Selbst-) Be­zeich­nung des Christentums übernommen, um sie dann später umzu­inter­pretieren im Sinne von „helfen.” Wie oben erwähnt ist der Ursprung, wie schon Eusebius meinte, das hebr. נֶצֶר är[80]. Die Judenchristen mit dieser Bezeichnung[81] sowie die von diesen abstammende Gruppe der Ebioniten als Christen, die sich z.T. mit den jüdischen („mosaischen” – auch ein Ana­chronismus) Gesetzen verbunden fühlten, sind in der Kirchen­geschichte gut belegt. Häufig wurden sie des sog. Hebräerevangeliums (τὸ καθ‘ Ἑβραίους εὐαγγέλιον) wegen erwähnt. Den bewahrten Zeugnissen zufolge war dies eine dem kanonischen Evangelium von Matthäus ähnliche, aber in hebräi­schen Buchstaben verfasste Logiensammlung. Diese Schrift ist möglicher­weise identisch mit dem Nazaräerevangelium und dem Ebio­niten­evange­lium (oder sind diese Abwandlungen derselben frühen Schrift?), aber von keiner dieser Gruppierungen sind Selbstzeugnisse oder Texte bewahrt; überliefert sind nur Nachrichten und Zitate von Kirchenvätern. Wich­tig in diesem Kontext ist, daran zu erinnern, dass es für die ersten Jahrhunderte n.Chr., also bevor eine Orthodoxie sich etablieren konnte, kein einheitliches Christentum gab; man könnte viel besser von „Christen­tümern” sprechen, wie deutlich aus den Häresiologien hervorgeht, wie aus dem von Epiphanius von Salamis, einem Zeitgenossen des Augustinus und des Hieroymus, verfassten Panarion. Diesen spärlichen, pejorativen und häu­fig sekundären Zeugnissen zufolge waren u.a. die Nazarener Juden­christen; ihr Haupt­unter­schied zur werdenden (griechisch-geprägten)  Or­tho­doxie war das Festhalten an jüdischen Gebräuchen.

Es ist hier nicht der Ort, sich mit dem einheimischen Christentum im syrisch-palästinensischen Raum der byzantinischen Spätantike auseinander­zusetzen – ein Forschungsgebiet, das auch außerhalb des Kompetenz­bereichs des Verfassers liegt.[82] Die Zeugnisse sind spärlich und häufig verwirrend. Im schon angegebenen Epiphanius-Zitat wird angegeben, dass ursprünglich „alle Christen Nazoräer hießen” (πάντες δὲ Χριστιανοὶ Ναζωραῖοι τότε ὡσαύτως ἐκαλοῦντο). Hier aber listet er sie als eine der sech­zig christlichen Ketzereien auf – zwischen den Kerinthäern (Κηριν­θιανοὶ) und den Ebioniten (Ἐβιωναῖοι) gemäß seiner Einschätzung der Chronologie ihrer jeweiligen Entstehungszeiten. Bei Epiphanius sowie bei anderen ähnlichen Arbeiten ist es schwer und öfters unmöglich, seine Quellen und deren Genauigkeit festzustellen.[83] Obwohl er zweifelsohne selber ‚ketzerische’ Schriften einsah und las, wovon noch die Rede sein wird, scheint er in den meisten Fällen ihrer Frömmigkeit wegen nizenschen Infor­manten den Vorzug zu geben, aber nicht wegen der Zuverlässigkeit ihrer Berichte. Öfters ist es auch schwer, das Ausmaß der vermeldeten Ketzerei einzuschätzen.

Die drei namentlich aufgeführten Häresien haben ein Festhalten an jüdi­schen Gebräuchen, wie an der Beschneidung, gemeinsam. Die Kerinthäer (Pan. I 29) machen auch einen Unterschied zwischen „Jesus” und dem „Christus” – Jesus war ein gewöhnlicher Mensch, das von Maria und Joseph gezeugte Kind, während der Christus auf ihn bei seiner Taufe niederkam und ihn bei seiner Kreuzigung verließ, ohne zu leiden. Die am meisten orthodoxe Gruppe von allen sind die Nazoräer, sicherlich, was ihre Christo­logie angeht, faktisch waren sie Juden (ὄντες μὲν κατὰ τὸ γένος Ἰουδαῖοι καὶ τῷ νόμῳ προσανέχοντες καὶ περιτομὴν κεκτημένοι -28.5), die an den Christus glaubten.[84] Die Ebioniten, Epipahnius zufolge eine Absplitterung der Nazoräer, waren wie diese, lebten aber nach strengeren Reinheits­geboten (sie sollen auch Vegetarier gewesen sein) und glaubten an die jungfräuliche Geburt Jesu.[85] Es soll auch noch andere ähnliche Sekten gegeben haben wie die des Syrers Tatians (Τατιανός) sub I46.

Die Ablehnung des Paulus in diesen Gruppen sowie in Epiphanius’ „Widerrede“ 5, 2-4 sind gemeinsame wiederkehrende Bestandteile ihrer Beschreibung. In dieser Darstellung sieht man aber auch gleich eine gewisse Ungenauigkeit, da z.B. einiges, was Epiphanius den Nazoräern zuschreibt, bei Irenäus Adversus Haereses, eine von Epiphanius gebrauchte Quelle, von den Ebioniten ausgesagt wird. Allem Anschein nach haben wir es hier mit den Einteilungen des Epiphanius und nicht mit damals real existierenden Selbstbezeichnungen zu tun – und alle diese Gruppen konnten sich wohl auch als Nazoräer bezeichnen, was dem Epiphnanius auch bewusst war.[86] Gemeinsam ist ihnen auch, wie erwähnt, der Gebrauch einer hebräischen (was hier aber in dieser Zeit wahrscheinlicher als aramäisch zu verstehen ist[87]) Urfassung des Matthäus Evangeliums.[88] Den Ebioniten wird ein ausschließlicher Gebrauch wohl dieses Dokuments zugeschrieben.[89] Zumin­dest ein Teil der Nazoräer also machte Gebrauch von nur einem Evange­lium, und das in einer semitischen Fassung.

Diese Beobachtung ist von erheblicher Bedeutung. Es ist sinnlos, anhand der überlieferten Literatur die Lehre(n) dieser Sekte(n) genau feststellen zu wollen. Diese hielten sich einigermaßen an die jüdischen Regeln, einschließ­lich der Beschneidung und des Ablehnens von unreinem Fleisch, und hatten zusätzlich z.T. andere Auffassungen über die Natur Jesu Christi. Wenn man die koranischen Auffassungen dieser Gebräuche betrachtet, sieht man, dass sie ihren Ursprung gut aus einer solchen theologischen Umwelt gehabt haben könnten. Man muss aber bedenken, dass wir nicht alle Gruppen und ihre Lehren kennen, noch sind Selbstzeugnisse erhalten, und die Berichte der Häresiologen über die Nazoräer hören grosso modo im fünften Jahr­hundert auf – das Bekämpfen anderer Ketzereien wurde hiernach wohl akuter, also wissen wir nichts über Entwicklungen und Veränderungen in den Auffassungen jener Bewegung(en). Jedoch der ausschließliche Ge­brauch eines einzigen semitischen Evangeliums ist eine außerordentlich wichtige Beobachtung, weil auffallenderweise im Koran das oben erwähnte Lehnwort الأناجيل al-ʾinǧīl immer im Singular gebraucht wird (pl. außerkoranisch الأناجيل al-ʾanāǧīl). Belege findet man z.B. in Sure 5, 46:

وَقَفَّيْنَا عَلَىٰ آثَارِهِم بِعِيسَى ابْنِ مَرْيَمَ مُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ ۖ وَآتَيْنَاهُ الْإِنجِيلَ فِيهِ هُدًى وَنُورٌ وَمُصَدِّقًا لِّمَا بَيْنَ يَدَيْهِ مِنَ التَّوْرَاةِ وَهُدًى وَمَوْعِظَةً لِّلْمُتَّقِي

wa-qaffaynā ʿalā ʾāārihim bi-ʿīsā bni maryama muaddiqan li-mā bayna yadayhi mina t-tawrāti wa-ʾātaynāhu l-ʾinǧīla fīhi hudan wa-nūrun wa-muaddiqan li-mā bayna yadayhi mina t-tawrāti wa-hudan wa-mawiatan li-l-muttaqīna

„Und wir ließen hinter ihnen (d.h. den Gottesmännern der Kinder Israels) her Jesus, den Sohn der Maria, folgen, daß er bestätige, was von der Thora vor ihm da war (oder: was vor ihm da war, nämlich die Thora (?)). Und wir gaben ihm das Evangelium, das (in sich) Recht­leitung und Licht enthält, damit es bestätige, was von der Thora vor ihm da war (oder: was vor ihm da war, nämlich die Thora?), und als Rechtleitung und Ermahnung für die Gottesfürchtigen.“

Wie solche Belege deutlich machen ist der Grund hierfür, dass den Schrei­bern des Koran nur ein Evange­lium vorlag und keine Ευαγγέλια  vorkom­men, eine Tatsache die nicht dem Zufall zugeschrieben werden kann. Allerdings ließe sich dieser Umstand vielleicht auch aus der Benutzung des Diatessarons des Tatian erklären.[90]

Ein weiteres Faktum von Interesse in diesem Zusammenhang ist die Ortung dieser Gruppe(n). Epiphanius platziert sowohl die Nazoräner[91], als auch die Ebioniten[92] im Transjordanland in Pella (Taqabat Fahl), in der Dekapolis (nach einer Flucht aus Jerusalem), Peraea (Abila in Moab, heute Abil ez-Zeit), Kokabe in Qarnaim bzw. Aschtaroth (vgl. Gen 14, 5), wie auch in Kölesyrien[93] etwa zu Beroea (heute Aleppo) und Arabien gemeinhin. Dies bringt uns in eben das Gebiet der Nabatäer, der Ghassaniden und Lakh­miden hinein – jene Gegend, in der, wie ich in meinem vorigen Beitrag deutlich machte, das koranische Arabisch und die Entstehung der arabi­schen Schrift zu orten ist. Eine weitere Bemerkung des Epiphanius ist auch in dieser Hinsicht von Bedeutung. In seiner Polemik gegen das Fortbestehen der Beschneidung nach Christi Tod (30, 26ff.) bemerkt er, dass dieser Brauch auch bei anderen Völkern (30, 33 – vgl. schon Herodot, II, 104; Josephus, Contra Apionem, I, 22) geläufig war: ἀλλὰ καὶ οἱ Σαρακηνοὶ οἱ καὶ Ἰσμαηλῖται περιτομὴν ἔχουσι καὶ !Σαμαρεῖται [καὶ Ἰουδαῖοι] καὶ Ἰδουμαῖοι καὶ Ὁμηρῖται „Auch bei den Sarazenen, auch Ismaeliten genannt …” Hieraus kann man feststellen, dass einerseits die Sarazenen (nicht Άραβες!) noch nicht zu dieser Gruppe gehörten, aber andererseits die Assoziation mit Ischmael schon vorlag.

Die hier behandelten Entsprechungen, صِرَاطَ irāṭa ~ syr.  ܫܒܺܝܠܐ šbīlā ~ griech. τροχιά  bzw. ὁδὸν „Weg, Christentum”, الأنصار al-ʾanṣār < griech. Ναζωραῖοι „Nazoräer, Christen”, الأناجيل al-ʾanāǧīl < griech. τὸ κατὰ Ματθαῖον εὐαγγέλιον „Evangelium (nach Matthäus)” zusammengenom­men, einschließlich der Lokalisierung in Arabia Petraea, wo die im Koran gebrauchte Sprache und Schrift auch entstanden sein müssten, bilden zu­sam­men ein starkes Indizienfeld. Warum aber dann später ein neuer Kult, der Islam? Hier ist die Antwort relativ einfach. Die konkreten Zeugnisse der Kirchenväter bezüglich der Nazoräer cum suis hören im fünften Jahr­hun­dert größenteils auf, also nach Theodoret Cyrensis;  spätere Erwäh­nungen wie z.B. bei Eugippus Abbas Africanus, Isidorus von Sevilla, Pas­cha­sius Radbertus sind von den genannten Vorgängern abgeschrieben.[94] Meistens wird angenommen, dass diese verhältnismäßig kleinen Sekten einen stillen wohlverdienten Tod erlebten und so für immer aus der Ge­schichte ver­schwanden. Wer aber die vehemente Heftigkeit der Bekämpfung, etwa die des Johannes Chrysostomos, Bischof von Antiochien noch im vierten Jahr­hundert, berücksichtigt, wird sich fragen, warum diese dann so rasch, ja bei­nah spontan danach verschwanden.[95] Die kleinen Zah­len der nazoräischen Judenchristen, die von den Kirchenvätern angegeben werden (Justin und Origenes  gebrauchen die symbolische Zahl 144.000 für das ganze Römische Reich), sind deutlich programmatisch und sekundär. Wer aber das Blühen christlicher Gemeinden verschiedener Ausprägung in Kölesyrien während der ersten Jahrhunderte anschaut (v. Harnack 660-682, mit ausführlichen Quellenangaben) sowie die Sendung gen Arabien (a.a.O. 699-705, Briquel-Chatonnet a.a.O.), kann, – wie schon von Harnack –, nur verwundert (S. 72) sein; er schreibt das in der Kirchengeschichte überlieferte Bild der damaligen Verhältnisse der Tatsache zu, dass „in gewisser Weise … ja das Christentum bis auf den heutigen Tag griechisch geblieben (ist).”

Auch meiner Einschätzung nach wird in einer für die damalige Zeit ver­ständlichen, aber immerhin zu stark betonten Weise das Griechentum und sein Einfluss hervorgehoben. Die Geschichte lehrt aber gerade durch den späteren Erfolg des Islam in dieser Gegend, dass ein Großteil der Bewohner Kölesyriens mit dem griechisch beeinflussten Christentum wenig anfangen konnte. Im Binnenland, im Ostjordanland am Rande der arabischen Wüste, wo das Griechentum nicht ganz dieselbe Stärke wie in Gebieten näher der Küste des Mittelmeers besaß, gab es keinen Grund, warum ein semitisch geprägtes Christentum nicht hätte fortleben können. Hier konnte diese Aus­prägung des Christentums Boden fassen und blühen wie etwa der Arianis­mus in Germanien oder der Donatismus in Afrika. Anders aber als diese ‚Ketzereien’ wurde das Judenchristentum nicht nur von der nizenischen Hauptkirche bestritten. Wie diese Bezeichnung nahe legt, fühlten sie sich zu­gleich als Juden und Christen – und dies in einer Zeit, in der beide Reli­gionen sich deutlich voneinander unterschieden, also bewusst selbstständige Identitäten prägten. Für die Juden[96] wurden sie als Christen verabscheut und von den Christen[97] als Juden verketzert. Wohl der einzige Ausweg aus diesem Spagat war die Verselbständigung.

7.2.10 mustaqīm

mustaqīm ‚gerade’: Natürlich erinnert die ganze Phrase الْمُسْتَقِيمَ الصِّرَاطَ irāṭ al-mustaqīm u.a. an die „geraden Wege des Herrn” (ἃς ὁδοὺς Κυρίου τὰς εὐθείας) Apg 13, 10. Diese Ableitung von der Wurzel q-w-m ist wohl ara­bisch. Andere Bedeutungen aber sind wohl aus dem Aramäischen entlehnt, wie der oben unter 7.2.5) besprochene القيامة يوم yawm al-qiyaāma, also im Sinne von „Auferstehung” (ανάστασις) – vgl. das Syrische ܩܝܳܡܳܐ qyāmā u.a. im NT in dieser Bedeutung:[98] ܘܛܽܘܒ݂ܰܝܟ݁̈܂ ܕ݁ܠܰܝܬ݁ ܠܗܽܘܢ ܕ݁ܢܶܦ݂ܪܥܽܘܢܳܟ݂܂ ܢܶܗܘܶܐ ܓ݁ܶܝܪ ܦ݁ܽܘܪܥܳܢܳܟ݂ ܒ݁ܰܩܝܳܡܳܐ ܕ݁ܙܰܕ݁ܺܝܩܶܐ̈. w-ṭūbayk d-layt l-hūn d-nerʿūnāḵ nehweʾ gēr pūrʿānāḵ ba-qyāmā də-zadīqē – Hier ist wiederum wohl das Konzept der Auferstehung der Toten zusammen mit dem Begriff entlehnt worden – die semantische Entwicklung „aufstehen” > „auferstehen” ist erst im Syrischen vollzogen worden. Auch der Begriff الْقَيُّومُ الْحَيُّ al-ayyu l-qayyūmu „der ewig Bestehende und der ewige Erhalter der Schöpfung” (2, 2255; 3,2; 20, 111) ist eine Entlehnung. ܚܰܝܳܐ ḥayyā „Leben” bedeutet auch „Heil” im Syrischen, etwa Luk 3, 6: ܘܢܶܚܙܶܐ ܟ݁ܽܠ ܒ݁ܣܰܪ ܚܰܝܶܐ̈ ܕ݁ܰܐܠܳܗܳܐ w-nezē kul bsar ayyē dalāhā „…und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen“, aber auch im Sinne des (ewig) lebenden Gottes, etwa Joh 6, 69:

ܚܢܰܢ ܗܰܝܡܶܢܢ ܘܺܝܕ݂ܰܥܢ܃ ܕ݁ܰܐܢ̱ܬ݁ ܗ̱ܽܘ ܡܫܺܝܚܳܐ܂ ܒ݁ܪܶܗ ܕ݁ܰܐܠܳܗܳܐ ܚܰܝܳܐ

nan haymenən w-īḏaʿn: d-ʾanṯ-hū mšīḥā brēh d-ʾalāhā ḥayyā

„und wir haben geglaubt und erkannt, daß du der Heilige Gottes bist.“

oder I Petr 1, 3:

ܡܒ݂ܰܪܰܟ݂ ܗ̱ܽܘ ܐܰܠܳܗܳܐ ܐܰܒ݂ܽܘܗ̱ܝ ܕ݁ܡܳܪܰܢ ܝܶܫܽܘܥ ܡܫܺܝܚܳܐ܃ ܗܰܘ ܕ݁ܒ݂ܰܚܢܳܢܶܗ ܣܰܓ݁ܺܝܳܐܐ ܐܰܘܠܕ݂ܰܢ ܡܶܢ ܕ݁ܪܺܝܫ܃ ܒ݁ܰܩܝܳܡܬ݁ܶܗ ܕ݁ܝܶܫܽܘܥ ܡܫܺܝܚܳܐ܃ ܠܣܰܒ݂ܪܳܐ ܕ݁ܚܰܝܶܐ̈.

mbarahū ʾalāhā ʾabū hy d-māran yešūʿ mšīḥā: haw d-ba-nānēh sagīʾā ʾawləan men drīš: ba-qyāmh d-yešūʿ mšīḥā: l-sabrā d-ayyē

„Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der nach seiner großen Barmherzigkeit uns wiedergezeugt hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi aus den Toten, …“

In jedem Falle aber kann das syrische Wort ܩܝܳܡܳܐ qyāmā auch im Sinne von „(ewig) erhalten, bestehen” verstanden werden (1Petr 1, 25):

ܘܡܶܠܬ݂ܶܗ ܕ݁ܰܐܠܳܗܰܢ ܩܰܝܳܡܳܐ ܠܥܳܠܡܺܝܢ܂ ܘܗܳܕ݂ܶܐ ܗ̱ܝ ܡܶܠܬ݂ܳܐ ܗܳܝ ܕ݁ܶܐܣܬ݁ܰܒ݁ܰܪܬ݁ܽܘܢ

w-melṯēh dalāhā qayāma ləʿālmīn w-hāḏēh hy melṯā hāy d-ʾestabartūn

„aber das Wort des Herrn bleibt in Ewigkeit. Dies aber ist das Wort, welches euch verkündigt worden ist.“

Außerhalb der Bibel wird es in einer Bedeutung mit der Semantik von etwa ὑπόστᾰσις gebraucht. Der Gebrauch dieser Wurzel im theologischem Kon­text, um eine Eigenschaft Gottes bzw. um die Auferstehung anzudeuten, kann nur eine semantische Entlehnung aus dem Aramäischen sein.

  1. Schluss

In den dargelegten Untersuchungen ist gezeigt worden, dass sowohl der arabisch-koranische Schreib- wie auch Theologiewortschatz entlehnt wor­den ist. Die Herkunft der meisten dieser Entlehnungen weisen nach Syrien, und in manchen Fallen wahrscheinlich nach Äthiopien; vereinzelte Wörter und Sachen stammen auch aus „Arabien”. Ob manche der äthiopischen Ent­lehnungen vielleicht aus einer verlorengegangenen syro-aramäischen Quelle stam­men, ist gut möglich. Sowohl die Anzahl wie die Art der hier geschil­derten Entlehnungen machen deutlich, dass die koranischen Schreiber eine intime Kenntnis der syrischen Bibel, wohl in der gebräuchlichen Fassung die Peschitta (= Vulgata), besaßen. Obwohl manche der hier behandelten Begriffe auch in die altsüd- und altnordarabischen Sprachen nach ihrem Übergang zum Monotheismus Einlass fanden, ist die Konzentration syrisch-aramäischer Schreibbegriffe, sowie das im letzten Beitrag behandelte Alpha­bet, indikativ für eine Entlehnung aus dem Syrischen. Die aramäisch schrei­benden Araber, ähnlich wie der vormalige Einfluss des Lateins in katho­lischen Gegenden, müssen Kenntnis der Bibel der syrischen Christen gehabt haben, von wem auch immer sie ihre Schreibtraditionen übernahmen. Soviel wird auch deutlich gemacht im ersten Teil von 16,103:

وَلَقَدْ نَعْلَمُ أَنَّهُمْ يَقُولُونَ إِنَّمَا يُعَلِّمُهُ بَشَرٌ ۗ لِّسَانُ الَّذِي يُلْحِدُونَ إِلَيْهِ أَعْجَمِيٌّ وَهَٰذَا لِسَانٌ عَرَبِيٌّ مُّبِينٌ

wa-la-qad naʿlamu ʾannahum yaqūna ʾinnamā yuʿallimuhū bašarun lisānu llaḏī yulidūna ʾilayhi ʾaʿǧamiyyun wa-hāḏā lisānun ʿarabiyyun mubīnun

„Wir wissen wohl, daß sie (d.h. die Ungläubigen) sagen: ›Es lehrt ihn (d.h. Mohammed) (ja) ein Mensch (was er als göttliche Offenbarung vorträgt).‹ (Doch) die Sprache dessen, auf den sie anspielen (?), ist nichtarabisch. Dies hingegen ist deutliche arabische Sprache. (Paret)“

eigene Übers.: ”Wir wissen, dass sie sagen: ‚Ein Mensch bringt ihm den Koran bei.’ Die Sprache des vermeintlichen Menschen ist eine fremde. …“

Hier ist wohl ein Hinweis auf das Aramäische. Der Rest dieses Verses aber, – wa-hāḏā lisānun ʿarabiyyun mubīnun –, was mit dieser „klaren arabischen Sprache“ eigentlich gemeint ist, hängt ganz davon ab, was mit „Arabisch“ bezeichnet wurde, eine Angelegenheit, die ich der Komplexität wegen abgesondert in einer selbstständigen Untersuchung behandeln muss. Deutlich aber ist mubīn nicht „klar“ im Sinne von „verständlich“ (vgl. von derselben Wurzel auch im kausativischen Stammes das hebr. הֵבִין hēbîn verstehen) bedeutet, aber etwas anders, im Sinne einer „deutlichen Sprache“, vgl. syr. ܒܰܝܶܢ bayen „intelligentem fecit, docuit“, also von theolo­gi­schem „Klartext“ und nicht ästhetischer Schönheit (auch ein Anachro­nismus) ist die Rede.

Der Islam als „Buchreligion“ und als konsequente Ausarbeitung einer solchen setzt natürlich die Entfaltung einer Schriftkultur voraus. Die hier erzielten Forschungsergebnisse machen die Evolution dieser Kultur im Laufe der semitischen und semito-hellenistischen Religionsgeschichte deut­lich, ebenso wie die Geburt und das Wachstum des Monotheismus. Da Koran und Islam biblische Historiographie als wirklich geschehene Ge­schich­te verstehen – ein Anachronismus also –, machen sie einen Teil dieser sich entwickelnden Offenbarungswahrheit aus. So gesehen, ist die aus dem Koran entstandene Religion Bestandteil eines Kontinuums im syrisch-paläs­ti­nensischen Raum: die Religionen Kanaans zeugten die Religion von Juda, die mit dem Hellenismus später eine jüdische Religion bewirkte, die wiede­rum rabbinisches Judentum und Christentum (im weitesten Sinne des Wor­tes) hervorbrachte, die dann den Islam generierten. Von einer Religion, die „im vollen Lichte der Geschichte” entstanden ist, kann nur die Rede sein, wenn man hiermit die jüdische Religions- und die christliche Kirchen­geschichte als Bezugspunkt meint.

Die Behauptung einer ununterbrochenen Überlieferung entbehrt jeg­licher historischen Grundlage. Wer die verschiedenen Auslegungsmodelle im Judentum, etwa in der Mischna, Tosefta und im Talmud oder z.B. die Ver­wirrung um die Natur Jesu Christi[99] und seinen Tod im frühen Chris­tentum betrachtet, kann nur feststellen, dass wir vielmehr mit der Erschaf­fung einer Tradition als mit einer alten feststehenden Überlieferung zu tun haben. Die Worte Adolf von Harnacks in der Einleitung (S. iv) seines erwähnten opus magnum sind auch auf den Islam zu beziehen:

„Die älteste Missionsgeschichte ist unter Legenden begraben oder viel­mehr durch eine tendenziöse Geschichte ersetzt worden, die sich in wenigen Jahrzehnten in allen Länder des Erdkreises abgespielt ha­ben soll. An dieser Geschichte ist mehr als tausend Jahre hindurch ge­arbeitet worden – denn die Legendenbildung in bezug auf die apo­stolische Mission beginnt schon im ersten Jahrhundert und hat noch im Mittelalter, ja bis in die Neuzeit hinein geblüht; ihre Wertlosigkeit ist jetzt allgemein anerkannt.”

Wer die Zusammensetzung des Koran philologisch behandelt, die häufige Rat­losigkeit früher Kommentatoren wie al-Ṭabarīs berücksichtigt und die legendenhaften Erzählstoffe bei Ibn Isḥāq, Ibn Saʿd, Wāqidī usw. (die, wie schon Goldziher bemerkte, häufig aḥādīṯ (Pl. von adīṯ) als Quelle haben), kann nur fest­stel­len, dass auch bezüglich der Entstehungszeit des Islam keine präzisen oder einheitliche Erinnerungen überliefert wurden. Wie bei Judentum und Chris­tentum[100] ist dies nicht weiter verwunderlich, da erst mit Abschluss einer formativen Periode, nach der Erschaffung einer Offenbarungs­ge­schich­te, überhaupt Traditionen zu Tage treten können. Jedenfalls ist deut­lich, dass der werdende Islam Teil der Kirchengeschichte ist wie das frühe Christentum Teil der jüdischen Geschichte. Letztendlich ist die Historizität Mohammeds genausowenig relevant wie die Jesu, Davids oder des Mose – die späteren Überlieferungen führen ihr eigenes Leben.

Excursus : Pro Didymo Milone ad lectorem oratio

Etsi vereor, lectores, ne turpe sit pro fortissimo viro dicere incipientem timere …

Mit Zögern füge ich auf Wunsch meines Freundes T. Milo einige Bemer­kungen zur arabischen Schriftbezeichnung Nas ([101] النسخ قلم qalam al-nas) hinzu. Seit langem haben wir Fragen bezüglich der Entstehung der arabi­schen Schrift erörtert, und immer wieder fragte er: „Wat is de ety­mologie van Nas?”  Ich vermute, sowohl der Schriftname wie auch dieser Begriff in der Bedeutung „Abrogation” (d.i. ein Verfahren der islamischen Rechtswis­sen­schaft, mit dem Text oder Vorschriften des Korans oder der aādī verändert, aufgehoben oder gestrichen werden können (vgl. Sure 2, 106; 22, 52), stammt von der aramäischsprachigen Kanzleisprache ab. Wie Jeffery (a.a.O. 279f.) bemerkte, kann die arabische Bedeutung „abschreiben, kopie­ren” nicht die ursprüngliche sein. Im im alten Hebräischen, Akka­dischen und älteren Aramäischen (kommt nicht vor im Syrischen; äthiop. „bereuen“ etc.) findet man die Bedeutung für n-ṣ-/etwa „herausreißen” – vgl. im Kontext der Abrogation Ezra 6, 11. Die Semantik von „Ab- bzw. nieder­schreiben” scheint sich erst im späteren Akkadischen entwickelt zu haben. Hieraus, vielleicht schon in achämenidischer Zeit (Altpersisch; nur begrenzt attestiert) Zeit, wurde der Begriff ins Persische entlehnt.[102] Im späteren Per­sischen ist aber diese Entlehnung belegt, etwa Pahlavi ksn nask und Aves­tisch aksan naska im Sinne einer der einundzwanzig Eintei­lungen des sassa­ni­dischen Avesta, der Hauptsammlung heiliger Bücher des Zoro­astris­mus – vgl. auch syrisch ܢܶܤܷܟ nese. (Brockelmann „pars Avestae”, vgl. auch Cian­caglini a.a.O. 217) –. Aus dieser Quelle kam das Wort wieder ins Semitische, namentlich das mandäisch belegte Wort ܢܐܤܩܐ naqsa in der Bedeutung von „heilige Schrift” (vgl. M. Lidzbarski, Ginza. Der Schatz oder das grosse Buch der Mandäer (Göttingen-Leipzig, 1922), 415n6). Aramäisch belegt ist  nabatäisch (CIS ii 209, 9) nsh „Auszug, Abschrift” (DNWSI 735 s.v. c. Lit.), ns mandäisch (kausativ.) und syrisch „kopieren” (pace Brockel­mann 433 „transcripsit” non ex arabice, cf. M. O’Connor ‚The Arabic Loan­words in Nabatean Aramaic’, JNES 45(1986), 218) sowie der rabbi­nische Ter­minus technicus נוסחא  אחרינא ʾḥrynʾ nwsʾ (Abk. נ״א) „abweichen­de Leseart”. Ich vermute hier eine direkte Entlehnung aus dem Akkadischen (vgl. S. A. Kaufman, Akkadian Infuences on Aramaic (Chicago, 1975), 78, 42f.,145f., 151, 161). [Syrisch ܢܘܤܟܐ nusḵā „Abschrift, Hand­schrift, Kodex”, ܢܘܣܟܬܐ nwsktʾ „Umschrift”, ܢܣܱܟ nsa „exsripsit” sind erst spät belegt und wohl (ܟ k < خ ) aus dem Arabischen entlehnt – nebst dem eigentlichen Gebrauch dieser Wurzel in sensu „gießen” > „Metall gießen”, auch dann etwas gegossenes, z.B. ܢܣܝܟܐ nsīḵā Dt 9, 12 “… sie haben sich ein gegossenes Bild gemacht” = hebr. מֵסֵּכָה mēssēḵā von derselben Wurzel, LXX χώνευμα].

Eine arabische Entlehnung aus dem persisch-iranischen Sprachbereich scheint mir phonetisch gesehen eher unwahrscheinlich. Wichtig aber ist hier ihre Erwähnung, um deutlich zu machen, dass wir es hier mit einem Fachwort der Kanzlei zu tun haben (und bekannterweise stand die pahla­vische und avestische Schreibtradition unter aramäischem Einfluss), was wegen der eher schlechten Beleglage im späteren Semitisch-Aramäischen eine nötige Unterstützung bietet. Beide arabischen Worte sind angesichts der hier aufgeführten Wortgeschichte durch die aramäische Schreibkultur vermittelt. Beide arabischen Begriffe machten einen ursprünglichen Teil der Fachsprache der aramäischen Schreiber aus. Die beiden anderen Belege dieser Wurzel im Koran bestätigen diese schreiber-technische Semantik: 7, 154:

وَلَمَّا سَكَتَ عَن مُّوسَى الْغَضَبُ أَخَذَ الْأَلْوَاحَ ۖ وَفِي نُسْخَتِهَا هُدًى وَرَحْمَةٌ لِّلَّذِينَ هُمْ لِرَبِّهِمْ يَرْهَبُونَ

wa-lammā sakata ʿan mūsā l-ġaabu aaaa l-ʾalwāa wa-fī nusatihā hudan wa-ramatun li-llaḏīna hum li-rabbihim yarhabūna

„Und als sich Moses Zorn gelegt hatte, nahm er die Tafeln (wieder auf). In ihrem Text ist (oder: war) Rechtleitung und Barmherzigkeit enthalten für diejenigen, die vor ihrem Herrn Angst haben.“

Wobei die Übersetzung von Ghali den richtigen Ton setzt:

„And as soon as Musa’s (Moses) anger calmed down, he took the Tablets; and in the transcript of them (nusatihā hudan) was a guidance and a mercy to the ones who hold their Lord in awe.”

Sure 45, 29:

هَٰذَا كِتَابُنَا يَنطِقُ عَلَيْكُم بِالْحَقِّ ۚ إِنَّا كُنَّا نَسْتَنسِخُ مَا كُنتُمْ تَعْمَلُونَ

ḏā kitābunā yaniqu ʿalaykum bi-l-aqqi ˈʾinnā kunnā nastansiu mā kuntum taʿmalūna

„Dies (hier) ist unsere Schrift, die die Wahrheit gegen euch aussagt (indem sie alles aufführt, was euch belastet). Wir haben (laufend) aufgezeichnet (oder: aufzeichnen lassen), was ihr getan habt. (Paret)“

Ghali:

„This, Our Book, pronounces against you with the Truth; surely We have been transcribing (kunnā nastansiu) whatever you were doing.”

In der Bedeutung Abrogation stammt der Begriff (der hier nicht weiter be­handelt wird) aus dem Bereich des Kompilationsverfahrens, also des Ver­gleichens verschiedener Abschriften bzw. Versionen eines Textes, und ist dem oben erwähnten rabbinischen Begriffe ähnlich, im Sinne der variae lectiones. Der Schriftname nas, unser Hauptanliegen hier, ist dann eine Kanzeleischrift, um das schnellere Abschreiben bzw. Erstellen von Doku­men­ten im vortypographischen Zeitalter zu ermöglichen, ähnlich dem karolingischen Minuskel, der englischen Chancery hand, der cancelleresca corsiva , der chinesischen 隸書lìshū „Kanzleischrift“  (japanisch 隷書体reishotai) oder gar der Sütterlinschrift usw.  Diese arabische Schriftart, eine Abwandlung des Thuluth (ثلث‎ ulu), die die kufische Schrift durchgehend im Laufe der Zeit ersetzte, weil sie sowohl gut lesbar als auch schnell und einfach zu schreiben war und sich dadurch hervorragend für die Verwaltung im arabischen Weltreich sowie als Book hand für die der neuen Religion wegen entstandenen Buchkultur eignete. Nas bedeutet also soviel wie „Abschreibeschrift.”

Sed finis sit: neque enim prae etymologis iam loqui possum,

et hic se etymologis defendi vetat!

Bibliographischer Hinweis

Wenn nicht anders angegeben, sind die angegebenen Bedeutungen aus den folgenden Wörterbüchern entnommen:

      Akkadisch:

  1. von Soden, Akkadisches Handwörterbuch (Wiesbaden, 1965-1981)

      Aramäisch:

  1. Hoftijzer-K.Jongeling, A Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions (Leiden, 1995)
  2. Jastrow, Dictionary of the Targumim, the Talmud Babli and Yerushalmi and the Midrashic Literature (Reprint; Peabody MA, 2005)

      Äthiopisch:

  1. Leslau, An Etymological Dictionary of Geʿez (Wiesbaden, 1991)

      Qatabanisch:

  1. D. Ricks, Lexicon of Inscriptional Qatabanian [SP 14] (Rom, 1989)

      Syrisch:

  1. Brockelmann, Lexicon Syriacum (Halle, 19282)

      Sabäisch:

  1. F. L. Beeston, M. A. Ghul, W. W. Müller, J. Ryckmans, Sabaic Dictionary (English-French-Arabic) (Louvain–Beirut, 1982).

      Ugaritisch:

  1. del Olmo Lete & J. Sanmartín, A Dictionary of the Ugaritic Language in the Alphabetic Tradition vol. 2 [HdO 67] (Leiden, 2003)

*  Ich möchte mich an dieser Stelle bei Herrn Prof. Ohlig für seine Ge­duld und für das Verbessern der deutschen Fassung bedanken. Auch gilt mein Dank Herrn T. Milo (Amsterdam) für seine typographische Hilfe und Herrn Prof. Groß für Korrekturen der orientalischen Zitate und die Formatierung. Um die Lesbarkeit zu erhöhen wurden die meisten Beispiele in fremden Schriften (außer Grie­chisch) Umschriften beigefügt. Sie sind als Hilfsmittel gemeint und nicht als exakte phonetische Wiedergabe.

[1]   Vgl. hierzu z.B. Sh. Sand, The Invention of the Jewish People (London, 2009), S. 64-189 mit Literatur.

[2]   Hier ist kein Platz, diese Fragen ausgiebig zu behandeln. Ich verweise auf die Diskussion in M. S. Smith, God in Translation (Tübingen, 2008) und die dort aufgeführten Literaturangaben.

[3]   Vgl. jetzt F. Briquel Chatonnet ‚L’expansion du christianisme en Arabie: l’apport des sources syriaques’, Semitica et Classica 3(2010).

[4]   W. Gesenius, Hebräisch-deutsches Handwörterbuch über die Schriften des Alten Testaments …(Leipzig, 1810-1812), 2Bde. 18. Auflage, H. Donner et al. (Hgg.), Wilhelm Gesenius. Hebräisches und Aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament (Berlin usw., 1987-2010), 6 Lieferungen.

[5]   Walter Baumgartner u. Ludwig Köhler et al. (Hg.), Hebräisches und aramäisches Lexikon zum Alten Testament. 3. Auflage (Leiden, 2004). Die von M. E. J. Richardson betreute englische Übersetzung (2002) ist zu empfehlen, da bei der Übersetzung die inzwischen erschienenen Bände des Chicago Assyrian Dictio­narys mitberücksichtigt werden konnten.

[6]   Vgl. die Bemerkungen von J. Fück, Die arabischen Studien in Europa bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts (Leipzig, 1955), 166ff.

[7]   L. Kopf, ‚Das arabische Wörterbuch als Hilfsmittel für die hebräische Lexi­kographie’, Vetus Testamentum 6 (1956), 286-302; Zitat S. 297.

[8]   S. W. Wild, ‚Neues zur ältesten arabischen Lexikographie’, Zeitschrift der deutschen morgenländischen Gesellschaft 112(1962), 292-300. Ich zitiere hier die 1967 erschienene Bagdader Ausgabe in 8 Bänden.

[9]   R. Paret „Sein Thron reicht weit über Himmel und Erde.” Hier wird das Problem auch deutlich: das arabische Verbum وسع w-s-ʿ kann je nach dem Zusammenhang „breit, räumig sein, behausen” > „Verständnis haben” bedeuten. Ich muss gestehen, dass ich meine, diesem Wort nie in dieser Bedeutung begegnet zu sein.

[10]    Vgl. Wild, op. cit. 50 mit extremen Beispielen wie ضحك ḍ-ḥ-k „Lachen” als „Menstruation” anhand von 11, 71 وَامْرَأَتُهُ قَائِمَةٌ فَضَحِكَتْ wa-mraʾatu-hu qāʾimatun fa-aikat „Seine Frau (scil. Sara), die dastand, lachte.”

[11] Man kann so z.B. den Weg der Zigeunerwanderungen von Indien nach Europa anhand ihrer Lehnwörter feststellen, vgl. L. Campbell, Historical Linguistics (Edinburgh, 1998), 363f.

[12] Das Lateinische Wort für Bier, cerevisia, ist wiederum ein Lehnwort aus dem Gallischen, vgl. Walisisch cwrw.

[13] Vgl. hierzu z.B. W. Stroh, Latein ist tot, es lebe Latein!  (Berlin, 2007), 121-135.

[14] Bei Tertullian aber „tinctio“!

[15] P. V. Mankowski, Akkadian Loanwords in Biblical Hebrew (Winona Lake, 2000).

[16] T. O. Lambdin, ‚Egyptian Loanwords in the Old Testament’, JAOS 73(1953): 144-155.

[17] Wie z.B. im Danielbuch, das also nicht aus der Zeit Nebukadnezar des II. stammen kann.

[18] Vgl. M. Wagner, Die lexikalischen und grammatikalischen Aramäismen in alt Hebräisch, (Berlin, 1966) – z.T. veraltet.

[19]    bei Matthäus: Ηλι ηλι, λεμα σαβαχϑανι; Peschitta: ܐܝܻܠ ܐܝܻܠ ܠܡܳܢܳܐ ܫܒܼܰܩܬܳܢܝ   westsyrisch:     ˒īl ˒īl ləmānā šḇaqtāny, ostsyrisch:˒ēl ˒ēl ləmānāh šḇaqtāny; AT: עֲזַבְתָּנִי לָמָה אֵלִי אֵלִי -˒ēli ˒ēli lāmā ʿazaḇtāni – mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen.

[20] Obwohl frühe islamische Exegeten auch dieses Thema behandelten, haben ihre Arbeiten den Mangel, dass sie die durch sie erwähnten Gebersprachen in der Regel gar nicht kannten, vgl. hierzu Jeffery, 12-35 und Kopf, loc. cit.

[21] Vgl. S. Fraenkel, Die aramäischen Lehnwörter im Arabischen (Leiden, 1881), 141.

[22] E. Littmann & M. Höfner, Wórterbuch der Tigrē-Sprache (Wiesbaden, 1962), 80.

[23] Beispielsweise im Sabäischen und Qatabanischen nicht belegt. Das Gəʿəz ከተበ kataba in dieser Bedeutung mit Ableitungen wie ክታብ „Buch” (/kətāb/ < /*kitāb/!) usw. sowie die phonetische Variante ክትፕ kətəp stammen aus dem  Arabischen. Das eigentliche Wort im Altäthiopischen für das Schreiben, wie fAS fAS ṣḥf im Sabäischen und Qatabanischen, ist ጸሐፈ aḥafa – was seinerseits ins Arabi­sche entlehnt wurde und wovon noch die Rede sein wird. Das Akkadische êpum „niederschreiben”, ê’pum „gesiegelter Brief (aB)” (von Soden 1091) ist dem südsemitischen Begriffe verwandt.

[24] Vgl. im Wörterbuch von Lane, Teil VII, S. 2589f. Diese Bedeutung ist auch produktiv im modernen Arabischen, vgl. كتيبة katība „Regiment” usw.

[25] Hier haben wir es wohl mit einem Hinweis einer pseudoepigraphischen Schrift wie das Testament Abrahams zu tun. Eine Rezension dieses Werkes ist m.E. die Quelle eines Teils des koranischen Erzählstoffes dieses Patriarchs.

[26] Diese Formen könnten sehr gut wie das Arabische aḥīfa und Mehrzahl uuf zu vokalisieren sein.

[27] Diese Wurzel ist auch produktiv in den semitischen Nachfolgesprachen Äthio­piens, wie etwa amharisch ጸሐፊ əafi “Schreiber”, የጽሕፈት መኪና yaəəfit makinā (< It. macchina da scrivere) „Schreibmaschine” und als Verbum ጻፈ ṣāfi.

[28] Im der modernen arabischen Sprache ist diese Wurzel  produktiv in Bezug auf das Berichterstatterwesen. Möglicherweise steckt die ursprüngliche Bedeutung der arabische Wurzel in Nomina wie صحفۃ ṣaḥfa „Schüssel”, صحيفۃ aḥīfa „Blatt”.

[29] „Lesen” im Gəʿəz wird normalerweise mit dem kausativen Stamm von n-b-b ge­bildet አንበበ ʾanbaba und so auch in den modernen äthiosemitischen Sprachen wie Amharisch und Tigré. Diese Wurzel ist semitisch gut belegt, etwa im Arabischen „bleat in sexual excitement (billy goat)” (Lane). Diese schwache Wurzel hängt wahrscheinlich mit n-b-’ im Semitischen zusammen. Hieraus entstand das arabische Wort نبي nabī „Prophet” < ܢܒ݂ܺܝܳܐ nəbiyā was wiederum  von < נָבִיא nābīʾ abstammt. Die Voraussetzung ist natürlich die Erfindung der Prophetie als Kommunikationsmittel. Vgl. zu den Ursprüngen D. Flemming, ‚Nabu and munabbiatu: two new Syrian religious personnel’, JAOS 113(1993), 175-183.

[30]  ܩܪܝܢܐ qrinā gibt interessanterweise in der Peshitta מִקְרָא miqrāʾ in Neh 8, 8   wie­der.

[31] Vgl. die von as-Suyūṭī (الإتقان في علوم القرآن al-itqān fī ʿulūm al-qurʾān 319-321) zitierten Autoritäten, und die in Jeffery 170ff. angegebenen Quellen.

[32] Auch zur Wiedergabe von Schriftgelehrten (γραμματεύς) in Mt 9,3 der Peschitta! Dieses Lexem wurde auch ins Armenische entlehnt als armen. սովեր sover, aber pace Jeffery 171 weist das Äthiopische ሰፈረ safira keinen aramäischen Einfluss auf.

[33] Wohl im Sinne von „Lehre, Unterweisung” bekam das Syrische ܣܷܦܪܴܐ serā die Bedeutung „Heilige Schrift.” Ein anderes semantisches Feld der akkadischen Wurzel im Sinne von „Arbeit”,  vgl. šiprum ist wahrscheinlich vom Sabäischen rfG sfr „labour-force, corvée” entlehnt (weil sie z.T. Zwangsarbeit für Mesopo­tamier leisten mussten?). Die hebräischen Bildungen etwa wie סֵפֶר sēär “Buch”, סֹפֵר sōēr „Schreiber” usw. lassen wir hier bewusst außer Betracht.

[34]    Hier wird שְׂטַר śətar „Seite” nicht berücksichtigt (e.g. Dan 7, 5 „Und siehe, ein anderes Tier, das zwei­te, war gleich einem Bären und war auf der einen Seite (ולשׂטר־חד) auf­gerichtet und hatte in seinem Maul zwischen seinen Zähnen drei Rippen. Und  man sprach zu ihm: Steh auf und friss viel Fleisch!”), šr3 (in J. Hoftijzer u. K. Jongeling, Dictionary of the North-West Semitic Inscriptions (Leiden, 1995) 1124f.).

[35] Mit Verweis auf 57: 22 مَا أَصَابَ مِن مُّصِيبَةٍ فِي الْأَرْضِ وَلَا فِي أَنفُسِكُمْ إِلَّا فِي كِتَابٍ مِّن قَبْلِ أَن نَّبْرَأَهَا ۚ إِنَّ ذَٰلِكَ عَلَى اللَّهِ يَسِيرٌ. – mā ʾaṣāba min muṣībatin fī l-ʾari wa-lā fī ʾanfusikum ʾillā fī kitābin min qabliʾˈan nabraʾahā ʾinna ḏālika ʿalā llāhi yasīrun.

[36] Periode E. „During the second half of the fourth century the pagan formulas disappear from the texts (one single pagan text is later). Taking their place appear monotheisitic formulas invoking the „Lord of Heaven” (or … „of Heaven and Earth”)and the „Merciful” (Raḥmānān). Christianity and Judaism using the same terminolgy had suppplanted paganism” J. Ryckmans, „The Old South Arabian Religion“, in W. Daum (Hg.), Yemen: 3000 Years Of Art And Civi­li­zation In Arabia Felix (1987), 110. Vgl. auch Chr. Robin, ‚Le judaïsme de Himyar, Arabia 1(2003), 97-172, und idem ‚Himyar au. IV siècle de l’ère chré­tienne. Analyse des données chronologiques et essai de mise en ordre.’ ABADY 10 (2005), 133-151.

[37] Von derselben Wurzel wie lētum, (<*laḥtum), Ugaritisch l “Backe, Wange, Kacke”?

[38] Im Amharischen findet man ein Verbum ሎሀ leha „Schreiben” sowie ሉክ luk (mit Variant ሉህ luh) „leeres Papierblatt”, die von ለወሐ lawaa abstammen müss­ten, obwohl hier eine Entlehnung aus dem Arabischen nicht auszu­schließen ist. Im altnord- und altsüdarabischen ist diese Wurzel  meines Wissens nicht belegt.

[39] Andere Versionen gebrauchen die Transkription ܜܝܜܠܘܿܣ ilos als Lehnwort.

[40]  Ich behandle hier nicht sonderlich توراة  tawrāt „Tora” und إنجيل inǧīl „Evange­lium”, da beide eindeutig Entlehnungen sein müssen. Der erste Begriff ist wohl von Juden übernommen, nicht per se aus dem Hebräischen (das hebr. Wort wur­de ursprünglich wohl vom Akkadischen tî/êrtum (<älter tā’ertum „Unter­wei­sung” entlehnt). Von derselben Wurzel wird das syrische Lexem ܐܘܪܝܬܐ oraytā „Pentateuch, Altes Testament” (< Gəʿəz orit ኦሪት „Oktateuch”) gebildet. Das Letztere stammt natürlich schlussendlich vom Griechischen εὐαγγέλιον ab. Ob er vom Aramäischen ܐܘܢܓܠܝܘܢ ewangeliyon oder des langen Vokals und Feh­len der griechischen Endung wegen vom Äthiopischen ወንጌል wangel ent­lehnt wurde, ist im Duktus dieses Aufsatzes unwichtig. Im Syrischen ist das grie­chische Lehnwort etwa genau so häufig wie der einheimischer Ausdruck ܣܒܪܬܐ sbarṯā, ein aus Metathese entstandene Form. Die Wurzel b-š-r kann u.a. „eine Botschaft überbringen > eine Gottheit preisen” bedeuten wie das Akka­dische bussurum (D-Stamm; > bussurtum, mubassirum [Mari], tabsertum usw.), Ugaritisch bšr (D-Stamm) und Hebräisch בִּשֵּׂר bissêr „sehen lassen“. Hier scheint  die semantische Entwicklung „eine Nachricht vermitteln” > „eine gute Nach­richt vermitteln” gewesen zu sein, wie etwa > Sabäisch rbG šbr, Äthiopisch አብሠረ abśara „gute Nachrichten ankündigen.” Die arabische Wurzel بشر b-š-r in der Bedeutung „sich freuen” müsste hiervon abgeleitet sein. Das Aramäische scheint dann einen eigenen semantischen Weg eingeschlagen zu haben, z.B. ܣܒܪ sbar „putavit, speravit, expectavit.” Ich vermute eine Entlehnung ins Ara­bische vom Gəʿəz (vielleicht auch für ܣܒܪܬܐ sbarṯā), denn schon in dieser Sprache war diese Wurzel im ‚evangelischen’ Sinne gebräuchlich, wie etwa ብሥራት bəśrāt „gute Nachricht, Evangelium”, ብሥራታዊ bəśrātāwi „Überbringer guter Nach­richten, Evangelist”, በዓለ ብሥራት baʿāla bəśrāt das „Fest Mariae Verkün­digung” usw., was wir auch im außerkoranischen (christlichen) Arabischen fin­den: بشارة bišāra „gute Nach­richt, Evangelium”, بشير bašīr “Überbringer guter Nachrichten, Evangelist”, عيد البشارة ʿīd al-bišāra usw.

[41] R. M. Kerr, Latino-Punic Epigraphy. A descriptive Study of the Inscriptions (Tübingen, 2010), 81f.

[42]    Zur syrischen Herkunft von Allāh s. Markus Groß, Neue Wege der Koran­forschung aus vergleichender sprach- und kulturwissenschaftlicher Sicht, in: K. H. Ohlig (Hg.), Der frühe Islam, Berlin 2007, S. 457-640, speziell S. 597 ff.

[43]   ܚܶܛܝܳܢܳܐ  eyānā  gibt ‚שִׂטְנָה’ śiṭnāh in Ezra 4, 6 wieder.

[44]  Die verbale Wurzel ist hebräisch nicht bezeugt, vgl. aber ugaritisch l’k, Gəʿəz

ለአከ laʾaka usw. Zu diesem Wort vgl. auch Luxenberg, 59ff.

[45] Der Name ist jedenfalls vorhebräisch und schon in der Bronzezeit belegt,  z.B. Ägyptisch  /ysAr/, vgl. Kenneth A. Kitchen, Ramesside Inscriptions, Historical and Biographical, IV, (Oxford 1969), 19.7.

[46]  Der Name ist vorhebräisch und mit theophorem Element in der Bronzezeit belegt, etwa zu Ugarit. Die eigentliche Bedeutung der Wurzel ʿqb hier muss wie das Gəʿəz  ዐቀበ ʿaqaba „bewachen, beschützen” gewesen sein – vgl. Amharisch ጠባቂ abaqi, Tigriñña ሓለወ ḥālao „Bewacher”, vielleicht spätsabäisch BqEm qʿm – also „DN hat beschützt/wird beschützten.”

[47] Die Tatsache des ägyptischen Ursprunges dieses Namens ist aber keine Bestä­tigung der Historizität der Josephserzählung. Dieser Name ist noch nicht in der Bronzezeit, in der angeblich Joseph gelebt haben sollte, sondern erst in der Spätzeit (664–332 v. Chr.) belegt.

[48] Im jüdischen Aramäischen „sicher sein, anwesend sein, bezeugen” usw., nicht aber im Sinne einer Märtyrerschaft. Der arabische Gebrauch passt eher zum Syrischen. Spätsabäisch dhG šhd „Zeugnis” ist eine aramäische Entlehnung.

[49]  Vgl. schon neuassyrisch und jungbabylonisch ullû „beten.” M.E. eine aramä­ische Entlehnung, wie auch spätsabäisch xlS lt und Gəʿəz ጸለየ alaya „beten” (ጸሎት alut „Gebet”).

[50] Vgl. hierzu T. Podella, Ṣôm-Fasten: kollektive Trauer um den verborgenen Gott im Alten Testament, (Kevelaer, 1989).

[51] ܚܰܓ agg „peregrinatio Moslemorum” ist natürlich eine spätere Rückentlehnung aus dem Arabischen.

[52] Bzw. „der den Tag des Gerichtes besitzt.”

[53] A. Jeffery, ‚A variant text of the Fātiha’, The Muslim World 29(1939): 158–162.

[54] Jer 10, 10ܐܠܗܐ ܕܚ̈ܝܐܼ ܘܡܿܠܟܐ ܕܥ̈ܠܡܐ. d-ʿlmʾ w-mlkʾ d-yʾ ʾlhʾ Gn 21, 33 ܕܡܪܝܐ ܐܠܗܐ ܕܥܠܡ̈ܐ d-mryʾ d-ʿlmʾ ʾlhʾ

[55]    τὰς βασιλείας τοῦ κόσμου.

[56] Wie z. B. das Gebetsfragment CIH 538:

1 […]£  ykfrn Ãb-hmw w-yqbln qrbn-hm[w …] – […]möge (der Gott) ihre Schuld vergeben und möge er ihr Offer annehmen […]

2 […]¥ w-b-¥lmn b¥dn w-qrbn w-äym ¥l[… ] – […] und in der künftigen und jetztigen Welt der Patron des […]

3 […]n w-bärn w-bn ärk l-mrʾm […](â)m[…] – […] und die Menschen und wegen der Vereinbarung mit einem Herrn in Böswilligkeit (?) […]

4 […] w-mr°ym l-âm RÃmnn *¶*-Kl¥n[…] –  […] und die Genugtuung im Namen des RÃmnn von Kl¥n (?) […]

5 […]RÃmnn r°w £mr£-hmw £mlkn […]– […] Rḥmnn Wohlwollen ihrer Herr, die Könige von […]

6 […]w-¥w(âm) w-°llm w-mÃlm w-tm[…] – […] and Epidemie, Krankheit, Dürre und […]

Im älteren Sabäischen hat mlf ʿgm eine rechtliche Semantik, etwa „Unter­schrift, Dokument.”

[57] Oder ist hier ein Hinweis auf die jüdischen Begriffen עולם הזה ha-zeh ʿôlām „diese Welt” und העולם הבא ha-bāʾ ʿôlām „die kommende Welt”?

[58] Als Titel einer Göttin. Für den profanen Gebrauch vgl. z.B. Ri 5, 30 “Sie werden wohl Beute finden und verteilen, ein Weib, zwei Weiber (רחם רחמתים rmtym rm) für jeden Mann, und für Sisera bunte gestickte Kleider zur Beute, gewirkte bunte Tücher um den Hals als Beute.”

[59] Akkadische Parallele 6f.: ilu rēmēnû šá si-pu-šú ābu

[60] Verweisung nach Dt 13, 18. Für weitere Belege vgl. das Wörterbuch von Jastrow, S. 1468.

[61] Vgl. J. Texidor, The Pantheon of Palmyra (Leiden, 1979), 62ff.

[62] J. C. Greenfield, ‚From ’lh rmn to al-ramān: The Source Of A Divine Epithet,’ in B. H. Hary, J. L. Hayes & F. Astren (Hg.) ,Judaism And Islam: Boundaries, Communication And Interaction – Essays In Honor Of William M. Brinner (Leiden, 2000), 381-292, hier 385f.

[63] Vgl. ܡܪܰܚܡܳܢܽܘܬ݂ܳܐ mramānuṯā als Titel byzantinischer Kaiser, ܡܪܰܚܡܳܢܽܘܬ݂ܳܟ mramānuṯāḵ „Euer Gnaden.” Ob der christlich-syrische Gebrauch vom Jüdi­schen abstammt, was gut möglich ist, ist hier nicht relevant.

[64] Obwohl der اللّهِ بِسْمِ bismi llāh sicherlich auch ein Lehnbegriff ist, ist er m.E. einer zu allgemeinen Natur, um gewinnbringend hier näher untersucht zu werden.

[65] Dieser Audruck ist wichtig für die christlichen Strömungen, die zum Islam führten. Der Gesalbte (Messias bzw. Christus) wird nicht als Sohn bezeichnet, vgl. 5, 75 مَّا الْمَسِيحُ ابْنُ مَرْيَمَ إِلَّا رَسُولٌ قَدْ خَلَتْ مِن قَبْلِهِ الرُّسُلُ وَأُمُّهُ صِدِّيقَةٌ ۖ كَانَا يَأْكُلَانِ الطَّعَامَ ۗ انظُرْ كَيْفَ نُبَيِّنُ لَهُمُ الْآيَاتِ ثُمَّ انظُرْ أَنَّىٰ يُؤْفَكُونَ  mā l-masīu bnu maryama ʾillā rasūlun qad alat min qablihi r-rusulu wa-ʾummuhū iddīqatun kānā yaʾkulāni aʿāma nur kayfa nubayyinu lahumu l-ʾāyāti umma nur ʾannā yuʾfakūna sowie 3, 45; 4, 157, 172; 5, 17, 72; 9, 31, sondern als „sein Gesalbter”!

[66] Hier ist kein Platz für diese Thematik, die auch außerhalb der Kompetenz des Autors liegt. Aus der Literatur verweise ich nur grundlegend auf: Ferdinand Hahn, Frühjüdische und urchristliche Apokalyptik. Eine Einführung (Neu­kirchen-Vluyn, 1998); David Hellholm (Hg.), Apocalypticism in the Medi­terranean World and the Near East. Proceedings of the International Collo­quium on Apocalypticism. Uppsala, August 12-17, 1979 (Tübingen 1983); Hart­mut Gese, ‚Anfang und Ende der Apokalyptik, dargestellt am Sacharjabuch’, in: idem, Vom Sinai zum Zion (München, 1974), 202-230.

[67] Vgl. C. A. Ciancaglini, Iranian Loanwords in Syriac (Wiesbaden, 2008), 152.

[68] Vgl. aber etwa im Talmud עבד דנורא ʿabd d-nurā „Feueranbeter” – מסכת נדרים פרק ט mskt ndrym prq .

[69] Auch سِرَاط sirāṭ sowie bei Ibn ʿAbbās (vgl. A. Jeffery, Materials for the History of the Text of the Qur’ān (Leiden, 1937), 195), was eher der aramäischen Form entspräche. Eine andere Ableitung gibt Chr. Luxenberg, a.a.O. 18 wieder.

[70] Vgl. E. Repo, ‚Der Weg’ als Selbstbezeichnung des Urchristentums (Helsinki, 1964).

[71] Vgl. schon Tertullian, Adversus Marcionem iv, 8: „Nazaraeus vocari habebat secundum prophetiam Christus creatoris. Unde et ipso nomine nos Iudaei Nazarenos appellant per eum. Nam et sumus de quibus scriptum est: Nazaraei exalbati sunt super nivem, qui scilicet retro luridati delinquentiae maculis et ni­grati ignorantiae tenebris. Christo autem appellatio Nazaraei in extraneum Iesu post tibi transtulit, sed addidit Junius quaero an scribendum fuerit eum se con­firmavit competitura erat ex infantiae latebris, ad quas1 apud Nazareth descendit, vitando Archelaum filium Herodis“; auch Plinius, Naturalis Historia v 81: „Coele habet Apameam Marsya amme divisam a Nazerinorum tetrarchia“.

[72] R. A Pritz, Nazarene Jewish Christianity (Leiden-Jerusalem, 1988), 11-47.

[73] Jes 11, 1-10 hat eine lange Geschichte messianischer Auslegung, auch im frühen Judentum. Die Übertragung des Targums macht dies deutlich: וְיִפוֹק מַלכָא מִבְנוֹהִי דְיִשָי וּמשִיחָא מִבְנֵי בְנוֹהִי יִתרַבֵי wə-yippôq malḵā mi-bənôhî -yišāʾ û-mšîḥā mi-bənêy bnôhî yirabêy – „Ein König wird von den Söhnen Isais entspringen und ein Messias von den Söhnen seiner Söhne.” Vgl. im NT Apg 13, 22-23; Röm 15, 12, Off 5,5 und möglicherweise 1Kor 1, 23; 2, 2. Dieser Isaiah-Vers ist es wohl, worauf Mt 2, 22-23 anspielt: καὶ ἐλθὼν κατῴκησεν εἰς πόλιν λεγομένην Ναζαρὲτ, ὅπως πληρωθῇ τὸ ῥηθὲν διὰ τῶν προφητῶν, Ὅτι Ναζωραῖος κληθήσεται. Vielleicht bewahrt das koptische Evangelium der Ägypter III 64, 9ff, wie auch ähnlich Zostrianos 47, 5, eine Erinnerung hieran: ⲛⲁⲡⲟⲥⲧⲟⲗⲟⲥ ⲉⲧϩⲓ ⲧⲛⲛⲉϩⲏ ⲧⲉⲉⲓϩⲉ ⲛⲉⲩⲙⲟⲩ ⲧⲉ[ⲙⲙⲟϥ] ϫⲉ ⲓⲏⲥ ⲡⲛⲁⲍⲱⲣⲁⲓⲟⲥ ⲙⲉⲥⲥⲓⲁⲥ ⲉⲧⲉ ⲙⲉⲥⲥⲓⲁⲥ ⲉⲧⲉ ⲡⲁⲉ ⲓ ⲡⲉ ⲓⲏⲥ ⲡⲛⲁⲍⲁⲣⲁⲓⲟⲥ ⲡⲉⲭϭ … ⲛⲁⲍⲁⲣⲁ ⲧⲉ ⲧⲁⲗⲏⲑⲉⲓⲁ ⲡⲛⲁ ⲍⲁⲣⲏⲛⲟⲥ ϭⲉⲧⲉ ⲧⲁⲗⲏⲑⲉⲓⲁ „Es erschien Ihnen der große Gehilfe (παραστάτης) Yesseus Marazeus Yessedekeus” (Text nach A. Böhlig, F. Wisse & P. Labib, Nag Hammadi Codices III,2 and IV, 2. The Gospel of the Egyptians (The Holy Book of the Great Invisible Spirit) (Leiden, 1975), 148).

[74] Vgl. Epipanius, Panarion 28, 1 „Ναζωραῖοι καθεξῆς τούτοις ἕπονται, ἅμα τε αὐτοῖς ὄντες ἢ καὶ πρὸ αὐτῶν ἢ σὺν αὐτοῖς ἢ μετ‘ αὐτούς, ὅμως σύγχρονοι· οὐ γὰρ ἀκριβέστερον δύναμαι ἐξειπεῖν τίνες τίνας διεδέξαντο. καθὰ γὰρ ἔφην, σύγχρονοι ἦσαν ἀλλήλοις καὶ ὅμοια ἀλλήλοις κέκτηνται τὰ φρονήματα. οὗτοι γὰρ ἑαυτοῖς ὄνομα ἐπέθεντο οὐχὶ Χριστοῦ οὔτε αὐτὸ τὸ ὄνομα τοῦ Ἰησοῦ, ἀλλὰ Ναζωραίων. πάντες δὲ Χριστιανοὶ Ναζωραῖοι τότε ὡσαύτως ἐκαλοῦντο· γέγονε δὲ ἐπ‘ ὀλίγῳ χρόνῳ καλεῖσθαι αὐτοὺς καὶ Ἰεσσαίους, πρὶν ἢ ἐπὶ τῆς Ἀντιοχείας ἀρχὴν λάβωσιν οἱ μαθηταὶ καλεῖσθαι Χριστιανοί. ἐκαλοῦντο δὲ Ἰεσσαῖοι διὰ τὸν Ἰεσσαί, οἶμαι, ἐπειδήπερ ὁ Δαυὶδ ἐξ Ἰεσσαί, ἐκ δὲ τοῦ Δαυὶδ κατὰ διαδοχὴν σπέρματος ἡ Μαρία, πληρουμένης τῆς θείας γραφῆς, κατὰ τὴν παλαιὰν διαθήκην τοῦ κυρίου λέγοντος πρὸς τὸν Δαυίδ ‚ἐκ καρποῦ τῆς κοιλίας σου θήσομαι ἐπὶ τὸν θρόνον σου’“. Weiter idem, 3-9.

[75]  Vgl. auch Gəʿəz ነዝራዊ nazarāwi (wohl aus dem Griechischen) nebst ክርስቲያን kərəsətiyān wie im Amharischen usw.

[76] So z.B. in schon vermeldeten INRI-Aufschirft dem Johannes (19,19) zufolge, der einzige der die als ἰησοῦς ὁ ναζωραῖος ὁ βασιλεὺς τῶν ἰουδαίων wiedergibt, kann nicht als „Jesus aus Nazaret“ übersetzt werden, dies wäre Ναζαρηνός oder Ναζωραῖος (vgl. die griechischen Orthographien bei Mt 2, 23 in n70). Die Form ist hier dieselbe wie der von Tertullus in Apg 24, 5 gebrauchte Ausdruck, also „Jesus der Nazaoräer, der König der Juden.” Obwohl die Wiedergabe des semi­tischen Phonems /ṣ/ mit griech. ζ merkwürdig erscheinen mag, und Zweifel ge­gen diese Etymologie aufbringen könnte, machen aber die Wiedergaben ܕܢܨܪܝܐ d-nāṣrāyā usw. im syr. NT deutlich, daß es hier um diese Ableitung handelt und nicht etwa < n-z-r. Im Neuhebräischen (Ivrit) ist der Begriff נוצרי rî [notsˈriː] (Sg.) das gebräuchliche Wort für Christen, wobei es eine weitere Gruppe gibt, die משׁיחי mašîḥî „Messia­nische Juden“ als Selbstbezeichnung gebrauchen.

[77] Die Behandlung dieses Begriffes muss ich aus Platzgründen auf eine spätere Veröffentlichung verschieben.

[78] Vgl. im sabäischen Wörterbuch von Beeston et al., S. 100 „aide, appui, soutien, secours.”

[79] Vgl. J. Tropper, Ugaritische Grammatik (Münster, 2000), 94f. et passim.

[80] Die Etymologie des (gnostischen) Philippusevangeliums: “Die Apostel, die uns vorausgegangen sind, nannten [ihn] Jesus den Nazoräer, den Messias, das ist Jesus der Nazoräer Christus (‚der Gesalbte’) … Nazara bedeutet ‘Wahrheit’, drum ist der (Nazoräer) der ‚Wahre” (Text nach W. Till, Das Evangelium nach Philippos (Berlin, 1963), 62; Übersetzung vom Verf.; vgl aber auch 20b: „Der offenbarte Nazarener ist das Geheimnis”), also etwa als zweiter Vorname, ist scheinbar ohne jegliche sprachwissenschaftliche Grundlage. Nichtsdestotrotz verweist dieser Beleg auf die schon gemeldete Nazaräer-Problematik.

[81] Hier lasse ich bewusst außer acht die von Epiphanius angeführte vorchristliche jüdische Sekte der Ναζαραῖοι, die im Transjordan gelebt haben sollte (Pan. 18.1).

[82] Leider war mir eines Poststreikes wegen das Werk von Th. Hainthaler, Christ­liche Araber vor dem Islam: Verbreitung und konfessionelle Zugehörigkeit: eine Hinführung (Löwen, 2007) beim Verfassen dieses Aufatzes unzugänglich.

[83] In seinem Proömium 2, 4 sagt er über seine Arbeitsweise:  τῶν δὲ ὑφ‘ ἡμῶν μελλόντων εἰς γνῶσιν τῶν ἐντυγχανόντων ἥκειν <περὶ> αἱρέσεών τε καὶ σχισμάτων τὰ μὲν ἐκ φιλομαθίας ἴσμεν, τὰ δὲ ἐξ ἀκοῆς κατειλήφαμεν, τοῖς δέ τισιν ἰδίοις ὠσὶ καὶ ὀφθαλμοῖς παρετύχομεν· καὶ τῶν μὲν τὰς ῥίζας καὶ τὰ διδάγματα ἐξ ἀκριβοῦς ἀπαγγελίας ἀποδοῦναι πεπιστεύκαμεν, τῶν δὲ μέρος τι τῶν παρ‘ αὐτοῖς γινομένων. ἐξ ὧν τοῦτο μὲν διὰ συνταγμάτων παλαιῶν συγγραφέων, τοῦτο δὲ δι‘ ἀκοῆς ἀνθρώπων ἀκριβῶς πιστωσαμένων τὴν ἡμῶν ἔννοιαν ἔγνωμεν.

[84] Τὰ πάντα δέ εἰσιν Ἰουδαῖοι καὶ οὐδὲν ἕτερον. χρῶνται δὲ οὗτοι οὐ μόνον νέᾳ διαθήκῃ, ἀλλὰ καὶ παλαιᾷ διαθήκῃ, καθάπερ καὶ οἱ Ἰουδαῖοι. οὐ γὰρ ἀπηγόρευται παρ‘ αὐτοῖς νομοθεσία καὶ προφῆται καὶ γραφεῖα τὰ καλούμενα παρὰ Ἰουδαίοις βιβλία, ὥσπερ παρὰ τοῖς προειρημένοις· οὐδέ τι ἕτερον οὗτοι φρονοῦσιν, ἀλλὰ κατὰ τὸ κήρυγμα τοῦ νόμου καὶ ὡς οἱ Ἰουδαῖοι πάντα καλῶς ὁμολογοῦσι χωρὶς τοῦ εἰς Χριστὸν δῆθεν πεπιστευκέναι. παρ‘ αὐτοῖς γὰρ καὶ νεκρῶν ἀνάστασις ὁμολογεῖται καὶ ἐκ θεοῦ τὰ πάντα γεγενῆσθαι, ἕνα δὲ θεὸν καταγγέλλουσι καὶ τὸν τούτου παῖδα Ἰησοῦν Χριστόν – 28, 6.

[85] Τουτέστιν τοῦ Ἰωσήφ, τὸν Χριστὸν γεγεννῆσθαι ἔλεγεν· ὡς καὶ ἤδη ἡμῖν προείρηται ὅτι τὰ ἴσα τοῖς ἄλλοις ἐν ἅπασι φρονῶν ἐν τούτῳ μόνῳ διεφέρετο, ἐν τῷ τῷ νόμῳ τοῦ Ἰουδαϊσμοῦ προσανέχειν κατὰ σαββατισμὸν καὶ κατὰ τὴν περιτομὴν καὶ κατὰ τὰ ἄλλα πάντα, ὅσαπερ παρὰ Ἰουδαίοις καὶ Σαμαρείταις ἐπιτελεῖται. ἔτι δὲ πλείω οὗτος παρὰ τοὺς Ἰουδαίους ὁμοίως τοῖς Σαμαρείταις διαπράττεται. προσέθετο γὰρ τὸ παρατηρεῖσθαι ἅπτεσθαί τινος τῶν ἀλλοεθνῶν, καθ‘ ἑκάστην δὲ ἡμέραν, εἴ ποτε γυναικὶ συναφθείη καὶ ᾖ ἀπ‘ αὐτῆς, βαπτίζεσθαι ἐν τοῖς ὕδασιν, εἴ που δἂν εὐποροίη ἢ θαλάσσης ἢ ἄλλων ὑδάτων. ἀλλὰ καὶ εἰ συναντήσειέν τινι ἀνιὼν ἀπὸ τῆς τῶν ὑδάτων καταδύσεως καὶ βαπτισμοῦ, ὡσαύτως πάλιν ἀνατρέχει βαπτίζεσθαι, πολλάκις καὶ σὺν τοῖς ἱματίοις. τὰ νῦν δὲ ἀπηγόρευται παντάπασι παρ‘ αὐτοῖς παρθενία τε καὶ ἐγκράτεια, ὡς καὶ παρὰ ταῖς ἄλλαις ταῖς ὁμοίαις ταύτῃ αἱρέσεσι. ποτὲ γὰρ παρθενίαν ἐσεμνύνοντο, δῆθεν διὰ τὸν Ἰάκωβον τὸν ἀδελφὸν τοῦ κυρίου· <διὸ> καὶ τὰ αὐτῶν συγγράμματα πρεσβυτέροις καὶ παρθένοις γράφουσι.

[86] πάντων καλούντων τοὺς Χριστιανοὺς τότε τούτῳ τῷ ὀνόματι διὰ Ναζαρὲτ τὴν πόλιν, ἄλλης μὴ οὔσης χρήσεως τῷ ὀνόματι πρὸς τὸν καιρόν, ὥστε τοὺς ἀνθρώπους <Ναζωραίους> καλεῖν τοὺς τῷ Χριστῷ πεπιστευκότας, περὶ οὗ καὶ γέγραπται «ὅτι Ναζωραῖος κληθήσεται». καὶ γὰρ καὶ νῦν ὁμωνύμως οἱ ἄνθρωποι πάσας τὰς αἱρέσεις, Μανιχαίους τέ φημι καὶ Μαρκιωνιστὰς Γνωστικούς τε καὶ ἄλλους, Χριστιανοὺς τοὺς μὴ ὄντας Χριστιανοὺς καλοῦσι καὶ ὅμως ἑκάστη αἵρεσις, καίπερ ἄλλως λεγομένη, καταδέχεται τοῦτο χαίρουσα, ὅτι διὰ τοῦ ὀνόματος κοσμεῖται· δοκοῦσι γὰρ ἐπὶ τῷ τοῦ Χριστοῦ σεμνύνεσθαι ὀνόματι, οὐ μὴν τῇ πίστει καὶ τοῖς ἔργοις -28.6. Auch 30, 2, wo er auf eine gewisse Überlappung bzw Austauschbarkeit verweist: συναφθεὶς γὰρ οὗτος ἐκείνοις καὶ ἐκεῖνοι τούτῳ, ἑκάτερος ἀπὸ τῆς ἑαυτοῦ μοχθηρίας τῷ ἑτέρῳ μετέδωκε. καὶ διαφέρονται μὲν ἕτερος πρὸς τὸν ἕτερον κατά τι, ἐν δὲ τῇ κακονοίᾳ ἀλλήλους ἀπεμάξαντο.

[87] In 29, 9 scheint der Nachdruck auf  ‚hebräische Buchstaben’, wohl die Quadrat­schrift, zu liegen: ἔχουσι δὲ τὸ κατὰ Ματθαῖον εὐαγγέλιον πληρέστατον Ἑβραϊστί. παρ‘ αὐτοῖς γὰρ σαφῶς τοῦτο, καθὼς ἐξ ἀρχῆς ἐγράφη, Ἑβραϊκοῖς γράμμασιν ἔτι σῴζεται. In 30, 13 scheint er irgendwie nicht unter dem Eindruck des Hebräischen: ἐν τῷ γοῦν παρ‘ αὐτοῖς εὐαγγελίῳ κατὰ Ματθαῖον ὀνομα­ζομένῳ, οὐχ ὅλῳ δὲ πληρεστάτῳ, ἀλλὰ νενοθευμένῳ καὶ ἠκρωτηριασμένῳ (Ἑβραϊ­κὸν δὲ τοῦτο καλοῦσιν). Bei griechischen Schreibern dieser Zeit steht häufig ‚hebräisch’ pars pro toto für eine semitische Sprache, die in den meisten Fällen wohl das Aramäische war; ‚hebräisch’ scheint hier im Sinne von ‚jüdisch’ gebraucht worden sein.

[88] Bei Tatian (46) meldet sich dieser als Autor des (syrischen) Diatessarons ὅπερ κατὰ Ἑβραίους τινὲς καλοῦσι. Hier folgt er einer etablierte Tradition, da dasselbe u.a. von Eusebius, Theodoret behauptet wird. Panarion 30,3 spricht von anderen semitischen Übersetzungen wie das Johannes Evangelium und Apg: ἤδη δέ που καί τινες πάλιν ἔφασαν καὶ ἀπὸ τῆς Ἑλληνικῆς διαλέκτου τὸ κατὰ Ἰωάννην μεταληφθὲν εἰς Ἑβραΐδα ἐμφέρεσθαι ἐν τοῖς τῶν Ἰουδαίων γαζοφυλακίοις, φημὶ δὲ τοῖς ἐν Τιβεριάδι, καὶ ἐναποκεῖσθαι ἐν ἀποκρύφοις, ὥς τινες τῶν ἀπὸ Ἰουδαίων πεπιστευκότων ὑφηγήσαντο ἡμῖν κατὰ λεπτότητα· οὐ μὴν ἀλλὰ καὶ τῶν Πράξεων τῶν ἀποστόλων τὴν βίβλον ὡσαύτως ἀπὸ Ἑλλάδος γλώσσης εἰς Ἑβραΐδα μεταληφθεῖσαν λόγος ἔχει ἐκεῖσε κεῖσθαι ἐν τοῖς γαζοφυλακίοις, ὡς καὶ ἀπὸ τούτου τοὺς ἀναγνόντας Ἰουδαίους τοὺς ἡμῖν ὑφηγησαμένους εἰς Χριστὸν πεπιστευκέναι. Hier gehe ich nicht weiter auf diese Schrift ein, die im Altertum Bekanntheit besaß – der hl. Hieronymus schreibt sogar, er habe eine Version in der Bibliothek von Caesarea eingesehen und ins Latein und ins Griechische über­setzt (De vir. Illus. 2). Weitere Testimonia sind i.a. zu  finden bei W. C. Allen, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to S. Matthew (Edinburgh, 31965), lxxix-lxxxv und M. R. James, The Apocryphal New Testament (Oxford, 1955), 1-10.  Eusebius, hist. Eccl. V 10, 3, spricht auch von einem angeblich von Bartolomäus hinterlassenens hebräischen Matthäus­evangelium in hebräischer Sprache in Südarabien (Yemen).

[89] Καὶ δέχονται μὲν καὶ αὐτοὶ τὸ κατὰ Ματθαῖον εὐαγγέλιον. τούτῳ γὰρ καὶ αὐτοί, ὡς καὶ οἱ κατὰ Κήρινθον καὶ Μήρινθον χρῶνται μόνῳ. καλοῦσι δὲ αὐτὸ κατὰ Ἑβραίους, ὡς τὰ ἀληθῆ ἔστιν εἰπεῖν, ὅτι Ματθαῖος μόνος Ἑβραϊστὶ καὶ Ἑβραϊκοῖς γράμμασιν ἐν τῇ καινῇ διαθήκῃ ἐποιήσατο τὴν τοῦ εὐαγγελίου ἔκθεσίν τε καὶ κήρυγμα – 30, 3.

[90]    Vgl. auch C. Gilliot, Zur Herkunft der Gewährsmänner des Propheten, in: K.-H. Ohlig / G.-R. Puin (Hg.), Die dunklen Anfänge, Berlin 2005, 165.

[91] Z.B. 29, 7: ἔστιν δὲ αὕτη ἡ αἵρεσις ἡ Ναζωραίων ἐν τῇ Βεροιαίων περὶ τὴν Κοίλην Συρίαν καὶ ἐν τῇ Δεκαπόλει περὶ τὰ τῆς Πέλλης μέρη καὶ ἐν τῇ Βασανίτιδι ἐν τῇ λεγομένῃ Κωκάβῃ, Χωχάβῃ δὲ Ἑβραϊστὶ λεγομένῃ. ἐκεῖθεν γὰρ ἡ ἀρχὴ γέγονε, μετὰ τὴν ἀπὸ τῶν Ἱεροσολύμων μετάστασιν πάντων τῶν μαθητῶν ἐν Πέλλῃ ᾠκηκότων, Χριστοῦ φήσαντος καταλεῖψαι τὰ Ἱεροσόλυμα καὶ ἀναχωρῆσαι δι‘ ἣν ἤμελλε πάσχειν πολιορκίαν. καὶ ἐκ τῆς τοιαύτης ὑποθέσεως τὴν Περαίαν οἰκήσαντες ἐκεῖσε, ὡς ἔφην, διέτριβον. ἐντεῦθεν ἡ κατὰ τοὺς Ναζωραίους αἵρεσις ἔσχεν τὴν ἀρχήν.

[92] Z.B. 30, 2: γέγονε δὲ ἡ ἀρχὴ τούτων μετὰ τὴν τῶν Ἱεροσολύμων ἅλωσιν. ἐπειδὴ γὰρ πάντες οἱ εἰς Χριστὸν πεπιστευκότες τὴν Περαίαν κατ‘ ἐκεῖνο καιροῦ κατῴκησαν τὸ πλεῖστον, ἐν Πέλλῃ τινὶ πόλει καλουμένῃ τῆς Δεκαπόλεως τῆς ἐν τῷ εὐαγγελίῳ γεγραμμένης πλησίον τῆς Βαταναίας καὶ Βασανίτιδος χώρας, τὸ τηνικαῦτα ἐκεῖ μεταναστάντων καὶ ἐκεῖσε διατριβόντων αὐτῶν, γέγονεν ἐκ τούτου πρόφασις τῷ Ἐβίωνι. καὶ ἄρχεται μὲν τὴν κατοίκησιν ἔχειν ἐν Κωκάβῃ τινὶ κώμῃ ἐπὶ τὰ μέρη τῆς Καρναὶμ τῆς καὶ Ἀσταρὼς ἐν τῇ Βασανίτιδι χώρᾳ, ὡς ἡ ἐλθοῦσα εἰς ἡμᾶς γνῶσις περιέχει. ἔνθεν ἄρχεται τῆς κακῆς αὐτοῦ διδασκαλίας, ὅθεν δῆθεν καὶ οἱ Ναζωραῖοι, οἳ ἄνω μοι προδεδήλωνται … ἤδη δέ μοι καὶ ἐν ἄλλοις λόγοις καὶ κατὰ τὰς ἄλλας αἱρέσεις περὶ τῆς τοποθεσίας Κωκάβων καὶ τῆς Ἀραβίας διὰ πλάτους εἴρηται.

[93] Vgl. hierzu das Kapitel ‚Christian Judaizing Syria. Barnabas, the Didache, and Pseudo-Clementine Literature’ in M. Murray, Playing a Jewish Game. Gentile Christian Judaizing in the First and Second Centuries CE (Waterloo ON, 2004), 29-42.

[94] Vgl. hierzu Pritz a.a.O. 71-82.

[95] Für die klassische Darlegung ihres Verschwindens vgl. A. Von Harnack, Die Mission und Ausbreitung des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten (Leipzig, 41924), 48-79 et passim. „Der größere Teil derselben [scil. Juden­christen] ist im folgenden Jahrhundert gräzisiert worden und in die große Chris­tenheit übergegangen” 633, das Judenchristentum mit ihrer Gräzisierung „hob sich damit selbst auf” 69. Für eine moderne Betrachtung von von Harnack und sein Verhältnis zum Judentum und Judenchristentum vgl. Murray a.a.O. 129-133.

[96] Z.B. die Wendung וכל הנוצרים כרגע יאבדו w-kl h-nwrym krgʿ yʾbdw „Und mögen alle Notsrim in einem Augenblick vergehen.” Vgl. hierzu die Diskussion und Quellenangaben in Pritz a.a.O. 95-107.

[97] Z.B. Panarion 29, 9: πάνυ δὲ οὗτοι ἐχθροὶ τοῖς Ἰουδαίοις ὑπάρχουσιν. οὐ μόνον γὰρ οἱ τῶν Ἰουδαίων παῖδες πρὸς τούτους κέκτηνται μῖσος, ἀλλὰ καὶ ἀνιστάμενοι ἕωθεν καὶ μέσης ἡμέρας καὶ περὶ τὴν ἑσπέραν, τρὶς τῆς ἡμέρας ὅτε εὐχὰς ἐπιτελοῦσιν ἑαυτοῖς ἐν ταῖς συναγωγαῖς ἐπαρῶνται αὐτοῖς καὶ ἀναθεματίζουσι, τρὶς τῆς ἡμέρας φάσκοντες ὅτι «ἐπικαταράσαι ὁ θεὸς τοὺς Ναζωραίους». δῆθεν γὰρ τούτοις περισσότερον ἐνέχουσι, διὰ τὸ ἀπὸ Ἰουδαίων αὐτοὺς ὄντας Ἰησοῦν κηρύσσειν εἶναι <τὸν> Χριστόν, ὅπερ ἐστὶν ἐναντίον πρὸς τοὺς ἔτι Ἰουδαίους, τοὺς τὸν Ἰησοῦν μὴ δεξαμένους.

[98] Auch ܢܽܘܚܳܡܳܐ nūḥāmā, z.B. Joh 11, 25.

[99] Die Lehre von der Parthenogenesis Jesu Christi, auch im Koran vorhanden, setzt die griechische Bibelübersetzung voraus und niemals das hebräische Verständnis von Jesaiah 7, 14!

[100]     Die eindrucksvolle Arbeit des Inders Rahmatullah Kairanawi (1818-1891) إظهار الحق‎ al-ahār al-aqq „Zeugnis der Wahrheit”  (6 Bde., 1864), in der er die Ergebnisse der europäischen Bibelkritik um die Korruption der Bibel und des Christentums – im Gegensatz zum Islam – zu beweisen sucht (vgl. C. Schirr­macher, ‚The influence of German Biblical criticism on Muslim apologetics in the 19th century’ in A. Sanlin (Hg.), A Comprehensive Faith: An International Festschrift for Rousas John Rushdoony (1997)), ist insoweit korrekt (wenn auch veraltet), was die Bibel angeht. Kritische Arbeit am Koran steht aber erst am Anfang – nur weil diese noch nicht geleistet ist, beweist ja natürlich nichts.

[101]     Selbstverständlich auch ein Lehwort < ቀለም qalam < ܩܠܡܐ qalmā < κάλαμος, vgl. lat. calamus, neuhebr. קולמוס qulmus.

[102]  Das persische Wort wie das Armenische նիշ niš „Bezeichnung, Symbol” haben keine indogermanische Etymologie, eine Tatsache, die die Entlehnung aus dem Akkadischen sicher macht.